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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 10.11.2005
Aktenzeichen: 5 TaBV 42/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 40
Haben sich in einem Unternehmen zwei Gesamtbetriebsräte konstituiert, die jeweils die Legitimität des anderen in Frage stellen, so können Mitglieder des nicht wirksam bestellten Gesamtbetriebsrats gleichwohl vom Arbeitgeber Kostenerstattung verlangen - jedenfalls dann, wenn die Bildung des Gesamtbetriebsrats nicht offenkundig unzulässig war.
Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 19.05.2005 - 15 BV 210/04 - teilweise geändert. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller weitere 187,50 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.10.2004 zu zahlen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I. Der Antragsteller, Vorsitzender des 7-köpfigen Betriebsrats der Niederlassung B der Antragsgegnerin, verlangt von dieser Erstattung für Fahrtkosten, soweit im Beschwerdeverfahren noch von Bedeutung, in Höhe von 187,50 € für eine am 12.02.2004 durchgeführte Fahrt nach K .

Der Antragsteller wurde in einer Sitzung des Betriebsrats vom 22.03.2002 zum Vertreter des Betriebsrats im Gesamtbetriebsrat gewählt, wie aus einem von Antragsteller in der Beschwerdeinstanz vorgelegten Protokoll für diese Sitzung mit entsprechendem Zusatzvermerk vom 02.04.2002 (Bl.148-151 GA) hervorgeht. In der Sitzung vom 22.03.2002 hat der Betriebsrat darüber hinaus unter Punkt 4 beschlossen, die Gründung eines GBR EL, d. h. eines unternehmensreinen Gesamtbetriebsrates, weiter zu betreiben, wobei u. a. der Antragsteller zur "organisatorischen Durchführung" beauftragt und ermächtigt wird, mit Hilfe einer Anwaltskanzlei vor dem Arbeitsgericht Klage zu erheben.

Die Antragsgegnerin gehört zum R . Auf der Grundlage eines Tarifvertrages nach § 3 BetrVG besteht für die Betriebe der Antragsgegnerin und der zum gleichen Konzern gehörenden S ein unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat, dessen Konstituierung am 06./07.05.2002 erfolgt ist und dessen Vorsitzender Herr W ist.

Nach Konstituierung des Gesamtbetriebsrats wurde vom Antragsteller als Vertreter des Betriebsrats B ein Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht Frankfurt eingeleitet, mit dem der Betriebsrat B die Rechtmäßigkeit des unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrats in Frage stellte. Das Arbeitsgericht Frankfurt stellte auf den Antrag des Betriebsrats mit Beschluss vom 02.09.2003 - 4 BV 256/02 - fest, dass die Konstituierung des Gesamtbetriebsrats nicht rechtswirksam erfolgt ist und die Bildung eines übergreifenden Betriebsrats unzulässig ist. Mit Beschluss vom 08.07.2004 hat das Hessische Landesarbeitsgericht den Beschluss des Arbeitsgerichts aufgehoben und den Antrag des Betriebsrats B zurückgewiesen - 9 TaBV 188/03 - . In der Zeit zwischen dem Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt und dem Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts konstituierte sich unter Beteiligung des Antragstellers als Vertreters des Betriebsrats B ein unternehmensreiner Gesamtbetriebsrat neben dem bereits bestehenden unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrat. Die Konstituierung erfolgte am 10.12.2003 in L . Unstreitig ist, dass sowohl in der Sitzung dieses Gesamtbetriebsrats wie in der gleichzeitig und am gleichen Ort stattfindenden Sitzung des unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrats ausführlich über die Legitimität des unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrats diskutiert wurde. Am 12.02.2004 fand eine weitere Sitzung des unternehmensreinen Gesamtbetriebsrats in K statt, zu der der Vorsitzende des am 10.12.2003 gebildeten unternehmensreinen Gesamtbetriebsrats, Herr R , eingeladen hatte.

Der Antragsteller hat mit einem am 14.10.2004 beim Arbeitsgericht Köln eingegangen Antrag u.a. die Erstattung der Fahrkosten zu der Sitzung am 12.02.2004 in K verlangt. Er hat vorgetragen, der Betriebsrat sei aufgrund des Beschlusses des Arbeitsgerichts Frankfurt davon ausgegangen, dass der unternehmensübergreifende Gesamtbetriebsrat unzulässig sei. Es habe daher die Verpflichtung bestanden, einen zulässigen und wirksamen Gesamtbetriebsrat zu bilden, dieser Verpflichtung sei Herr W durch Einladung zur Konstituierung eines unternehmensreinen Gesamtbetriebsrats nachgekommen. Zwar habe es keinen ausdrücklichen Betriebsratsbeschluss gegeben, wonach der Antragsteller als Vertreter des Betriebsrats B zur Sitzung dieses Gesamtbetriebsrats entsandt werden sollte. Der ursprüngliche Entsendungsbeschluss gelte aber auch für die Fahrten zu den Sitzungen des unternehmensreinen Betriebsrats. Die Antragsgegnerin hat die Bildung eines weiteren unternehmensreinen Gesamtbetriebsrats für unzulässig gehalten und eine Kostenerstattung abgelehnt.

