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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 17.04.2002
Aktenzeichen: 6 Sa 1334/01
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund kommt in Ausnahmefällen auch dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer seine Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat (hier: Messerangriff eines geistesgestörten Arbeitnehmers auf einen arglosen Arbeitskollegen).
LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 6 Sa 1334/01

Verkündet am: 17.04.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 28.02.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Kalb als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Hartwig und Göbel

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das am 16.11.2001 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Köln - 7 Ca 10023/01 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten der Berufung.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

Der Kläger war seit ca. 25 Jahren bei der Beklagten zuletzt als Staplerfahrer gegen eine monatliche Vergütung von rd. 4.500,- DM brutto beschäftigt. Am 26.09.2001 näherte er sich grundlos einem Arbeitskollegen, griff ihn unvermittelt mit einem Teppichmesser an und verletzte ihn dabei am Hals. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es sich um eine leichte oder lebensgefährliche Schnittverletzung handelte. Der Verletzte wurde jedenfalls mit dem Notarztwagen in ein naheliegendes Krankenhaus gebracht und war anschließend 14 Tage arbeitsunfähig.

Die mit Schreiben der Beklagten vom 27.09.2001 erklärte fristlose Kündigung ging dem Kläger am 02.10.2001 zu. Bei der Beklagten besteht kein Betriebsrat.

Mit seiner am 12.10.2001 erhobenen Kündigungsschutzklage hat der Kläger geltend gemacht, er habe zum Tatzeitpunkt unter Wahrnehmungsstörungen und wahnhafter Verarbeitung dieser Vorstellungen gelitten. Nach dem ärztlichen Befund handele es sich um eine Psychose paranoider Form. Die Tat könne ihm daher wegen Schuldunfähigkeit nicht vorgeworfen werden.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die am 02.10.2001 zugegangene Kündigung vom 27.09.2001 nicht aufgelöst ist.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe sich dem Kollegen aus dem Hinterhalt genähert, ihn bei den Haaren gepackt und dreimal mit dem Teppichmesser am Hals auf ihn eingestochen, wodurch ihm eine ca. 3 cm breite, lebensgefährliche Schnittwunde "am Hals an der linken Seite auf mittlerer Höhe" zugefügt worden sei. Als sich der Kollege gewehrt und losgerissen habe, sei er nochmals am Oberarm geschnitten worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage im Anschluss an die Güteverhandlung auf übereinstimmenden Antrag der Parteien durch Einzelrichterentscheidung vom 16.11.2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, das Verhalten des Klägers sei tatbestandlich ein schwerer krimineller Akt gewesen, dem die Beklagte im Interesse des geordneten Betriebsablaufs und der Sicherheit ihrer Mitarbeiter nicht hinnehmen könne und dürfe. Der Kläger stelle ein hohes Sicherheitsrisiko dar, einerlei ob er im Zustand der Schuldfähigkeit gehandelt habe oder zur Tatzeit schuldunfähig gewesen sei.

Gegen das ihm am 23.11.2001 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger am 10.12.1002 Berufung eingelegt, die er sogleich begründet hat. Er lässt vortragen, seine Handlung sei weder gezielt, noch vorsätzlich, noch schuldhaft oder aggressiv gewesen. Die Tat sei schlicht und ergreifend das Ergebnis eines psychotischen Schubes gewesen, der ihm in keiner Weise vorgeworfen werden könne. Er sei krank und werde weiter auf freiwilliger Basis in der R L in D behandelt. Es sei zu erwarten, dass er nach abgeschlossener Behandlung wieder einwandfrei arbeiten könne und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen werde (Beweis: Sachverständigengutachten).

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln - 7 Ca 10023/01 - vom 16.11.2001 festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fortbesteht und nicht durch die Kündigung vom 27.09.2001, zugegangen am 02.10.2001, beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, selbst wenn eine schwerwiegende Geisteserkrankung vorliegen sollte, komme eine Weiterbeschäftigung oder gar Neueinstellung nicht in Betracht, weil ihr und ihren Mitarbeitern ein derartiges Sicherheitsrisiko nicht zugemutet werden könne, und zwar nicht einmal für den Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes haben die Parteien auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht erklärt, der Kläger befinde sich immer noch in stationärer Behandlung der R L . Ein Ende der Therapie sei jedoch absehbar. Nach derzeitigem Stand könne man von einer Entlassung in den nächsten Tagen ausgehen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).

II. In der Sache hat das Rechtsmittel jedoch keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang fristlos beendet. Sie ist rechtswirksam, weil hierfür ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorlag. Der Beklagten war aufgrund der vom Kläger begangenen gefährlichen Körperverletzung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuzumuten.

1. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen wegen der Tat am 26.09.2001 gekündigt. Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bilden regelmäßig nur dann einen wichtigen Grund, wenn der Gekündigte nicht nur objektiv, sondern auch rechtswidrig und schuldhaft seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt hat (vgl. nur KR-Fischermeier, 6. Aufl., § 626 BGB Rz. 139 m.w.N.). Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ohne Ausnahme: So kann etwa ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers die betriebliche Ordnung derart nachhaltig stören, dass dem Arbeitgeber eine Aufrechterhaltung dieses Zustandes selbst dann nicht zumutbar ist, wenn der Arbeitnehmer seine Vertragspflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Für die oft nur durch Sachverständigengutachten mögliche Klärung der Frage, ob der Arbeitnehmer für sein Fehlverhalten auch voll verantwortlich ist, bleibt in sicherheitsrelevanten Fällen oft keine Zeit mehr (BAG v. 21.01.1999 - 2 AZR 665/98 - DB 1999, 1400 m.w.N.).

