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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 19.03.2008
Aktenzeichen: 7 Sa 108/08
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
Sozialauswahl: Zur Vergleichbarkeit eines "Lagerverkäufers" in einer Einkaufsgenossenschaft mit einem Fahrer einerseits, mit Büroangestellten andererseits.
Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 14.11.2007 in Sachen 2 Ca 2209/07 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um eine arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigung.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils vom 14.11.2007 Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Kläger am 12.12.2007 zugestellt. Er hat hiergegen am 09.01.2008 Berufung einlegen und diese am 22.01.2008 begründen lassen.

Der Kläger lässt in seiner Berufungsbegründung zunächst in Zweifel ziehen, ob die Beklagte ihre unternehmerische Entscheidung, das Lager ersatzlos aufzulösen, tatsächlich zeitnah durchzuführen gedenke. Im Oktober/November 2007 sei das Lager jedenfalls noch voll gewesen und seien hieraus Verkäufe in demselben Umfang erfolgt wie auch zuvor im gesamten Jahre 2007.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger sodann jedoch eingeräumt, dass er im Laufe seiner Kündigungsfrist dazu eingesetzt war, das Lager von den dort lagernden Tabakwaren komplett leer zu räumen. Allerdings habe die Beklagte außer den Tabakwaren, die ihr Hauptgeschäft ausmachten, nebenher auch noch Süßwaren verkauft, von denen Ende Januar auch noch ein Vorrat im Lager vorhanden gewesen sei, aus dem Abverkäufe erfolgt seien.

Weiterhin bemängelt der Kläger eine fehlerhafte Sozialauswahl. So meint er, er sei mit den von der Beklagten weiterbeschäftigten Fahrern vergleichbar. Es dürfe dabei nicht auf den bloßen Wortlaut seines Arbeitsvertrages abgestellt werden. Denn abgesehen davon, dass er in den ersten Jahren seines Arbeitsverhältnisses als Fahrer gearbeitet habe, sei er auch in den letzten Jahren seit 1997 in einem Umfang von mindestens 25 % als Fahrer tätig gewesen, wobei er als eine Art Springer die Fahrer vertreten habe, wenn diese aufgrund Urlaub, Krankheit o. ä. ausgefallen seien. Die Fahrertätigkeit sei daher bis zuletzt als mitprägender Schwerpunkt des Arbeitsverhältnisses zu werten.

Darüber hinaus hält sich der Kläger auch mit dem im Büro der Beklagten eingesetzten Personal (Arbeitnehmer/-innen M , M und M für vergleichbar. Auch deren Tätigkeit könne er nach kurzer Einarbeitungszeit übernehmen. Der Kläger verweist dabei darauf, dass er in Polen Abitur gemacht habe, was einer Fachhochschulreife gleichzustellen sei, und dass er bei der Deutschen Angestelltenakademie Praktika absolviert habe.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn - 2 Ca 2209/07 - vom 14.11.2007 festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 27.07.2007 zum 31.01.2008 beendet worden ist, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus fortbesteht.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte macht in ihrer Berufungserwiderung vom 26.02.2008 geltend, dass mittlerweile die vollständige Stilllegung des Lagers erfolgt sei und die Tätigkeiten der Kommissionierung wie geplant nunmehr von ihrem Großlieferanten durchgeführt werde. Es sei zwar richtig, dass noch ein Restbestand an Süßwarenvorräten vorhanden sei, der nach und nach abverkauft werde. Hierbei handele es sich aber nur um marginale Mengen, jedenfalls weit weniger als 25 % des früher üblichen Warenbestandes.

Die Beklagte bleibt auch bei ihrer Auffassung, dass die Kündigung nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam sei. So sei es nur bedingt richtig, dass der Kläger auch eine Springertätigkeit als Fahrer verrichtet habe. Zwar sei der Kläger bei "Not am Mann" als Fahrer eingesprungen, dies jedoch z. B. im Jahre 2006 nur an 3,5 Arbeitstagen und im Jahr 2007 an 5,5 Arbeitstagen und insgesamt jedenfalls in einem geringeren Umfang als 3 Monate/Jahr. Der einzige verbleibende vollbeschäftigte Fahrer verdiene überdies nur 1.840,00 € brutto und habe vier Kinder und eine nicht verdienende Ehefrau. Der weitere Fahrer sei nur teilzeitbeschäftigt und verdiene 900,00 € brutto. Auf die kaufmännischen Arbeitsplätze im Buchhaltungsbereich könne der Kläger ohnehin nicht im Wege des Direktionsrechts versetzt werden. Außerdem handele es sich um Spezialtätigkeiten, die wegen fehlender Qualifikation und Berufserfahrung vom Kläger auch mit einer kurzen Einarbeitungszeit nicht ausgeführt werden könnten.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung des Klägers konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Bonn hat den Rechtsstreit rechtlich richtig entschieden und seine Entscheidung zutreffend begründet. Aus der Sicht der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht gilt zusammenfassend und ergänzend das Folgende:

1. Die ordentliche, betriebsbedingte arbeitgeberseitige Kündigung vom 27.07.2007 ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt. Sie ist nämlich durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstehen.

a. Aufgrund der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten, künftig kein eigenes Warenlager mehr vorzuhalten und die notwendige Kommissionierung der von ihr vertriebenen Ware ihrem Großlieferanten zu überlassen, ist der arbeitsvertraglich vorgesehene Arbeitsplatz des Klägers als "Lagerverkäufer" mit Ablauf der Kündigungsfrist des Klägers entfallen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger selbst bestätigt, dass er im Rahmen seiner bis zum 31.01.2008 laufenden Kündigungsfrist mit dazu eingesetzt wurde, das Lager leer zu räumen. Es werden dort keine Tabakwaren mehr vorgehalten und der Handel mit Tabakwaren verläuft jetzt so, wie von der Beklagten in ihrer unternehmerischen Planung vorgesehen.

b. Unstreitig war zwar bei Ablauf der Kündigungsfrist des Arbeitgebers noch ein kleiner Vorrat an Süßwarenbeständen vorhanden. Der Verkauf von Süßwaren stellte aber, wie vom Kläger eingeräumt, auch früher schon nur einen vergleichsweise geringfügigen Nebenerwerb zu dem Hauptgeschäftszweig der Beklagten, dem Handel mit Tabakwaren, dar. Zum anderen wird auch der verbleibende Restbestand an Süßwaren in absehbarer Zeit gänzlich abverkauft sein. Der im Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist noch vorhandene Restlagerbestand an Süßwaren vermag somit ein Bedürfnis der Beklagten, den Kläger - und sei es auch nur im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung - weiter zu beschäftigen, nicht zu begründen.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers erweist sich die Kündigung aber auch nicht gemäß § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG als sozial ungerechtfertigt. Der Kläger hat nicht schlüssig darlegen können, dass die Beklagte bei der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer zu seinen Lasten die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und/oder die Schwerbehinderung eines Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hätte.

a. Die Notwendigkeit, bei Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung eine soziale Auswahl i. S. v. § 1 Abs. 3 KSchG treffen zu müssen, setzt voraus, dass der Arbeitnehmer, der aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung seines Arbeitgebers seinen bisherigen Stammarbeitsplatz verliert, mit einem anderen Arbeitnehmer nach objektiven arbeitsplatzbezogenen Merkmalen vergleichbar ist. Dies ist dann der Fall, wenn der von einem Arbeitsplatzverlust bedrohte Arbeitnehmer aufgrund der zwischen ihm und dem Arbeitgeber bestehenden arbeitsvertraglichen Vereinbarungen auch den Arbeitsplatz eines anderen Arbeitnehmers einnehmen könnte und hierfür persönlich geeignet ist. Der Arbeitgeber müsste die Möglichkeit haben, dem betroffenen Arbeitnehmer den Alternativarbeitsplatz unter Ausübung seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechtes zuzuweisen, ohne dass der Ausspruch einer Änderungskündigung oder eine anderweitig herbeizuführende Änderung des Arbeitsvertrages notwendig wäre.

b. Der Arbeitsplatz des Klägers ist im Arbeitsvertrag der Parteien vom 19.02.1990 als derjenige eines "Lagerverkäufers" beschrieben. Hierzu gehört im engeren Sinne die Ausübung üblicher Lagertätigkeiten unter Einschluss der Vornahme von Abverkäufen aus dem Lager.

c. Alle Aufgaben, die mit der Lagerhaltung der Beklagten zusammenhängen, sind jedoch, wie bereits ausgeführt, spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist des Klägers weitestgehend entfallen.

d. Die rechtliche Möglichkeit der Beklagten, dem Kläger ohne Änderung der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen eine Tätigkeit ausschließlich mit Fahrerdiensten zu übertragen, ist nicht festzustellen.

