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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 16.10.2002
Aktenzeichen: 8 Sa 684/02
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 37 Abs. 3 S. 3 2. Halbsatz
BGB § 242
BGB § 611
1. Einer Partei ist es nach § 242 BGB verwehrt, sich auf eine für die Gegenseite ungünstige Darlegungs- und Beweislage zu berufen, wenn sie die ungünstige Darlegungs- und Beweislast vorprozessual verursacht hat.

2. Voraussetzungen im Sinne von vorstehend zu 1. sind durch den Arbeitgeber gesetzt, soweit Betriebsratstätigkeiten eines Betriebsratsmitgliedes außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit durch vom Arbeitgeber veranlaßte Aufzeichnungen zu dokumentieren sind, ohne dass der Arbeitgeber zeitnah zum Anfall der Tätigkeit nähere Angaben zur Erforderlichkeit im Hinblick auf eine durchzuführende Plausibilitätskontrolle abverlangt.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES TEILURTEIL

Geschäftsnummer: 8 Sa 684/02

Verkündet am: 16.10.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 16.10.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Jüngst als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Janowsky und Bauer

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagen gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 09.04.2002 - wird zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

(abgekürzt gem. § 69 ArbGG)

Der Kläger ist Mitglied des bei der Beklagten gewählten Betriebsrats. Aufgrund einer Regelungsabrede zwischen dem Betriebsrat und der Betriebsleitung ist der Kläger zusätzlich zum Freistellungskontingent des Betriebsrats nach § 38 Abs. 1 BetrVG zur Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben von der beruflichen Tätigkeit freigestellt. Der Kläger verlangt für den Zeitraum 02.07. bis 05.08.2001 seinen Behauptungen zufolge angefallene 164,9 Überstunden an Betriebsratstätigkeit eine rechnerisch unstreitige Zahlung von der Beklagten in Höhe von 1.897,02 EUR.

Die vom Kläger behaupteten Zeiten sind in im Betrieb verwendeten sog. Time-Sheet-Zetteln aufgeführt. Der Kläger behauptet, dass den vergleichbaren Betriebsmitgliedern diese in deren sog. Time-Sheet-Zetteln aufgezeichneten Überstunden entlohnt habe, ohne dass seitens der Beklagten gegenüber diesen vergleichbaren Betriebsratsmitgliedern abverlangt worden sei, zur Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit irgendwelche Angaben zu machen. Zum Beweis seiner Behauptung bezieht sich der Kläger auf das Zeugnis der Arbeitnehmer H , P S und P .

Das Arbeitsgericht hat dem Kläger den geltend gemachten Zahlungsanspruch in Höhe von 1.897,02 EUR nebst 7,75 % Zinsen seit dem 30.10.2001 zuerkannt und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Beklagte müsse sich an das von ihr selbst festgelegte Verfahren der Zeiterfassung halten und dürfe den Kläger nicht anders behandeln als diejenigen Betriebsratsmitglieder, die originär gem. § 38 Abs. 1 BetrVG freigestellt seien. Dies gelte auch hinsichtlich der von der gesetzlichen Vorgabe des § 37 Abs. 3 BetrVG seitens der Beklagten diesen Arbeitgebern gegenüber praktizierten abweichenden Handhabung der Vergütung wie Mehrarbeit. Dies lasse nämlich die Schlussfolgerung zu, dass die Betriebspartner aus Gründen der Verfahrensvereinfachung davon ausgegangen seien, dass für die von der beruflichen Tätigkeit freigestellten Betriebsratsmitglieder im Hinblick auf den Umfang der Inanspruchnahme generell keine Möglichkeit zur Planung des von Gesetzes wegen vorrangigen Freizeitausgleichs bestanden habe. Dies müsse dann aber auch im Fall des Klägers gelten.

Gegen dieses der Beklagten am 13.06.2002 zugestellte Urteil erster Instanz hat die Beklagte am 28.06.2002 Berufung eingelegt und ihre Berufung am 26.07.2002 begründet.

