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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 20.04.2009
Aktenzeichen: 5 TaBV 66/08
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 77 Abs. 6
1. Eine Tarifschiedsklausel bindet grundsätzlich nur die tarifschließenden Vertragsparteien, nicht aber Dritte wie etwa den Betriebsrat oder den Gesamtbetriebsrat.

2. Eine Nachwirkung einer gekündigten Betriebsvereinbarung kommt nach § 77 Abs. 6 BetrVG nur im Bereich erzwingbarer Mitbestimmung in Betracht.

3. Machen die Betriebspartner von einer tariflichen Öffnungsklausel Gebrauch, um von einer tariflichen Regelung abzuweichen, führt eine Kündigung nach Ablauf der Kündigungsfrist dazu, dass die tarifliche Regelung wieder auflebt; für eine Nachwirkung der gekündigten Betriebsvereinbarung ist dann kein Raum.


Tenor:

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 16.04.2008 - 7 BV 56/08 - wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Gesamtbetriebsvereinbarung. Der Antragsteller ist der amtierende Gesamtbetriebsrat bei der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin ist aus der E GmbH hervorgegangen und bietet als internationaler Unternehmensdienstleister ein umfangreiches Serviceangebot, dass Geschäftsreisen, Management, Sports, Reisekostenmanagement, Consultants und Events & Meetingsmanagement umfasst. Die Antragsgegnerin gehört der DRV-Tarifgemeinschaft an, die mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di einen Manteltarifvertrag geschlossen hat. Dieser enthält in den §§ 3 bis 5 Regelungen zur Arbeitszeit, zur Mehrarbeit, zur Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit und zur Schichtarbeit sowie zur diesbezüglichen Vergütung.

§ 5 Ziffer 3 des Manteltarifvertrages lautet:

"Eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit und Zuschlägen ist in begründeten Ausnahmefällen nach § 4 Ziffer 1 und § 5 Ziffer 2 in Betrieben mit Betriebsrat mit dessen Zustimmung möglich."

Mit der Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin wurde unter dem 19.06.1989 mit dem Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Regelung von Mitarbeitervergütung und Einsatz am Wochenende, Übernahme von Reiseleitung bzw. Begleitung von Gruppen sowie Vorabreisen (Bl. 8 d. A.) geschlossen. Gemäß § 1 dieser Gesamtbetriebsvereinbarung erhält der Mitarbeiter für Einsätze zwischen Montag und Freitag für evtl. anfallende Mehrarbeit eine pauschale Vergütung in Höhe von brutto 50,00 DM pro Tag. Gemäß § 2 der Gesamtbetriebsvereinbarung erhält der Mitarbeiter für den Einsatz an Samstagen, Sonn- und Feiertagen je einen Tag Freizeit oder als pauschale Abgeltung eine Vergütung in Höhe von 250,00 DM pro Tag. Die Regelung in dieser Gesamtbetriebsvereinbarung ist nunmehr zugleich Gegenstand einer umfassenden Dienstreiseregelung bei der Antragsgegnerin (Bl. 9 ff. d. A.), wobei die pauschale Vergütung für Einsätze zwischen Montag und Freitag auf brutto 26,00 € pro Tag und für den Einsatz an Wochenenden oder Feiertagen auf brutto 150,00 € pro Tag erhöht wurden.

Im Jahr 2007 hat der Antragsteller die Betriebsvereinbarung außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2008 gekündigt (vgl. Bl. 32 d. A.).

Mit der von ihm am 25.02.2008 eingeleiteten Beschlussverfahren begehrt der Antragsteller die Feststellung, dass die geschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung rechtsunwirksam ist und dass die jedenfalls über dem 31.12.2008 hinaus keine Nachwirkung entfaltet. Durch Beschluss vom 16.04.2008 hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Gesamtbetriebsvereinbarung rechtsunwirksam ist. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht darauf abgestellt, dass die vorliegenden Gesamtbetriebsvereinbarung den Rahmen sprenge, den § 5 Ziffer 3 des Manteltarifvertrages gesetzt habe. Denn die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 19.06.1989 beschränke sich entgegen der Vorgabe im Manteltarifvertrag nicht auf Ausnahmefälle. Gegen diesen Beschluss hat die Antragsgegnerin form- und fristgerecht Beschwerde einlegen und begründen lassen.

Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dem Antragsteller fehle bereits die Antragsbefugnis, denn er mache keine eigenen Rechte geltend, während umgekehrt die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall von einem umfassenden Mitbestimmungsrecht des Antragstellers ausgehe. Der Durchführung des Verfahrens stehe zudem die Tarifschiedsklausel in § 18 des Manteltarifvertrages entgegen. In der Sache ermögliche § 5 Ziffer 2 Manteltarifvertrag den Abschluss der vorliegenden Gesamtbetriebsvereinbarung. Dabei sei die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für eine solche Regelung gegeben. Im Zeitpunkt des Abschlusses, im Jahre 1989, sei nur eine einheitliche Regelung möglich gewesen. Zudem habe eine Delegation der Zuständigkeiten von den einzelnen Betriebsräten auf dem Gesamtbetriebsrat gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG stattgefunden. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts regele die Gesamtbetriebsvereinbarung einen Ausnahmefall. Denn von der Gesamtbelegschaft von etwa 900 Arbeitnehmern würden nur etwa 75 solche Event- oder Sportveranstaltungen begleiten, wie sie durch die Gesamtbetriebsvereinbarung geregelt seien. Da etwa die Hälfte der Mitarbeiter die solche Leistungen erbrächten, die Freizeitausgleichsvariante wähle, seien tatsächlich etwa nur 4 % der Belegschaft betroffen. Eine Ausnahme im Sinne des Manteltarifvertrages liege nicht nur vor, wenn es sich um unerwartete Zusatztätigkeiten handele, sondern auch dann, wenn es sich um eine kleine Gruppe ausnahmsweise betroffener Arbeitnehmer handele. Die Begründung für diese Ausnahme liege darin, dass es sich um Tätigkeiten außer Haus handele, bei denen keine Kontrolle möglich sei, ferner, weil die Arbeitszeit nicht durch Dienstpläne vorgegeben sei oder werden könne und die Tätigkeit mit Arbeitsunterbrechungen verbunden sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Köln vom 16.04.2008 die Anträge des Antragstellers zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Der Antragsteller verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss. Die Gesamtbetriebsvereinbarung regele keine Ausnahmen im Sinne des § 5 Ziffer 3 MTV. Unrichtig sei die Darstellung der Antragsgegnerin, es seien von dieser Regelung nur 4 % der Belegschaft betroffen. Denn entscheidend sei, dass ca. 75 Mitarbeiter solche Tätigkeiten zur Begleitung von Reisen und Events durchführen und jedenfalls berechtigt seien, die streitgegenständliche Regelung jederzeit in Anspruch zu nehmen. Unerheblich sei, in welchem Umfang dieser Teil der Arbeitnehmerschaft statt der Entgeltvariante die Freizeitausgleichsvariante wähle. Der Antragsteller bekräftigt seine Auffassung, dass der damalige Gesamtbetriebsrat weder originär zuständig noch durch die Betriebsräte zum Abschluss gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG beauftragt gewesen sei. Anders als von der Antragsgegnerin vorgetragen, werde die Gesamtbetriebsvereinbarung entgegen dem MTV so praktiziert, dass § 1 der Gesamtbetriebsvereinbarung auch bei eintägigen Dienstreisen zur pauschalen Abgeltung von Mehrarbeit angewandt werde. Berücksichtigt werden müsse ferner die Bezugnahme der tariflichen Öffnungsklausel auf § 4 Ziffer 1 und § 5 Ziffer 2 des Manteltarifvertrages. § 4 Ziffer 1 Abs. 1 des Manteltarifvertrages regele einen Mehrarbeitszuschlag von 25 %. § 4 Ziffer 1 Abs. 2 sehe eine Sonderregelung für Jahresarbeitszeit vor. Danach blieben bis zu 240 Mehrarbeitsstunden zuschlagsfrei. Andere Obergrenzen könnten durch Betriebsvereinbarung geregelt werden. Dementsprechend könne sich eine pauschale Abgeltung lediglich auf den regelbaren Teil des § 4 Ziffer 1 Abs. 2 beziehen. Da jedoch im Unternehmen keine Jahresarbeitszeit vereinbart worden sei, scheide eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit ohnehin aus. § 5 Ziffer 3 des Manteltarifvertrages sehe lediglich eine pauschale Abgeltung von Zuschlägen nach § 5 Ziffer 2 vor. Durch die Regelung einer Pauschale von 150,00 € werde jedoch nicht nur ein möglicher Zuschlag pauschaliert, sondern auch die Grundvergütung. Dies lasse § 5 Ziffer 2 des Manteltarifvertrages nicht zu.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sachverhaltsdarstellung im Beschluss des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

