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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 19.12.2007
Aktenzeichen: 7 Sa 1409/06
Rechtsgebiete: TVG, ZPO


Vorschriften:

TVG § 4
ZPO § 138
1. Die Nachwirkung von bis zu ihrem Außerkrafttreten allgemeinverbindlichen tariflichen Normen ergreift auch diejenigen Arbeitsverhältnisse, auf die der Tarifvertrag nur kraft seiner Allgemeinverbindlichkeit anwendbar war.

2. In solchen Fällen führt ein Verbandsaustritt des Arbeitgebers während des Nachwirkungszeitraums nicht zur Beendigung der Nachwirkung.

3. Eine die Nachwirkung beendende "andere Abmachung" i.S.v. § 4 Abs. 5 TVG ist nur eine solche, die auf das konkrete Arbeitsverhältnis der Parteien tatsächlich Anwendung findet.

4. Behauptet der Arbeitnehmer, dem Arbeitgeber ein Einschreiben mit einem bestimmten Inhalt übermittelt zu haben, und wird der Zugang eines Einschreibens mit der angegebenen Posteinlieferungsnummer unstreitig, kann der Arbeitgeber sich nicht darauf beschränken, den behaupteten Inhalt des Einschreibens zu bestreiten. Ein hinreichend qualifiziertes Bestreiten i.S.v. § 138 ZPO liegt nur dann vor, wenn der Arbeitgeber angibt, welchen anderen als den vom Arbeitnehmer behaupteten Inhalt das Einschreibens gehabt haben soll.


Tenor:

Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 03.11.2006 in Sachen 5 Ca 4954/06 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 943,53 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.06.2006 und darüber hinaus weitere 1.007,65 € brutto zu zahlen.

Die weitergehenden Berufungen des Klägers und der Beklagten werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 30 % und die Beklagte 70 % zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Ansprüche auf eine tarifliche Sonderzahlung für die Kalenderjahre 2003 bis 2006.

Der Kläger war vom 01.04.1994 bis zum 30.04.2006 bei dem beklagten Einzelhandelsunternehmen als Lagerist beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund fristgerechter arbeitgeberseitiger betriebsbedingter Kündigung. Hierüber verhält sich ein in dem Vorverfahren Arbeitsgericht Köln - 16 Ca 11732/05 - am 13.01.2006 abgeschlossener gerichtlicher Vergleich.

In Ziffer 2 des Anstellungsvertrages der Parteien vom 14.03.1994 ist Folgendes bestimmt:

"Das Arbeitsverhältnis richtet sich nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrages für den Einzelhandel NRW und den diesen ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung sowie den abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen."

Auf den vollständigen Inhalt des Arbeitsvertrages (Bl. 4 - 7 d. A.) wird Bezug genommen.

Für die Einzelhandelsbranche in Nordrhein-Westfalen galt unter anderem der Tarifvertrag über Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) vom 20.09.1996. Dieser Tarifvertrag trat aufgrund seiner Kündigung zum 31.01.2000 außer Kraft. Er war für die Zeit bis zu seinem Außer-Kraft-Treten für allgemeinverbindlich erklärt worden. Ein neuer, bislang nicht für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag über Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) wurde erst am 10.02.2006 für die Zeit ab 01.01.2006 abgeschlossen.

Die Beklagte war zunächst Mitglied im Einzelhandelsverband Nordrhein e. V., welcher als Arbeitgeberverband den Tarifvertrag über Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) vom 20.09.1996 sowie die für die Einzelhandelsbranche Nordrhein-Westfalens bestimmten Manteltarifverträge abgeschlossen hatte. Zum 31.12.2002 trat die Beklagte aus dem Einzelhandelsverband NRW aus.

Gemäß Abschnitt B § 1 Abs. 1 TV Sonderzahlungen 1996 belief sich die tarifliche Sonderzuwendung auf 62,5 % des individuell dem anspruchsberechtigten Arbeitnehmer zustehenden Tarifentgeltes. Das Tarifentgelt des Klägers betrug am 31.01.2000 1.612,24 € brutto.