Die Beklagte macht geltend, das Arbeitsgericht nehme unzutreffender Weise an, es habe bei der Beklagten ein Verfahren der Erfassung der Zeit der Betriebsratstätigkeit gegeben. In den sog. Time-Sheet-Zetteln werde lediglich aufgenommen, was der Kläger an Daten angebe.

In ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei klargestellt, dass einem Betriebsratsmitglied bezüglich der Wahrnehmung der Betriebsratstätigkeit die Darlegungslast insoweit obliege, dass es zumindest Angaben zur durchgeführten Tätigkeit machen müsse, die dem Arbeitgeber eine Plausibiliätskontrolle ermögliche, ob die aufgewandte Zeit für die Betriebsratstätigkeit tatsächlich erforderlich gewesen sei. Davon sei das Arbeitsgericht rechtsfehlerhaft abgewichen, in dem es für seine Beurteilung die pauschalen Stundenangaben des Klägers zugrunde gelegt habe.

Die Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts, dass die Beklagte zur Verfahrensvereinfachung den nach § 38 BetrVG freigestellten Betriebsratsmitgliedern Mehrarbeit statt des primär zu gewährenden Freizeitausgleichs vergüte, ersetze weder die Erforderlichkeit des vom Kläger zu leistenden Vortrags, noch sei sie zulässig, weil zirkelhaft, wenn von der vom Arbeitsgericht unterstellten Unmöglichkeit des Freizeitausgleichs nach § 37 Abs. 3 BetrVG auf die Entlastung von der Darlegungspflicht des Klägers für den Anfall von Überstunden geschlossen werde.

Die Beklagte sei nicht gehalten, Angaben zu anderen Betriebsratsmitgliedern auf den pauschalen Vortrag des Klägers in das Verfahren einzuführen, weil das Abrechnungsverhalten gegenüber einzelnen anderen Mitgliedern des Betriebsrats als dem Kläger für die Entscheidung des Falles unerheblich sei.

Der Kläger als Betriebsratsmitglied dürfe nicht besser gestellt werden als vergleichbare Arbeitnehmer. Daher könne die Bestimmung des § 37 Abs. 3 BetrVG auch aufgrund einer in der Vergangenheit großzügig gehandhabten Übung nicht außer Kraft gesetzt werden.

Die Beklagte habe zudem reagiert und den Betriebsratsmitgliedern in Entsprechung der Grundsätze der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts mit Schreiben vom 6. August 2002 die Verfahrensweise bei betriebsbedingter Mehrarbeit von Betriebsratsmitgliedern erläutert (Schreiben der Beklagten vom 6. August 2002, Kopie Bl. 88 d.A.).

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 09.04.2002 - 17 Ca 10463/01 abzuändern und die Klage im Umfang der Verurteilung abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil erster Instanz und macht weiterhin geltend, bezüglich der von ihm für den Zeitraum 02.07. bis 05.08.2001 angegebenen Zeiten der Betriebsratsarbeit den geltend gemachten Zahlungsanspruch von der Beklagten verlangen zu können, weil diese Art des Nachweises der Betriebsratsarbeit und der danach zu zahlenden Vergütung der seinerzeitigen betrieblichen Praxis gegenüber freigestellten Betriebsratsmitgliedern entsprochen habe.

Wegen des sonstigen Sach- und Streitstands wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten und die gewechselten Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 2 ArbGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Berufung setzt sich zudem mit der Begründung des Urteils erster Instanz im Einzelnen auseinander und erfüllt die Anforderung an ein ordnungsgemäß eingelegtes Rechtsmittel (§§ 66 ArbGG, 518, 519 ZPO).

Bezüglich der mit der Berufung der Beklagten geltend gemachten Ansprüche war der Rechtsstreit zur Entscheidung reif, ohne dass es weiterer Aufklärung bedarf, so dass hierüber durch Teilurteil zu entscheiden war (Zöller, Zivilprozessordnung, 22. Auflage, § 301 Rdnr. 9 c / § 524 Rdnr. 26).

