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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 30.11.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 973/06
Rechtsgebiete: TVÜ-VKA


Vorschriften:

TVÜ-VKA § 11
Die Besitzstandszulage nach § 11 TVÜ-VKA steht einem Arbeitnehmer nicht zu, wenn ihm im September 2005 wegen seiner Inanspruchnahme von Elternzeit kinderbezogene Anteile des Ortszuschlags tatsächlich nicht gewährt wurden.
Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 09.08.2006 - 2 Ca 1669/06 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten der Klägerin den kinderbezogenen Ortszuschlag für zwei zu berücksichtigende Kinder in den Monaten Januar 2006 bis Juni 2006 zu bezahlen. Die Klägerin ist seit dem 01.05.1997 in Vollzeit bei der Beklagten beschäftigt und wird nach Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 3 der Anlage I a BAT vergütet. In der Zeit vom 05.03.2002 bis 14.01.2006 befand sich die Klägerin in Elternzeit. Seit dem 15.01.2006 wird sie befristet bis zum 06.01.2007 auf Teilzeitbasis weiterbeschäftigt.

Der TVöD, nach dem grundsätzlich keine familienbezogenen Entgeltbestandteile mehr gezahlt werden, regelt für die Übergangszeit in § 11 "Kinderbezogene Entgeltbestandteile" folgendes:

1. Für im September 2005 zu berücksichtigende Kinder werden die kinderbezogenen Entgeltbestandteile des BAT/BAT-O... in der für September 2005 zustehenden Höhe als Besitzstandszulage fortgezahlt, solange für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz oder nach dem Bundeskindergeldgesetz ununterbrochen gezahlt wird oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 des EStG oder des § 3 oder § 4 Bundeskindergeldgesetz gezahlt würde. ...

Unterbrechungen wegen der Ableistung eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres sind unschädlich, soweit die unschädliche Unterbrechung bereits im Monat September 2005 vorliegt, wird die Besitzstandszulage ab dem Zeitpunkt der Wiederauflebung der Kindergeldzahlung gewährt.

Gemäß § 11 Abs. 3 TVÜ-VKA gilt Absatz 1 entsprechend für zwischen dem 01.10.2005 und dem 31.12.2005 geborene Kinder der übergeleiteten Beschäftigten sowie für die Kinder von bis zum 31.12.2005 in ein Arbeitsverhältnis übernommenen Auszubildenden, Schülerinnen, Schüler in der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und in der Entbindungspflege sowie Praktikantinnen und Praktikanten aus tarifvertraglich geregelten Beschäftigungsverhältnissen, soweit diese Kinder vor dem 01.01.2006 geboren sind.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe der kinderbezogene Ortzuschlag zu, auch wenn sie im September 2005 tatsächlich kein Entgelt bezogen habe. Eine andere Auslegung des Tarifvertrages würde gegen das Benachteiligungsgebot des § 612 a BGB sowie gegen den Schutz der Mutter aus Art. 6 IV GG verstoßen. Dementsprechend hat sie den kinderbezogenen Ortszuschlag nach § 29 Abschnitt B Abs. 2 Nr. 1 und 3 BAT in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 75,28 € pro Monat mit der am 16.06.2006 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage geltend gemacht und beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 451,61 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-punkten über dem Basiszinssatz aus 75,28 € seit dem 01.02.2006, aus 75,28 € seit dem 01.03.2006, aus 75,28 € seit dem 01.04.2006, aus 75,28 € seit dem 01.05.2006 und aus 75,28 € seit dem 01.06.2006 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, der Klägerin stehe die Besitzstandszulage nicht zu, da sie im September 2005 keinen Anspruch auf den kinderbezogenen Entgeltbestandteil gehabt habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage durch ein am 09.08.2006 verkündetes Urteil stattgegeben, wegen der Begründung wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Gegen das der Beklagten am 21.08.2006 zugestellte Urteil hat diese schriftlich beim LAG am 24.08.2006 Berufung eingelegt, die sie am 23.10.2006 - innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist - begründet hat: Entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Auffassung sei aus der Tarifregelung in § 11 Abs. 1 ein Anspruch der Klägerin nicht abzuleiten. Aus dem Wortlaut der Regelung ergebe sich eindeutig, dass ein Anspruch auf eine Besitzstandszulage nur gezahlt werde, wenn im September 2005 ein kinderbezogener Entgeltbestandteil gezahlt worden sei, was bei der Klägerin unstreitig nicht der Fall gewesen sei. Dementsprechend sei es unzutreffend, wenn das Arbeitsgericht an einen "hypothetischen Anspruch" anknüpfe. Diese Regelung verstoße auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da es keinen Vertrauensschutz gebe, dass Tarifänderungen sich stets verbessernd für die Beschäftigten auswirken müssten. Die Berufung auf die Tarifregelung, wonach die Tarifparteien für im September 2005 schwangere Beschäftigte, deren Kind nach dem 01.10.2005 aber vor dem 01.12.2005 geboren wird, einen Vertrauensschutz genießen, gehe im vorliegenden Fall schon deshalb fehl, weil die Klägerin erst nach dem 31.12.2005 aus der Elternzeit zurückgekehrt sei.

