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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 01.12.2003
Aktenzeichen: 4 TaBV 35/03
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 77
BetrVG § 80
Zur Abgrenzung von Durchsetzungsansprüchen des Betriebsrats auf Grund einer Betriebsvereinbarung und der Verfolgung von Individualansprüchen der Arbeitnehmer.
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Verkündet am 01. Dezember 2003

In Sachen

mit den Beteiligten

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Anhörung vom 01.12.2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Backhaus als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Herr Lakomy und Frau Bachmann

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines vom Antragsteller gestellten Unterlassungsantrages, hilfsweise eines Feststellungsantrages, darum, ob die Antragsgegnerin verpflichtet ist, eine Leistungsprämie, die sie auf Grund einer Betriebsvereinbarung ihren Arbeitnehmern bei Leistungslohn zu zahlen hat, zuzüglich zum Tariflohn und einer weiteren zehnprozentigen Zulage zu berechnen.

Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhaltes wird zunächst auf die Sachverhaltsdarstellung im arbeitsgerichtlichen Beschluss unter I. der Gründe Bezug genommen. Wegen des vollen Wortlautes der umstrittenen Betriebsvereinbarung vom 01.12.1990 wird auf Blatt 6 - 10 d. A. Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen.

Gegen diesen ihm am 05.05.2003 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 26.05.2003 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 07.08.2003 am 07.08.2003 begründet.

Wegen der Beschwerdegründe wird zunächst auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 07.08.2003 (Blatt 118 ff. d. A.) Bezug genommen. Der Antragsteller verweist darauf, dass die Antragsgegnerin nach Abschluss der Betriebsvereinbarung im Jahre 1990 bis November 2001 den Effektivlohn mit mindestens 10 % über dem Tariflohn bei der Bemessung der Leistungsprämie zu Grunde gelegt habe. Dieses sei bei Abschluss der Betriebsvereinbarung so geregelt worden. Schon vor Abschluss der Betriebsvereinbarung im Jahre 1990 sei es für alle Mitarbeiter der Gestalt gehandhabt worden, dass die Grundvergütung mindestens 110 % des Tariflohns gewesen sei. Teilweise sei diese Praxis in den Arbeitsverträgen der Mitarbeiter nicht niedergelegt gewesen, teilweise hätten sie Einzelzusagen erhalten, teilweise sei die Berechnung des Effektivlohnes, der der Leistungsprämie zu Grunde zu legen sei, schlicht so gehandhabt worden. Dass alle Mitarbeiter mindestens 100 % plus 10 %, also 110 % und darauf nochmals die Leistungslohnprämie erhielten, sei "Konsens und Grundlage" in den Verhandlungen zum Abschluss der Betriebsvereinbarung gewesen. Es sei auch völlig ausgeschlossen, dass der Antragsgegnerin elf Jahre lang ein Berechnungsfehler gleichmäßig für alle Arbeitnehmer unterlaufen sei.

Der Antragsteller beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Köln vom 17.12.2002 - 13 BV 32/02 - der Antragsgegnerin zu untersagen, die Leistungslohnprämie gemäß Ziffer 5/6 der Betriebsvereinbarung vom 01.12.1990 so zu berechnen, dass sie mit der vereinbarten 10%igen Zulage zum Tariflohn verrechnet wird;

hilfsweise

festzustellen, dass der Effektivlohn im Sinne der Ziffer 5 der Betriebsvereinbarung vom 01.12.1990 der Tariflohn zuzüglich mindestens einer 10%igen Zulage ist.

Die Antragsgegnerinnen beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Das Arbeitsgericht hat die Anträge zu Recht abgewiesen, weil der Betriebsrat mit den Anträgen individualrechtliche Ansprüche der Arbeitnehmer verfolgt. Dabei kann dahinstehen, ob dieses eine Frage der Zulässigkeit ist (weil es sich insoweit nicht um eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit handelt), oder um eine Frage der Begründetheit, wobei man in § 80 Abs. 1 Nr. BetrVG eine grundsätzliche Befugnis des Betriebsrates sehen könnte, der Antrag jedoch als unbegründet abzuweisen ist (vgl. BAG 17.10.1989 AP Nr. 53 zu § 112 BetrVG 1972), weil dem Betriebsrat insoweit die Aktivlegitimation fehlt.

1. Es ist zunächst das Begehren des Betriebsrates zu bestimmen. Mit dem Unterlassungsantrag soll der Antragsgegnerin untersagt werden, die Leistungslohnprämie gemäß Ziffer 5/6 der Betriebsvereinbarung vom 01.12.1990 so zu "berechnen", dass sie mit der vereinbarten zehn prozentigen Zulage zum Tariflohn verrechnet wird. Mit dem Hilfsantrag soll festgestellt werden, dass der Effektivlohn im Sinne der Betriebsvereinbarung der Tariflohn zuzüglich mindestens 10 % Zulage ist.