Für die Jahre 2001 und 2002 zahlte die Beklagte an den Kläger Jahressonderzuwendungen/Weihnachtsgeld in unterschiedlicher, jeweils aber übertariflicher Höhe, dabei zumindest für das Jahr 2001 unter ausdrücklichem Freiwilligkeitsvorbehalt. Für die Jahre 2003 und 2004 zahlte die Beklagte jeweils 400,00 €. Für das Jahr 2005 zahlte die Beklagte keine Jahressonderzuwendung/kein Weihnachtsgeld. Zu Weihnachten 2006 verteilte die Beklagte anstelle einer Sonderzuwendung/eines Weihnachtsgeldes zu Weihnachten Warengutscheine im Werte von 300,00 €, allerdings nicht an den bereits zuvor aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Kläger.

Mit Schreiben vom 02.04.2004 hatte der Kläger seinen Anspruch auf das "tarifliche Weihnachtsgeld" des Jahres 2003 schriftlich geltend gemacht, mit Schreiben vom 03.01.2005 den entsprechenden Anspruch für das Jahr 2004 (vgl. Bl. 8 f. d. A.). Den Anspruch für das Kalenderjahr 2005 machte für den Kläger die Gewerkschaft ver.di per Einwurf-Einschreiben vom 29.03.2006 (Bl. 25 d. A.) geltend. Der Kläger hat hierzu einen Einlieferungsbeleg mit Poststempel vom 29.03.2006 und der Einlieferungsnummer vorgelegt (Bl. 98 d. A.). Unter dem 31.03.2006 bestätigte die Poststelle der Beklagten den Erhalt eines Einschreibens mit dieser Einlieferungsnummer.

Einen Teilanspruch in Höhe von 4/12 für das Kalenderjahr 2006 machte der Kläger sodann mit Anwaltsschriftsatz vom 02.06.2006 sowie mit der vorliegenden, der Beklagten am 28.06.2006 zugestellten Klage vom 14.06.2006 geltend.

§ 24 MTV Einzelhandel NRW vom 10.02.2006 bestimmt ebenso wie der vorangegangene MTV vom 25.07.2003 u. a. Folgendes:

"Verfallklausel

Abs. 1

Die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen wie folgt:

...

b) Spätestens drei Monate nach Ende des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Ansprüche auf Urlaub, Urlaubsabgeltung und Sonderzahlungen;

...

Abs. 2

Die Ansprüche verfallen nicht, sofern sie innerhalb der vorgenannten Fristen schriftlich geltend gemacht worden sind.

Abs. 3

Vorstehende Fristen gelten als Ausschlussfristen."

Gegenstand der vorliegenden Klage sind die tariflichen Sonderzahlungen für die Jahre 2003 bis 2006.

Für das Jahr 2003 beansprucht der Kläger noch 686,25 € brutto, nämlich 62,5 % von 1.738,00 € (Tarifgehalt 2003) abzüglich für 2003 gezahlter 400,00 €.

Für das Jahr 2004 verlangt der Kläger 705,63 € brutto, nämlich 62,5 % von 1.769,00 € brutto (Tarifgehalt 2004) abzüglich für 2004 gezahlter 400,00 €.

Für das Jahr 2005 beansprucht der Kläger 1.007,65 € brutto, nämlich 62,5 % von 1.612,24 € brutto (Tarifgehalt, Stand 31.01.2000).

Für das Jahr 2006 begehrt der Kläger schließlich 380,56 € brutto, nämlich 62,5 % von 1.826,69 € brutto (Tarifgehalt 2006) x 4/12.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen,

1. an ihn 1.772,44 € brutto nebst 5 Prozentzinsen über dem Basiszinssatz gemäß DÜG seit dem 13.06.2006 zu zahlen;