Die Berufungsklägerin und Beklagte beantragt,

das am 09.08.2006 verkündete und am 18.08.2006 zugestellte Urteil des Arbeitsgericht Siegburg - 2 Ca 1699/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit der Berufungserwiderung verteidigt sie die angefochtene Entscheidung und wiederholt im Wesentlichen ihr erstinstanzliches tatsächliches und rechtliches Vorbringen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist in gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden, sie ist damit zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Auffassung steht der Klägerin für die Monate Januar bis Juli 2006 ein Anspruch auf die Weiterzahlung kinderbezogener Entgeltbestandteile nach § 11 TVÜ-VKA nicht zu. Eine Zahlungsverpflichtung der Beklagten ergibt sich - über den Wortlaut des Tarifvertrages hinaus - auch nicht aus sonstigen Gesichtspunkten.

1) Nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Bestimmung des § 11 TVÜ-VKA sind die vorliegend streitigen "kinderbezogenen Entgeltbestandteile" der Klägerin im Anspruchszeitraum nicht zu gewähren. Nach dieser Bestimmung werden die kinderbezogenen Entgeltbestandteile "in der für September 2005 zustehenden Höhe als Besitzstandszulage fortgezahlt, solange für diese Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz ... gezahlt wird ...". Durch die Bezeichnung als "Besitzstandszulage" und den Begriff "Fortzahlung" haben die Tarifparteien nach Auffassung der Kammer deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es für die Gewährung dieser Besitzstandszulage darauf ankommt, dass im September 2005 tatsächlich die entsprechenden kinderbezogenen Entgeltbestandteile dem Arbeitnehmer/in zugestanden haben und gezahlt worden sind. Das ergibt sich auch aus der systematischen Auslegung des Tarifrechts und dem Sinn und Zweck einer Besitzstandszulage. Nach dem TVöD sollen nämlich - entgegen dem bisherigen Tarifrecht - familienbezogene Entgeltbestandteile überhaupt nicht mehr gezahlt werden und durch die stärkere Betonung des Leistungsprinzips attraktivere Entgeltbedingungen insbesondere für jüngere Beschäftigte geschaffen werden. Ein Besitzstand kann zudem nur hinsichtlich solcher Vergütungsbestandteile anerkannt werden, die tatsächlich im maßgeblichen Zeitpunkt gezahlt wurden, wobei die Tarifparteien hinsichtlich der Frage, welchen Stichtag sie für die Anerkennung von Besitzständen festlegen - vorliegend den 01.10.2005 - weitgehend freien Gestaltungsspielraum haben. Eine willkürliche Festlegung des Stichtags 01.10.2005 ist hier jedenfalls nicht erkennbar. Dementsprechend wird auch in der Kommentierung des § 11 TVÜ-VKA überwiegend die Auffassung vertreten, dass die Besitzstandszulage nicht zu zahlen ist, wenn im September 2005 kindergeldbezogene Entgeltbestandteile nicht zu zahlen waren, z.B. wegen Elternzeit oder unbezahlten Sonderurlaubs oder Gewährung einer Rente auf Zeit (so ausdrücklich: Sponer/Steinherr, § 11 TVÜ-VKA, Anm. 1.4, ebenso Ross in Bepler/Böhle/Martin/Stöhr, Komm. zum TVÜ-VKA § 11, Rdnr. 2 d für im September beurlaubte Beschäftigte, wobei maßgeblich darauf abgestellt wird, ob im September 2005 ein kinderbezogener Anteil im Ortszuschlag "tatsächlich ausgezahlt worden" ist). Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung ist eine ausschließliche Anknüpfung an die Gewährung von Kindergeld als Anspruchsvoraussetzung für die Besitzstandszulage der Vorschrift nicht zu entnehmen. Soweit die Klägerin hierzu auf die Entscheidung des BAG vom 31.05.2001 - 6 AZR 321/00 (= EzBAT § 29 BAT Nr. 29) hinweist, trifft diese nicht den vorliegenden Fall. Denn in dieser Entscheidung geht es lediglich um die Frage, welchem Elternteil im Verhältnis von zwei Elternteilen, die den kinderbezogenen Teil des Ortszuschlages in Anspruch nehmen, dieser zugeordnet wird. Nach dem zitierten Urteil ist das der Elternteil, der Kindergeld bezieht. Für die im vorliegenden Fall umstrittene Besitzstandszulage besagt das nichts, da hier nach der Tarifnorm ausdrücklich neben der Zahlung von Kindergeld auch an die "für September 2005 zustehende" Höhe der Entgeltbestandteile angeknüpft wird.