Soweit der Antragsteller in der Beschwerdebegründung meint, er mache keinen Anspruch geltend, einen bestimmten Lohn auszuzahlen, im Falle der antragsgemäßen Entscheidung werde lediglich klargestellt, wie auf der Grundlage der zwischen den Betriebsparteien geltenden Regelung Leistungslohn "zu berechnen" sei, so ist nicht erkennbar, inwieweit der Betriebsrat einen Anspruch allein darauf hätte und was es nützen sollte, dass die Antragsgegnerin eine bestimmte Rechenoperation vornähme. Ebenso wenig wäre ein Feststellungsinteresse für einen Antrag zu erkennen, der allein auf eine bestimmte Rechenoperation hinausliefe.

Tatsächlich will der Betriebsrat auch offensichtlich nicht allein eine bestimmte Rechenoperation der Antragsgegnerin veranlassen, sondern bestimmte Berechnungsgrundlagen für einen Lohnanspruch der Arbeitnehmer festgeschrieben wissen. Die Anträge laufen letztlich damit darauf hinaus, dass ein entsprechender Lohnanspruch zu berechnen und dementsprechend auszuzahlen ist.

2. Das Bundesarbeitsgericht hat in zwei Entscheidungen vom 17.10.1989 (AP Nr. 39 zu § 670 BetrVG 1972 und AP Nr. 53 zu § 112 BetrVG 1972) zu der Frage der Abgrenzung von Durchführungsansprüchen des Betriebsrates aus einer Betriebsvereinbarung und der Geltendmachung von normativ begründeten Individualansprüchen der Arbeitnehmer Folgendes ausgeführt: Der Betriebsrat könne nicht die Feststellung eines zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer bestehenden Rechtsverhältnisses im Beschlussverfahren verlangen. Die Feststellung individualrechtlicher Ansprüche der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber sei keine Angelegenheit aus dem Betriebsverfassungsgesetz im Sinne von § 80 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG. Der Individualrechtschutz des einzelnen Arbeitnehmers könne nicht ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung dem Betriebsrat übertragen werden.

Anders könne nur dann entschieden werden, wenn über eigene betriebsverfassungsrechtliche Ansprüche des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber zu entscheiden wäre. Dementsprechend beträfen die Entscheidungen, in denen dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch bzw. ein Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung zugesprochen worden sei, Handlungen und Maßnahmen des Arbeitgebers, zu denen sich der Arbeitgeber dem Betriebsrat gegenüber in der Betriebsvereinbarung verpflichtet habe (AP Nr. 53 zu § 112 BetrVG 1972).

Von diesem Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung zu unterscheiden seien diejenigen Fälle, in denen durch Betriebsvereinbarung normativ Ansprüche des Arbeitnehmers begründet würden. Dem Betriebsrat komme nicht die Rolle eines gesetzlichen Prozessstandschafters der Arbeitnehmer zu. Die Betriebsvereinbarung sei wie der Tarifvertrag ein Normenvertrag und kein schuldrechtlicher Vertrag zu Gunsten Dritter (AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972). Aus diesem Grunde hat das BAG in der einen Entscheidung (AP Nr. 39 zu § 76 BetrVG 1972) einen Antrag des Betriebsrates, einen bestimmten in einer Betriebsvereinbarung niedergelegten Provisionsplan weiterhin anzuwenden ebenso abgewiesen wie (in der Entscheidung AP Nr. 53 zu § 112 BetrVG 1972) das Begehren des Betriebsrates, den Arbeitgeber zur Zahlung von Geldbeträgen an Angestellte aus einem Härtefond zu verpflichten, der in einem Sozialplan eingerichtet war und über den ein paritätisch besetzter Härtefondbeirat zu entscheiden hatte.

3. Auch im vorliegenden Fall geht es allein um individualrechtliche Ansprüche, nämlich Lohnansprüche der Arbeitnehmer, die in der Betriebsvereinbarung ihre Grundlage haben (sollen). Das Begehren des Betriebsrates läuft darauf hinaus, den Arbeitgeber zu verpflichten, den von der Betriebsvereinbarung betroffenen Arbeitnehmern (Monteuren) zusätzlich zu der Leistungslohnprämie 110 % des Tarifgehaltes zu zahlen. Es geht um individuelle Ansprüche, die in einer normativen Regelung ihre Grundlage haben. Lohnansprüche wie diejenigen, deren Grundlagen im vorliegenden Fall umstritten sind, sind typischerweise Individualansprüche der Arbeitnehmer und nicht Ansprüche des Betriebsrates. Dem entspricht es, dass eine Reihe von betroffenen Arbeitnehmern ihre entsprechenden Lohnansprüche inzwischen mit Individualklagen verfolgen.

