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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 21.03.2007
Aktenzeichen: 7 Sa 1057/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
BGB § 305c
BGB § 611
1. Zur Reichweite einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel, wonach die Regelungen eines Tarifvertrags in Anbetracht der ausformulierten arbeitsvertraglichen Bestimmungen (nur) "im Übrigen" gelten sollen.

2. Zur Anwendung der Unklarheitenregel des § 305 c Abs. 2 BGB.

3. Leugnet der Arbeitgeber ausdrücklich die Anwendbarkeit eines arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrags als Anspruchsgrundlage für eine bestimmte Forderung, so kann sich der Arbeitnehmer widerspruchsfrei für seinen Anspruch alternativ sowohl auf den Tarifvertrag, wie auch auf betriebliche Übung berufen.


Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 27.04.2006 in Sachen 3 Ca 324/06 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin auf Jahressonderzahlungen (Weihnachtsgeld) für die Kalenderjahre 2003, 2004 und 2005.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, der Klage in vollem Umfang stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 27.04.2006 Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Beklagten am 31.08.2006 zugestellt. Er hat hiergegen am 18.09.2006 Berufung einlegen und diese unter dem 31.10.2006 begründen lassen.

Der Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, dass das Arbeitsgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben habe. Ein Anspruch der Klägerin auf die Jahressonderzahlungen ergebe sich weder aus der Verweisungsnorm des § 14 des Arbeitsvertrages, noch aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung.

§ 14 des Arbeitsvertrages könne schon deshalb keinen Anspruch auf die Jahressonderzahlung begründen, weil § 5 des Arbeitsvertrages eine abschließende Regelung über die der Klägerin zustehende Vergütung enthalte. Schließlich finde sich in § 5 des Arbeitsvertrages der Satz:

"Die Vergütungsbestandteile sind abschließend aufgeführt."

Auch ein Anspruch auf die Jahressonderzahlungen unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung könne nach Ansicht des Beklagten nicht zustande gekommen sein. Dem stehe ein Freiwilligkeitsvorbehalt entgegen. In § 5 des Arbeitsvertrages sei explizit festgelegt, dass eine als freiwillig zu betrachtende Zulage freiwillig und unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs erfolge. Auch das arbeitsvertraglich vereinbarte Schriftformerfordernis verhindere, dass eine betriebliche Übung habe entstehen können.

Selbst wenn eine betriebliche Übung entstanden wäre, sei sie jedenfalls durch eine neue gegenläufige betriebliche Übung geändert worden. Bei der Auszahlung der Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2004 in zwölf Teilbeträgen habe sich er, der Beklagte, über einen längeren, zwölf Monate umfassenden Zeitraum hinweg der bisherigen betrieblichen Übung, das Weihnachtsgeld in einem Einmalbetrag auszuzahlen, widersprechend verhalten. Die Klägerin habe der Auszahlung der Weihnachtsgratifikation des Kalenderjahres 2004 in zwölf Teilbeträgen nicht widersprochen. In der Lohnabrechnung November 2005 sei der Freiwilligkeitsvorbehalt auch nochmals ausdrücklich aufgeführt.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 27.04.2006, 3 Ca 324/06, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte tritt den Einwänden des Beklagten gegen das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil mit rechtlichen Ausführungen entgegen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchstabe b) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung des Beklagten gegen das arbeitsgerichtliche Urteil vom 27.04.2006 konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht hat den von der Klägerin im vorliegenden Verfahren erhobenen Ansprüchen nicht nur im Ergebnis zutreffend, sondern auch mit überzeugender Begründung stattgegeben. Zusammenfassend und ergänzend ist unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz das Folgende auszuführen:

1. Der Anspruch der Klägerin auf die streitgegenständlichen Jahressonderzahlungen folgt zum einen aus der Verweisung in § 14 des Arbeitsvertrages der Parteien auf die Bestimmungen des Tarifvertrages zwischen der DSK Sozialdienste gGmbH in Rheinland-Pfalz und der Gewerkschaft ÖTV Rheinland-Pfalz vom 01.07.1990.