Ein solcher Ausnahmefall, in dem das Fehlverhalten des Arbeitnehmers auch ohne sein Verschulden einen wichtigen Kündigungsgrund darstellt, liegt hier vor. Tatbestandlich handelte es sich um eine gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB. Dabei kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass er aufgrund der bei ihm diagnostizierten paranoiden Psychose auch zum Tatzeitpunkt nicht steuerungsfähig war. Selbst wenn nämlich den Kläger kein Schuldvorwurf im strafrechtlichen Sinne trifft, so hat er mit seiner Tat die betriebliche Ordnung derart gravierend gestört, dass der Beklagten eine Weiterbeschäftigung nicht einmal für den Lauf der - verlängerten - Kündigungsfrist zumutbar war. Die Beklagte macht insoweit zu Recht geltend, dass sie vor allem auch im Interesse der betrieblichen Sicherheit keine andere Lösung wählen konnte. In Extremfällen wie dem Vorliegenden muss es dem Arbeitgeber möglich sein, auf das objektiv vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers angemessen zu reagieren, ohne dass es darauf ankommt, ob dem Arbeitnehmer letztlich ein Schuldvorwurf zu machen ist.

Im Hinblick auf die Begleitumstände bestand bereits aufgrund der einmaligen Tat des Klägers ein erhebliches Sicherheitsrisiko für den Betrieb der Beklagten, das eine Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur für die Zeit der Kündigungsfrist ausschloss. Nach Lage des Falles musste und durfte die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung davon ausgehen, dass der Kläger den Arbeitskollegen ohne jeden Anlass hinterhältig und erheblich verletzt hatte. Mit einer Wiederholung solchen Fehlverhaltens gegenüber anderen Mitarbeitern musste gerechnet werden. Es war jedenfalls nicht auszuschließen. Dies trägt die außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung unabhängig davon, ob der Kläger von seiner paranoiden Psychose in absehbarer Zeit geheilt werden kann oder diese Erkrankung unheilbar ist.

Das vom Kläger angebotene Sachverständigengutachten für die angeblich erfolgreiche Therapie und den Ausschluss einer Gefährdung für die Zukunft war daher nicht einzuholen. Denn entscheidungserheblich ist nicht etwa die Frage einer negativen Prognose als Voraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung, die in aller Regel nur mit ärztlichem Sachverstand geklärt werden kann. Hier geht es vielmehr um die Beurteilung einer Wiederholungsgefahr im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung, die durch die Tat und ihre Begleitumstände selbst indiziert wird. Diese Wiederholungsgefahr im Sinne eines latenten Sicherheitsrisikos besteht nach Überzeugung des Gerichts auch bei einer erfolgreichen Therapie der aktuellen Erkrankung des Klägers.

2. Bildet die gefährliche Körperverletzung nach alledem "an sich" einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 2 BGB, so vermag auch die stets vorzunehmende umfassende Interessenabwägung die Gewichte nicht zugunsten des Klägers zu verändern.

Das Gericht verkennt nicht, dass die fristlose Kündigung den jetzt 59 Jahre alten Kläger in Anbetracht seiner Erkrankung geradezu schicksalhaft trifft. Damit wird seine rd. 25jährige Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten abrupt beendet, in der er sich - soweit ersichtlich - nichts hat zu Schulden kommen lassen. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, dass es bisher keine Zwischenfälle im Betrieb gegeben habe und ihm nicht das Geringste habe vorgeworfen werden können. Die Beklagte konzediert auch ein bisher "unauffälliges Gesamtverhalten". Diese lange Beschäftigungszeit des Klägers und die bei seinem Lebensalter geringe Chance, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, müssen zunächst zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Das Berufungsgericht hat daher eine vergleichsweise Regelung empfohlen, in der unter strikter Wahrung des Sicherheitsinteresses der Beklagten deutlich geworden wäre, dass das Arbeitsverhältnis letztlich auch wegen der Erkrankung des Klägers nicht mehr fortgesetzt werden konnte. Damit wäre im Ergebnis eine außerordentliche befristete Kündigung des Arbeitsverhältnisses erreicht worden.

Nachdem diese Lösung keinen Bestand hatte, musste die streitige Entscheidung nach Abwägung aller Umstände schließlich zu Lasten des Klägers ergehen: Denn zugunsten der Beklagten war zu berücksichtigen, dass die betriebliche Ordnung durch den Zwischenfall erheblich gestört und eine Wiederholung zu befürchten war. Die Beklagte durfte in der gegebenen Situation mit der fristlosen Kündigung reagieren um eine weitere Gefährdung ihrer Mitarbeiter durch den Kläger auszuschließen und damit gleichzeitig ein unmissverständliches Zeichen zu setzen, dass tätliche Angriffe auf Arbeitskollegen nicht geduldet werden. Gerade angesichts der Schwere der Verletzung, die unabhängig von etwaiger Lebensgefahr als gefährliche Körperverletzung im strafrechtlichem Sinne zu bewerten ist, konnte der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, hier bis zum 31.03.2002, nicht mehr zugemutet werden.

I. Da der Kläger das Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, muss er nach den §§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung tragen.

II. Die Revision war nicht nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere hatte die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht und die angesprochenen Rechtsfragen höchstrichterlich geklärt sind.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

Ende der Entscheidung

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