II. In der Sache hat die Berufung der Beklagten keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat dem Klagebegehren des Klägers zur Zahlung einer Vergütung für außerhalb der Arbeitszeit geleistete Betriebsratstätigkeit des Klägers aus zutreffenden Erwägungen entsprochen und daher dem Kläger die rechnerisch unstreitige Forderung in Höhe von 1.897,02 EUR nebst der geltend gemachten Verzinsung zu Recht zuerkannt.

1. Der geltend gemachte Anspruch steht dem Kläger gemäß § 37 Abs. 3 S. 3, 2. Halbsatz i.V.m. § 611 BGB zu.

Dies ergibt sich aus den Umständen des Einzelfalles und unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben.

a. Die Berufung macht zutreffend geltend, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das beantragende Betriebsratsmitglied für die gesetzlichen Voraussetzungen des Vergütungsanspruchs nach § 37 Abs. 3 S. 3 2. Halbsatz grundsätzlich darlegungspflichtig ist und dass insoweit eine abgestufte Darlegungslast besteht.

Danach hat auf Verlangen des Arbeitgebers das Betriebsratsmitglied Angaben zur durchgeführten Betriebsratstätigkeit zu machen, um bezüglich der Erforderlichkeit der Betriebsratsarbeit eine Plausibilitätskontrolle des Arbeitgebers zu ermöglichen (BAG Urteil vom 15. März 1995 - 7 AZR 643/94 - EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 124).

b. Die Berufung weist auch zutreffend darauf hin, dass gemessen an diesem Erfordernis die Angaben des Klägers zur Ermöglichung einer sog. Plausibilitätskontrolle nicht hinreichend erscheinen.

Insbesondere vermag aus dem Aufzeichnen von Mehrarbeit in den sog. Time-Sheet-Zetteln die grundsätzlich von der Rechtsprechung verlangte Darlegung der Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit nicht gesehen zu werden, wenn man die sog. Time-Sheet-Zettel wie der Kläger als ein von der Beklagten geführtes Überstundenkonto ansehen wollte. Diese Urkunden dienen nämlich lediglich der Aufzeichnung von Zeiten, für die sich der Kläger von seinem Arbeitsplatz entfernt hat. Mit einer Aufnahme dieser Daten durch die Beklagte konnte schon deshalb die Erforderlichkeit der Betriebsratsarbeit nicht bescheinigt werden, weil dies nicht Gegenstand eigener Wahrnehmung bei der Aufnahme in ein Überstundenkonto gewesen sein kann.

c. Diese von der Beklagten in der Berufungsbegründung aufgezeigten Grundsätze sind allerdings nicht geeignet, den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auszuschließen.

aa. Die Beklagte hat nämlich gerade nicht vom Kläger verlangt, zeitnah zur Leistung der behaupteten Betriebsratstätigkeit deren Erforderlichkeit näher darzulegen, um eine sog. Plausibilitätskontrolle vorzunehmen. Im Gegenteil der Vortrag des Klägers angefallene Betriebsratstätigkeit außerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit und damit des Freistellungskontingents des Klägers sei wie bei ihm auch bei anderen freigestellten Betriebsratsmitgliedern stets lediglich in die sog. Time-Sheet-Zettel eingetragen und sodann entlohnt worden, ist unwidersprochen geblieben. Gerade durch die Einlassung in der Berufungsbegründung, die Beklagte sei nicht gehalten, Angaben zu anderen Betriebsratsmitgliedern auf den Vortrag des Klägers in das Verfahren einzuführen, weil das Abrechnungsverhalten gegenüber einzelnen anderen Mitgliedern des Betriebsrats als dem Kläger für die Entscheidung des Falles des Klägers unerheblich sei, ist ebenso wie der Hinweis auf eine großzügige Handhabung in der Vergangenheit gerade kein Bestreiten der substantiierten Behauptungen des Klägers, so dass der diesbezügliche Sachvortrag des Klägers als zugestanden zu bewerten ist.