2. über den Antrag zu 1.) hinaus an ihn weitere 1.007, 65 € brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 03.11.2006 hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Köln der Klage in Höhe von 1.086,19 € brutto nebst Zinsen stattgegeben und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht sinngemäß ausgeführt, dass durch Ziffer 2 des Anstellungsvertrages vom 14.03.1994 für das Arbeitsverhältnis der Parteien auch der Tarifvertrag über Sonderzahlungen (Urlaubsgeld und Sonderzuwendung) vom 20.09.1996 in Bezug genommen worden sei, so dass der Kläger grundsätzlich die tariflichen Jahressonderzuwendungen beanspruchen könne. Der Teilanspruch für 2003 sei jedoch gemäß § 24 Abs. 1 Buchstabe b) MTV Einzelhandel NRW verfallen. Dasselbe habe auch für das Jahr 2005 zu gelten, da der Kläger - nach dem Sach- und Streitstand in erster Instanz - nicht ausreichend dargelegt habe, dass sein Anspruch für dieses Jahr rechtzeitig schriftlich geltend gemacht worden sei. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts vom 03.11.2006 wurde der Beklagten am 08.12.2006, dem Kläger am 21.12.2006 zugestellt. Die Beklagte hat gegen das Urteil am 27.12.2006 Berufung eingelegt und diese am 02.02.2007 begründet. Der Kläger hat am Montag, den 22.01.2007, Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 21.03.2007 am 19.03.2007 begründet.

Der Kläger und Berufungskläger zu 2) macht geltend, das Arbeitsgericht habe seinen Anspruch auf die tarifliche Jahressonderzuwendung für 2005 im Ergebnis zu Unrecht abgewiesen. Wie der in der Berufungsinstanz vorgelegte Einlieferungsbeleg zeige, sei das Geltendmachungsschreiben vom 29.03.2006 an diesem Tag, einem Mittwoch, bei der Post eingeliefert worden, so dass von einem Zugang bei der Beklagten allerspätestens am 31.03.2006 auszugehen sei.

Mit der Geltendmachung des Weihnachtsgeldanspruchs für das Jahr 2003 habe es folgende Bewandtnis: Der Gewerkschaftssekretär von ver.di habe auf einer Betriebsversammlung im März 2004 die anwesenden Mitarbeiter darauf hingewiesen, dass sie ihre Weihnachtsgeldansprüche auch selbst geltend machen könnten, und dem Betriebsrat ein entsprechendes Musterschreiben zur Verfügung gestellt. Er habe dabei aber nicht darauf hingewiesen, dass der Geltendmachungsantrag bis spätestens 31.03.2004 bei der Beklagten zugegangen sein müsse. Beim Betriebsrat sei man offenbar der Meinung gewesen, dass die Geltendmachungsfrist noch bis zum 30.04.2004 gelaufen sei.

Der Kläger und Berufungskläger zu 2) beantragt nunmehr,

unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln, 5 Ca 4954/06, vom 03.11.2006 nach den erstinstanzlichen Anträgen aus der Klageschrift vom 14.06.2006 und dem Schriftsatz vom 04.08.2006 zu erkennen.

Die Beklagte, Berufungsbeklagte zu 2) und Berufungsklägerin zu 1) beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Im Rahmen ihrer eigenen Berufung beantragt die Beklagte und Berufungsklägerin zu 1),

die Klage insgesamt abzuweisen.

Zu der Berufung des Klägers führt die Beklagte an, ihr sei nicht bekannt, dass sich das Geltendmachungsschreiben des Klägers dem am 31.03.2006 auf ihrer Poststelle eingegangenen Einschreiben mit der Einlieferungsnummer zuordnen lasse. Jedenfalls befinde sich auf dem entsprechenden Geltendmachungsschreiben bei ihr, der Beklagten, kein Eingangsstempel.

Nach Auffassung der Beklagten steht dem Kläger ein Anspruch auf die tariflichen Jahressonderzuwendungen für die Jahre 2003 bis 2006 aber ohnehin nicht zu. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtsgerichts könne Ziffer 2 des Anstellungsvertrages der Parteien vom 14.03.1994 nicht so ausgelegt werden, dass darin auch auf den TV Sonderzahlungen 1996 verwiesen werde. Bei diesem Tarifvertrag handele es sich nicht um einen den Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW "ergänzenden" Tarifvertrag. Die Beklagte und Berufungsklägerin zu 1) beruft sich für diese Auffassung u. a. auf ein Urteil des LAG Köln vom 03.08.2006 in Sachen 10 Sa 429/06.