Nachdem das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 19.05.2005 dem Antragsteller die Fahrtkosten in Höhe von 17,10 € für die Sitzung am 10.12.2005 zuerkannt hat, dagegen den Antrag auf Fahrtkostenerstattung für die Sitzung in K am 10.12.2004 in Höhe von 187,50 € nebst Zinsen abgelehnt hat, hat der Antragsteller gegen den ihm am 08.07.2005 zugestellten Beschluss am 04.08.2005 schriftlich beim Landesarbeitsgericht Beschwerde eingelegt und diese am 02.09.2005 schriftlich begründet: Das Arbeitsgericht verkenne die Tragweite des gefassten Entsendungsbeschlusses des Betriebsrates. Selbst wenn man der Auffassung sei, dass der ursprüngliche Entsendebeschluss des Betriebsrats in der Sitzung vom 22.03.2002 die Mandatsübernahme für den unternehmensreinen Gesamtbetriebsrat nicht miterfassen würde, so hätte der Antragsteller als Vertreter des Betriebsrats die Funktionen beim konstituierten unternehmensreinen Betriebsrat zumindest übergangsweise wahrnehmen müssen. Das Fehlen eines Entsendungsbeschlusses führe nicht dazu, dass der entsendende Betriebsrat nicht im neugebildeten Gesamtbetriebsrat vertreten sei.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 19.05.2005 - 15 BV 210/04 - dahin abzuändern, dass die Antragsgegnerin verpflichtet wird, an den Antragsteller 187,50 € zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens. Schon gedanklich sei die Mitgliedschaft eines Betriebsratsmitgliedes in zwei Gesamtbetriebsräten ausgeschlossen. Eine dahingehende Beschlussfassung des Betriebsrats sei gar nicht möglich und nicht gesetzeskonform gewesen.

Bei dem Entsendungsbeschluss im März 2002 sei der Betriebsrat B nur von einem einzigen Gesamtbetriebsratsgremium ausgegangen, an den Entsendungsbeschluss für einen zweiten Gesamtbetriebsrat fehle es damit. Im übrigen sei auch von einem Übergangsmandat nicht auszugehen, weil die Mitglieder des Betriebsratsgremiums mit dem Amtsende auch ihre Mitgliedschaft im Gesamtbetriebsrat verlieren würden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten ergänzend und auf den sonstigen Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.

II. Die Beschwerde des Antragstellers ist in gesetzlicher Form und Frist eingelegt und begründet worden, sie ist damit zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts besteht dem Antragsteller ein Anspruch auf Fahrtkostenerstattung für die Sitzung am 12.02.2002 in K zu. Nach Auffassung der Beschwerdekammer sind hierfür folgende Gesichtspunkte maßgeblich:

1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht angenommen, dass der Erstattungsanspruch nach § 40 BetrVG im Beschlussverfahren geltend zu machen ist (vgl. Fitting/Engels, Schmidt/Drebinger/Linsenmeyer, 22. Auflage, § 41 Rn. 139).

2. Ein Erstattungsanspruch für die Sitzung in K ist nach § 40 Abs. 1 BetrVG begründet. Gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Hierunter fallen auch die erforderlichen Aufwendungen einzelner Betriebsratsmitglieder, die ihnen bei der Wahrnehmung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben entstehen. Zu solchen Aufwendungen können auch Fahrtkosten zählen, die das Betriebsratsmitglied zur Durchführung konkreter Betriebsratstätigkeit aufgewendet hat (BAG vom 14.02.1996 - 7 ABR 32/95; BAG vom 28.08.1991 - AP Nr. 39 zu § 40 BetrVG). Soweit - wie vorliegend vom Antragsteller geltend gemacht wird - der Betriebsrat eines seines Mitglieder gemäß § 47 Abs. 2 BetrVG in den Gesamtbetriebsrat entsendet, kann zunächst nicht zweifelhaft sein, dass die durch die Wahrnehmung von mit der Mandatierung verbundenen Aufgaben entstehenden notwendigen Kosten Kosten im Sinne des § 40 BetrVG sind. Darüber hinaus kann sich die Aufgabenstellung des entsandten Betriebsratsmitgliedes aber auch unter dem Gesichtspunkt einer Einflussnahme auf die Willensbildung des Gesamtbetriebsrats bzw. die Prüfung und Wahrung eigener Kompetenzen des Betriebsrats ergeben (vgl. BAG vom 14.02.1996 - 7 ABR 32/95 - , n.v). Der Betriebsrat hat die Frage der Erforderlichkeit nicht nur nach seinem subjektiven Ermessen zu verantworten, vielmehr muss er sich auf den Standpunkt eines vernünftigen Dritten stellen, der die Interessen des Betriebes einerseits und des Betriebsrats und der Arbeitnehmerschaft andererseits gegeneinander abzuwägen hat. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt der Beschlussfassung des Betriebsrats, wobei es unerheblich ist, ob rückblickend aus späterer Sicht die aufgewendeten Kosten im streng objektiven Sinne erforderlich waren (BAG vom 16.03.1988 - 7 AZR 557/87 - AP Nr. 63 zu § 37 BetrVG 1972).

Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs war die Erforderlichkeit der Wahrnehmung von Aufgaben im Hinblick auf die Sitzung des am 10.12.2003 konstituierten unternehmensreinen Gesamtbetriebsrats am 12.02.2004 zu bejahen. Unstreitig existiert zwar kein ausdrücklicher Entsendungsbeschluss des Betriebsrats B , der den Antragsteller ermächtigt, die Interessen des Betriebsrats auch in dem erst am 10.12.2003 gebildeten unternehmensreinen Gesamtbetriebsrat wahrzunehmen. Andererseits ergibt sich jedoch aus Ziffer 4 des Protokolls der Sitzung des Betriebsrats vom 22.03.2002, dass das Interesse des Betriebsrats B dahinging, die Gründung eines (unternehmensreinen) Gesamtbetriebsrats EL weiter zu betreiben, wobei der Antragsteller und die übrigen Vertreter des Betriebsrats sogar ermächtigt wurden, ein Gerichtsverfahren einzuleiten, um dieses Ziel durchzusetzen. Der Betriebsrat hat somit schon bei der Beschlussfassung die durch das später eingeleitete Gerichtsverfahren entstandene Konfliktlage erkannt und deutlich gemacht, dass seine Interessen dahin geht, einen unternehmensreinen Gesamtbetriebsrat zu konstituieren. Der Antragsteller konnte daher aufgrund des Betriebsratsbeschlusses davon ausgehen, dass er im Interesse des ihn entsendenden Betriebsrats handeln würde, wenn er sich an der Bildung eines unternehmensreinen Gesamtbetriebsrat beteiligt, nachdem er die Einleitung eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens betrieben hatte, in dem - zunächst erfolgreich - die Legitimität des unternehmensübergreifenden Betriebsrats in Frage gestellt wurde. Insbesondere nach der dem Antrag stattgebenden Feststellung des Arbeitsgerichts, dass die Bildung eines unternehmensübergreifenden Gesamtbetriebsrats unzulässig gewesen war, konnte der Antragsteller vom Standpunkt eines vernünftigen Dritten ausgehen, davon ausgehen, dass die Bildung eines unternehmensreinen Gesamtbetriebsrats erforderlich sein würde, sofern diese Entscheidung des Gerichts bestätigt würde. Für den vergleichbaren Fall, dass eine Kompetenzabgrenzungsfrage noch nicht mit Rechtskraftwirkung abschließend geklärt war und aus Sicht des Betriebsrats eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Gesamtbetriebsrats bzw. der gebildeten Gesamtbetriebsräte notwendig wurde, hat das BAG für solche - zwischen den Instanzen entstandene - Kosten die Erforderlichkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 BetrVG bejaht (BAG vom 14.02.1996 - 7 ABR 32/95).

Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass der am 10.12.2003 konstituierte Gesamtbetriebsrat offenkundig und offensichtlich nicht zuständig gewesen ist. Für den hier vorliegenden Fall, dass sich zwei Gesamtbetriebsräte konstituieren, die wechselseitig ihre Legitimation in Frage stellen, kann es nicht darauf ankommen, welcher der beiden sich zuerst konstituiert hat, wenn es um die Frage der Erforderlichkeit von Kosten geht, die durch die Wahrnehmung von Sitzungen dieser beiden Gremien entstehen. Dass die Konstituierung des "unternehmensreinen" Gesamtbetriebsrats offenkundig unzulässig gewesen wäre, lässt sich schon deshalb nicht feststellen, weil das Arbeitsgericht Frankfurt in seinem ausführlich begründeten Beschluss vom 02.09.2003 die gegenteilige Auffassung vertreten hat und damit zumindest die Entscheidung eines Instanzgerichts vorlag, die die Auffassung des unternehmensreinen Gesamtbetriebsrat unterstützt. Trotz oder gerade wegen dieser ungeklärten rechtlichen Situation konnte es zumindest bis zur abschließenden rechtskräftigen Entscheidung des Landesarbeitsgerichts dem Betriebsrat B und dem ihn vertretenden Antragsteller nicht verwehrt werden, das Ziel der Konstituierung eines unternehmensreinen Gesamtbetriebsrats weiter zu betreiben und die Interessen des Einzelbetriebsrats in dem konstituierten Gesamtbetriebsrat zur Geltung zu bringen.

Die Fahrt des Antragstellers zu der Sitzung vom 12.02.2002, zu der der Vorsitzende des unternehmensreinen Gesamtbetriebsrats ordnungsgemäß geladen hatte, war damit als erforderlich anzusehen.

Die Fahrtkosten, die der Antragsteller mit 187,50 € für die Fahrt von H nach K und zurück (625 km á 0,30 € gemäß BMTV) beziffert, sind der Höhe nach nicht bestritten worden, sodass dem Antrag auf Erstattung im vollen Umfang stattgegeben werden musste.

Die Entscheidung ergeht nach § 12 Abs. 5 ArbGG kosten- und gebührenfrei.

Ende der Entscheidung

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