II. Die Beschwerde der Antragsgegnerin, an deren Zulässigkeit keine Zweifel bestehen, ist in der Sache nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht dem Begehren des Antragstellers stattgegeben.

1. Für die gestellten Anträge liegen eine Antragsbefugnis des Antragstellers und das entsprechende Feststellungsinteresse vor. Zwar fehlt es hieran, wenn ein Betriebsrat die Unwirksamkeit einer gekündigten und nicht mehr nachwirkenden Betriebsvereinbarung festgestellt lassen wissen will, weil dann eine ausschließlich vergangenheitsbezogene Frage, die keine Auswirkung auf die Zukunft hat, zur Entscheidung des Gerichts gestellt wird und es damit an einem alsbaldigen Interesse an der rechtlichen Feststellung fehlt (siehe BAG, Beschluss vom 18.02.2003 - 1 ABR 17/02 -, NZA 2004, S. 336 ff., S. 339 f.).

Im vorliegenden Fall streiten die Beteiligten jedoch gerade darüber, ob die gekündigte Gesamtbetriebsvereinbarung noch Wirkungen für die Zukunft entfaltet; die Antragsgegnerin bestreitet die Wirksamkeit der Kündigung und beruft sich zusätzlich auf die Nachwirkung der Gesamtbetriebsvereinbarung. Demzufolge ist auch die Antragsbefugnis gegeben, denn der Antragsteller macht mit seinem Feststellungsantrag keine Individualansprüche geltend, sondern will seine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition geklärt wissen.

2. Die Antragsgegnerin kann sich auch nicht auf die Tarifschiedsklausel in § 18 des Manteltarifvertrages berufen. Diese Tarifschiedsklausel bindet die Vertragsschließenden, also auf Arbeitgeberseite die DRV-Tarifgemeinschaft und auf Arbeitnehmerseite die v -Dienstleistungsgewerkschaft. Abgesehen von der Frage, ob dies überhaupt zulässig wäre, ist dem Wortlaut des § 18 MTV jedenfalls nicht zu entnehmen, dass am Tarifvertrag Nichtbeteiligte, z. B. Betriebsräte oder Gesamtbetriebsräte durch eine solche Tarifschiedsklausel gebunden werden sollten oder könnten.

Dieses Ergebnis wird verstärkt durch § 19 Nummer 3 MTV, wonach sich die vertragschließenden Parteien dem Schlichtungsverfahren gemäß Schlichtungsvereinbarung vom 18.12.1984 unterwerfen.

Die Antragsgegnerin muss insoweit darauf verwiesen werden, selbst über ihre Arbeitgeberorganisation ein Tarifschiedsverfahren einzuleiten, wozu die Möglichkeit seit Beginn der Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten im Jahre 2007 bestand.

