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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 21.06.2002
Aktenzeichen: 7 Ta 59/02
Rechtsgebiete: ZPO, ArbGG


Vorschriften:

ZPO § 3
ArbGG § 12 Abs. 7
1) der sog. Weiterbeschäftigungsantrag ist nur dann - entsprechend der früheren Bezirksrechtsprechung - mit zwei Monatseinkommen zu bewerten, wenn er zwischen den Parteien erkennbar einen Streitpunkt von selbständiger Bedeutung bildet. Läuft er dagegen nur ohne konkrete, fallbezogene Begründung als Reflex zum Kündigungsschutzantrag mit, so erscheint eine Bewertung in Höhe nur eines Monatseinkommens angemessen und ausreichend.

2) Der Streitwert eines Vergleichs ist gleichbedeutend mit dem Wert der Streitpunkte, die durch die Vergleichsregelung rechtsgestaltend beigelegt werden, nicht dagegen mit dem Wert der Leistungen, die die eine Partei der anderen in dem Vergleich zusagt.

Daraus folgt:

a) Wird in einem Vergleich, der die Beendigung des Arbeitsverhältnisses feststellt, auch die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Erteilung der Arbeitspapiere und eines Zeugnisses aufgenommen, so begründet dies einen Vergleichsmehrwert nur dann, wenn über diese Punkte zuvor bereits zumindest außergerichtlich gestritten wurde oder der Arbeitgeber sich mit der Erfüllung dieser Verpflichtungen bereits im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses in Verzug befindet.

b) Entsprechendes gilt für die Frage, ob und inwieweit die Regelung der Verpflichtung zur Zahlung restlicher Vergütung einen Vergleichsmehrwert begründen kann.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN BESCHLUSS

Geschäftsnummer: 7 Ta 59/02

In dem Beschwerdeverfahren

Tenor:

Auf die Beschwerde der Bezirksrevision vom 22.01.2002 hin wird der Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 30.11.2001 in Sachen 7 Ca 10330/01 teilweise abgeändert und wie folgt neugefasst:

Der Streitwert für das Verfahren bis zum 30.10.2001 wird auf 7.222,88 € (13.126,72 DM) festgesetzt, für das weitere Verfahren ab diesem Zeitpunkt unter Hinzurechnung der Widerklage auf 8.465,32 € (16.556,72 DM) und für den Vergleich vom 30.11.2001 auf 11.533,07 € (22.556,72 DM).

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe:

Die statthafte Beschwerde ist teilweise begründet.

1. Der vom Arbeitsgericht festgesetzte Streitwert ist durchgehend um den Betrag in Höhe eines Monatslohnes (1.805,72 Euro = 3.531,68 DM) zu mindern. Das Beschwerdegericht bewertet den sog. Weiterbeschäftigungsantrag dabei nach pflichtgemäßem Ermessen anders als das Arbeitsgericht nicht mit zwei, sondern nur mit einem Bruttomonatseinkommen.

a. Das Beschwerdegericht hat die Entscheidung des Prozessgerichts in vollem Umfang nachzuprüfen, wobei an die Stelle des Ermessens erster Instanz dasjenige des Beschwerdegerichts tritt (Zöller/Herget, ZPO, 23. Auflage, § 3 Rdnr. 13).

b. Bei der Bewertung des sog. Weiterbeschäftigungsantrags folgt die 7. Kammer der neuesten Rechtsprechung der überwiegenden Mehrzahl aller Kammer des LAG Köln (z. B. 9 Ta 346/99 vom 27.03.2000; 2 Ta 78/00 vom 29.05.2000; 10 Ta 16/01 vom 27.03.2001; 2 Ta 78/02 vom 04.03.2002).

aa. Im Ausgangspunkt ist allerdings der Aussage des Arbeitsgerichts uneingeschränkt beizupflichten, wonach "die Kammern des LAG früher nicht weniger klug waren als heute". Damit darf den Kammern des LAG jedoch auch nicht für alle Zukunft die Möglichkeit genommen werden, "klüger zu werden", wenn veränderte Rahmenbedingungen eine Anpassung an die aktuellen Erfordernisse der Zeit bedingen. Das Festhalten an einer langjährig eingefahrenen Rechtspraxis dient zwar der Rechtssicherheit, stellt darüber hinaus aber keinen "Wert an sich" dar.

