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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 11.07.2007
Aktenzeichen: 7 Sa 349/07
Rechtsgebiete: BGB, KSchG
Vorschriften:
BGB § 242 | |
BGB § 626 | |
KSchG § 1 |
2.) Hat der Arbeitgeber in der Vergangenheit durch diverse Maßnahmen am Arbeitsplatz versucht, den gesundheitlichen Problemen des Arbeitnehmers Rechnung zu tragen und dabei die extrem hohen Fehlzeiten überdurchschnittlich lange hingenommen, so ist ihm dies im Rahmen der Interessenabwägung zugute zu halten. Keineswegs kann aus einem solchen Verhalten eine Verwirkung des Rechts zur krankheitsbedingten Kündigung abgeleitet werden.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 18.01.2007 in Sachen 8 (12) Ca 9353/05 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist.
Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 8. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, den Kündigungsschutzantrag abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 18.01.2007 Bezug genommen.
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde dem Kläger am 27.02.2007 zugestellt. Der Kläger hat hiergegen am 22.03.2007 Berufung einlegen und diese am 25.04.2007 begründen lassen.
Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis durch die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung vom 22.09.2005 nicht aufgelöst worden sei. Der Kläger macht geltend, das Arbeitsgericht habe sich zu Unrecht nicht mit dem Argument auseinandergesetzt, dass der Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung seitens des beklagten Landes im September 2005 gemäß § 242 BGB bereits verwirkt gewesen sei.
Des weiteren meint der Kläger, es widerlege die negative Gesundheitsprognose, dass er in der Zeit vom 02.01.2006 bis zum 15.02.2007 in der Lage gewesen sei, eine Teilzeitbeschäftigung als Garderobier für die Firma I. . S GmbH durchzuführen, die lediglich aus betriebsbedingten Gründen beendet worden sei.
Des weiteren habe er, der Kläger, durch seine behandelnden Ärzte erstinstanzlich Beweis dafür angeboten, dass er bei richtiger Medikamentierung auch zukünftig arbeiten könne. Gerade bei Schmerzpatienten sei es so, dass diese oftmals erst nach jahrelanger Behandlung durch spezialisierte Ärzte so eingestellt seien, dass sie schmerzfrei seien und ohne Beeinträchtigungen am täglichen Leben und Arbeiten teilnehmen könnten.
Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts falle schließlich auch die Interessenabwägung nicht zu seinen Ungunsten aus.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt nunmehr,
das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 18.01.2007, Az.: 8 (12) Ca 9353/05, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22.09.2005 aufgelöst worden ist, sondern unverändert fortbesteht.
Das beklagte Land als Berufungsbeklagter beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Das beklagte Land verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und führt im Einzelnen aus, warum es die Berufungsangriffe des Klägers für unbeachtlich hält.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat der Kläger auf Befragen mitgeteilt, dass ihm die BfA mittlerweile die entsprechenden Formulare übermittelt habe, um die Verlängerung der ihm zugebilligten Erwerbsminderungsrente zu beantragen, wovon er nach derzeitigem Sachstand auch Gebrauch machen wolle.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet:
II. Die Berufung des Klägers gegen das arbeitsgerichtliche Urteil vom 18.01.2007 konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung, die das beklagte Land am 22.09.2005 unter Einhaltung einer längst möglichen Kündigungsfrist als sozialer Auslauffrist bis zum 31.03.2006 ausgesprochen hat, rechtswirksam ist, und das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgelöst hat. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung auch ausführlich, sorgfältig und sachangemessen begründet. Das Berufungsgericht kann an die Ausführungen in den arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründen anknüpfen.
Ergänzend und zusammenfassend ist aus der Sicht der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zu der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts das Folgende auszuführen:
1. Das beklagte Land als Arbeitgeber des Klägers musste im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung vom 22.09.2005 von einer negativen Gesundheitsprognose ausgehen. Es musste damit rechnen, dass der Kläger auch in Zukunft seine arbeitsvertraglich geschuldeten Leistungen nicht mehr oder jedenfalls nicht in einem nennenswerten Umfang würde erbringen können.
a. Die negative Gesundheitsprognose musste das beklagte Land aus den Verhältnissen in der Vergangenheit entnehmen. So hatte der Kläger im Jahre 2004 an 227 Arbeitstagen und im Jahre 2005 bis zum Monat August einschließlich an 177 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Zuvor hatte der Kläger bereits in den Jahren 1998, 2001 und 2002 an weit mehr als der Hälfte aller Sollarbeitstage aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit seine Arbeitsleistung nicht erbringen können. Im Jahre 1999 lag die Fehlzeitenquote nur geringfügig unter 50 % der Sollarbeitstage, in den Jahren 2000 und 2003 immer noch bei ca. einem Drittel.