3. Die Gesamtbetriebsvereinbarung ist rechtsunwirksam, weil sie sowohl gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 1 1. Alternative BetrVG wie auch gegen den Tarifvorrang gemäß § 87 Abs. 1 1. S. BetrVG verstößt.

a) Nach § 77 Abs. 3 S. 1 1. Alternative BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Diese Tarifsperre dient der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie und der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Sie soll verhindern, dass Betriebsräte und Arbeitgeber als Handelnde in einem Feld, das grundsätzlich den Tarifvertragsparteien vorbehalten ist, eine konkurrierende oder relativierende Tarifpolitik machen. Diese Tarifsperre steht im Zusammenhang damit, dass gemäß § 74 Abs. 2 BetrVG Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat unzulässig sind.

Die Regelung des Tarifvorrangs in § 87 Abs. 1 1. S. BetrVG sichert den Vorrang der Tarifverträge auch im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung. Soweit eine tarifliche Regelung besteht, entfällt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Bei einer Konkurrenz zwischen tariflicher und betrieblicher Regelung kommt dem Tarifvertrag als der stärken Rechtsquelle der Vorrang zu.

Auf das Verhältnis der Tarifsperre in § 77 Abs. 3 1. Alternative BetrVG zu dem Tarifvorrang in § 87 Abs. 1 1. S. BetrVG (siehe dazu BAG, Großer Senat, Beschluss vom 03.12.1991 - GS 2/90 -, NZA 1992, S. 749; BAG, Urteil vom 29.10.2002 - 1 AZR 573/01 -, NZA 2003, S. 393) kommt es diesbezüglich nicht an, weil die vorliegende Regelung sowohl gegen die Tarifsperre als auch gegen den Tarifvorrang verstößt.

Denn es liegt eine tarifliche Regelung vor, an die die Antragsgegnerin kraft Verbandsmitgliedschaft gebunden ist und die im Detaille den §§ 4, 5 MTV die Mehrarbeit, die Arbeit an Sonn- und Feiertagen sowie die dafür jeweils zu zahlenden Zuschläge regelt. Damit liegt eine vorgreifliche tarifliche Regelung vor, die es den Betriebspartnern grundsätzlich versperrt, abweichende Regelungen per Gesamtbetriebsvereinbarung oder Betriebsvereinbarung zu treffen.

b) Auf die Öffnungsklausel in § 5 Ziffer 3 des Manteltarifvertrages kann sich die Antragsgegnerin nicht berufen, weil deren Bedingungen nicht eingehalten worden sind.

Unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Frage, ob hier "begründete Ausnahmefälle" im Sinne des MTV vorliegen, für die eine Öffnung vorgesehen ist, ist festzuhalten, dass die Öffnungsklausel die Kompetenz für eine etwaige Abweichung den jeweiligen Betriebsräten, nicht aber dem Gesamtbetriebsrat überantwortet. Denn es heißt in der Öffnungsklausel in § 5 Ziffer 3 MTV, dass eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit und Zuschlägen in Betrieben mit dem Betriebsrat mit "dessen Zustimmung" möglich sei. Angesichts dieses eindeutigen Wortlauts kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Öffnung auch für Gesamtbetriebsräte erfolgen sollte, so dass dahinstehen kann, ob Gesamtbetriebsräte gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG zuständig gewesen wären, oder eine Zuständigkeit gemäß § 50 Abs. 2 BetrVG hätte übertragen werden können. Denn die Öffnungsklausel eröffnet nach ihrem Wortlaut nur den Betriebsräten selbst eine Abweichung vom Tarifvertrag.

