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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 28.08.2008
Aktenzeichen: 7 Sa 244/08
Rechtsgebiete: LuftSiG, Überleitungs-TV, ERTV, MTV NRW, ArbGG, BGB


Vorschriften:

LuftSiG § 5
LuftSiG § 8
LuftSiG § 9
Überleitungs-TV § 2
ERTV § 4 Ziff. 2 Buchstabe b)
ERTV § 4 Ziff. 2 Buchstabe e)
MTV NRW § 3 Ziff. 3
MTV NRW § 3 Ziff. 5
ArbGG § 64 Abs. 2 Buchstabe b)
ArbGG § 66 Abs. 1
BGB § 613 a
1. Bei der Arbeitsvertragsklausel, für das Arbeitsverhältnis gelte "grundsätzlich der jeweils gültige Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe", handelt es sich um eine auf die Branche bezogene Bezugnahmeklausel eigener Art, die weder dem typischen Fall einer sog. kleinen dynamischen Verweisung, noch demjenigen einer sog. großen dynamischen Verweisung im Sinne der BAG-Rechtsprechung entspricht.

2. Der Bundesentgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen vom 21.09.2005 verdrängt als speziellerer Tarifvertrag die entgegenstehenden Regeln des Manteltarifvertrags für das Wach- und Sicherheitsgewerbe NRW vom 08.12.2005.

3. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung eines Tarifvertrags ersetzt lediglich eine fehlende Tarifbindung, kann aber nicht zur Anwendbarkeit eines Tarifvertrages führen, der selbst bei beiderseitiger Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien nicht anwendbar wäre.


Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 29.11.2007 in Sachen 8 Ca 1587/07 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um tarifvertragliche Ansprüche.

Die am 26.12.1974 geborene, verheiratete Klägerin ist aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 18.05.2002 (Bl. 8 d. A.) als Sicherheitskraft am Flughafen K...../B..... beschäftigt.

Die Klägerin ist nicht Mitglied einer Gewerkschaft. Die Beklagte ist Mitglied des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen e. V., dem Tarifverträge schließenden Arbeitgeberverband der Wach- und Sicherheitsbranche.

Ziffer 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Klägerin hat folgenden Wortlaut:

"Für das Arbeitsverhältnis gilt grundsätzlich der jeweils gültige Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe."

Die Beklagte wandte auf das Arbeitsverhältnis zunächst den Manteltarifvertrag und den Lohntarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen an. Am 21.09.2005 verabschiedeten die Tarifvertragsparteien einen speziellen Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen. Dieser ERTV gilt bundesweit und fachlich für alle Wach- und Sicherheitsunternehmen, die - wie das auch bei der Beklagten der Fall ist - an Verkehrsflughäfen Sicherheitsmaßnahmen nach den §§ 5, 8 und 9 LuftSiG ausführen. Die Klägerin ist in diesem Bereich tätig.

Ebenfalls am 21.09.2005 schlossen die Tarifvertragsparteien einen Bundesüberleitungstarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen. § 2 des Überleitungs-TV bestimmt u. a. das Folgende:

"An den Verkehrsflughäfen, die durch den Branchentarifvertrag bundesweit geregelt werden, existieren Branchentarifverträge oder Regelungen in Flächentarifverträgen des Wach- und Sicherheitsgewerbes mit der Gewerkschaft ver.di.

Es besteht Einigkeit, dass durch die neue bundesweite einheitliche Regelung in Form eines Branchentarifvertrages die geltenden tariflichen Normen nicht aufgehoben sind, sofern im Folgenden nicht etwas anderes bestimmt ist.

...

3. Mit Beendigung der länderbezogenen manteltarif- und entgelttarifvertraglichen Regelungen finden ausschließlich die vereinbarten bundeseinheitlichen manteltarif- und entgeltrahmentarifvertraglichen Regelungen unein- geschränkt Anwendung."

Der Bundesentgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen und der zugehörige Überleitungstarifvertrag traten am 01.09.2005 in Kraft. Der damals gültige Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 02.02.2000 trat zum 31.12.2005 außer Kraft und wurde mit Wirkung ab 01.01.2006 durch einen neuen Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005 ersetzt. Der Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005 wurde mit Wirkung ab 01.01.2006 für allgemeinverbindlich erklärt.

