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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 13.07.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 88/06
Rechtsgebiete: TVG, TV-Steigerungsbetrag, BGB
Vorschriften:
TVG § 1 | |
TV-Steigerungsbetrag § 92 Abs. 7 | |
BGB § 315 |
Tenor:
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.08.2005 - 14 Ca 12703/04 - teilweise geändert.
2. Die Klage wird abgewiesen, soweit der Beklagte verurteilt wird, an den Kläger einen höheren Betrag als 2.833,60 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus 1.409,80 € seit dem 12.01.2005 und aus 1.423,80 € seit dem 15.03.2005 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Rechtsstreit trägt der Beklagte.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger den besonderen monatlichen Steigerungsbetrag nach dem bei dem Beklagten geltenden "Tarifvertrag über die Gewährung eines Steigerungsbetrages in besonderen Fällen" zu zahlen.
Der Kläger ist bei dem Beklagten seit dem 01.05.1984 als Redakteur m. b. A. zuletzt mit einer Vergütung nach der Vergütungsgruppe II des bei dem Beklagten geltenden Vergütungstarifvertrages beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag über die Gewährung eines Steigerungsbetrages in besonderen Fällen vom 30.08.1977 in der Fassung vom 01.09.2002 (nachfolgend TV-Steigerungsbetrag) Anwendung. § 2 des TV-Steigerungsbetrag enthält u. a. folgende Regelungen:
§ 2
1. Arbeitnehmer, die unter § 1 dieses Tarifvertrages fallen und in eine der derzeitigen Vergütungsgruppen XV bis einschließlich II des Vergütungstarifvertrages des W eingruppiert sind, erhalten einen besonderen monatlichen Steigerungsbetrag
a. nach 20-jähriger ununterbrochener Beschäftigungszeit beim W , von der sie mindestens die letzten 5 Jahre eine Vergütung nach der Endstufe der zuletzt erreichten Vergütungsgruppe
b. wenn sie die Vergütung nach der Endstufe der zuletzt erreichten Vergütungsgruppe seit mindestens 10 Jahren.
erhalten haben.
(2)...
(3)...
4. Der besondere monatliche Steigerungsbetrag wird von dem Monat an gezahlt, der auf den Monat folgt, in dem die Voraussetzungen nach Ziffer 1 erfüllt sind.
(5)...
(6)...
7. Der besondere monatliche Steigerungsbetrag kann im Einvernehmen mit dem Personalrat bei Verstößen gegen den Arbeitsvertrag oder wegen mangelhafter Arbeitsleistung versagt werden.
Seit dem 01.05.2004 erfüllt der Kläger unstreitig die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 a) des TV-Steigerungsbetrages, nämlich die 20-jährige ununterbrochene Beschäftigungszeit, von der der Kläger mindestens die letzten 5 Jahre eine Vergütung nach der Endstufe der Vergütungsgruppe II erhalten hat. Der besondere monatliche Steigerungsbetrag nach dem TV-Steigerungsbetrag betrug für die Zeit bis einschließlich zum 31.12.2004 monatlich 343,20 €. Seit dem 01.01.2005 beträgt der Steigerungsbetrag monatlich 346,60 €.