Entscheidend ist zudem, dass die Grenzen der Öffnungsklausel auch deshalb überschritten sind, weil die Öffnungsklausel nur eine Pauschalierung von Mehrarbeit und Zuschlägen zulässt. Die Vergütung für die Arbeit an Wochenenden, Sonn- und Feiertagen in Höhe von 150,00 €, die die Gesamtbetriebsvereinbarung vorsieht, erfasst aber nicht nur Mehrarbeit und darauf entfallende Zuschläge, sondern auch die Grundvergütung für diese Arbeitstage. Der Gesamtbetriebsvereinbarung lässt sich auch nicht entnehmen, dass die Pauschalzahlung von 150,00 € nur zur Anwendung kommen soll, wenn die Arbeit an Wochenenden, Sonn- und Feiertagen gleichzeitig Mehrarbeit ist. Nach dem insoweit nicht eigeschränkten Wortlaut der Gesamtbetriebsvereinbarung deckt die Pauschalzahlung von 150,00 € die gesamte Tätigkeit an Wochenenden, Sonn- und Feiertagen unabhängig davon ab, ob und in welchem Umfang im Einzelnen Mehrarbeit gegeben war.

Der Rahmen der Öffnungsklausel ist schließlich auch dadurch überschritten, dass eine pauschale Abgeltung von Mehrarbeit und Zuschlägen nur in den Fällen des § 4 Ziffer 1 MTV möglich sein soll. Da § 4 Ziffer 1 Abs. 1 MTV den Grundsatz festlegt, dass bei ungleichmäßiger Verteilung der Arbeitszeit die Mehrarbeit mit 1/167 des Monatsgehalts zur vergüten und zusätzlich mit einem Mehrarbeitszuschlag von 25 % abzugelten ist, und nur § 4 Ziffer 1 Abs. 2 MTV für den Arbeitgeber günstigere Regelungen festschreibt für den Fall, dass eine Jahresarbeitszeit vereinbart ist, muss davon ausgegangen werden, dass sich die Öffnungsklausel nur auf die Fallgestaltung des § 4 Ziffer 1 Abs. 2 MTV bezieht. Dem entspricht es auch, dass nur in § 4 Ziffer 1 Abs. 2, nicht aber in § 4 Ziffer 1 Abs. 1 MTV die Möglichkeit für die Betriebsparteien angesprochen wird, andere Obergrenzen oder auch andere Regelungen, z. B. über die Lebensarbeitszeit, festzulegen.

Der Rahmen der Öffnungsklausel wird daher in mehrfacher Hinsicht überschritten, so dass die Gesamtbetriebsvereinbarung aus mehreren nebeneinander bestehenden Gründen keinen Bestand haben kann.

4. Unabhängig vom Vorstehenden ist die Feststellung der fehlenden rechtlichen Wirksamkeit der §§ 1 und 2 der Gesamtbetriebsvereinbarung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung über den Feststellungsantrag vor dem Landesarbeitsgericht am 20.04.2009 auch deshalb begründet, weil die Gesamtbetriebsvereinbarung rechtswirksam gekündigt ist und keine Nachwirkung entfaltet.

Unstreitig hat der Antragsteller die Kündigung der Gesamtbetriebsvereinbarung hilfsweise fristgerecht zum 31.12.2008 erklärt. Diese Kündigung ist auch rechtswirksam. Geht man wie die Antragsgegnerin davon aus, dass der Gesamtbetriebsrat eine originäre Zuständigkeit gehabt habe, so steht ihm unmittelbar das Kündigungsrecht zu.