Die Beklagte und Berufungsklägerin zu 1) vertritt des weiteren die Meinung, dass sich ein Anspruch des Klägers auch nicht auf den Gesichtspunkt einer Nachwirkung des zum 31.01.2000 außer Kraft getretenen TV Sonderzahlungen 1996 stützen lasse. Die tarifvertragliche Nachwirkung sei spätestens durch ihren Verbandsaustritt zum 31.12.2002 beendet worden. Nach dem Zeitpunkt des Verbandsaustritts könne der nunmehr nicht mehr tarifgebundene Arbeitgeber keinen Einfluss mehr auf den Abschluss eines Nachfolgetarifvertrages nehmen. Die einzige Möglichkeit, die ihm bleibe, um eine ablösende Nachfolgeregelung zu generieren, bestehe in dem Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat. Hierum habe sie, die Beklagte, sich aber seit dem Jahre 2003 vergeblich bemüht.

Der Annahme einer zeitlich unbegrenzten Nachwirkung eines außer Kraft getretenen Tarifvertrages stehe auch deren Überbrückungsfunktion entgegen.

Ferner macht die Beklagte Rechtsausführungen dazu, dass der Kläger seinen Anspruch auch nicht aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung herleiten könne.

Der Kläger und Berufungsbeklagte zu 1) beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte zu 1) verteidigt insoweit das arbeitsgerichtliche Urteil und tritt den Ausführungen der Beklagten mit Rechtsgründen entgegen.

In der Berufungsinstanz hat der Kläger und Berufungskläger zu 2) der Gewerkschaft ver.di mit Schriftsatz vom 12.12.2007 den Streit verkündet. Die Streitverkündete hat sich am Rechtsstreit nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufungen beider Parteien sind zulässig. Die Berufungen sind gemäß § 64 Abs. 2 Buchstabe b) ArbGG statthaft und wurden nach Maßgabe des § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.

II.A. Die Berufung der Beklagten konnte nur zu einem geringen Teil Erfolg haben, und zwar insoweit, als der Kläger seine Ansprüche für die Kalenderjahre 2004 und 2006 fehlerhaft berechnet hat. Dagegen geht die von der Beklagten mit ihrer Berufung hauptsächlich geltend gemachte Auffassung fehl, dass dem Kläger für die Kalenderjahre 2003 bis 2006 generell kein Anspruch auf eine Jahressonderzahlung nach Maßgabe des Tarifvertrages über Sonderzahlungen vom 20.09.1996 zugestanden hätte.

1. Entgegen der Auffassung der Beklagten stand dem Kläger für die Kalenderjahre 2003, 2004 und 2005 grundsätzlich ein Anspruch auf eine Jahressonderzuwendung nach Maßgabe des TV Sonderzahlungen 1996 zu. Dasselbe gilt anteilig für die Zeit bis zum Ausscheiden des Klägers aus seinem Arbeitsverhältnis auch für das Kalenderjahr 2006.

a. Es kann dahin gestellt bleiben, ob die Ansprüche des Klägers bereits, wie das Arbeitsgericht angenommen hat, aus Ziffer 2 des Anstellungsvertrages der Parteien vom 14.03.1994 herzuleiten sind.

aa. Allerdings spricht nach Überzeugung des Berufungsgerichts viel für die vom Arbeitsgericht sinngemäß vertretene Auffassung, dass zu den in Ziffer 2 des Anstellungsvertrages erwähnten, den Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW "ergänzenden" Tarifverträgen auch der TV Sonderzahlungen 1996 zu rechnen ist.

aaa. Die Auslegung dieser individualvertraglichen Vereinbarung richtet sich nach §§ 133, 157 BGB. Abzustellen ist auf den objektiven Empfängerhorizont.

bbb. Der durchschnittliche verständige Arbeitnehmer als Leser der in Ziffer 2 des Vertrages vom 14.03.1994 enthaltenen Vertragsbestimmung kann von der Annahme ausgehen, dass in dem Manteltarifvertrag einer bestimmten Branche in aller Regel die allgemeinen essentiellen Grundarbeitsbedingungen der dem Tarifvertrag unterworfenen Arbeitsverhältnisse geregelt sind. Neben einem solchen tariflichen Grundregelungswerk werden üblicherweise gesonderte Tarifverträge für solche Regelungsgegenstände abgeschlossen, die aus der Natur ihres Gegenstands heraus typischerweise einem zeitlich kurzfristigeren Wandel unterworfen sind. Dies gilt insbesondere für Tarifverträge, in denen in bezifferter Form Entgeltaspekte geregelt werden.

