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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 28.06.2006
Aktenzeichen: 7 Sa 1506/05
Rechtsgebiete: BGB, GewO, SGB IX


Vorschriften:

BGB § 315
GewO § 106
SGB IX § 81
1. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, sein Weisungsrecht hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit nach billigem Ermessen auszuüben, kann es erfordern, eine im Schichtdienst tätige Fahrdienstleiterin eines öffentlichen Nahverkehrsunternehmens von Nachtarbeit zu befreien, wenn dies aus objektiver medizinischer Sicht aufgrund ihres stark angeschlagenen Gesundheitszustands wünschenswert erscheint.

2. Dies gilt umso mehr, wenn die Schichtdienstgestaltung des Arbeitgebers nicht dem aktuellen Standard arbeitsmedizinischer Erkenntnisse entspricht.


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.08.2005 in Sachen 7 (21) Ca 4724/04 teilweise abgeändert:

Auf den Hilfsantrag zu 4) hin wird die Beklagte verpflichtet, die Klägerin bis auf weiteres nur mit Arbeiten im Zeitraum von 6 Uhr morgens bis 23 Uhr abends zu beschäftigen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 2/5 und der Beklagten zu 3/5 auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten in erster Linie darum, ob die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen einen Anspruch darauf hat, nicht mehr im Schichtdienst oder jedenfalls nicht nachts zwischen 23.00 Uhr und 06.00 Uhr morgens eingesetzt zu werden.

Die am 16.08.1951 geborene Klägerin steht seit dem 02.01.1986 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Zuletzt wurde sie als Fahrdienstleiterin im Wechselschichtdienst eingesetzt und verdiente dabei ca. 4.000,00 € brutto monatlich. Der Schichtdienst eines Fahrdienstleiters umfasste dabei in der Vergangenheit im Wechsel und je nach Einsatzort Schichtzeiten von 03.16 Uhr bis 11.32 Uhr, von 06.30 Uhr bis 14.46 Uhr, von 11.00 Uhr bis 19.16 Uhr, von 14.14 Uhr bis 22.30 Uhr oder von 18.30 Uhr bis 02.46 Uhr (vgl. Bl. 179 ff. d.A.). Dabei praktiziert die Beklagte ein sogenanntes rückwärts rotierendes Schichtfolgensystem.

Seit dem Jahr 2003 stellten sich bei der Klägerin verstärkt gesundheitliche Probleme ein, die auch zu vermehrten Arbeitsunfähigkeitszeiten führten. Neben schweren Schädigungen im Rückenbereich (u.a. mehrfach operierter Bandscheibenvorfall) klagte die Klägerin über Migräne, Schlafstörungen, Depressionen und Antriebsschwäche. Bei der Klägerin wurde ein Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit i.H.v. 30 % festgestellt. Die Klägerin ist gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

Die Klägerin ging davon aus, dass ein Großteil ihrer gesundheitlichen Probleme, insbesondere die Schlafstörungen, Depressionen und Antriebsschwäche auf ihren Einsatz im Wechselschichtdienst und insbesondere im Nachtschichtdienst zurückzuführen seien und hierdurch auch ihr Wirbelsäulenleiden verschlimmert werde. Sie brachte ärztliche Bescheinigungen bei, die eine Herausnahme aus dem Wechselschichtdienst als notwendig darstellten. Die Klägerin stellte sich auch dem betriebsärztlichen Dienst der Beklagten vor, der zwar aufgrund der bestehenden Rückenerkrankung Einschränkungen bei der körperlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin attestierte, jedoch feststellte, dass gegen einen Einsatz im Schichtdienst keine Bedenken bestünden. Die Beklagte lehnte es daraufhin ab, die Klägerin aus dem Wechselschichtdienst herauszunehmen.

