Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 17.08.2005
Aktenzeichen: 7 Sa 520/05
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2
KSchG § 1 Abs. 3
1. Das Lebensalter hat als soziales Auswahlkriterium i. S. v. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ambivalente Bedeutung: Es erhöht die soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, soweit es seine Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt beeinträchtigt, verliert jedoch wiederum an Gewicht, je mehr es sich dem Renteneintrittsalter annähert.

2. Es ist nicht zu beanstanden, wenn der Arbeitgeber davon ausgeht, dass einer 61 Jahre alten - seit 40 Jahren beschäftigten - ledigen Arbeitnehmerin eine betriebsbedingte Versetzung von Köln nach Frankfurt/Main eher zuzumuten ist als einer 45 Jahre alten - seit 22 Jahren beschäftigten - Mutter zweier schulpflichtigen Kinder, die mit ihrer Arbeit wesentlich zum Familieneinkommen beiträgt.


Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 11.11.2004 in Sachen 8 Ca 11942/03 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand: Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung. Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, den erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträgen und wegen der Gründe, die die 8. Kammer des Arbeitsgerichts Köln dazu bewogen haben, die Klage abzuweisen, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 11.11.2004 Bezug genommen. Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde der Klägerin am 17.03.2005 zugestellt. Sie hat hiergegen am Montag, dem 18.04.2005 Berufung einlegen und diese - nach Verlängerung der Frist bis zum 17.06.2005 - am 07.06.2005 begründen lassen. Die Klägerin wiederholt ihre Ansicht, dass die seinerzeit am Standort K verbleibende Sekretariatsstelle im Wege der Sozialauswahl ihr zugestanden hätte. Dies folge daraus, dass sie erheblich älter sei und über eine wesentlich längere Betriebszugehörigkeit verfüge, als die von der Beklagten bevorzugte Mitarbeiterin D . Die Frage der Unterhaltsverpflichtung spiele in dieser Hinsicht nur eine nachgeordnete Rolle. Auch bestreitet die Klägerin, dass die Mitarbeiterin D aufgrund einer Arbeitslosigkeit ihres Mannes zum Zeitpunkt der Kündigung Alleinverdienerin gewesen sei. Schließlich weist sie darauf hin, dass für sie der vorzeitige Eintritt in den Ruhestand zu erheblichen finanziellen Einbußen geführt habe, deren Höhe sie mit cirka 200,- bis 250,- € monatlich angibt. Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln (8 Ca 11942/03) aufzuheben und festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 25.09.2003, zugestellt am 29.09.2003, sozial ungerechtfertigt ist. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Die Beklagte verteidigt die arbeitsgerichtlichen Entscheidungsgründe und vertritt die Auffassung, dass die Meinung der Klägerin, wonach die Frage der Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den Kriterien des Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit bei der Sozialauswahl nur eine untergeordnete Rolle spiele, gesetzwidrig sei. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat die Beklagte am Standort K keine Niederlassung mehr betrieben und ist mittlerweile auch die Mitarbeiterin D am Standort F beschäftigt. Entscheidungsgründe: I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft und wurde im Rahmen der in § 66 Abs. 1 vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet. II. Die Berufung der Klägerin konnte jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die seitens der Beklagten gegenüber der Klägerin ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung vom 25.09.2003 weder gemäß § 1 Abs. 2 KSchG noch gemäß § 1 Abs. 3 KSchG sozial ungerechtfertigt ist und somit das Arbeitsverhältnis der Parteien rechtswirksam zum 30.04.2004 aufgelöst hat. Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung umfassend, überzeugend und lebensnah begründet. Die Ausführungen des Arbeitsgerichts stehen in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Das Berufungsgericht kann daher an die Entscheidungsgründe des angegriffenen arbeitsgerichtlichen Urteils anknüpfen und sich aus der Sicht der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz zusammenfassend und ergänzend auf das Folgende beschränken: 1. Für die Beurteilung der streitigen Kündigung ist maßgeblich auf die Verhältnisse im Zeitpunkt ihres Ausspruchs am 29.09.2003 abzustellen. Zum damaligen Zeitpunkt war aufgrund der von der Beklagten durchgeführten Umstrukturierung unstreitig in der Niederlassung K nur noch eine einzige Sekretariatsstelle übrig geblieben. Für diese Stelle kamen nach ihrer bisherigen Tätigkeit und ihren arbeitsvertraglichen Vereinbarungen sowohl die Klägerin als auch die Kollegin D in Betracht. Zwischen beiden hatte somit eine Sozialauswahl stattzufinden. 2. Andererseits stand jedoch, wie das Arbeitsgericht richtig beachtet hat, am Standort F eine freie Sekretariatsstelle zur Verfügung, die für die Klägerin - oder auch für die Mitarbeiterin D - geeignet war. Diese wurde seitens der Beklagten auch der Klägerin angeboten. Die Klägerin hätte somit die Möglichkeit gehabt, das Arbeitsverhältnis ungeachtet der von der Beklagten durchgeführten Umstrukturierung ihres Unternehmens über den 30.04.2004 hinaus fortzusetzen, hätte dabei aber einen Wechsel an den Betriebsstandort F in Kauf nehmen müssen. 3. Diese Umstände waren bei der Durchführung der Sozialauswahl zwischen der Klägerin einerseits, der Mitarbeiterin D andererseits zu beachten. Bei der Durchführung der Sozialauswahl zwischen der Klägerin und der Mitarbeiterin D ging es demnach präzise um die Fragestellung, welche der beiden Arbeitnehmerinnen ihren Arbeitsplatz im K Betrieb der Beklagten behalten kann und welche von ihnen, um überhaupt ihren Arbeitsplatz zu behalten, einen Wechsel nach F in Kauf nehmen muss. 4. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass § 1 Abs. 3 KSchG dem Arbeitgeber bei der Durchführung der Sozialauswahl einen Beurteilungsspielraum einräumt. Bei der Überprüfung der Sozialauswahl durch die Arbeitsgerichte geht es nicht darum, welche Auswahl das Gericht selbst vorgenommen hätte, wenn es an Arbeitgeberstelle gestanden hätte, sondern darum, ob der Arbeitgeber bei der Auswahlentscheidung, die er tatsächlich getroffen hat, die einschlägigen sozialen Kriterien ausreichend berücksichtigt hat. Wie das Arbeitsgericht so hält auch das Berufungsgericht im vorliegenden Fall die von der Beklagten getroffene Auswahlentscheidung zwischen der Klägerin und der Mitarbeiterin D , bezogen auf den Sekretariatsarbeitsplatz in K , für mindestens ohne weiteres gut vertretbar. a. Dem steht nicht entgegen, dass nach der Punktetabelle, die der Interessenausgleich vom 11.04.2003 vorsieht, die Klägerin 125 Punkte, die Mitarbeiterin D hingegen nur 92 Punkte aufwies. Eine Punktetabelle kann bei der Beurteilung eines komplexen Lebenssachverhaltes wie einer sozialen Auswahlentscheidung nur Kriterien für eine grobe Vorauswahl bieten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat nach jeder anhand eines abstrakten Punkteschemas getroffenen Vorauswahl stets noch eine abschließende Gesamtabwägung stattzufinden, in die auch besondere Aspekte des Einzelfalls einfließen können (BAG NZA 2003, 791 ff.; BAG NZA 1990, 729; BAG BB 1983, 1665; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 387). Dementsprechend sieht auch der Interessenausgleich vom 11.04.2003 in § 2 Ziffer 3) ausdrücklich vor, dass nach der Anwendung der Punktetabelle noch eine endgültige Auswahl stattzufinden hat, bei der auch solche Gesichtspunkte einfließen, die in der Punktetabelle nicht angesprochen sind. b. Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin ist bei der Gewichtung der "klassischen" Auswahlkriterien keines a priori wichtiger oder weniger wichtig als die anderen. Dies gilt insbesondere auch für die Bedeutung der Betriebszugehörigkeit (BAG AP-Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; BAG NZA 2003, 791 ff.; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 368). c. Zweifellos spricht das Auswahlkriterium der Betriebszugehörigkeit vorliegend für die Klägerin; denn diese war im Zeitpunkt des Ausspruchs der hier zu beurteilenden Kündigung bereits seit 40 Jahren bei der Beklagten ununterbrochen