ccc. Zu dieser Art von Tarifverträgen, gehört auch der TV Sonderzahlungen. Bei natürlicher Betrachtung können solche Tarifverträge, die eng umgrenzte Spezialfragen eines Arbeitsverhältnisses - insbesondere im Zusammenhang von Vergütungsfragen - regeln, als Ergänzung des die wesentlichen allgemeinen Arbeitsbedingungen enthaltenden Manteltarifvertrages angesehen werden.

ddd. Eine den allgemeinen Sprachgebrauch zugrunde legende "natürliche Betrachtungsweise" erscheint deshalb geboten, weil es sich bei dem Begriff des "ergänzenden Tarifvertrages" nicht um einen spezifisch definierten terminus technicus des Arbeitsrechts handelt und weil, selbst wenn dies so wäre, bei dem durchschnittlichen Arbeitnehmer als Empfänger einer derartigen Arbeitsvertragsurkunde die Kenntnis solcher termini technici nicht vorausgesetzt werden könnte.

eee. Es trifft auch nicht zu, dass der MTV Einzelhandel NRW einerseits und der TV Sonderzahlungen andererseits völlig unverbunden und ohne wechselseitige Bezugnahme nebeneinander stehen. So enthält der TV Sonderzahlungen keinerlei eigene Regelung seines Geltungsbereichs, sondern verweist bereits in seinem Einleitungssatz explizit auf § 1 des Manteltarifvertrags für den Einzelhandel in der jeweils geltenden Fassung. Gemäß Abschnitt c Abs. 3 TV Sonderzahlungen wird für die Klärung von Auslegungsfragen über Bestimmungen dieses Tarifvertrages explizit "die im Manteltarifvertrag vereinbarte Schiedsstelle" für zuständig erklärt. Umgekehrt enthält auch der MTV Einzelhandel NRW an markanter Stelle einen deutlichen inhaltlichen Bezug auf den TV Sonderzahlungen, nämlich indem er in § 24 Abs. 1 Buchstabe b) MTV eine eigene Verfallklausel unter anderem gerade für "Sonderzahlungen" konstituiert.

fff. Das Arbeitsverhältnis der Parteien des vorliegenden Rechtsstreits bestand auch während der gesamten Geltungsdauer des TV Sonderzahlungen 1996, wodurch sich die Sachverhaltskonstellation des vorliegenden Rechtsstreits grundlegend von derjenigen unterscheidet, die dem Urteil der 10. Kammer des LAG Köln vom 31.08.2006 in Sachen 10 Sa 429/06 zugrunde lag. Das Arbeitsverhältnis der dortigen Klägerin war nämlich erst zu einem Zeitpunkt begründet worden, als der TV Sonderzahlungen 1996 bereits außer Kraft getreten war. Insofern konnte die 10. Kammer des LAG in ihrem Urteil vom 31.08.2006 zu Recht darauf hinweisen, dass ein bereits im Zeitpunkt des Abschlusses eines Arbeitsvertrages außer Kraft getretener Tarifvertrag im Zweifel nicht von einer vertraglichen Bezugnahmeklausel erfasst wird, die sich auf Tarifverträge in ihrer "jeweils gültigen Fassung" bezieht.

b. Letztlich kommt es jedoch auf die zutreffende Auslegung von Ziffer 2 des Anstellungsvertrages der Parteien vom 14.03.1994 nicht entscheidend an; denn jedenfalls folgt der Anspruch des Klägers auf die tarifliche Jahressonderzuwendung für die Kalenderjahre 2003 bis 2006 aus dem TV Sonderzahlungen 1996 selbst in Verbindung mit § 4 Abs. 5 TVG, also aus dem Gesichtspunkt der Nachwirkung dieses Tarifvertrages.

aa. Zwar hat der Kläger nicht dargelegt, dass er bereits zu einem Zeitpunkt vor dem Außer-Kraft-Treten des TV Sonderzahlungen 1996 Mitglied einer der den Tarifvertrag schließenden Gewerkschaften war.