In der Folgezeit bewarb sich die Klägerin auch auf diverse interne Ausschreibungen der Beklagten für Stellen ohne Wechselschichtdienst, wurde jedoch dabei nicht berücksichtigt.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe einen Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz. Dies beinhalte in ihrem Fall einen Einsatz außerhalb des Wechselschichtdienstes, möglichst nur im Tagdienst, jedenfalls aber nicht während der Nachtzeit von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr, und zwar entweder als Fahrdienstleiterin oder aber auch auf einem anderen gleichwertigen Arbeitsplatz. So beschäftige die Beklagte keineswegs alle Fahrdienstleiter im Wechselschichtdienst und habe im Zusammenhang mit einer Umorganisation im Jahre 2005 etliche Mitarbeiter aus dem Wechselschichtdienst auf andere Arbeitsplätze ohne Wechselschichtdienst versetzt.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Klägerin im Rahmen ihres mit der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen nicht verpflichtet ist, im Schichtdienst zu arbeiten;

2. die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin nur mit Arbeiten im Tagdienst zu beschäftigen;

3. die Beklagte weiter zu verpflichten, die Klägerin nur an Standorten mit einem höhenverstellbaren Schreibtisch einzusetzen;

hilfsweise

4. die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin nur mit Arbeiten im Zeitraum von 06.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr abends zu beschäftigen;

weiter hilfsweise

5. die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin bis 31.08.2006 nur mit Arbeiten im Zeitraum von 06.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr abends zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich auf die Stellungnahme ihres betriebsärztlichen Dienstes berufen und bestritten, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen wechseldienstuntauglich sei. Die Beklagte hat ausgeführt, dass im Bereich der Fahrdienstleitung ein Einsatz im Wechselschichtdienst unerlässlich sei. Das bei ihr praktizierte Schichtfolgensystem möge zwar nicht der reinen und strengen Lehre des arbeitsmedizinisch Empfohlenen folgen, habe aber in mehreren Mitarbeiterbefragungen die Zustimmung der Mehrheit der Mitarbeiter gefunden. Es sei zwar nicht untypisch, dass Mitarbeiter, die auch nachts arbeiten müssten, über Schlafstörungen klagten. Dies allein könne aber nicht zur Herausnahme aus dem Schichtdienst führen, zumal dies dann für eine Vielzahl von Mitarbeitern gelten müsste und im Übrigen eine Herausnahme einzelner Fahrdienstleiter aus dem Schichtsystem zu einer entsprechenden Mehrbelastung der im Schichtsystem verbleibenden Mitarbeiter führe.

Die Beklagte hat dagegen nicht die Notwendigkeit bestritten, dass der Klägerin für von ihr zu verrichtende Schreibarbeiten ein höhenverstellbarer Schreibtisch zu Verfügung zu stellen sei. Sie hat aber behauptet, dass an denjenigen Einsatzorten, an denen für die Klägerin solche Tätigkeiten in Betracht kämen, höhenverstellbare Schreibtische bereits vorhanden seien.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens. Auf das Sachverständigengutachten des K vom 02.05.2005 (Bl. 105 ff. d.A.) wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 24.08.2005 hat die 7. Kammer des Arbeitgerichts Köln die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird ebenfalls Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Klägerin am 07.11.2005 zugestellt. Sie hat hiergegen am 23.11.2005 Berufung einlegen und diese - nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 09.02.2006 - am 09.02.2006 begründen lassen.

Die Klägerin kritisiert die Auslegung des Sachverständigengutachtens durch das Arbeitsgericht und vertritt die Auffassung, dass das arbeitsmedizinische Gutachten gerade für die Begründetheit ihrer Ansprüche hinsichtlich der Arbeitszeit spreche. Das Arbeitsgericht habe auch die Bedeutung von § 81 Abs. 4 S. 1 und § 84 Abs. 2 SGB IX sowie von § 6 Abs. 4 S. 1 ArbZG verkannt. Auch ist die Klägerin der Auffassung, dass sie bei ihren diversen Stellenbewerbungen als einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Mitarbeiterin mit einem Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz gegenüber anderen Bewerbern hätte bevorzugt werden müssen.