a. Dieser nimmt seinerseits den einschlägigen Zuwendungstarifvertrag des öffentlichen Dienstes in Bezug. Der Anspruch auf die Jahressonderzahlung besteht somit in derselben Höhe wie nach dem Zuwendungs-TV des öffentlichen Dienstes und ebenso wie dort in der Form einer Einmalzahlung im Monat November eines jeden Kalenderjahres.

b. Zwar enthält § 14 des Arbeitsvertrages der Parteien die Einschränkung, dass der genannte TV Rheinland-Pfalz nur "im Übrigen" gelten soll, d. h. soweit der Arbeitsvertrag der Parteien vom 17.10.1997 selbst keine speziellere Regelung beinhaltet. Entgegen der Auffassung des Beklagten beinhaltet § 5 des Arbeitsvertrages der Parteien aber keine abschließende eigenständige Regelung aller "Vergütungsansprüche" der Klägerin, die einen Anspruch auf eine einmal jährlich zu zahlende Jahressondervergütung ausschlösse. Unabhängig von der Frage, inwieweit der hier streitigen Jahressonderzahlung ein Gratifikationscharakter oder ein Vergütungscharakter im weiteren Sinne zukommt, regelt § 5 des Arbeitsvertrages der Parteien ersichtlich nur die laufende, monatlich zu zahlende Vergütung im engeren Sinne (ebenso LAG Köln 4 (6) Sa 1574/04 vom 13.05.2005). In § 5 des Arbeitsvertrages ist akribisch aufgeführt, aus welchen Vergütungsbestandteilen sich die Monatsvergütung zusammensetzt, nämlich Grundvergütung, Ortszuschlag, Allgemeine Zulage, Freiwillige Zulage (AT), schließlich Überstunden, Sonn- und Feiertags- und Nachtarbeitzuschläge. Wenn es dann im fortlaufenden Text weiter heißt: "die Vergütungsbestandteile sind abschließend aufgeführt", so kann sich dies ersichtlich nur auf die Monatsvergütung beziehen, was auch dadurch bestätigt wird, dass § 5 Abs. 3 wie folgt lautet: "Die Vergütung ist jeweils für den Kalendermonat zu berechnen. Spätestens zum Letzten eines Monats erhält der Arbeitnehmer den auszuzahlenden Betrag per Verrechnungsscheck und per Überweisung auf ein vom Arbeitnehmer frühzeitig bekannt zu gebendes Konto."

Die in § 5 des Arbeitsvertrages enthaltene Regelung der Monatsvergütung schließt somit etwaige nebenher bestehende oder entstehende Ansprüche auf nicht zur laufenden Monatsvergütung zu rechnende Sonderzahlungen, Gratifikationen etc. in keiner Weise aus (ebenso LAG Köln

a. a. O.). Das Berufungsgericht hält diese vom Arbeitsgericht in der angegriffenen Entscheidung befürwortete und bereits von der 4. Kammer des LAG Köln in seinem Urteil vom 13.05.2005 vertretene Auslegung des § 5 des Arbeitsvertrages für eindeutig.

c. Äußerstenfalls könnte angenommen werden, dass es zwar auch denkbar erschiene, § 5 des Arbeitsvertrages so auszulegen, dass dadurch auch jährliche Sonderleistungen ausgeschlossen würden. Jedenfalls müsste aber konzediert werden, dass mindestens ebenso gut die gegenteilige - hier für einzig richtig gehaltene - Auslegung vertretbar wäre. Auch dies würde dem Beklagten somit nicht helfen. Bei dem auch im vorliegenden Fall in Rede stehenden Arbeitsvertrag der Parteien handelt es sich nämlich um einen Formulararbeitsvertrag, als dessen Verwender der Beklagte anzusehen ist. Gemäß § 305 c Abs. 2 BGB folgt daraus, dass Unklarheiten in der Reichweite einer Klausel zu Lasten des Verwenders, also des Beklagten, gehen (vgl. u.a. BAG vom 9.11.2005, 5 AZR 143/05).