Der Zuschlag für Sonntagsarbeit beträgt nach § 4 Ziffer 2 Buchstabe b) des Bundesentgeltrahmentarifvertrags für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen 40 %. § 3 Ziffer 3 MTV für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen sieht dagegen einen 50%-igen Zuschlag für Sonntagsarbeit vor. Andererseits beträgt der Zuschlag für Nachtarbeit gemäß § 3 Ziffer 5 MTV NRW nur 5 %, der Nachtarbeitszuschlag nach § 4 Ziffer 2 Buchstabe e) ERTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen dagegen 15 %. Für die Berechnung von Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sieht der ERTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen einen zwölfmonatigen Referenzzeitraum vor, der MTV NRW für das Wach- und Sicherheitsgewerbe dagegen nur einen dreimonatigen Referenzzeitraum.

Seit dem 01.01.2006 wendet die Beklagte auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin den Bundesentgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte am Verkehrsflughäfen an.

Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin Differenzvergütungsansprüche für den Zeitraum September 2006 bis August 2007 geltend, und zwar hinsichtlich der Zahlung von Sonntagszuschlägen sowie der Berechnung von Urlaubsvergütung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Klägerin reklamiert für sich insoweit die Anwendung des für sie günstigeren MTV NRW. Außerdem begehrt sie aus Anlass ihrer Eheschließung im Juni 2007 zwei Tage bezahlten Sonderurlaub.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die in Ziffer 2 Satz 2 ihres Arbeitsvertrages vom 18.05.2002 enthaltene Bezugnahmeklausel sei als so genannte kleine dynamische Verweisung auszulegen und beziehe sich ausschließlich auf den zeitlich jeweils gültigen Mantel- und Lohnvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen. Daher könne sie auch nach in Kraft treten des Bundes-ERTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen weiterhin die höheren Sonntagszuschläge des MTV NRW sowie die sich im Einzelfall für sie günstiger auswirkenden Berechnungsmodalitäten bei Urlaubsvergütung und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Anspruch nehmen.

Wegen der erstinstanzlich gestellten Sachanträge wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 29.11.2007 Bezug genommen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, auf das Arbeitsverhältnis der Parteien sei nunmehr der speziellere Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen anwendbar.

Mit Urteil vom 29.11.2007 hat das Arbeitsgericht Köln die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, für einen Anspruch auf zwei Tage bezahlten Sonderurlaub anlässlich der Eheschließung biete weder der MTV NRW 2005 noch der ERTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen eine Anspruchsgrundlage. Im Übrigen ist das Arbeitsgericht der Auffassung der Beklagten gefolgt, dass aufgrund von § 2 Ziffer 3 des Überleitungstarifvertrages vom 21.09.2005 mit Beendigung des Vorgängermanteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 2000 zum 31.12.2005 nunmehr ausschließlich der speziellere Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen für das Arbeitsverhältnis der Klägerin einschlägig sei. Bei diesen neuen Spezialtarifverträgen handele es sich zweifelsfrei auch um die "jeweils gültigen" Tarifverträge im Sinne von Ziffer 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Parteien. Da die Spezialtarifverträge zweifelsfrei für die unmittelbar selbst tarifgebundenen Arbeitnehmer, also die Gewerkschaftsmitglieder, gälten, würde ansonsten in ein und demselben Bereich ein und desselben Betriebes unterschiedliches Recht zur Anwendung gelangen. Gerade dies solle durch die Bezugnahme des Arbeitsvertrages auf die "jeweils gültigen" Tarifverträge für das Bewachungsgewerbe vermieden werden.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Klägerin am 01.02.2008 zugestellt. Sie hat hiergegen am 14.02.2008 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Frist bis zum 02.05.2008 am 02.05.2008 begründen lassen.

Die Klägerin und Berufungsklägerin meint, bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel handele es sich nur um eine so genannte kleine dynamische Klausel, die lediglich künftige Änderungen der Mantel- und Lohntarifverträge für das Bewachungsgewerbe NRW umfasse, nicht jedoch die Anwendung gänzlich neuer Tarifverträge mit geändertem räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereich vorsehe. Die Klägerin bezieht sich insoweit auf die Entscheidung des BAG vom 18.04.2007 in Sachen 4 AZR 652/05. Ergänzend hält sie auch die Entscheidung des BAG vom 29.08.2007 (4 AZR 767/06) für einschlägig und beruft sich darauf, dass sie sich, selbst wenn für ihr Arbeitsverhältnis kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme die neuen Spezialtarifverträge gelten würden, aufgrund der Allgemeinverbindlichkeit des MTV Wach- und Sicherheitsgewerbe NRW vom 08.12.2005 auf das Günstigkeitsprinzip berufen könne.

Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt nunmehr,

unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Köln vom 29.11.2007 zu 8 Ca 1587/07 nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte führt aus, das Arbeitsgericht habe den Rechtsstreit zutreffend entschieden und seine Entscheidung zutreffend begründet. Die geänderte Rechtsprechung des BAG im Urteil vom 18.04.2007 (4 AZR 652/05) zur so genannten Gleichstellungsabrede sei - unabhängig von Bedenken hiergegen in der Sache - für die vorliegende Fallkonstellation in keiner Weise einschlägig. Hier läge nämlich weder ein Verbandsaustritt noch ein Betriebsübergang vor. In Anbetracht, der bei ihr, der Beklagten und Berufungsbeklagten, gegebenen Tarifbindung und zwänge die Auffassung der Klägerin sie gerade zu dazu, sich tarifvertragswidrig zu verhalten. Außerdem führe die Auffassung der Klägerin dazu, dass ihre, der Beklagten und Berufungsbeklagten Rechte aus Artikel 9 Abs. 3 Satz 2 GG verletzt würden.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Klägerin und Berufungsklägerin ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchstabe b) ArbGG statthaft und wurde gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Klägerin musste jedoch erfolglos bleiben. Das Arbeitsgericht hat den Rechtsstreit richtig entschieden.

Die Klägerin hat für den hier interessierenden Anspruchszeitraum von September 2006 bis August 2007 keinen Nachzahlungsanspruch auf höhere Sonntagszuschläge oder auf eine andere, für sie günstigere Berechnung des Urlaubsentgelts und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nämlich seit dem 01.01.2006 der Bundesentgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen anwendbar.

1. Da die Klägerin anders als die Beklagte nicht unmittelbar selbst tarifgebunden ist, beruht die Anwendung von Tarifverträgen auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin maßgeblich auf der Bezugnahmeklausel Nr. 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 18.05.2002. Nach dieser Klausel gilt für das Arbeitsverhältnis "grundsätzlich der jeweils gültige Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe".

a. Hierbei handelt es sich um eine Bezugnahmeklausel eigener Art, die entgegen der Auffassung der Klägerin nicht dem typischen Fall einer so genannten kleinen dynamischen Verweisung im Sinne der BAG-Rechtsprechung (hierzu BAG vom 29.08.2007, 4 AZR 767/06) entspricht. Unter einer kleinen dynamischen Verweisung versteht man die Bezugnahme auf ganz bestimmte, typischerweise durch ihre genaue Bezeichnung und die Angabe des Abschlussdatums individualisierte Tarifverträge, die regelmäßig nur in zeitlicher Hinsicht dynamisch zu verstehen ist, sich also auch auf die späteren Nachfolgetarifverträge der jeweils individuell in Bezug genommenen Tarifverträge bezieht. Die vorliegend zu beurteilende Klausel in Ziffer 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Parteien enthält keine Individualisierung eines oder mehrerer bestimmter Tarifverträge. Es wird weder die offizielle Bezeichnung eines bestimmten Mantel- und/oder Lohntarifvertrages wiedergegeben noch durch Benennung der Abschlussdaten der Tarifverträge die gewollte Beschränkung auf ganz bestimmte Tarifwerke verdeutlicht. Aus der Formulierung "Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe" geht nicht einmal hervor, ob sich die Bezugnahme auf bundesweit gültige oder regionale Tarifverträge bezieht.