Außerdem führt sie an, mit einem lediglich manuell verstellbaren schwer zu bedienenden Schreibtisch sei ihr nicht gedient, sie benötige einen elektrisch verstellbaren Schreibtisch.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 24.08.2005 - 7 (21) Ca 4734/04 -, die Beklagte zu verurteilen:

1. festzustellen, dass die Klägerin im Rahmen ihres mit der Beklagten bestehenden Arbeitsverhältnisses aus gesundheitlichen Gründen nicht verpflichtet ist, im Schichtdienst zu arbeiten;

2. die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin nur mit Arbeiten im Tagdienst zu beschäftigen;

3. die Beklagte weiter zu verpflichten, die Klägerin nur an Standorten mit einem elektrisch höhenverstellbaren Schreibtisch einzusetzen;

4. hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin nur mit Arbeiten im Zeitraum von 06.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr abends zu beschäftigen;

5. hilfsweise: die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin bis 31.08.2006 nur mit Arbeiten im Zeitraum von 06.00 Uhr morgens bis 23.00 Uhr abends zu beschäftigen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil. Sie meint, die Klägerin habe mit dem Gutachten nicht beweisen könne, dass sie aus gesundheitlichen Gründen nicht im Schichtdienst und nur zu den von ihr reklamierten Zeiten eingesetzt werden dürfe. Im Übrigen entsprächen die der Klägerin zur Verfügung stehenden höhenverstellbaren Schreibtische den öffentlich-rechtlichen und berufsgenossenschaftlichen Anforderungen an solche Arbeitsmöbel.

Zwischenzeitlich wurde der Klägerin aufgrund eines Rentenbescheids vom 09.03.2006 rückwirkend für die Zeit ab 01.06.2005 und befristet auf den 30.06.2007 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zuerkannt. Mit Schreiben vom 29.05.2006 führt die Deutsche Rentenversicherung Bund aus, dass der beratungsärztliche Dienst der Deutschen Rentenversicherung Bund die "medizinische Feststellung getroffen habe", dass bei der Klägerin u.a. " Tätigkeiten in der Nachtschicht" "zu vermeiden" seien (vgl. Bl. 342 d.A.). Auf Verlangen der Klägerin vereinbarten die Parteien zwischenzeitlich für die Zeit bis zum 30.06.2007 eine Beschäftigung in einem Umfang von 25 Wochenstunden. Die Klägerin wird jedoch weiterhin als Fahrdienstleiterin im Wechselschichtdienst eingesetzt.

In der mündlichen Verhandlung vom 28.06.2006 hat die Beklagte ausgeführt, da ihr nicht bekannt sei, auf welcher Grundlage der Klägerin die Erwerbsunfähigkeitsrente zugebilligt worden sei, halte sie die Äußerung der Deutschen Rentenversicherung, wonach die Klägerin nicht in der Nachtschicht eingesetzt werden dürfte, derzeit für nicht maßgeblich.

Ergänzend wird auf den übrigen Inhalt der Berufungsbegründung, der Berufungserwiderungsschrift sowie des weiteren Schriftsatzes des Klägervertreters vom 19.06.2006 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und wurde gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Entsprechend ihrem Hilfsantrag zu 4) hat die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch darauf, bis auf weiteres nur mit Arbeiten im Zeitraum zwischen 06.00 Uhr morgens und 23.00 Uhr abends, also außerhalb der arbeitsmedizinisch definierten Nachtzeit, beschäftigt zu werden. Die weitergehenden Klageanträge sind unbegründet. Insoweit war die Berufung zurückzuweisen. Da dem Hilfsantrag zu 4) stattzugeben war, ist der Hilfsantrag zu 5) nicht zur Entscheidung des Berufungsgericht angefallen.