2. Daneben folgen die Ansprüche der Klägerin auf die streitigen Jahressonderzuwendungen als Einmalzahlung im November eines Kalenderjahres und in der Höhe, wie sie der Zuwendungstarifvertrag des öffentlichen Dienstes regelt, auch aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung.

a. Die Voraussetzungen des Entstehens einer betrieblichen Übung liegen vor. Die Klägerin hat - ebenso wie die übrigen Mitarbeiter des Beklagten - bis zum Jahre 2002 drei und mehr Jahre hintereinander seitens des Beklagten die begehrte Jahressonderzuwendung nach den Modalitäten des öffentlichen Dienstes tatsächlich und vorbehaltlos erhalten. Sie konnte aus dieser gleichförmigen und vorbehaltlosen Verhaltensweise des Beklagten nur den Schluss ziehen, dass die Zahlung einer Jahressonderzuwendung nach Art und Umfang, wie im öffentlichen Dienst üblich, künftig Bestandteil ihres Arbeitsvertrages sein sollte. Hiermit war die Klägerin konkludent einverstanden.

b. Die einfache arbeitsvertragliche Schriftformklausel steht der Annahme, dass der Arbeitsvertrag der Parteien aufgrund einer betrieblichen Übung ergänzt worden ist, nicht entgegen. Nach ständiger Rechtssprechung des BAG kann eine einfache arbeitsvertragliche Schriftformklausel auch konkludent und selbst ohne dass die Parteien konkret daran denken, aufgehoben werden.

c. Neben der Sache liegt die Einlassung des Beklagten, der in § 5 Arbeitsvertrag enthaltene Freiwilligkeitsvorbehalt ergreife auch die Zahlung der Jahressonderzuwendung. § 5 führt in seinem Absatz 2 einen Freiwilligkeitsvorbehalt nur im Bezug auf einen ganz konkreten, der Monatsvergütung zuzuordnenden Vergütungsbestandteil auf, nämlich der sogenannten "Freiwilligen Zulage (AT)". Was dies mit einer Jahressonderzuwendung zu tun haben soll, erschließt sich nicht.

d. In den Jahren, in denen die hier in Rede stehende betriebliche Übung entstanden ist, hat der Beklagte einen auf die Jahressonderzuwendung bezogenen Freiwilligkeitsvorbehalt in keiner Weise vorgenommen. Jedenfalls hat der Beklagte nichts hierzu vorgetragen.

e. Dass der Beklagte sodann zu einem Zeitpunkt, als die betriebliche Übung bereits entstanden war, dazu übergegangen ist, die Zahlung der Jahressonderzuwendung als unter Vorbehalt stehende freiwillige Leistung zu deklarieren, vermag nichts mehr daran zu ändern, dass der Anspruch zu diesem Zeitpunkt bereits Inhalt des Individualvertrages der Klägerin geworden war.

f. Auch ist eine nachträgliche gegenläufige betriebliche Übung nicht (mehr) zustandegekommen. Die Klägerin hat mit anderen Mitarbeitern zusammen bereits Anfang 2004 schriftlich gegen die Abkehr des Beklagten von der bisherigen die Jahressonderzahlung betreffenden Übung protestiert. Sie hat dies durch Anwaltsschreiben vom 20.12.2005 nochmals wiederholt und im Januar 2006 die hiesige Klage erhoben. Eine protestlose gegenläufige betriebliche Übung, die sich wiederum mindestens auf einen Dreijahreszeitraum hätte erstrecken müssen, ist somit schlechterdings nicht feststellbar.

3. Nur vorsorglich und ergänzend ist festzuhalten, dass es auch keinen Widerspruch darstellt, wenn die Klägerin die hier streitgegenständlichen Ansprüche sowohl aus der über § 14 des Arbeitsvertrages zu entnehmenden Verweisung auf den Zuwendungstarifvertrag des öffentlichen Dienstes herleitet als auch aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung. Zwar ist es anerkannt, dass eine betriebliche Übung dann nicht entsteht, wenn der Arbeitgeber die fraglichen Leistungen deshalb erbringt, weil er damit eine aus anderen Rechtsquellen herrührende, von ihm angenommene rechtliche Verpflichtung erfüllen will. Im Gegensatz dazu betont der Beklagte jedoch gerade dezidiert, dass eine aus anderen Rechtsquellen, etwa aus Tarifvertrag, herrührende rechtliche Verpflichtung zur Zahlung der Jahressonderleistung gerade nicht bestanden hat.

4. Gegen die konkret bezifferte Höhe der einzelnen streitgegenständlichen Leistungen sind Einwände nicht ersichtlich und vom Beklagten auch nicht erhoben worden.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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