bb. Folgende Überlegungen haben das LAG zu einer Änderung seiner Rechtsprechung zur Bewertung des sog. Weiterbeschäftigungsantrags bewogen:

aaa. Der dem Weiterbeschäftigungsantrag zu Grunde liegende Weiterbeschäftigungsanspruch gehörte bekanntlich in seiner Anfangszeit zu den umstrittensten Streitfragen des Arbeitsrechts überhaupt. Dies bedeutete zum einen, dass in den arbeitsgerichtlichen Verfahren, in denen der Antrag gestellt wurde, regelmäßig heftig darüber gestritten wurde. Zum anderen wurde der Antrag regelmäßig nur dann gestellt, wenn der Arbeitnehmer glaubte, ein besonderes Beschäftigungsinteresse geltend machen zu können. Aus dieser Zeit stammt die Bewertung des Weiterbeschäftigungsantrags mit zwei Monatseinkommen.

bbb. Heutzutage zählt der Weiterbeschäftigungsanspruch im Anschluss an die Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 zu den in der Rechtsprechung und der arbeitsrechtlichen Literatur nahezu einhellig anerkannten Rechtsinstituten.

ccc. Zugleich ist die Beobachtung zu machen, dass der Weiterbeschäftigungsantrag vielfach nur routinemäßig - gewissermaßen wie ein Textbaustein - neben einem Kündigungsschutzantrag herläuft, ohne dass in dem gesamten Rechtsstreit auch nur ein Wort zur Begründung eines solchen Antrages oder zur Rechtsverteidigung gegen ihn verloren wird. Diese Fälle sind es, die das LAG in seiner aktuellen Rechtsprechung mit einem Streitwert von zwei Monatsgehältern als überbewertet ansieht. Insbesondere erscheint es in solchen Fällen, in denen keinerlei herausgehobenes Beschäftigungsinteresse des betroffenen Arbeitnehmers zum Ausdruck gebracht wird, unangemessen, den lediglich auf tatsächliche Beschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses gerichteten Antrag mit zwei Dritteln des Kündigungsschutzantrags selbst zu bewerten. In solchen Fällen erscheint vielmehr die Festsetzung eines Streitwerts in Höhe nur eines Monatseinkommens angemessen und ausreichend.

Auch der vorliegende Fall gehört in diese Kategorie.

cc. Immer dann, wenn dagegen in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls der Weiterbeschäftigungsantrag einen Streitpunkt von selbstständiger Bedeutung zwischen den Parteien bildet, mag es bei der bisherigen Bewertung mit zwei Monatseinkommen verbleiben.

2. Mit Erhebung der Widerklage erhöht sich der Verfahrensstreitwert rechnerisch um 1.242,44 Euro (2.430,00 DM) auf 8.465,32 Euro (16.556,72 DM).

3. Die Beschwerde der Bezirksrevision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Erhöhung des Streitwerts für den Vergleich vom 30.11.2001 um 3.067,75 Euro (6.000,00 DM) richtet. Insoweit folgt das Beschwerdegericht im Ergebnis der arbeitsgerichtlichen Festsetzung. In der Begründung vermag es dem Arbeitsgericht aber nur teilweise zu folgen.

a. Gegen die Berücksichtigung des in Ziffer 2 Abs. 1 des Vergleichs aufgenommenen Abzugsbetrags von 850,00 DM hat die Beschwerde keine Einwände erhoben. Das Beschwerdegericht tritt dem bei, wobei es unterstellt, dass mit dieser Vergleichsregelung ein außergerichtlicher Streitpunkt der Parteien geregelt werden konnte, auch wenn dies aus der Akte selbst nicht zweifelsfrei erkennbar ist.

b. Streitwerterhöhend wirkt sich ferner die Regelung in Ziffer 2 Abs. 4 über den Ausgleich für Mehrarbeit aus. Insoweit folgt das Beschwerdegericht den Ausführungen des Arbeitsgerichts in seinem Nichtabhilfebeschluss. Die Parteien haben bereits schriftsätzlich über einen Anspruch der Klägerin auf Abgeltung von 49 Überstunden gestritten. Im Zweifel wurde durch die Vergleichsregelung somit ein entsprechender zusätzlicher Rechtsstreit vermieden.

c. Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts und teilweise auch der Beschwerdeführerin kommt der gesamten Ziffer 3 des Vergleichs jedoch keine streitwerterhöhende Wirkung zu.

aa. Der Streitwert eines Vergleichs ist gleichbedeutend mit dem Wert der Streitpunkte, die durch die Vergleichsregelung rechtsgestaltend beigelegt werden, nicht dagegen mit dem Wert der Leistungen, die die eine Partei der anderen in dem Vergleich zusagt (LAG Köln 7 Ta 285/01 vom 29.01.2002; Wenzel, AR-Blattei ES 160.13 Nr. 199).