Der Kläger ist bei dem Beklagten als Redakteur m. b. A. für die Pressearbeit der Hörfunkdirektion zuständig. Zunächst war er für die Pressearbeit der Wellen WDR 3, W 4 und W 5 eigenverantwortlich und mit eigener Etatverantwortung zuständig. Im Juli 2002 entzog der Beklagte dem Kläger die Etatverantwortung wegen erfolgter Budgetüberschreitung in den Jahren 2001 und 2002. Der Beklagte übertrug dem Kläger einen reduzierten Aufgabenbereich der in der verantwortlichen Pressearbeit für nur noch eine Hörfunkwelle (W 4) und der Verantwortlichkeit für die sog. Radio-Tipps", d. h. Pressinformationen über einzelne Sendungen mehrer Hörfunkwellen, bestand. Mit Schreiben vom 03.01.2003 erteilt der Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, mit der dem Kläger unter anderem vorgeworfen wird, er habe in den Geschäftsjahren 2001 und 2002 trotz eindeutiger entgegenstehender Anweisungen die Budgets im Rahmen der Betreuung der seinem Zuständigkeitsbereich zugeordneten Hörfunkwellen bei Weitem überschritten (Kopie Bl. 34 - 39 d. A. ). Die Berechtigung dieser Abmahnung war Gegenstand eines weiteren Rechtsstreits der Parteien (ArbG Köln - 2 Ca13902/03; LAG Köln - 4 Sa 412/05), in dem der Beklagte rechtskräftig verurteilt wurde, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
Mit Schreiben vom 03.06.2004 teilte der Beklagte dem bei ihm gebildeten Personalrat mit, dass der Fachbereich beabsichtige, im Fall des Klägers den besonderen Steigungsbetrag gemäß § 2 Abs. 7 des TV-Steigerungsbetrags wegen mangelhafter Arbeitsleistung zu versagen bzw. zu verschieben. Eine Entscheidung über den besonderen Steigerungsbetrag liege derzeit noch nicht vor, da die Anhörung des Klägers noch nicht habe erfolgen können. Mit Schreiben vom 11.06.2004 teilte der Personalrat mit, dass er das Schreiben der Beklagten zur Kenntnis genommen habe und wies ausdrücklich darauf hin, dass damit das erforderliche Einvernehmen mit dem Personalrat gemäß § 2 Abs. 7 des Tarifvertrages nicht erzielt worden sei und ein entsprechender Antrag dem Schreiben des Beklagten vom 03.06.2004 auch nicht habe entnommen werden können. Am 24.06.2004 fand eine Anhörung des Klägers statt. Mit Schreiben vom 17.09.2004 erfolgte eine schriftliche Stellungnahme des Klägers durch seinen anwaltlichen Vertreter. Mit Schreiben vom 04.10.2004 bat der Beklagte den Personalrat darum, das Einvernehmen zur Versagung des besonderen monatlichen Steigerungsbetrages gegenüber dem Kläger mitzuteilen. Der Personalrat reagiert hierauf mit Schreiben vom 06.10. und 26.11.2004 (Kopie Bl. 71 und 72 d. A.); ein Einvernehmen wurde nicht mitgeteilt.
Mit seiner am 14.12.2004 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm einen besonderen monatlichen Steigerungsbetrag gemäß dem TV-Steigerungsbetrag zu zahlen. Er verlangt zudem die Zahlung der rückständigen Steigerungsbeträge für die Zeit von Juni 2004 bis einschließlich Dezember 2004 sowie mit seiner Klageerweiterung vom 09.08.2005 die weitergehenden Rückstände bis einschließlich Juli 2005. Der Kläger meint, der Beklagte könne den monatlichen Steigerungsbetrag schon deshalb nicht mehr versagen, da er das Einvernehmen mit dem Personalrat nicht vor der Fälligkeit des Steigerungsbetrags hergestellt habe. Zudem sei eine Versagung des Steigerungsbetrages aber auch nicht berechtigt. Die in der Abmahnung vom 03.01.2003 enthaltenen Vorwürfe seien nicht zutreffend. Die von dem Beklagten im Rahmen des vorliegenden Verfahrens beispielhaft aufgeführten Fehler bei der Erstellung der Radio-Tipps seien zwar zum Teil zutreffend, dabei müsse jedoch berücksichtigt werden, dass er solcherlei Texte in kürzester Zeit zu bearbeiten habe und dass deshalb bei der Vielzahl der Texte durchaus auch ausnahmsweise Fehler auftauchen könnten. Die punktuell geringfügigen Fehler seien angesichts seiner jahrzehntelangen beanstandungsfreien Tätigkeit bei dem Beklagten nicht geeignet, ihm den besonderen Steigerungsbetrag zu verwehren. Auch im Zusammenhang mit der Betreuung des W 4 Jubiläums könne ihm keine Schlechtleistung vorgeworfen werden, die den Beklagten zur Versagung des Steigerungsbetrages berechtige.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 4.828,60 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 2.402,40 € ab Zustellung der Klageschrift und aus weiteren 2.426,20 € ab Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.