aa. Zwar hat der Kläger nach Beginn seines Arbeitsverhältnisses bis zum Jahre 1997 abweichend von den schriftlichen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen eine Tätigkeit als Fahrer tatsächlich ausgeübt. Für die rechtliche Beurteilung der streitigen Kündigung vom 27.07.2007 sind jedoch ausschließlich die Verhältnisse im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung maßgebend. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der hier zu beurteilenden Kündigung war der Kläger jedoch bereits seit ca. 10 Jahren - der schriftlichen Arbeitsvertragsvereinbarung entsprechend - schwerpunktmäßig als Lagerverkäufer eingesetzt. Die Tätigkeit des Lagerverkäufers nahm den ganz überwiegenden zentralen Raum seiner arbeitsvertraglichen Aufgaben ein. Der Kläger spricht selbst von ca. 75 % seiner Gesamttätigkeit. Daneben war der Kläger zwar auch zu maximal 25 % als Fahrer eingesetzt, wenn Vertretungsbedarf bestand oder, wie die Beklagte sich ausdrückt, wenn "Not am Mann" war. Nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag der Beklagten war dies in den Jahren 2006 und 2007 nur noch in einem ganz marginalen Umfang der Fall. Selbst wenn man aber von den quantitativen Relationen ausgeht, die der Kläger nennt, so lag der eindeutige und prägende Schwerpunkt der Tätigkeit des Klägers in den letzten 10 Jahren vor Ausspruch der Kündigung bei der arbeitsvertraglich niedergelegten Tätigkeit eines Lagerverkäufers.

bb. Die Tätigkeit eines Lagerverkäufers ist mit derjenigen eines Fahrers weder identisch, noch austauschbar, also auch nicht vergleichbar i. S. v. § 1 Abs. 3 KSchG. Dies ergibt sich bereits aus dem Inhalt der unterschiedlichen Tätigkeiten, wird aber auch dadurch bestätigt, dass die Vollzeittätigkeit eines Fahrers deutlich schlechter vergütet wird als die Tätigkeit des Klägers. Selbst der Kläger räumt ein, dass der bei der Beklagten verbliebene vollzeitbeschäftigte Fahrer ca. 200,00 € brutto monatlich weniger verdiene als er. Nach Angaben der Beklagten ist der Verdienstunterschied noch deutlich größer. Die Erklärung des Klägers, der Verdienstunterschied sei möglicherweise durch unterschiedliche Steuerklassen zu erklären, liegt neben der Sache, da nicht der Unterschied im Nettoverdienst, sondern der Unterschied im Bruttoverdienst in Rede steht. Die Kündigungssituation einmal hinweg gedacht, wäre es der Beklagten arbeitsvertraglich somit nicht gestattet gewesen, den Kläger notfalls auch gegen seinen Willen im Wege des arbeitsvertraglichen Direktionsrechts auf einer Vollstelle als Fahrer einzusetzen.

e. Erst recht ist der Kläger mit den von der Beklagten weiterbeschäftigten Bürokräften nicht vergleichbar.

aa. Die Bürokräfte der Beklagten nehmen nicht nur selber Verkäufe vor, sondern ihre Aufgabe besteht neben den allgemeinen Bürotätigkeiten vor allem auch in der buchhalterischen Verarbeitung der Verkaufsaktivitäten. Hierbei handelt es sich um charakteristisch andere Aufgaben als die Lagertätigkeiten einschließlich der Vornahme von Barabverkäufen aus dem Lager, wie sie der Kläger arbeitsvertraglich zu verrichten hatte.

bb. Es fehlt aber nicht nur an einer Vergleichbarkeit der Tätigkeit eines Lagerverkäufers mit der Tätigkeit eines Büroangestellten unter arbeitsplatzbezogenen Kriterien, sondern der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass er über die spezielle Qualifikation und Erfahrung verfügt, die bei der Verrichtung der Bürotätigkeiten vorausgesetzt werden muss. Allein ein Schulabschluss, auch wenn er das Niveau der Fachhochschulreife besitzt, vermittelt noch nicht die Fähigkeit, Bürotätigkeiten mit buchhalterischem Einschlag professionell wahrzunehmen. Welche konkreten Qualifikationen der Kläger über seinen Schulabschluss hinaus erworben hat, die ihn für die bei der Beklagten anfallenden Bürotätigkeiten qualifizieren könnte, ist auch nicht ansatzweise substantiiert vorgetragen.

3. Schließlich kann der Beklagten entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie in den Jahren 2002 und 2006 Neueinstellungen vorgenommen hat, ohne die von den Neueinstellungen besetzten Stellen zuvor dem Kläger anzubieten. Die unternehmerische Planung der Beklagten sah bis Mitte 2007 nicht vor, dass ihre Tabakwarenlagerhaltung aufgelöst würde. Es bestand somit für die Beklagte kein Anlass, den Kläger im Jahre 2002 oder 2006 von seiner Tätigkeit eines Lagerverkäufers zu entbinden, um ihm eine andersgeartete Tätigkeit zu übertragen. Im Zweifel hätte sie in diesem Falle dann eben für den Kläger eine Ersatzeinstellung auf der Lagerposition vornehmen müssen. Der Sinn einer solchen unternehmerischen Vorgehensweise erschlösse sich nicht.

4. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit somit richtig entschieden und seine Entscheidung auch zutreffend begründet. Die Berufung des Klägers musste zurückgewiesen werden.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Ende der Entscheidung

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