b. Auf der anderen Seite handelt es sich bei der in Ziffer 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Parteien enthaltenen Bezugnahmeklausel aber auch nicht uneingeschränkt um eine so genannte große dynamische Verweisung im Sinne einer generellen Bezugnahme auf den jeweils für den Betrieb geltenden Tarifvertrag (vgl. BAG vom 29.08.2007, 4 AZR 767/07, Leitsatz 1). Bezugspunkt der Verweisungsklausel in Ziffer 2 Satz 2 Arbeitsvertrag ist gerade nicht ausschließlich der Betrieb, in dem sich das Arbeitsverhältnis abspielen soll, sondern auch die Branche. Gelten sollen nämlich Tarifverträge "für das Bewachungsgewerbe". Anders als bei der klassischen so genannten großen dynamischen Verweisung wäre somit der Fall eines Branchenwechsels des Betriebes vom Wortlaut in Ziffer 2 Satz 2 des Arbeitsvertrages der Parteien nicht ohne weiteres erfasst.

c. Anders als in der Entscheidung des BAG vom 29.08.2007 (4 AZR 767/06) geht es im vorliegenden Fall aber auch gar nicht um einen Branchenwechsel. Ebenso wenig ist die vorliegende Fallproblematik mit dem Sachverhalt vergleichbar, der der Entscheidung des BAG vom 18.04.2007 (4 AZR 652/05) zugrundelag; denn es geht auch nicht darum, dass sich vorliegend die Beklagte als Arbeitgeberin durch Verbandsaustritt der Anwendung von Tarifverträgen hätte entziehen wollen.

d. Anders als in den beiden zuvor zitierten Fällen des BAG beruht die Problematik des vorliegenden Falles nicht auf einer Änderung der Verhältnisse beim jeweiligen Arbeitgeber (Branchenwechsel, Verbandsaustritt), sondern ausschließlich darauf, dass die Tarifvertragsparteien ihr vertragliches Regelungswerk innerhalb ein und derselben Branche durch Abschluss neuer Spezialtarifverträge weiter ausdifferenziert haben. Es entspricht dem Willen der- selben Tarifvertragsparteien, die auch den Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005 sowie dessen Vorgängertarifvertrag abgeschlossen haben, dass in der Zeit ab 01.09.2005 innerhalb der Branche des Wach- und Sicherheitsgewerbes für diejenigen Arbeitgeberunternehmen, die an Verkehrsflughäfen in der Bundesrepublik Deutschland Sicherheitsmaßnahmen nach den §§ 5, 8 und 9 LuftSiG durchführen, und für diejenigen Arbeitnehmer, die im Rahmen dieser Spezialaufgaben als Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen tätig sind, nunmehr bundeseinheitliche Spezialregelungen gelten sollen. Ab dem von den Tarifvertragsparteien in ihrem Überleitungstarifvertrag vom 21.09.2005 vorgesehenen Zeitpunkt des Inkrafttretens der Spezialtarifverträge handelt es sich bei diesen, also insbesondere bei dem Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen, um den im speziellen Einsatzbereich der Klägerin "jeweils gültigen" Tarifvertrag innerhalb des Bewachungsgewerbes in der Regelungsfunktion mantel- und entgeltrahmentarifvertraglicher Regelungen.

e. Es ist keinerlei Anhaltspunkt dafür erkennbar, dass die Arbeitsvertragsparteien, wenn sie bei Abschluss des Arbeitsvertrages die spätere brancheninterne Entwicklung der tarifvertraglichen Regelungen gekannt hätten, entgegen dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht auf die nunmehr für die Art des Arbeitsverhältnisses allein einschlägigen brancheninternen tarifvertraglichen Regelungen hätten abstellen wollen, sondern auf Tarifwerke, die für Sicherheitskräfte an Flughäfen nicht mehr relevant sein sollten.

f. Im Überleitungstarifvertrag vom 21.09.2005 haben die Tarifvertragsparteien geregelt, dass die neuen bundesweit einheitlichen Regelungen für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen dann "ausschließlich" und "uneingeschränkt" Anwendung finden sollen, sobald die am 21.09.2005 noch in Kraft befindlichen länderbezogenen manteltarif- und entgelttarifvertraglichen Regelungen beendet werden. Der am 21.09.2005 in Kraft befindliche Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen ist zum 31.12.2005 beendet worden. Nachfolgetarifvertrag dieses Manteltarifvertrages für alle als Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen eingesetzten Mitarbeiter der Beklagten wurde ab 01.01.2006 somit nicht der "neue" Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005, sondern der Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen vom 21.09.2005. Entsprechendes gilt für die Lohn- bzw. Entgelttarifverträge.

g. Soweit somit per 01.01.2006 der Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen an die Stelle des bis dahin gültigen Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre 2000 getreten ist, handelt es sich somit bei dem ERTV nunmehr um den für das Arbeitsverhältnis der Klägerin "jeweils gültigen" "Manteltarifvertrag" innerhalb des Bewachungsgewerbes.