Soweit sich die Antragsgegnerin hilfsweise darauf stützt, dem Gesamtbetriebsrat sei gemäß § 50 Abs. 2 der Auftrag von den örtlichen Betriebsräten erteilt worden, diese Angelegenheit für ihn zu behandeln, so ergibt sich das Kündigungsrecht aus dieser Delegation der Zuständigkeit. Denn in diesem Fall wäre der Gesamtbetriebsrat in der betreffenden Angelegenheit in vollem Umfang sachlegitimiert, wobei die örtlichen Betriebsräte dem Gesamtbetriebsrat keine verbindlichen Richtlinien für die Behandlung einer Angelegenheit vorschreiben können. Wollen die örtlichen Betriebsräte die Angelegenheit wieder an sich ziehen, ist dies nur durch einen entsprechenden Widerrufsbeschluss möglich (siehe Fitting u. a. Betriebsverfassungsgesetz, 24. Auflage 2008, § 50 BetrVG, Rz. 68 ff.). Der Beauftragungsbeschluss umfasst daher auch das Recht, eine entsprechende Gesamtbetriebsvereinbarung wieder zu kündigen, wenn diese nach dem Ermessen des Gesamtbetriebsrats nicht oder nicht mehr sachgerecht erscheint.

Eine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG ist nicht eingetreten. Eine Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG kann nur eintreten in Angelegenheiten, in denen ein Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt. Nach der gesetzlichen Konzeption ist nur im Bereich der erzwingbaren Mitbestimmung eine gesetzliche Nachwirkung vorgesehen. Vorliegend ist kein Fall der erzwingbaren Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 S. 1 BetrVG gegeben, weil diese nur vorliegen kann, wenn keine tarifliche Regelung besteht. Eine solche besteht aber im vorliegenden Fall und die Antragsgegnerin ist an diesen Tarifvertrag kraft Verbandsmitgliedschaft gebunden.

Aus diesem Grund kann sich die Antragsgegnerin auch nicht auf die Rechtsprechung zur Nachwirkung bei teilmitbestimmten Betriebsvereinbarungen berufen. Denn dafür wäre Voraussetzung, dass der Arbeitgeber nicht tarifgebunden wäre (so ausdrücklich BAG, Urteil vom 26.08.2008 - 1 AZR 354/07 -, NZA 2008, S. 1426; siehe ferner BAG, Urteil vom 26.10.1993 - 1 AZR 46/93 -, NZA 1994, S. 572 ff.). Denn nur dann, wenn ein Arbeitgeber nicht tarifgebunden ist, leistet er mitbestimmungsrechtlich die gesamte Vergütung "freiwillig". Will er in diesem Fall Bestandteile der Vergütung beseitigen, hat der Arbeitgeber die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten. Nur dann kann es auch zu einer Nachwirkung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG kommen, sofern sich hierdurch die Vergütungsstruktur verändert.

Im vorliegenden Fall hingegen ist die Antragsgegnerin unstreitig tarifgebunden und mit der Gesamtbetriebsvereinbarung wird eine Regelung der tariflichen Ansprüche bezweckt. Eine Kündigung einer solchen Betriebsvereinbarung führt lediglich dazu, dass die tariflichen Ansprüche wieder unmittelbar greifen. Ein regelloser Zustand, den die gesetzlich angeordnete Nachwirkung entgegenwirken soll, liegt nicht vor. Angesichts des Tarifvorrangs im vorliegenden Fall liegt kein Fall erzwingbarer Mitbestimmung vor, der allein gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG eine Nachwirkung begründen könnte.

5. Insgesamt konnte die Beschwerde der Antragsgegnerin daher keinen Erfolg haben. Die Rechtsbeschwerde konnte nicht zugelassen werden, da die Rechtssache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung hatte, da die Entscheidung in Anwendung höchstrichterlicher Rechtsgrundsätze erfolgte und Auswirkungen der Gesamtbetriebsvereinbarung für die Zukunft nicht angenommen werden können, da nach Auskunft der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 20.04.2009 nur ein einzelner Arbeitnehmer Individualansprüche aufgrund der Rechtsunwirksamkeit der Gesamtbetriebsvereinbarung geltend gemacht hat, zu dem für alle Arbeitnehmer die tarifliche Ausschlussfrist des § 17 MTV zu beachten ist und schließlich - wie dargelegt - die Gesamtbetriebsvereinbarung aufgrund Kündigung ohne Nachwirkung ohnehin keine Auswirkungen auf die Zukunft hat.

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