b. Darüber hinaus musste das beklagte Land zur Kenntnis nehmen, dass der Kläger im Sommer 2005 einen Wiedereingliederungsversuch nach dem sogenannten Hamburger Modell ergebnislos abbrechen musste.
c. Sodann wurde ihm ab 01.09.2005 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung zugebilligt. Die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen auf unbestimmte Zeit in einem beliebigen Arbeitsverhältnis des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht mehr als 3 Stunden pro Tag arbeiten kann.
d. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitigen Kündigung am 22.09.2005 bestand somit für die Annahme, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers in einem absehbaren Zeitraum soweit bessern könnte, dass zukünftig mit geringeren krankheitsbedingten Ausfallzeiten zu rechnen wäre, kein objektiver Anhaltspunkt.
e. Das Argument des Klägers, dass es bei Schmerzpatienten oft jahrelang dauern könne, bis eine Medikamentierung gefunden sei, die es dem Patienten ermögliche, wieder schmerzfrei und ohne Beeinträchtigungen am täglichen Leben und Arbeiten teilnehmen zu können, vermag am objektiven Gehalt der negativen Gesundheitsprognose nichts zu ändern. Der Kläger hat gerade nicht dargelegt, nicht einmal explizit behauptet, dass bei ihm im Zeitpunkt des Ausspruchs der streitigen Kündigung diese optimale Medikation gefunden worden sei. Er hat auch keine Tatsachen dafür dargelegt, dass und warum aus der Sicht des Kündigungszeitpunkts in absehbarer Zeit mit dem Eintritt eines solchen Zustandes optimaler Medikation hätte gerechnet werden können. Auch und nicht zuletzt der Umstand, dass dem Kläger kurz vor Ausspruch der hier streitigen Kündigung gerade erst eine volle Erwerbsminderungsrente zugesprochen wurde, spricht gegen das Argument des Klägers.
f. Ebensowenig spricht der Umstand, dass der Kläger vom 02.01.2006 bis 15.02.2007 als Teilzeitkraft mit 10 Wochenstunden für eine andere Firma als Garderobier hatte arbeiten können, gegen eine negative Gesundheitsprognose im Arbeitsverhältnis zum beklagten Land.
aa. Zunächst sind für die Beurteilung der Wirksamkeit der streitigen Kündigung vom 22.09.2005 die Verhältnisse im Zeitpunkt ihres Ausspruchs maßgeblich. Der Kläger hat seine Teilzeittätigkeit für die Firma I. . S GmbH erst geraume Zeit nach Ausspruch dieser Kündigung aufgenommen.
bb. Zwar hat das BAG bei der krankheitsbedingten Kündigung anerkannt, dass bis zu einem gewissen Grade auch die Entwicklung der Verhältnisse nach Ausspruch der streitigen Kündigung zur Bestätigung oder Widerlegung einer der Kündigung zugrunde liegenden Gesundheitsprognose herangezogen werden können. Auch dies hilft dem Kläger jedoch nicht weiter. Der Umstand, dass der Kläger in geringem wöchentlichem Arbeitszeitumfang für eine Privatfirma als Garderobier arbeiten konnte, besagt nichts darüber, dass er auch wieder in der Lage gewesen wäre, für das beklagte Land eine Vollzeittätigkeit als Telefonist auszuüben. Die Tätigkeit des Klägers als Garderobier für die Firma I. S GmbH war vielmehr - abgesehen von ihrem anderen Arbeitsinhalt - von der zeitlichen Intensität her so geringfügig, dass sie nicht einmal die fortbestehende Annahme einer vollen Erwerbsminderung des Klägers in Frage stellte, derentwegen dem Kläger ab dem 01.09.2005 die Rente zugebilligt worden war.
g. Im Gegenteil lassen sich der Entwicklung der Verhältnisse nach Ausspruch der streitigen Kündigung sogar Anhaltspunkte entnehmen, die die negative Gesundheitsprognose ausdrücklich bestätigen; denn die dem Kläger zunächst bis 31.12.2006 bewilligte volle Erwerbsminderungsrente wurde ihm im Laufe des Jahres 2006 für den Zeitraum bis zum 31.12.2007 verlängert, und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht stand ein erneuter Verlängerungsantrag bevor, was dafür spricht, dass auch der Kläger selbst noch Mitte 2007 davon ausging, dass sich an seinem Zustande der vollen Erwerbsminderung über den 31.12.2007 hinaus nichts ändern werde.