A.1. Die Klägerin kann von der Beklagten beanspruchen, im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses nicht während der arbeitsmedizinisch definierten (vgl. Sachverständigengutachten vom 02.05.2005, Seite 30 unten, Bl. 134 d.A.) Nachtzeit zu Arbeitsleistungen verpflichtet zu werden.

a. Es kann dahingestellt bleiben, ob insoweit bereits die Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 29.05.2006 für die Beklagte eine rechtsverbindliche Vorgabe enthält, wonach Tätigkeiten in der Nachtschicht bei der Klägerin zu vermeiden sind.

b. Der entsprechende Anspruch der Klägerin folgt nämlich jedenfalls aus § 315 Abs. 1 BGB, wobei im Rahmen des nach dieser Vorschrift auszuübenden billigen Ermessens auch die in § 81 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX enthaltene Wertung zu berücksichtigen ist, die besagt, dass schwerbehinderte und diesen gleichgestellte Menschen gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Anspruch auf behinderungsgerechte Arbeitsorganisation und behinderungsgerechte Einteilung der Arbeitszeit haben.

aa. Zwischen den Parteien ist im Ausgangspunkt unstreitig, dass die Klägerin aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien grundsätzlich verpflichtet ist, auch im (Wechsel-)Schichtdienst tätig zu werden. Die Befugnis, die Klägerin zu bestimmten Zeiten zur Arbeit einzuteilen, liegt auch insoweit im arbeitsvertraglichen Direktionsrecht der Beklagten. Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht beinhaltet ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB (BAG DB 1986, 132; BAG, BB 1985, 1853; Küttner/Griese Personalbuch 2005, Stichwort Weisungsrecht Rdnr. 17). Der Arbeitgeber muss sich bei der Ausübung seines Weisungsrechts somit von billigem Ermessen leiten lassen. Dies gilt insbesondere bei der Bestimmung eines so wesentlichen Kriteriums wie der Lage der Arbeitszeit, welches aus der Natur der Sache heraus zentrale Interessen des Arbeitnehmers sowohl persönlicher wie auch sozialer Art berührt. Der Arbeitgeber kann sich bei der Ausübung seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts hinsichtlich der Arbeitszeit zwar von seinen betrieblichen Interessen leiten lassen, darf diese aber nicht kategorisch und bedingungslos durchsetzen, ohne auf die erkennbaren berechtigten Interessen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen. Gerade bei der in die gesamte Lebensführung des Arbeitnehmers einschneidenden Gestaltung der Lage der Arbeitszeit kann das Gebot der Rücksichtnahme dazu führen, dass der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Direktionsrechts von dem Optimum des betrieblich Wünschenswerten Abstriche machen muss, wenn nur so einem damit unvereinbaren, aber für den Arbeitnehmer ebenfalls bedeutsamen und berechtigten Interesse Rechnung getragen werden kann. In solchen Fällen erfordert die Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts nach billigem Ermessen einen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffenden Kompromiss zwischen den betrieblichen Interessen des Arbeitgebers einerseits und den persönlichen Interessen des Arbeitnehmers andererseits. So liegt der Fall auch hier.

bb. Zunächst erscheint es ohne weiteres nachvollziehbar, dass es bei einem unternehmen wie der Beklagten, bei dem rund um die Uhr Arbeitsaufgaben anfallen, im betrieblichen Interesse liegt, Fahrdienstleiter in einem Schichtdienst einzusetzen, zu welchem auch die Ableistung von Nachtdiensten gehört. Dem hat die Klägerin, soweit ersichtlich, bis zur Eskalation ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Jahre 2003 auch klaglos Rechnung getragen.

cc. So, wie sich die Gesundheit der Klägerin entwickelte, wurde jedoch in den Jahren ab 2003 ein Zustand erreicht, der ein objektiv nachvollziehbares, manifestes, medizinisch begründetes Interesse der Klägerin entstehen ließ, bis auf weiteres zunächst jedenfalls keine Nachtarbeit im Rahmen eines Schichtdienstes mehr verrichten zu müssen. Dies folgt entgegen der Auffassung der Beklagten mit hinreichender Klarheit aus dem medizinischen Sachverständigengutachten vom 02.05.2005.

aaa. Der Gesundheitszustand der Klägerin ist zunächst von verschiedenen Krankheitsbildern im Bereich des Bewegungsapparates geprägt, was zwischen den Parteien auch unstreitig ist.