bb. Hierauf kommt es aber auch nicht an; denn der Tarifvertrag Sonderzahlungen vom 20.09.1996 war für allgemeinverbindlich erklärt worden und die Allgemeinverbindlichkeit dieses Tarifvertrages hat bis zu seinem Außer-Kraft-Treten fortbestanden. Der TV Sonderzahlungen vom 20.09.1996 wäre während seiner Geltungsdauer somit für die Arbeitsvertragsparteien selbst dann verbindlich gewesen, wenn weder der Kläger noch auch die Beklagte Mitglied in einer der den Tarifvertrag abschließenden Vereinigungen gewesen wäre.

cc. War ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt worden und besteht diese Allgemeinverbindlichkeit - wie hier - bis zu seinem Ende fort, so wirken die tarifvertraglichen Normen auch für diejenigen Arbeitsverhältnisse weiter, auf die der Tarifvertrag nur Kraft seiner Allgemeinverbindlichkeit anwendbar war (BAG vom 18.06.1980, 4 AZR 463/78, AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 68; BAG vom 15.10.2003, 4 AZR 573/02, NZA 2004, 387 ff.; BAG vom 25.10.2000, 4 AZR 212/00, NZA 2001, 1146 ff.; LAG Hamm vom 29.06.2005, 18 Sa 63/05).

dd. Kommt es wegen der Allgemeinverbindlichkeit des TV Sonderzahlungen 1996 somit für die Begründung der Nachwirkung dieses Tarifvertrages im Arbeitsverhältnis der Parteien nicht darauf an, ob zuvor eine Tarifbindung einer oder gar beider Arbeitsvertragsparteien kraft Verbandszugehörigkeit bestanden hat, so folgt daraus zugleich logisch zwingend, dass dann auch die nachträgliche Beendigung einer zuvor bestehenden Verbandszugehörigkeit keinen Einfluss auf die Nachwirkung des Tarifvertrages im Arbeitsverhältnis der Parteien haben und insbesondere nicht zur Beendigung der Nachwirkung führen kann (mit ausführlicher Begründung: BAG vom 15.10.2003, 4 AZR 573/02, NZA 2004, 287 ff.). Das Berufungsgericht schließt sich den Ausführungen des BAG in der Entscheidung vom 15.10.2003 an.

ee. Auch der Umstand, dass der Nachwirkung eines Tarifvertrages gemäß § 4 Abs. 5 TVG nach der Rechtsprechung des BAG in erster Linie eine so- genannte Überbrückungsfunktion zukommt, führt nicht zu einer vorzeitigen Beendigung der Nachwirkung des TV Sonderzahlungen 1996 im vorliegenden Fall. Eine zeitliche Begrenzung der Nachwirkung nach § 4 Abs. 5 TVG sieht das Gesetz nicht vor (mit ausführlicher Begründung: BAG vom 15.10.2003, 4 AZR 573/02, NZA 2004, 387 ff.).

ff. Es trifft auch nicht zu, dass der Beklagten nach ihrem Verbandsaustritt nur noch der Abschluss einer Betriebsvereinbarung mit dem in ihrem Betrieb gewählten Betriebsrat als einzige Möglichkeit geblieben wäre, die Nachwirkung des TV Sonderzahlungen zu beenden.

aaa. Die während seiner Geltungsdauer bestehende Allgemeinverbindlichkeit des TV Sonderzahlungen 1996 bewirkt zwar, dass nach dem Außer-Kraft-Treten dieses Tarifvertrages dessen Regelungen auch unter nicht tarifgebundenen Parteien fortgelten, wenn nur deren Arbeitsverhältnis noch während der Geltungsdauer des allgemeinverbindlichen TV begründet worden ist. Jedoch ist der TV Sonderzahlungen nach seinem Außerkrafttreten, d. h. während des Nachwirkungszeitraumes nicht mehr allgemeinverbindlich.

bbb. Dies bedeutet, dass die Regelungen des TV Sonderzahlungen jetzt nicht mehr zwingend gelten, sondern disponibel geworden sind. Die Nachwirkung des TV Sonderzahlungen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien könnte somit z. B. auch durch eine einvernehmliche Änderung des Arbeitsvertrages, durch eine Änderungskündigung oder durch Abschluss eines sogenannten Haustarifvertrages beendet werden (BAG a. a. O.).