2. Die Ansicht des Klägers, das beklagte Land könne am 22.09.2005 seine Berechtigung zum Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung nach Treu und Glauben bereits verwirkt gehabt haben, erscheint fernliegend.
a. Das beklagte Land weist zu Recht darauf hin, dass es für die Annahme einer Verwirkung bereits am sogenannten Umstandsmoment fehlt. Aus welchem Verhalten des beklagten Landes der Kläger hätte schließen können, dass das beklagte Land keine krankheitsbedingte Kündigung mehr - bis zum Eintritt in die Altersrente ? -in Erwägung ziehen würde, sagt der Kläger selbst nicht.
b. Der Kläger selbst behauptet auch nicht etwa, dass das beklagte Land in der Vergangenheit die exorbitant häufigen und umfangreichen krankheitsbedingten Fehlzeiten kommentarlos ignoriert hätte. Im Gegenteil hat das beklagte Land in Anbetracht des stark angegriffenen Gesundheitszustandes des Klägers zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um ihm trotz seiner schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme einen Arbeitsplatz möglichst zu erhalten. Zu nennen sind hier beispielhaft die Versetzung des Klägers auf eine Position als Telefonist im Jahre 1997 und die Wiedereingliederungsversuche im Jahre 2005. Es kann dem beklagten Land jetzt nicht zum Nachteil gereichen, wenn es in der Vergangenheit seine Fürsorgepflicht gegenüber dem Kläger besonders ernst genommen und die Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses durch die extrem hohen Fehlzeiten des Klägers in der Hoffnung, dass sich im Gesundheitszustand des Klägers doch noch eine nachhaltige Besserung einstellen könnte, überdurchschnittlich lange hingenommen hat.
3. Kann der Arbeitgeber auf Dauer keine oder jedenfalls keine nennenswerten Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers nach Maßgabe des Arbeitsvertragsverhältnisses mehr erwarten, so ist die Annahme, dass durch die Ausfallzeiten des Klägers auf Seiten des Arbeitgebers betriebliche Störungen auftreten, indiziert. Ein Arbeitsplatz, der vom Arbeitnehmer nicht oder in nicht mehr nennenswertem Umfang ausgefüllt werden kann, wäre überflüssig, wenn der Ausfall des Arbeitnehmers nicht zu entsprechenden betrieblichen Beeinträchtigungen führte.
4. Schließlich ist auch die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden.
a. Das Arbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, dass auch ein Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst einen grundsätzlich auf den Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichtetes Vertragsverhältnis darstellt. Ist aufgrund personenbedingter Umstände in der Sphäre des Arbeitnehmers das Austauschverhältnis derart gestört, dass der Arbeitgeber keine oder praktisch keine nennenswerte Gegenleistung in Form einer Arbeitsleistung mehr erwarten kann, so kann die Interessenabwägung nur in besonders gelagerten, extremen Ausnahmefällen zugunsten des Arbeitnehmers ausschlagen.
b. Dabei wird nicht die Bedeutung verkannt, die die Aufrechterhaltung des sozialen Besitzstandes aus einem langjährigen Arbeitsverhältnis gerade für den in seiner Gesundheit nachhaltig beeinträchtigten Arbeitnehmer darstellt. Auch diese Bedeutung wird aber bereits dadurch relativiert, dass das Arbeitsverhältnis in den letzten Jahren immer mehr zu einer leeren Hülle geworden ist. Zu beachten ist dabei, dass das Arbeitsverhältnis nicht erst in den letzten Jahren aufgrund der personenbedingten Umstände aus der Sphäre des Klägers nachhaltig gestört ist. Wie bereits mehrfach zur Sprache gekommen, hatte der Kläger seit dem Jahre 1998 durchgehend exorbitant hohe Ausfallzeiten bis hin zu dauerhaftem Fehlen ab dem Jahre 2004 zu verzeichnen. Aber auch in den Jahren vor 1998 gab es bereits gesundheitliche Beeinträchtigungen, wie die aus gesundheitlichen Gründen erfolgte Versetzungsmaßnahme im Jahre 1997 zeigt.
c. Insoweit ist dem beklagten Land auch im Rahmen der Interessenabwägung ausdrücklich zu Gute zu halten, dass es die Störungen der Arbeitsvertragsparität über einen so langen Zeitraum hin toleriert hat. Dabei hat es z. B. im Zeitraum zwischen dem 01.01.2002 und dem 08.08.2005 ca. 60.000,00 € an Bruttolohnfortzahlungskosten aufgewandt. Alles dies führt zu dem Ergebnis, dass ein Festhalten an dem Arbeitsverhältnis mit dem schon im Zeitpunkt der Kündigung in vollem Umfang erwerbsgeminderten Kläger jetzt nicht mehr länger zumutbar ist. Das Arbeitsverhältnis hatte zuletzt einen Zustand erreicht, der nach der einschlägigen Diktion des BAG nur noch als "sinnentleert" bezeichnet werden konnte (vgl. zuletzt BAG vom 12.1.2006, 2 AZR 242/05).
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist im vorliegenden Einzelfall nicht gegeben.
Ende der Entscheidung
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