bbb. Als weiteres Beschwerdebild von potentieller Krankheitsbedeutung bestätigt das Gutachten jedoch auch "(offenbar ausgeprägte) Schlafstörungen, die bei der Untersuchten zu vermehrter Tagesmüdigkeit, Antriebsmangel und depressiver Verstimmung geführt haben" (Gutachten S. 25, Bl. 129 d.A.). Zwar führt der Gutachter an, dass Ausprägung und Bedeutung dieser Symptomatik bei der arbeitsmedizinischen und klinischen Befunderhebung wesentlich weniger gut klassifizierbar seien als die orthopädische Problematik. Gleichwohl hält der neutrale Gutachter aus objektiver medizinischer Sicht die entsprechende Befunderhebung bei der Klägerin - auch unter Verwertung vorangegangener ärztlicher Stellungnahmen - für glaubhaft und geht in seinem weiteren Gutachten von dieser Symptomatik als feststehend aus. Auch unter Ziffer 7 des Abschnitts "Diagnosen" nennt der Gutachter "Schlafstörungen/depressive Stimmungslagen" (Gutachten S. 21). Indiziell wird die Feststellung überdies auch durch den Verlauf, der vom Gutachter selbst vorgenommenen Untersuchung der Klägerin bestätigt, führt der Gutachter doch hierüber aus: "im Verlauf von Anamnese und Untersuchung zeitweise niedergeschlagen, zuletzt deutlich erschöpft und ermüdet wirkend" (S. 13 des Gutachtens). Nimmt man als indiziellen Anhaltspunkt noch hinzu, dass selbst nach der eigenen Einlassung der Beklagten mehr als die Hälfte aller in Nachtschicht eingesetzten Arbeitnehmer über Schlafstörungen klagt, so ist das Bestehen dieses Befundbildes bei der Klägerin ungeachtet dessen, dass es von der Beklagten neuerdings mit Nichtwissen bestritten wird, als zweifelsfrei gegeben anzusehen.

ccc. Wie das Gutachten unter Auswertung der arbeitsmedizinischen Fachliteratur ausführlich erläutert, ist die Symptomatik von Schlafstörungen eine typische Folge des Einsatzes im Nachtschichtdienst (vgl. S. 25 ff. des Gutachtens, Bl. 129 ff. d.A.). Gleichwohl ist der Beklagten einzuräumen, dass der auch für die Klägerin zu konstatierende Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und Einsatz im (Nacht-)Schichtdienst nicht ausreicht, um die persönlichen Interessen der Klägerin, nicht im Nachtschichtdienst arbeiten zu müssen, höher zu veranschlagen als das entgegenstehende betriebliche Interesse der Beklagten. Könnte jeder Arbeitnehmer, der über schichteinsatzbedingte Schlafstörungen klagt, schon aus diesem Grunde seine Herausnahme aus dem (Nacht-)Schichtdienst verlangen, wäre die Beklagte im Zweifel nicht mehr in der Lage, einen geordneten Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Dabei ist auch zu bedenken, dass es einem ansonsten gesunden Mitarbeiter möglich ist, durch entsprechendes Training und eine angepasste Lebensführung die durch den Nachschichteinsatz bedingten Beeinträchtigungen weitgehend zu kompensieren. Die Berechtigung dieser Annahme wird durch das Gutachten insofern bestätigt, als der Sachverständige, worauf noch zurückzukommen sein wird, selbst bei der Klägerin ein entsprechendes Ziel für erreichbar hält.

ddd. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten handelt es sich im Falle der Klägerin aber gerade nicht um einen Standardfall, wie er auch bei einer Vielzahl anderer Nachtschichtmitarbeiter vorliegen mag.

Bei der Klägerin handelt es sich nämlich eben nicht um eine Mitarbeiterin, bei der es zwar aufgrund ihres Schichteinsatzes mehr oder weniger häufig zu Schlafstörungen kommt, die ansonsten aber gesund ist. Bei der Klägerin liegen vielmehr zahlreiche und teilweise sehr schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigungen anderer Art, insbesondere solche im orthopädischen Bereich, vor, wie die Aufzählung der Krankheitsdiagnosen auf Seite 22 des Sachverständigengutachtens eindrucksvoll belegt. Dementsprechend war die Klägerin schon lange bevor ihr jetzt sogar eine teilweise Erwerbsunfähigkeitrente zugebilligt wurde, mit einem GdB von 30 % einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.