2) Die nach Wortlaut Sinn und Zusammenhang eindeutige Regelung, die einen Anspruch auf Zahlung der kinderbezogenen Entgeltbestandteile für die Fälle ausschließt, in denen im September 2005 dem Arbeitnehmer kein derartiger Anspruch zugestanden hat, ist nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden. Soweit in § 11 Abs. 1 S. 3 Unterbrechungen wegen der Ableistung von Grundwehrdienst, Zivildienst oder Wehrübungen sowie die Ableistung eines freiwilligen sozialen oder ökologischen Jahres als unschädlich für die Besitzstandszulage bezeichnet werden, handelt es sich um andere, nicht vergleichbare Sachverhalte, die die Unterbrechung der Kindergeldzahlung betreffen und den Anspruch auf die sonstigen Entgeltbestandteile unberührt lassen, während im vorliegenden Fall gerade umgekehrt zwar Kindergeld, aber keine familienbezogenen Entgeltbestandteile im maßgeblichen Monat September 2005 gezahlt wurde.

Auch die in § 11 Abs. 3 TVÜ-VKA geregelten Ausnahmetatbestände knüpfen an andere Sachverhalte an und sind daher nicht geeignet, eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu begründen. Denn hier wird die Besitzstandszulage auch nur für solche Beschäftigte gewährt, denen die kinderbezogenen Entgeltbestandteile - anders als der Klägerin - vor dem 01.01.2006 zugestanden haben, wobei die Weitergeltung des bisherigen Tarifrechts in diesen Fällen für die Dauer von 3 Monaten lediglich aus Vertrauensschutzgesichtspunkten für eine begrenzte Arbeitnehmergruppe nachvollziehbar erscheint.

Zwar ist das Tarifrecht grundsätzlich auch am Gleichheitsgrundsatz zu messen, zugleich ist dabei jedoch auch zu berücksichtigen, dass die Tarifparteien im Rahmen der Tarifautonomie, Art. 9 GG, eine weitgehende Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der zu regelnden Tatbestände genießen, die es ihnen jedenfalls ermöglicht, für bestimmte Sachverhalte einen Vertrauensschutz anzuerkennen und Besitzstandsregelungen zu treffen, für andere dagegen nicht.

Die Regelung verstößt schließlich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht gegen Art. 6 oder Art. 6 IV GG. Grundsätzlich erscheint es sachlich gerechtfertigt, bei einer Besitzstandszulage darauf abzustellen, ob ein Arbeitnehmer den fraglichen Entgeltbestandteil zu einem bestimmten Stichtag tatsächlich erhalten hat oder nicht. Im letzteren Fall wird durch den Tarifvertrag nicht in unzulässiger Weise und ohne sachlichen Grund derjenige Arbeitnehmer benachteiligt, der sich in Erziehungsurlaub befunden hat, was möglicherweise eine mittelbare Diskriminierung von kindererziehenden Eltern bedeuten könnte. Denn unstreitig sind auch solche Arbeitnehmer von der Besitzstandszulage ausgeschlossen, die sich nicht im Erziehungsurlaub, sondern in sonstigem unbezahlten Urlaub oder Sonderurlaub befunden haben oder die aus sonstigen Gründen, etwa wegen Gewährung einer Rente auf Zeit, keine Bezüge erzielt haben. Eine mittelbare Diskriminierung ist ebenso wenig erkennbar, weil nicht erkennbar ist, dass der Ausschluss von der Gewährung der Besitzstandszulage überwiegend solche Mitarbeiter betrifft, die sich im fraglichen Zeitpunkt in Elternzeit befunden haben. Hierzu hat jedenfalls die Klägerin nichts vorgetragen.

Die Klage musste nach alledem mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO zurückgewiesen werden.

Ende der Entscheidung

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