2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger einen besonderen monatlichen Steigerungsbetrag gemäß § 2 Abs. 1 des Tarifvertrages über die Gewährung eines Steigerungsbetrages in besonderen Fällen vom 30.08.1977 in der Fassung vom 01.09.2002 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, der Anspruch des Klägers nach dem TV-Steigerungsbetrag sei gemäß § 2 Abs. 7 des TV-Steigerungsbetrags wegen mangelhafter Arbeitsleistung des Klägers zu versagen. Da das Verfahren der Beteiligung des Personalrates nicht abgeschlossen sei, sei der Anspruch des Klägers jedenfalls nicht fällig. Im Übrigen seien die Regelungen des § 2 Abs. 7 TV-Steigerungsbetrag wegen Verstoßes gegen § 4 Landespersonalvertretungsgesetz (LPVGNW) unwirksam, soweit sie für die Versagungsentscheidung des Arbeitgebers das Einvernehmen des Personalrats vorsehen. Der Steigerungsbetrag sei zu versagen, da der Kläger mangelhaft gearbeitet habe. Der Kläger habe in den Jahren 2001 und 2002 seine Aufgaben nicht pflichtgemäß und verantwortungsvoll wahrgenommen, da er die Budgets im Rahmen der Betreuung der seinem Zuständigkeitsbereich zugeordneten Hörfunkwellen überschritten habe, wofür er mit dem Schreiben vom 03.01.2003 abgemahnt worden sei. Der dem Kläger sodann ab Juli 2002 übertragene reduzierte Aufgabenbereich entspreche nach Art und Umfang bei Weitem nicht dem Aufgaben- und Verantwortungsbereich eines Redakteurs m. b. A. nach Vergütungsgruppe II. Aber selbst in diesem reduzierten Aufgabenbereich sei der Kläger nicht in der Lage, die ihm übertragenen Aufgaben in noch ausreichendem Maße und ohne grobe Mängel zu erledigen. Vielmehr weise auch die seit Juli 2002 von dem Kläger geleistete Arbeit erhebliche Mängel auf. So sei der Kläger nicht in der Lage, die Radio-Tipps ausrechend zu redigieren und auf ein sinnvolles Maß zu beschränken. Vielfach seien die Radio-Tipps durch die Bearbeitung des Klägers erst mit Fehlern versehen worden. Ferner sei es im Zusammenhang mit der Betreuung des W 4 Jubiläums zu mangelhafter Arbeitsleistung des Klägers gekommen. Der Kläger habe die Aufgabe übernommen, Journalisten zu der Gala schriftlich einzuladen, habe dies dann aber versäumt und stattdessen eine Pressemitteilung versenden lassen, die erheblich sachliche und fachliche Mängel aufgewiesen habe. So habe in der Zeile 6 die Zahl 20 gefehlt mit der Folge, dass der Satz unverständlich war und der Hinweis auf das 20-jährige Bestehen des W 4 als eigentlicher Anlass der Gala im Presstext fehlte. Zudem habe der Kläger die Pressmitteilung mit dem Arbeitstitel "Yellow-Press" versehen, was die Journalisten als verleumderisch und ehrabschneidend empfunden hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach - und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage durch ein am 23.08.2005 verkündetes Urteil stattgegeben, wegen der Begründung wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Gegen das dem Beklagten am 28.12.2005 zugestellt Urteil hat dieser am 25.01.2006 schriftlich beim Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 23.03.2006 wie folgt begründet:
Das arbeitsgerichtliche Urteil sei schon deshalb fehlerhaft, weil nach § 2 TV-Steigerungsbetrag höchstens der Steigerungsbetrag der Vergütungsgruppe V zu zahlen sei, während der Kläger einen monatlichen Steigerungsbetrag innerhalb der Vergütungsgruppe II geltend gemacht habe. Hiernach belaufe sich der Steigerungsbetrag für die Zeit vom 01.05.2004 bis 31.12.2004 auf monatlich 201,40 € und für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.07.2005 auf 203,40 €.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei die Versagung des monatlichen Steigerungsbetrages auch nicht unbillig im Sinne des § 315 BGB. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts enthalte der Tarifvertrag für den Fall der erstmaligen Gewährung des Steigerungsbetrags eine Versagungsregelung. Darüber hinaus könne der Steigerungsbetrag auch nach Gewährung durch nachfolgende Schlechtleistung oder Verstöße gegen den Arbeitsvertrag versagt werden. Eine Betrachtung, die den Verstoß gegen den Arbeitsvertrag oder mangelhafte Arbeitsleistungen in das Verhältnis zur Dauer der Betriebszugehörigkeit setze, verstoße gegen die durch die Tarifparteien festgelegte Regelung. Hätten die Tarifparteien eine Begrenzung der Versagungsregelung in zeitlicher Hinsicht gewollt, so hätten sie diese in den Tarifvertrag aufnehmen müssen. Wegen der dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen werde im Übringen auf den erstinstanzlichen Sachvortrag Bezug genommen.
Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 23.08.2005 - 14 Ca 12703/04 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit der Berufungserwiderung verteidigt er die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Die Versagungsvoraussetzungen hätten spätestens vor Eintritt der Voraussetzungen und vor Fälligkeit des Steigerungsbetrages dem Kläger gegenüber erklärt werden müssen, was nicht geschehen sei. Darüber hinaus sei die Berufung des Beklagten auf die Abmahnungsvorwürfe vom 03.01.2003 unzulässig, schon deshalb, weil der Beklagte rechtskräftig zur Entfernung der Abmahnung verurteilt worden sei.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie auf den sonstigen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach dem Beschwerdewert an sich statthafte Berufung des Beklagten ist in gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden, sie ist damit zulässig.
I. Sie hat in der Sache nur teilweise Erfolg.
Die Berufung ist begründet, soweit das Arbeitsgericht dem Kläger für die Zeit vom 01.06. bis 31.12.2004 Beträge von monatlich 343,20 € (2.402,40 €) sowie für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.07.2005 Beträge in Höhe von 2.426,20 € (7 x 346,60 €) zugesprochen hat. Denn der Beklagte hat in der Berufungsbegründung - unwidersprochen - ausgeführt, dass der dem Kläger nach § 2 Abs. 2 TV-Steigerungsbetrag zu gewährende Höchstbetrag in Höhe des Steigerungsbetrages der Vergütungsgruppe V sich auf lediglich monatlich 201,40 € bzw. 203,40 € beläuft, so dass dem Kläger für den Zeitraum vom 01.05. bis 31.12.2004 lediglich ein Betrag von 1.409,80 € zusteht und für die Zeit vom 01.01.2005 bis 31.07.2005 ein Betrag von 1.423,80 € (7 x 203,40 €), insgesamt daher nur 2.833,30 € statt 4.828,60 €.
II. Im Übrigen ist die Berufung des Beklagten unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Versagung des Steigerungsbetrages durch den Beklagten als unbillig im Sinne von § 315 BGB angesehen und damit für unwirksam erklärt. Dem Arbeitsgericht ist zunächst darin zu folgen, dass die Regelung über die Versagung des Steigerungsbetrages, soweit sie an ein Einvernehmen mit dem Personal geknüpft ist, aus personalvertretungsrechtlichen Gründen - wegen der Erweiterung der Mitbestimmungsrechte des Personalrats entgegen § 4 LPVG NW - rechtsunwirksam ist und daher dem Beklagten nicht entgegengehalten werden kann, obwohl es an einem Einvernehmen des Personalrats an der Versagung des Steigerungsbetrages fehlt.
Das Berufungsgericht teilt jedoch die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die Versagung unbillig im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB ist und daher dem Kläger gegenüber unwirksam ist. In Ergänzung zu der Begründung des Arbeitsgerichts, die sich das Berufungsgericht zu eigen macht, und im Hinblick auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung weist das Berufungsgericht auf folgende, seiner Auffassung nach maßgeblichen rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte hin:
Die tarifliche Regelung in § 2 Abs. 7 TV-Steigerungsbetrag, wonach der besondere monatliche Steigerungsbetrag "bei Verstößen gegen den Arbeitsvertrag oder wegen mangelhafter Arbeitsleistung versagt werden" kann, begegnet zunächst Bedenken hinsichtlich ihrer inhaltlichen Bestimmtheit. Es wird von den Tarifsvertragsparteien weder geregelt, ob und in welchem Umfang sich im Fall der ersten Alternative bereits ein einmaliger Verstoß gegen den Arbeitsvertrag auf die Versagung auswirkt oder - bei Erforderlichkeit mehrfacher Verstöße - wie viele Verstöße eine Versagung rechtfertigen, für welchen Zeitraum die Versagung jeweils erklärt werden kann und ob insbesondere eine Versagung auch nach bereits gewährtem Steigerungsbetrag wegen danach festgestellter Arbeitsvertragsverstöße erfolgen kann, gegebenenfalls für welchen Zeitraum. Auch enthält die Norm keine Regelung darüber, wie eng der Versagungszeitraum zeitlich von den Verstößen abhängt, wie gewichtig die Verstöße sein müssen und und ob auch schon länger zurückliegende Verstöße eine Versagung für die Zukunft begründen können. Für den Fall der zweiten Alternative ("mangelhafte Arbeitsleistung"), die sich offensichtlich in Abgrenzung zu den "Verstößen" nicht auf ein einzelnes Ereignis, sondern auf einen Dauertatbestand bezieht, ist ebenfalls von den Tarifparteien nicht geregelt worden, wie der unbestimmte Rechtsbegriff "mangelhaft" ausgefüllt werden soll und für welche Dauer jeweils eine Versagung in Betracht kommt.