eee. Das Gutachten bestätigt zwar nicht die ursprüngliche Vermutung der Klägerin, dass die Verhinderung des Nachtschlafes durch den Schichtdienst unmittelbar zu einer Verschlechterung ihrer Wirbelsäulenproblematik führen würde. Gleichwohl bestehen die orthopädischen Erkrankungen einerseits, der Symptomenkomplex "qualitative und quantitative Schlafstörungen/depressive Stimmungslage" andererseits nicht zusammenhangslos nebeneinander und können nicht getrennt betrachtet und bewertet werden.

Dies ergibt sich zum einen bereits aus der Natur der Sache; denn es liegt auf der Hand, dass bei einer Person, bei der bereits schwere Wirbelsäulenerkrankungen vorliegen, der Symptomenkomplex Schlafstörungen/depressive Stimmungslage zu um so stärkeren Beeinträchtigungen führt.

Aber darüber hinaus bestätigt sehr wohl auch das Sachverständigengutachten einen Zusammenhang, wenn auch in etwas anderer Akzentuierung als von der Klägerin ursprünglich angenommen. Es führt nämlich auf S. 30 aus: "Auch ein Zusammenhang zwischen absolutem Schlafpensum (nicht aber zeitlicher Einordnung des Schlafes) und Regeneration der Wirbelsäule bzw. der Bandscheiben ist nachvollziehbar". D.h. also, die Menge des Schlafes entscheidet mit darüber, wie gut sich die Wirbelsäule bzw. die Bandscheiben jeweils regenerieren können. Bei der Schilderung der arbeitsmedizinisch nachweisbar durch Nachtschichtdienst hervorgerufenen Schlafstörungen führt der Gutachter auf S. 26 jedoch aus: "Insbesondere hinsichtlich der Schlafprobleme ist festzustellen, dass bei Nachtarbeit der Tagschlaf deutlich kürzer wie auch qualitativ schlechter ist als der reguläre Nachtschlaf. Durch längere Nachtschicht-Phasen kann es zu einer Anhäufung von Schlafdefiziten kommen" (Bl. 130 d.A.).

Durch Nachtschichtarbeit kann somit typischerweise ein qualitatives wie quantitatives Schlafdefizit entstehen, ein solches Schlafdefizit wiederum beeinflusst die Regenerationsfähigkeit der Wirbelsäule und der Bandscheiben negativ.

fff. Zusammenfassend kommt der Gutachter zwar zunächst zu der Beurteilung, es könne aus arbeitsmedizinischer Sicht "nicht [Hervorhebung nur hier] festgestellt werden, dass die Untersuchte aufgrund ihres Gesundheitszustandes grundsätzlich [Hervorhebung im Original] nicht mehr dazu in der Lage ist, in ihrer Tätigkeit als Fahrdienstleiterin Schichtdienst zu leisten und dabei auch in Nachtarbeit eingesetzt zu werden". Mit dem von ihm selbst hervorgehobenen Wort "grundsätzlich" will der Gutachter zum Ausdruck bringen, dass die gesundheitliche Konstitution der Klägerin es nicht generell und für alle Zeiten arbeitsmedizinisch ausschließt, wieder in Schichtdienst unter Einschluss des Nachtdienstes eingesetzt werden zu können. Für die Gegenwart gelangt der Gutachter jedoch "unter arbeitsmedizinischen Aspekten" ausdrücklich zu folgender "Empfehlung": "Frau S sollte zumindest vorübergehend aus dem Schichtdienst, sofern er die Nachtarbeit (per definitionem von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr) betrifft, herausgenommen werden. Das heißt, sie sollte zunächst nicht in den Schichten "Nachtdienst" und "Frühdienst" eingesetzt werden, da diese die Zeiten der üblichen Nachtruhe beinhalten."