4. Nur ergänzend weist die Kammer daher darauf hin, dass sie die auf Grund der Beweisaufnahme gefundene Erkenntnis des Arbeitsgerichts teilt, dass jedenfalls die Betriebsvereinbarung vom Dezember 1990 nicht festschreibt, dass jeder Arbeitnehmer zusätzlich zu der Leistungsprämie Tariflohn plus 10 % erhält.

a) Aus dem normativen Charakter der Betriebsvereinbarung folgt, dass ihre Auslegung ebenso wie beim Tarifvertrag den Regeln der Auslegung von Gesetzen folgt. Auszugehen ist vom Wortlaut der Regelung, wobei es jedoch nicht auf den buchstäblichen Wortsinn ankommt. Vielmehr ist auch hier der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei kommt dem von den Betriebspartnern verfolgten Zweck eine besondere Bedeutung zu, soweit er in der Betriebsvereinbarung wenigstens andeutungsweise Ausdruck gefunden hat. Neben der Feststellung des Zwecks der Betriebsvereinbarung sind als weitere Auslegungsmittel der Gesamtzusammenhang der Betriebsvereinbarung sowie ihre Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände, die das von den Betriebspartnern Gewollte zweifelsfrei erkennen lassen, kann die Betriebsvereinbarung durch Auslegung einen vom Wortlaut abweichenden Inhalt bekommen (vgl. die Nachweise bei Fitting, 21. Auflage, § 77 Rdnr. 15).

b) Die umstrittene Ziffer 5 der Betriebsvereinbarung lautet:

"Der Leistungslohn des Arbeitnehmers errechnet sich aus dem Effektivlohn zuzüglich der Leistungslohnprämie. Der Effektivlohn besteht aus dem Tariflohn zuzüglich vereinbarter Zulagen."

Es sei dabei zunächst darauf hingewiesen, dass es dem Betriebsrat nicht allein darum geht, für einzelne Arbeitnehmer, mit denen individuelle Vereinbarungen über eine entsprechende Zulage bestehen, die entsprechende Zahlung zu sichern. Vielmehr will er ersichtlich auch diejenigen Arbeitnehmer erfassen, denen ohne Vereinbarung in der Vergangenheit ein zehnprozentiger Aufschlag auf den Tariflohn zusätzlich zu der Leistungslohnprämie "schlicht gezahlt" wurde. Er behauptet, dieses sei Grundlage des Abschlusses der Betriebsvereinbarung gewesen und finde in dem Wort "Effektivlohn" seinen Niederschlag.

c) Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass auf Grund der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden kann, dass ein bestimmter - subjektiver - Wille der Betriebsparteien vorlag. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass es nicht auf Vorstellungen der für den Betriebsrat handelnden Akteure allein ankommt, sondern bei einer Betriebsvereinbarung wie bei jedem Vertrag nur ein gemeinsamer Wille beider Vertragsparteien, d. h. hier beider Betriebsparteien, für den Inhalt entscheidend sein kann. An keiner Stelle hat einer der vernommenen Zeugen irgendetwas ausgesagt, wonach durch eine bestimmte konkrete Äußerung seitens der für die Antragsgegnerin handelnden Personen darauf geschlossen werden könnte, dass die für die Antragsgegnerin abschließende Person einen entsprechenden Willen gehabt hätte. Ganz im Gegenteil hat vielmehr der vom Antragsteller benannte Zeuge R , Sekretär der IG M , ausgesagt: "Es ist letztlich gar nicht darüber gesprochen worden, das war allgemeine Praxis auch schon nach der alten Betriebsvereinbarung". Weiter räumt er ein, dass er mit dem Geschäftsführer der Antragsgegnerin, Herrn K , persönlich nie verhandelt habe. Auch aus der Aussage des ebenfalls vom Antragsteller benannten Herrn R ist nichts dafür zu entnehmen, dass überhaupt während der Verhandlungen über die Betriebsvereinbarung über die angeblichen 110 % gesprochen worden ist. Auch der von der Antragsgegnerin benannte Herr N , der seinerzeit als Mitglied des Betriebsrates an den Verhandlungen zu der Betriebsvereinbarung teilweise teilgenommen hatte, hat nichts dahingehend ausgesagt, dass über die angeblichen 110 % während dieser Verhandlungen geredet worden sei. Der weiter vernommene Herr B bekundete, an den Verhandlungen seinerzeit überhaupt nicht teilgenommen zu haben.

d) Selbst wenn aber eine entsprechende Vereinbarung getroffen worden wäre, dass unabhängig von individuellen Vereinbarungen jeder Monteur zusätzlich zu der Leistungslohnprämie einen zehnprozentigen Aufschlag zum Tariflohn erhielte, so hätte eine solche Vereinbarung im Wortlaut der Betriebsvereinbarung keinen Niederschlag gefunden. Denn das Wort "Effektivlohn" ist in derselben Klausel eindeutig definiert: "Der Effektivlohn besteht aus dem Tariflohn zuzüglich vereinbarter Zulagen". Danach kommt es darauf an, welche Zulagen "vereinbart" sind. Nicht "vereinbarte" Zulagen, also insbesondere "schlicht gezahlte" Zulagen, sind damit dem Effektivlohn nicht zuzuordnen.



Ende der Entscheidung

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