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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 08.03.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 1056/06
Rechtsgebiete: BetrVG, KSchG


Vorschriften:

BetrVG § 4
KSchG § 1
KSchG § 23
Auch Arbeitnehmer eines räumlich weit entfernten Betriebsteils müssen in die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG einbezogen werden.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 08.06.2006 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 6 Ca 11241/05 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung vom 19.11.2005 zum 31.12.2005 (Kopie Bl. 10 f. d. A.) wegen der Schließung des Standorts M , wo der Kläger seit dem 01.07.1999 als sog. Teamexperte tätig war. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer. Von der weitergehenden Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom 08.06.2006 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Kündigung scheitere bereits an der nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG, weil ihm nicht mitgeteilt worden sei, dass der Kläger Vater zweier Kinder sei.

Mit ihrer Berufung beantragt die Beklagte,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 08.06.2006 - 6 Ca 11241/05 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

1. Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 520 ZPO).

2. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage im Ergebnis zu Recht stattgegeben. Die betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 19.11.2005 ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG rechtsunwirksam, weil sie sozial ungerechtfertigt ist. Dies folgt aus § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG, weil die Beklagte keine ausreichende Sozialauswahl vorgenommen hat.

Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden, so ist die Kündigung nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Der Arbeitnehmer hat nach § 1 Abs. 3 S. 3 KschG die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des S. 1 erscheinen lassen. Der Kläger, der gemäß Schreiben vom 01.08.2003 (Kopie Bl. 118 d. A.) zuletzt als "Teamexpert Service im Business Center K in M " eingesetzt wurde, hat zu Recht geltend gemacht, die Beklagte habe keine soziale Auswahl durchgeführt, obwohl in ihrem Betrieb in K , der Area K , mehrere Arbeitnehmer tätig seien, die mit ihm, dem Kläger, vergleichbar seien. Konkret beruft er sich auf eine höhere Schutzwürdigkeit u. a. gegenüber dem Kollegen S , der als Umschlagsmitarbeiter in Vollzeit im Bereich Terminal Handling weiterbeschäftigt worden sei.

Die Beklagte, die die Weiterbeschäftigung von Herrn S jedenfalls in Teilzeit einräumt, hat nach eigenem Vorbringen eine Sozialauswahl nicht durchgeführt. Die Sozialauswahl war entgegen ihrer Ansicht nicht deswegen entbehrlich, weil es sich bei dem Standort in M /J um einen eigenständigen Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne gehandelt hätte und dort allen Arbeitnehmern gekündigt worden ist. Da die Sozialauswahl betriebsbezogen vorzunehmen ist und eine Beschränkung auf Betriebsteile oder Betriebsabteilungen ausscheidet, steht der Notwendigkeit einer Sozialauswahl nicht schon die räumliche Entfernung der Niederlassung vom Stammbetrieb entgegen. Auch ein Hauptbetrieb und eine räumlich weit entfernte Betriebstätte im Sinne von § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BetrVG können einen Betrieb im Sinne des

§ 23 KSchG bilden. Das KSchG differenziert nicht zwischen Betrieben und räumlich entfernten Betriebsteilen, die als selbständige Betriebe im Sinne des BetrVG gelten (§ 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG). § 23 KSchG stellt nicht auf die räumliche, sondern vielmehr auf die organisatorische Einheit ab, mit der der Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sachlichen oder immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Auch Arbeitnehmer eines räumlich weit entfernten Betriebsteils müssen daher in die Sozialauswahl einbezogen werden (BAG 03.06.2004 - 2 AZR 577/03 - NZA 2005, 175 ff.).

Hier bildeten der Betriebsteil J und der Betrieb K schon nach der betriebsverfassungsrechtlichen Zuordnung einen Betrieb im Sinne des Kündigungsrechts. Dies ergibt sich aus dem Schriftsatz der Beklagten an das Arbeitsgericht Köln vom 14.04.2005 in dem Verfahren zum Aktenzeichen 1 BVGa 10/05, in dem die Zuordnung des nicht selbständigen Betriebsteils M in J zum Betrieb K der D Express Betriebs GmbH im Rahmen der Betriebsratswahlen anerkannt wird. Die Beklagte hat konsequent auch den K Betriebsrat zur Kündigung des Klägers angehört, der ebenso konsequent auf die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für den Kläger im Bereich Terminal Handling am Standort K hingewiesen hat.