gg. Beruht die Nachwirkung eines Tarifvertrages wie im vorliegenden Fall darauf, dass dieser Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt worden war, und nicht auf einer originären beiderseitigen Tarifbindung der Parteien, so führt andererseits der spätere Abschluss eines Nachfolgetarifvertrages - vom Falle des Abschlusses eines so genannten Haustarifvertrages einmal abgesehen - noch nicht automatisch zur Beendigung der Nachwirkung, sondern nur dann, wenn auch der Nachfolgetarifvertrag seinerseits wiederum für allgemeinverbindlich erklärt wird (BAG vom 25.10.2000, 4 AZR 212/00, NZA 2001, 1146 ff.). Dies folgt daraus, dass eine die Nachwirkung beendende ,andere Abmachung' im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG nur eine solche ist, die auch auf das konkrete Arbeitsverhältnis der Parteien tatsächlich Anwendung findet (BAG a. a. O.; LAG Hamm vom 29.06.2005, 18 Sa 63/05).

hh. Aus dem genannten Grund steht dem Teilanspruch des Klägers für das Kalenderjahr 2006 nicht entgegen, dass zum 01.01.2006 ein neuer Tarifvertrag über Sonderzahlungen vom 10.02.2006 in Kraft getreten ist; denn dieser TV Sonderzahlungen 2006 ist, soweit ersichtlich, seinerseits bisher nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden.

2. Der Kläger hat jedoch bei der Berechnung seines Anspruchs für das Kalenderjahr 2004 und seines Teilanspruchs für das Kalenderjahr 2006 fehlerhaft das jeweils aktuelle Tarifentgelt der betreffenden Jahre zugrunde gelegt.

a. Wie der Kläger anlässlich der Begründung seines Anspruchs für das Jahr 2005 gemäß erstinstanzlicher Klageerweiterung vom 04.08.2006 selbst zutreffend ausgeführt hat, ist für den Inhalt der Nachwirkung auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Außer-Kraft-Tretens des nachwirkenden Tarifvertrages, hier also auf die Verhältnisse am 31.01.2000 abzustellen. Grundlage für die Bemessung der dem Kläger kraft Nachwirkung zustehenden Jahressonderzahlung auch für die Kalenderjahre 2004 und 2006 ist somit richtigerweise das Tarifentgelt des Jahres 2000 in Höhe von 1.612,24 €.

b. Daraus folgt, dass der Kläger für das Kalenderjahr 2004 unter Berücksichtigung der in diesem Jahr gezahlten 400,00 € noch weitere 607,65 € brutto verlangen kann.

c. Für das Kalenderjahr 2006 beträgt sein Teilanspruch 335,88 € (4/12 von 1.007,65 €).

B.1. Die Berufung des Klägers und Berufungsklägers zu 2) ist insoweit begründet, als der Kläger die tarifliche Jahressonderzahlung entgegen dem Erkenntnisstand des Arbeitsgerichts im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz auch für das Kalenderjahr 2005 beanspruchen kann. Der Anspruch für dieses Kalenderjahr ist nicht gemäß § 24 Abs. 1 Buchstabe b) MTV Einzelhandel NRW verfallen.

a. Unstreitig findet der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung, und zwar schon kraft der arbeitsvertraglichen Bezugnahme in Ziffer 2 des Anstellungsvertrages der Parteien. Gemäß § 24 Abs. 1 Buchstabe b) MTV sind unter anderem Ansprüche auf Sonderzahlungen spätestens drei Monate "nach Ende des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses" schriftlich geltend zu machen. Unter dem Begriff ,Sonderzahlungen' ist, wie aus dem Klammerzusatz in der Überschrift des TV Sonderzahlungen unschwer zu entnehmen ist, auch die Jahressonderzuwendung zu verstehen. Die Wendung "drei Monate nach Ende des Urlaubsjahres bzw. Beendigung des Arbeitsverhältnisses" bedeutet, dass die Ansprüche grundsätzlich bis zum 31.03. des Folgejahres geltend gemacht werden müssen, spätestens aber drei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

b. Der Anspruch des Klägers auf die Jahressonderzahlung 2005 war somit bis spätestens 31.03.2006 schriftlich gegenüber der Beklagten geltend zu machen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger im Einzelnen dargelegt, dass die ihn bei der Geltendmachung für das Jahr 2005 vertretende Gewerkschaft den Geltendmachungsschriftsatz vom 29.03.2006 am 29.03.2006 unter der Einlieferungsnummer als Einwurfeinschreiben bei der Post abgeliefert hat.

c. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Beklagten das Geltendmachungsschreiben vom 29.03.2006 überhaupt zugegangen ist.

d. Ferner ist in der Berufungsinstanz zwischen den Parteien unstreitig geworden, dass die Beklagte am 31.03.2006 auch das Einschreiben mit der Einlieferungsnummer erhalten hat.

e. In Anbetracht dieser Umstände ist es der Beklagten prozessrechtlich verwehrt, sich darauf zu berufen, ihr sei "nicht bekannt, dass sich das Geltendmachungsschreiben des Klägers diesem Einschreiben zuordnen lässt, jedenfalls befindet sich auf dem entsprechenden Geltendmachungsschreiben bei der Beklagten kein Eingangsstempel".

aa. Die Einlassung der Beklagten stellt kein substantiiertes Bestreiten im Sinne von § 138 Abs. 1 ZPO dar. Wenn der Kläger behauptet, am 31.03.2006 sei der Beklagten unter der Einlieferungsnummer das gewerkschaftliche Geltendmachungssschreiben vom 29.03.2006 zugestellt worden und die Beklagte bestätigt, dass ihr das Einschreiben mit der fraglichen Einlieferungsnummer tatsächlich am 31.03.2006 zugegangen ist, so hätte sie sich konkret dazu äußern müssen, welchen anderen Inhalt als das Geltendmachungsschreiben der Gewerkschaft denn das fragliche, ihr am 31.03.2006 unstreitig zugegangene Einschreiben gehabt haben soll. Solange die Beklagte sich nicht dazu äußert, was denn der Inhalt des ihr zugegangenen Einschreibens gewesen sein soll, kann sie mit der Behauptung, das Geltendmachungsschreiben der Gewerkschaft sei nicht Inhalt des Einschreibens gewesen, nicht gehört werden.

bb. Erst recht kann sich die Beklagte nicht auf ihr eigenes organisatorisches Versäumnis berufen, dass sie auf dem ihr unstreitig irgendwann zugegangenen Geltendmachungsschreiben keinen Eingangsstempel angebracht hat.

cc. Ebenso führt es für die Beklagte nicht zum Erfolg, ihre Einlassung als Bestreiten mit Nichtwissen zu interpretieren. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist der Beklagten nämlich vorliegend gemäß § 138 Abs. 4 ZPO nicht möglich. Was Inhalt des ihr am 31.03.2006 unter der fraglichen Einlieferungsnummer zugegangenen Einschreibens war, war Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung und liegt im Rahmen ihrer eigenen innerorganisatorischen Aufklärungsmöglichkeiten.

f. Es ist somit prozessrechtlich als unstreitig anzusehen, dass der Beklagten das Geltendmachungsschreiben der Gewerkschaft vom 29.03.2006 am 31.03.2006, und mithin rechtzeitig im Sinne der tarifvertraglichen Ausschlussfrist, zugegangen ist.

2. Unbegründet ist die Berufung des Klägers jedoch, soweit sie die Abweisung des Anspruchs für das Jahr 2003 durch das Arbeitsgericht betrifft.

Der Anspruch des Klägers auf die tarifliche Jahressonderzuwendung für das Kalenderjahr 2003 ist in der Tat gemäß § 24 Abs. 1 Buchstabe b) MTV Einzelhandel NRW verfallen; denn unstreitig hat der Kläger den fraglichen Anspruch in der erforderlichen Schriftform erst nach Ablauf der am 31.03.2004 endenden tariflichen Verfallfrist geltend gemacht.

C.1. Dem Kläger stehen somit folgende Beträge zu: 607,65 € brutto für das Kalenderjahr 2004, 335,88 € brutto anteilig für 2006; beide Beträge ergeben zusammengefasst 943,53 € brutto und waren antragsgemäß zu verzinsen. Darüber hinaus stehen dem Kläger 1.007,65 € brutto für das Jahr 2005 zu.

2. Die Kostenentscheidung folgt dem Verhältnis des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens.

3. Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht. Alle entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des BAG geklärt.

Ende der Entscheidung

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