bb. Aus denselben Gründen kommt auch der Ausführung der Berufungsbegründung keine weitere Bedeutung zu, dass die Berufungsbegründung rügt, die Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts bei der Beklagten werde freigestellten Betriebsratsmitgliedern Mehrarbeit statt des primär zu gewährenden Freizeitausgleichs vergütet, ersetze weder die Darlegungslast des Klägers zur Erforderlichkeit noch sei sie zulässig, weil zirkelhaft, wenn das Arbeitsgericht aus der unterstellen Unmöglichkeit des Freizeitausgleichs auf die Entlastung der Darlegungspflicht des Klägers schließe. Mit diesen Ausführungen wird gerade nicht die Schlussfolgerung des Arbeitsgerichts in Zweifel gezogen, dass aus der Handhabung der Vergangenheit gerade dies zu schließen sei, dass ein Freizeitausgleich bei der Beklagten nicht möglich war.

cc. Ist somit trotz dieser Einlassungen der Beklagten ableitbar, dass die Handhabung zur Entgeltung von in sog. Time-Sheet-Zettel ausgewiesener Mehrarbeit freigestellter Betriebsratsmitglieder bei der Beklagten so erfolgt ist wie vom Kläger behauptet, so muss der Beklagten verwehrt sein, sich nunmehr im Prozess darauf zurückzuziehen, der Kläger habe nunmehr zur Erforderlichkeit vorzutragen und Gesichtspunkte darzulegen, um eine Plausibilitätskontrolle zu ermöglichen.

Dies ergibt sich aus § 242 BGB. Die Vorschrift des § 242 BGB enthält nämlich ein Verbot widersprüchlichen Verhaltens, dass auch Auswirkungen auf den Zivilprozess haben kann (vgl. etwa BGH 21. Juni 2000 - IV ZR 157/99 - NGR 2000, 1247; 14.07.1967 - IV ZR 21/66 - NJW 1968, 794; 27. Septenber 1984 - IX ZR 53/83 - BGHZ 92, 194).

Damit kann es insbesondere einer Partei im Prozess verwehrt sein, sich auf eine für die Gegenseite ungünstige Darlegungs- und Beweislage zu berufen, wenn sie diese ungünstige Beweislage vorprozessual herbeigeführt hatte.

Genau dies ist durch die nach zugestandenem Vortrag des Klägers anzunehmende Handhabung in der Vergangenheit zur Entgeltung von Eintragungen in sog. Time-Sheet-Zetteln für Mehrarbeit freigestellter Betriebsratsmitglieder geschehen. Der Kläger wäre durch den zeitlichen Abstand zur Erbringung der Tätigkeit nach entsprechender Rüge erst im Prozess gar nicht in der Lage, seiner Darlegungslast angemessen zu entsprechen. Damit ist der Beklagten für die geltend gemachten Ansprüche des Rechtsstreits ein Berufen auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gem. § 242 BGB zu versagen.

Daran ändern nichts die nunmehr erfolgten Anweisungen im Schreiben der Beklagten vom 06.08.2002 betreffend die Verfahrensweise bei Mehrarbeit von Betriebsräten aufgrund Betriebsratstätigkeit (Bl. 88 d.A.). Diese erlaubte und verbindliche Anordnung der Beklagten vermag aus den dargestellten Gründen nicht für die Vergangenheit sondern nur für die Zukunft zu wirken.

d. Das Arbeitsgericht hat daher zu Recht den geltend gemachten Entlohungsanspruch dem Kläger zuerkannt.

2. Die Verzinsung der geltend gemachten Forderung ergibt sich aus § 288 BGB.

III. Die Kostenentscheidung des Rechtsstreits war dem Schlussurteil vorzubehalten.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen.

Der Streitgegenstand des Teilurteils berührt keine Ansprüche grundsätzlicher Bedeutung; das gefundene Ergebnis beruht insbesondere auf den Umständen des Einzelfalles.

Ende der Entscheidung

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