2. Die Klägerin kann sich auf die für sie günstigen Regelungen des MTV NRW 2005 auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Günstigkeitsprinzips berufen.

a. Zwar findet das Günstigkeitsprinzip nach der Entscheidung des BAG vom 29.08.2007 (4 AZR 767/06) dann Anwendung, wenn auf ein Arbeitsverhältnis nebeneinander zwei unterschiedliche Tarifverträge Anwendung finden, nämlich der eine kraft Allgemeinverbindlichkeit, der andere kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme. Der Entscheidung des BAG vom 29.08.2007 lag der außergewöhnliche Sachverhalt zugrunde, dass auf das dort zu beurteilende Arbeitsverhältnis kraft einer so genannten kleinen dynamischen Verweisung ein bestimmtes Tarifvertragswerk einer bestimmten Branche Anwendung fand, der Betrieb, in dem die Arbeitnehmerin tätig war, später aber aufgrund eines Betriebsübergangs nach § 613 a BGB in eine andere Branche übergeführt wurde, in welcher allgemeinverbindliche Tarifverträge existierten.

b. Die Fallkonstellation eines Branchenwechsels ist vorliegend nicht gegeben. Der Bundesentgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen wurde von denselben Tarifvertragsparteien in derselben Branche abgeschlossen wie der Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Land Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005. Der ERTV für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen verdrängt nach Maßgabe des § 2 Überleitungstarifvertrag als speziellerer Tarifvertrag den MTV NRW für das Wach- und Sicherheitsgewerbe. Der Bundes-ERTV vom 21.09.2005 soll nach dem Willen der Tarifvertragsparteien nach Beendigung des länderbezogenen MTV, hier des MTV NRW 2000, "ausschließlich" und "uneingeschränkt" gelten. Der fachliche und persönliche Geltungsbereich des MTV NRW wird durch den fachlichen und persönlichen Geltungsbereich des Bundes-ERTV in Verbindung mit § 2 Überleitungstarifvertrag entsprechend eingeschränkt.

Mit anderen Worten: Nach dem Willen der Tarifvertragsparteien gelten nach Beendigung des jeweiligen am 21.09.2005 geltenden regionalen Manteltarifvertrags für alle Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen, die in Wach- und Sicherheitsunternehmen beschäftigt sind, die an Verkehrsflughäfen Sicherheitsmaßnahmen nach den § 5, 8 und 9 LuftSiG verrichten, nur noch die Regeln des ERTV. Wäre also die Klägerin als Gewerkschaftsmitglied unmittelbar tarifgebunden, gälte diese Rechtslage auch für sie. Darüber besteht, soweit ersichtlich, auch zwischen den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits keine Meinungsverschiedenheit.

c. Durch die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des MTV NRW vom 08.12.2005 wird dessen fachlicher und persönlicher Geltungsbereich aber nicht über den Willen der Tarifvertragsparteien hinaus bzw. abweichend von diesem erweitert. Die Allgemeinverbindlichkeitserklärung ersetzt lediglich eine fehlende Tarifbindung, führt aber nicht dazu, dass auf das Arbeitsverhältnis eines nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers ein Tarifvertrag Anwendung findet, der selbst dann nicht Anwendung finden würde, wenn der fragliche Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied wäre. Ein solches Ergebnis wäre von seinen praktischen Folgen her auch widersinnig und durch den Sinn und Zweck einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung nicht gedeckt.

3. Zu ergänzen bleibt schließlich noch, dass ein Anspruch der Klägerin auf zwei Tage bezahlten Sonderurlaubes anlässlich ihrer Eheschließung im Juni 2007 auch in dem Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Nordrhein-Westfalen vom 08.12.2005 nicht vorgesehen ist. Auch dies hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

III. Die Berufung der Klägerin konnte somit insgesamt keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG war nach Auffassung der Berufungskammer im vorliegenden Fall die Revision zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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