Für den Betriebsbegriff des § 23 KSchG ist entscheidend, dass die beiden Betriebsstätten in M /J und K eine organisatorische Einheit bildeten. Zwar hat die Beklagte eingewandt, der Betrieb in J habe einer eigenen Leitung unterstanden, d. h. alle arbeitsrechtlich relevanten Maßnahmen, wie die Beantragung und Genehmigung von Urlaub, die Meldung von Arbeitsunfähigkeiten usw., seien dort durchgeführt worden. Dabei handelte es sich aber nur um ohne weiteres auf nachgeordnete Stellen delegierbare arbeitsorganisatorische Maßnahmen, nicht jedoch um die in personellen und sozialen Angelegenheiten wesentlichen Leitungsbefugnisse, die seit Anfang 2005 dem Niederlassungsleiter der Beklagten in K zustanden, wie dieser in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht bestätigt hat. Dieser Zuordnung folgend ist dann auch im Mai 2005 ein Betriebsrat von den Beschäftigten beider Standorte gemeinsam gewählt worden. Auch die 12. Kammer des LAG Köln geht in ihrem Urteil vom 23.02.2007 - 12 Sa 1102/06 - von einem Betrieb im kündigungsrechtlichen Sinne aus.

Unabhängig davon, ob die gänzlich unterbliebene soziale Auswahl eine Vermutung für deren Fehlerhaftigkeit begründet (vgl. zweifelnd Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 9. Aufl., Rz. 1154 m. w. N.), greift die Auswahlrüge des Klägers hier jedenfalls hinsichtlich des Kollegen S durch. Die Vergleichbarkeit der beiden Arbeitnehmer zumindest in der Vergleichsgruppe der Terminal-Handling-Mitarbeiter und Kurierfahrer (TG 3) wird auch von der Beklagten nicht in Abrede gestellt mit der Maßgabe, dass der Kläger jedenfalls bei der Verteilung der Teilzeitarbeitsplätze mit 20 Wochenstunden zu berücksichtigen gewesen wäre. Aufgrund seiner höheren Punktzahl (107 gegenüber 98 bei S ) gemäß der zugrunde gelegten Auswahlrichtlinie hätte der Kläger, wie auch vom Betriebsrat gefordert, auf der mit dem Kollegen besetzten Stelle weiterbeschäftigt werden müssen. Dies entspricht auch den arbeitsvertraglichen Möglichkeiten der Beklagten, die sich in § 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages vorbehalten hat, dem Kläger eine andere Tätigkeit innerhalb ihrer Gesellschaft zu übertragen. Kam eine Vollzeitbeschäftigung nicht mehr in Betracht, so hätte wegen des Vorrangs der Änderungskündigung eine Weiterbeschäftigung zu den geänderten - schlechteren - Bedingungen angeboten werden müssen.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte schließlich auf eine mangelnde Versetzbarkeit des Klägers nach § 4 des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Manteltarifvertrags, der bestimmt, dass jede Versetzung, die die Dauer von drei Monaten übersteigt, der Zustimmung des Arbeitnehmers bedarf. Dazu hat die 12. Kammer des LAG Köln in der oben zitierten Entscheidung bereits zutreffend festgestellt, dass dann, wenn § 4 MTV auch Fälle wie den vorliegenden erfassen würde, die Grundsätze der sozialen Auswahl weitgehend leer liefen. Das ist unzulässig, weil § 1 Abs. 3 KSchG zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht enthält (vgl. BAG 02.06.2005 - 2 AZR 280/04 - AP § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 75).

II. Da die Beklagte das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, muss sie nach den §§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung tragen.

III. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalles beruht.

Ende der Entscheidung

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