beschäftigt. Die Bedeutung der sehr viel längeren Betriebszugehörigkeit der Klägerin im Vergleich zur Mitarbeiterin D wird aber ein Stück weit dadurch relativiert, dass auch die Mitarbeiterin D für sich betrachtet mit - im Zeitpunkt der Kündigung - 22 Jahren ebenfalls bereits auf eine sehr lange Betriebstreue verweisen kann. d. Aus ihrem deutlich höherem Lebensalter kann die Klägerin nichts Ausschlaggebendes für sich herleiten: Das Lebensalter hat als soziales Auswahlkriterium ambivalente Bedeutung (BAG EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 21; HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 372). Auch die im Zeitpunkt der Kündigung 45 Jahre alte Mitarbeiterin D hätte aufgrund ihres Lebensalters bereits mit erheblich verminderten Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt zu kämpfen (vgl. HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 372 f.). Je mehr sich das Lebensalter des Arbeitnehmers dagegen dem Renteneintrittsalter annähern, verringert sich dessen soziale Schutzbedürftigkeit wiederum (HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz. 373). Eine 61-jährige Arbeitnehmerin wie die Klägerin ist durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld und vorgezogener Altersrente existenziell abgesichert, auch wenn dabei finanzielle Nachteile entstehen. Im Vergleich dazu drohen jedoch einer 45-jährigen Arbeitnehmerin, die im Falle ihrer Entlassung auch mit dem Risiko einer Dauerarbeitslosigkeit konfrontiert ist, weitaus gravierendere Nachteile. e. Das Kriterium der Unterhaltspflichten spricht wiederum eindeutig zugunsten der Mitarbeiterin D . Dabei kann sogar dahingestellt bleiben, ob, was die Klägerin bestritten hat, im Zeitpunkt der Kündigung der Ehegatte der Kollegin D arbeitslos war. Jedenfalls ist das Arbeitseinkommen der Kollegin D dazu bestimmt, zum Unterhalt einer vierköpfigen Familie maßgeblich beizutragen. Die Klägerin hingegen muss nur ihren eigenen Unterhalt sicherstellen. f. In diesem Zusammenhang kommt nunmehr hinzu, dass es auch nach Überzeugung des Berufungsgerichts der Klägerin sehr viel eher zuzumuten war, auf einen Alternativarbeitsplatz in F /M zu wechseln. Das Arbeitsgericht hat hierzu ausführliche Erörterungen angestellt, denen zuzustimmen ist. Anders, als die Klägerin in der Berufung glauben machen will, beruhen die Überlegungen des Arbeitsgerichts z. B. zu der Wohnungssituation auch nicht auf bloßen Vermutungen, sondern auf allgemein geläufigen Erfahrungstatsachen. Schon allein der Umstand, dass die Klägerin bei der Wohnungssuche nur auf ihre eigenen Interessen zu achten hat, während die Kollegin Durchardt auch auf die Lebensumstände der übrigen Familienmitglieder Rücksicht zu nehmen hat, erleichterten die Situation für die Klägerin im Vergleich zur Mitarbeiterin D erheblich. Zu ergänzen ist noch, dass die mit einem Arbeitsplatzwechsel nach F sicherlich auch für die Klägerin verbundenen Unannehmlichkeiten für die Klägerin nur noch für einen überschaubaren, zeitlich begrenzten Zeitraum bis zum Erreichen des regulären Rentenalters angefallen wären. g. Als Fazit sind somit bei dem Kriterium der Betriebszugehörigkeit Vorteile für die Klägerin zu verzeichnen, die aber durch die höhere Schutzbedürftigkeit der Mitarbeiterin D im Hinblick auf die Gesichtspunkte der Unterhaltspflichten und näheren persönlichen familiären Lebensumstände mehr als ausgeglichen werden. Aus dem Kriterium des Lebensalters kann die Klägerin dagegen nichts für sich herleiten, da dieses Kriterium gleichzeitig für wie gegen die Schutzbedürftigkeit der Klägerin spricht. Wenn die Beklagte als Arbeitgeberin bei dieser Gesamtsituation die Entscheidung getroffen hat, den damals noch in K vorhandenen Arbeitsplatz im Sekretariat aus Gründen der Sozialauswahl der Mitarbeiterin D und nicht der Klägerin zuzuweisen, kann ihr nicht vorgeworfen werden, mit dieser Entscheidung soziale Kriterien nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. Die Berufung der Klägerin konnte demnach keinen Erfolg haben. III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 ZPO. Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Ende der Entscheidung

Zurück