ggg. Mit dem Wort "Empfehlung" ist damit das im Zeitpunkt der Begutachtung aus objektiver arbeitsmedizinischer Sicht Wünschenswerte umschrieben. Wenn der Gutachter mit seiner "Empfehlung" die zumindest vorübergehende Herausnahme der Klägerin aus der Nachtschicht als medizinisch wünschenswert bezeichnet, so bestätigt er damit aus neutraler Sicht, dass das von der Klägerin geltend gemachte Interesse, nicht mehr zur Nachtzeit arbeiten zu müssen, objektiv berechtigt ist.

dd. Da die Gesundheit für jeden Menschen eines der höchsten Güter darstellt, eine Leidenskombination aus Wirbelsäulenbeschwerden und Schlafstörungen/depressiver Verstimmung typischerweise zu besonders quälenden Beeinträchtigungen führen kann, ist das persönliche Interesse der Klägerin, der objektiven medizinischen Empfehlung nachkommen zu können, im vorliegenden Fall auch als besonders gewichtig zu werten.

ee. Zwar kommt auch dem Interesse der Beklagten an der Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Geschäftsbetriebes ein herausgehobenes Gewicht zu. Gleichwohl muss im vorliegenden Fall das Interesse der Beklagten hinter dem berechtigten Interesse der Klägerin jedenfalls insoweit zurücktreten, als vorläufig ein Arbeitseinsatz der Klägerin in der arbeitsmedizinisch definierten Nachtzeit zwischen 23.00 Uhr und 06.00 Uhr morgens ausscheidet. Wie verschiedene im vorliegenden Verfahren zu Tage getretene Umstände nämlich verdeutlichen, erscheint es der Beklagten sehr wohl möglich und zumutbar, dem als objektiv berechtigt bestätigten Interesse der Klägerin nachzukommen, ohne eigene gravierende Einbußen bei der Verfolgung ihrer betrieblichen Interessen hinnehmen zu müssen.

aaa. So hat die Beklagte selbst eingeräumt, dass mindestens in einem weiteren Fall ein Fahrdienstleiter aus medizinischen Gründen aus dem Nachtschichtbetrieb herausgenommen wurde, ohne dass dies augenscheinlich zu unlösbaren Organisationsproblemen geführt hat.

bbb. Vor allem aber hat die Beklagte in keiner Weise nachvollziehbar verdeutlichen können, dass es ihr in der Vergangenheit nicht möglich gewesen wäre, die Klägerin auf einen gleichwertigen anderen Arbeitsplatz zu versetzen, bei dem eine Arbeitsleistung während der Nachtzeit auch aus betrieblichen Gründen nicht erforderlich ist. Unstreitig hat die Klägerin sich insoweit flexibel gezeigt und sich auf zahlreiche andere Arbeitsplätze intern beworben. Die Beklagte hat jedoch die Bewerbungen der Klägerin nicht berücksichtigt und sich dabei zumindest teilweise auf ihr Bewerberauswahlermessen berufen. Dabei hat die Beklagte jedoch augenscheinlich verkannt, dass es im Falle der Klägerin darum geht, ihr einen leidensgerechten Arbeitsplatz zuzuweisen und dass die Klägerin, sofern sie überhaupt für einen entsprechenden Arbeitsplatz geeignet ist, bei ihrer Bewerbung gemäß § 81 Abs. 4 Nr. 1 u. Nr. 4 SGB IX besonders geschützt ist.

ccc. Das Gewicht des betrieblichen Interesses der Beklagten relativiert sich schließlich in gewissem Umfang auch dadurch, dass sie schon bei Gestaltung der Schichtdienstorganisation ihrerseits nicht alles Mögliche getan hat, um den Arbeitseinsatz der Schichtdienstmitarbeiter so gesundheitsschonend wie möglich zu gestalten. So geht auch aus dem Sachverständigengutachten hervor, dass das von der Beklagten praktizierte Schichtdienstsystem nicht dem Standard dessen entspricht, was arbeitsmedizinisch für angebracht gehalten wird, und auch die Beklagte räumt ein, dass ihr Schichtdienstsystem nicht "der reinen und strengen Lehre des arbeitsmedizinisch Empfohlenen" entsprechen mag. Wenn die Beklagte jedoch schon bei der Ausgestaltung des Schichtdienstes bei der Rücksichtnahme auf die gesundheitlichen Interessen ihrer Mitarbeiter Abstriche macht, so muss sie sich bei der Zuweisung einzelner, gesundheitlich besonders angeschlagener Mitarbeiter zu diesem Schichtdienst in erhöhtem Maße Kompromisse gefallen lassen.