Die entsprechende Regelung wäre daher nach Auffassung des Berufungsgerichts, sofern es sich um eine einzelvertragliche Regelung handeln würde, nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, weil die Bestimmung nicht klar und verständlich ist. Indessen sieht § 310 Abs. 4 BGB vor, dass eine Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unter anderem nicht bei Tarifverträgen und Betriebs- und Dienstvereinbarungen stattfindet. Wegen der Gleichgewichtigkeit der Tarifpartner ist davon auszugehen, dass bei einer Gesamtbetrachtung der tariflichen Regelungen eine ausgewogene, auch die Arbeitnehmerinteressen berücksichtigende Regelung getroffen werden sollte, diese genießen daher die Institutsgarantie des Artikel 9 GG (vgl. ErfK-Preis, 6. Auflage, § 305 - 310 BGB, Rdn. XI).
Andererseits besteht bei mehrdeutigem oder unverständlichem, Tarifwortlaut die Verpflichtung der Gerichte, bei der Tarifauslegung Bedacht darauf zu nehmen, dass die Tarifvertragsparteien eine vernünftige, gerechte, zweckorientierte und praktisch brauchbare Regelung haben treffen wollen, so dass im Zweifel derjenigen Auslegung der Tarifnormen der Vorzug zu geben ist, die diesen Anforderungen des Rechts- und Arbeitslebens am besten und ehesten entspricht (BAG vom 09.03.1983 - 4 AZR 61/80 - AP Nr. 128 zu § 1 TVG Auslegung). Wird dem Arbeitgeber im Tarifvertrag ein einseitiges Bestimmungsrecht über die Gewährung von Vergütungsbestandteilen eingeräumt wie im vorliegenden Fall, so hat der Arbeitgeber hierüber nach billigem Ermessen gemäß § 315 Abs. 1 BGB zu entscheiden (BAG vom 26.11.1986 - 4 AZR 789/85 - EZA § 4 TVG Rundfunk Nr. 13).
Die Auslegung der Versagungsnorm des § 2 Abs. 7 TV-Steigerungsbetrag durch den Beklagten, wonach das Vorliegen eines - auch schon länger zurückliegenden - Arbeitsvertragsverstoßes zum Zeitpunkt der erstmaligen Fälligkeit des Steigerungsbetrages eine Versagung dieses Steigerungsbetrages für alle Zukunft zur Folge haben kann, entspricht in keinem Fall einer vernünftigen, gerechten und zweckorientierten Auslegung, auch wenn sie praktisch brauchbar sein mag. Denn es ist zu berücksichtigen, dass der Steigerungsbetrag im Hinblick auf die Anspruchsvoraussetzung, dass dieser erst nach 20-jähriger ununterbrochener Beschäftigungszeit gewährt wird, nach seiner Zwecksetzung auch eine Gegenleistung für die in der Vergangenheit erbrachte Betriebstreue und damit Arbeitsentgelt ist. Für derartige Leistungen hat das Bundesarbeitsgericht jedoch regelmäßig angenommen, dass der Arbeitnehmer Anwartschaften, die er sich durch Erbringung von Betriebstreue verdient hat, nicht allein durch Verletzung vertraglicher Pflichten - erst recht nicht durch einzelne Arbeitsvertragsverstöße - verlieren kann (vgl. BAG vom 08.02.1983 - 3 AZR 463/80 -; vom 08.05.1990 - 3 AZR 152/88 - AP Nr. 10 zu § 1 BetrVG). In solchen Fällen muss vielmehr eine Abwägung von Art und Schwere des Verstoßes mit der erbrachten Betriebstreue erfolgen , ferner sind die Auswirkungen einer Versagung zu berücksichtigen. Im Hinblick hierauf erscheint die völlige und dauerhafte Versagung von Ansprüchen nach dem TV-Steigerungsbetrag gegenüber dem Kläger schon deshalb völlig unverhältnismäßig, weil die dem Kläger vorgeworfenen Verstöße nicht derart gewichtig sind, dass hierdurch die von dem Kläger erbrachte Betriebstreue als Voraussetzung für die Gewährung des Steigerungsbetrages entwertet wird. Sie haben darüber hinaus zum Zeitpunkt der erstmaligen Fälligkeit des Steigerungsbetrages am 01.05.2004 bereits über ein Jahr zurückgelegen, denn der letzte dem Kläger vorgeworfene Vertragsverstoß seitens des Beklagten wurde mit Schreiben vom 03.01.2003 abgemahnt, der Beklagte ist zudem aufgrund rechtskräftiger Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln (vom 12.08.2005 - 4 Sa 412/05 - ) verpflichtet, diese Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