bb. Ziffer 3 des Vergleichs enthält nur eine Aufzählung von Abwicklungspflichten, die typischerweise mit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses einhergehen. Es ist nicht erkennbar, dass die Pflicht zur Erteilung der Arbeitspapiere oder eines qualifizierten Zeugnisses zwischen den Parteien in Streit stand.

cc. Auch ein besonderes Titulierungsinteresse der Klägerin ist nicht erkennbar. Ein solches setzte zumindest voraus, dass die Erteilung der Arbeits- papiere oder des Zeugnisses bereits Gegenstand einer außergerichtlichen Korrespondenz war, die Beklagte mit der Erfüllung ihrer Verpflichtungen bereits in Rückstand war oder sonst Anhaltspunkte dafür erkennbar waren, dass die Klägerin zur Durchsetzung ihrer Ansprüche im Zweifel auf eine Titulierung angewiesen seien würde. Nichts davon ist vorliegend zu bejahen.

d. Mit dem Arbeitsgericht geht das Beschwerdegericht aber davon aus, dass der in Ziffer 2 Abs. 1 enthaltenen Verpflichtung der Beklagten zur "vollständigen und ordnungsgemäßen Abwicklung" vorliegend - ausnahmsweise - eine eigene streitschlichtende und damit streitwerterhöhende Bedeutung zukommt. Das Beschwerdegericht versteht die Vergleichsregelung dabei so, dass damit die Verpflichtung der Beklagten zur Erfüllung auch der finanziellen Ansprüche der Klägerin verbunden ist. Sonst wäre z. B. die Klausel über den Abzug vom Novembernettogehalt nicht zu erklären.

aa. Im vorliegenden Fall haben die Parteien darüber gestritten, ob die Klägerin im Anschluss an ihren Erholungsurlaub unentschuldigt gefehlt hat oder ob ihr von vornherein ein verlängerter Urlaub gewährt worden war. Dieser Streit hat nicht nur Bedeutung für die Berechtigung der ausgesprochenen Kündigung, sondern unabhängig davon auch für die Frage, ob der Klägerin Ansprüche aus Annahmeverzug zustehen konnten. Wird etwa eine ordentliche, betriebsbedingte Kündigung in einem Vergleich bestätigt, verbunden mit der Formulierung, dass das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist "abzuwickeln" oder auch zu "erfüllen" ist, so kommt dieser Formulierung im allgemeinen nur ein deklaratorischer Charakter zu mit der Folge, dass sie sich nicht streitwerterhöhend auswirken kann (LAG Köln 7 Ta 285/01 vom 29.01.2002). Wird im vorliegenden Fall jedoch in Anbetracht der o.a. Streitkonstellation die fristlose Kündigung vergleichsweise in eine ordentliche umgewandelt, so stellt sich gleichwohl noch zusätzlich die Frage, ob und, falls ja, in welchem Umfang während der Kündigungsfrist finanzielle Ansprüche des Arbeitnehmers gegeben seien sollen. In solchen Fällen kommt der Regelung der finanziellen Ansprüche eine selbständige Bedeutung zu, die mit dem Streitwert für den bloßen Kündigungsschutzantrag nicht automatisch abgegolten ist.

bb. Da die Höhe der von der Beklagten noch zu erbringenden finanziellen Leistungen während der Kündigungsfrist in dem Vergleich selbst nicht abschließend beziffert ist, erscheint bei der Bestimmung des entsprechenden Vergleichsmehrwerts ein deutlicher Abschlag von der in Frage kommenden Gesamtsumme des noch zu zahlenden Entgelts angebracht. Die Ansetzung eines Mehrwertes von etwa zwei Dritteln dieser Summe erscheint jedoch vertretbar. Zieht man von dem vom Arbeitsgericht angesetzten Vergleichsmehrwert von insgesamt 3.067,75 Euro (6.000,00 DM) die beiden oben bereits anerkannten Mehrwertbeträge über 434,60 Euro (850,00 DM) und 529,82 Euro (1.036,24 DM) ab, so verbleibt ein Mehrwertrest von 2.103,33 Euro (4.113,76 DM). Dies entspricht in etwa zwei Drittel des von der Klägerin in der Zeit vom 08.10. bis 30.11.2001 erzielbaren Gesamtverdienstes.

Es kann somit bei dem vom Arbeitsgericht angesetzten Vergleichsmehrwert in Höhe von 3.067,75 Euro (6.000,00 DM) verbleiben.

4. Gegen diese Entscheidung ist eine weitere Beschwerde nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

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