c. Die Beachtung billigen Ermessens im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB gebietet es somit der Beklagten, der Klägerin bis auf weiteres, wie von dem neutralen Sachverständigen "empfohlen", nur solche Arbeitszeiten zuzuweisen, die außerhalb der arbeitsmedizinisch definierten Nachtzeit von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr morgens zu verrichten sind.

d. Nach Sinn und Zweck der gutachterlichen "Empfehlungen" bedeutet die vorübergehende Herausnahme aus der Nachtarbeit, dass diese solange aufrecht zu erhalten ist, bis sich der gesundheitliche Allgemeinzustand der Klägerin wieder gebessert hat und/oder die Rahmenbedingungen bei der Schichtplangestaltung der Beklagten entsprechend den arbeitswissenschaftlichen Empfehlungen weniger belastend ausgestaltet sind als dies z.Z. der Fall ist.

2. Den von der Klägerin geltend gemachten weitergehenden Anspruch einer gänzlichen Herausnahme aus jeder Form von Schichtdienst hat das Arbeitsgericht dagegen zu Recht abgewiesen.

Das Sachverständigengutachten bestätigt nicht, dass eine gesundheitliche Notwendigkeit dafür besteht, die Klägerin keinerlei wie auch immer gearteten Schichtdienst mehr ausführen zu lassen. Das arbeitsmedizinische Gutachten bestätigt ein berechtigtes Interesse an einer Herausnahme aus dem Schichtdienst nur, "sofern er die Nachtarbeit (per definitionem von 23.00 Uhr bis 06.00 Uhr) betrifft".

3. Ebensowenig kann die Beklagte entsprechend dem Hauptantrag zu 2) verpflichtet werden, "die Klägerin nur mit Arbeiten im Tagdienst zu beschäftigen".

Auslegungsbedürftig erscheint bereits, was die Klägerin unter dem Begriff "Tagdienst" verstehen will. Gegenüber dem Sachverständigen hat sie mit dem Begriff "Tagdienst" eine Schichtzeit von 06.30 Uhr bis 14.46 Uhr bezeichnet (Sachverständigengutachten S. 5, Bl. 109 d.A.). Dieses Verständnis würde den Antrag zu 2) zwar als hinreichend bestimmt, und damit zulässig, erscheinen lassen. Inhaltlich ginge der Antrag zu 2) damit aber selbst über die ihrerseits bereits als zu weitgehend gekennzeichnete Forderung gemäß dem Antrag zu 1) hinaus. Ein berechtigtes Interesse der Klägerin, nur "Tagdienst" machen zu müssen bzw. während einer Schicht von 06.30 Uhr bis 14.46 Uhr beschäftigt zu werden, ist nicht feststellbar.

B. Auch der Klageantrag zu 3) in der in der Berufungsinstanz gestellten Fassung musste abgewiesen werden.

Nachdem zwischen den Parteien unstreitig geworden ist, dass sich an den Einsatzstandorten, an denen die Klägerin Schreibarbeiten zu verrichten hat, höhenverstellbare Schreibtische befinden, begehrt die Klägerin nunmehr in der Berufungsinstanz ohne nähere Begründung, dass es sich um elektrisch verstellbare Schreibtische handeln müsse. Warum aber die von der Beklagten zur Verfügung gestellten manuell verstellbaren Schreibtische, die überdies nach dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag der Beklagten den öffentlich-rechtlichen und berufsgenossenschaftlichen Anforderungen an solche Arbeitsmöbel entsprechen, für die Bedürfnisse der Klägerin nicht genügen, hat diese nicht nachvollziehbar erläutert.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus dem Verhältnis des beiderseitigen Obsiegens und Unterliegens aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Ende der Entscheidung

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