Ob die dem Kläger von dem Beklagten im Einzelnen vorgeworfenen Verstöße grundsätzlich das Gewicht haben könnten, die Kürzung einzelner Vergütungsbestandteile in Höhe von immerhin monatlich ca. 200,00 € auf Dauer zu rechtfertigen, kann dahingestellt bleiben. Denn der Kläger verlangt die Gewährung des Steigerungsbetrages nicht für Zeiträume, in denen er die ihm von dem Beklagten vorgeworfenen Vertragsverstöße begangen hat, sondern für einen erheblich späteren Zeitraum, für den nach dem Beklagtenvorbringen keine Vertragsverstöße oder mangelhafte Arbeitsleistungen vorliegen. Jedenfalls hat der Beklagte insoweit nicht substantiiert zu Vertragspflichtverletzungen oder mangelnder Arbeitsleistung des Klägers (für den Zeitraum ab 01.05.2004) vorgetragen. Billigem Ermessen im Sinne von § 315 BGB entspricht die Versagungsentscheidung jedoch nur dann, wenn die Vertragsverstöße entweder so gewichtig sind, dass sie die Betriebstreue für die Vergangenheit entwerten und damit auch eine Versagung für die Zukunft oder zumindest für einen erheblichen Zeitraum in der Zukunft begründen können, oder wenn die Verstöße gegen den Arbeitsvertrag oder die mangelnde Arbeitsleistung zu einem Zeitraum festgestellt werden, zu dem bereits die Voraussetzungen für die Zahlung des Steigerungsbetrages gegeben sind, so dass in diesem Fall für einzelne Monate oder gegebenenfalls auch für längere Zeiträume von der Gewährung dieses Steigerungsbetrages abgesehen werden könnte. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger mit der Klage den Steigerungsbetrag erst ab dem 01.06.2004 geltend macht, obwohl die Fälligkeitsvoraussetzungen - wie der Beklagte einräumt -, bereits seit dem 01.05.2004 vorliegen, so dass der Beklagte ohnehin für den ersten Monat nach Fälligkeit den Steigerungsbetrag nicht zu zahlen hat. Die Aussetzung mit der Zahlung des Steigerungsbetrags für einen Monat erscheint der Kammer eine hinreichende und angemessene und damit billigem Ermessen entsprechende Sanktion und Reaktion auf die bis zu diesem Zeitpunkt festgestellten Vertragsverstöße des Klägers. Die weitergehende - und dauerhafte - Kürzung ist dagegen wegen fehlender Billigkeit der Ermessensentscheidung unwirksam.
Die Berufung des Beklagten ist nach alledem zurückzuweisen, auch soweit sie sich gegen den Feststellungsantrag richtet. Insoweit besteht zwischen den Parteien lediglich Streit über die grundsätzliche Zahlungsverpflichtung des Beklagten, dagegen nicht über die Höhe der monatlichen Zahlungen, so dass das Feststellungsinteresse für den Antrag, durch den die Verpflichtung des Beklagten für die Zeit nach dem 01.08.2005 festgestellt wird, gemäß § 256 ZPO, zu bejahen ist.
Die Kosten des Rechtsstreits - einschließlich des Berufungsverfahrens - trägt der Beklagte als unterlegene Partei. Soweit er in der Berufungsinstanz unter Hinweis auf die Höchstbetragsregelung in § 2 Abs. 2 TV-Steigerungsbetrag eine teilweise Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung erreicht hat, ist er gleichwohl mit den Kosten zu belasten, da er insoweit lediglich aufgrund neuen Vorbringens obsiegt hat, das er in erster Instanz geltend zu machen imstande war, § 97 Abs. 2 ZPO.
Ende der Entscheidung
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