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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 16.10.2002
Aktenzeichen: 8 Sa 761/02
Rechtsgebiete: BGB, BAT, LPVG


Vorschriften:

BGB § 626
BAT § 54
BAT § 55
LPVG § 72 a Abs. 1
Kündigt der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles einem unkündbaren Arbeitnehmer ( hier wegen § 55 BAT ) unter Anwendung der Grundsätze des Bundesarbeitsgerichts zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs zur Kündigung vergleichbarer kündbarer Arbeitnehmer mit einer sog. sozialen Auslauffrist, die der längsten tariflichen Kündigungsfrist entspricht ( vgl. hierzu BAG vom 11.03.1999 - 2 AZR 427/99 - EzA BGB § 626 n. F., Nr. 122), so sind für das Mitbestimmungsverfahren vor Ausspruch der Kündigung die für ordentliche Kündigung einschlägigen Regelungen zu beachten ( vgl. BAG vom 18.10.2000 - 2 AZR 627/99 - DB 2001, 338,339; vom 15.11.2001 - 2 AZR 605/00 -EzA - SD Nr. 24, 5 - 6 ).

Kündigt daher der Arbeitgeber in derartigen Fällen nachdem er vor Ausspruch der Kündigung das für außerordentliche Kündigungen vorgesehene Verfahren durchgeführt hat, so erweist sich die Kündigung aus diesem Grunde regelmäßig als unwirksam.


LANDESARBEITSGERICHT KÖLN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftsnummer: 8 Sa 761/02

Verkündet am: 16.10.2002

In dem Rechtsstreit

hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 16.10.2002 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Jüngst als Vorsitzenden sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Janowsky und Bauer

für Recht erkannt:

Tenor:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.05.2002 - 9 Ca 805/02 - wird teilweise abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.02.2002 nicht beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu den Bedingungen der Änderungsvereinbarung vom 18.12.2001 weiter zu beschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 1/4, die Beklagte zu 3/4.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

(abgekürzt gemäß § 69 ArbGG)

Die Parteien streiten nach Rücknahme der weitergehenden Berufung durch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 16.10.2002 noch um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch Kündigung der Beklagten vom 07.02.2002, der Klägerin zugegangen am 08.02.2002.

Die Klägerin ist seit dem 01.07.1969 bei der Beklagten beschäftigt und war seit 1987 als erste Kassiererin eingesetzt.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der BAT sowie die diesen ändernden und ersetzenden Tarifverträge Anwendung.

Die Klägerin ist ordentlich nicht kündbar.

Aus Anlass streitiger Arbeitsvertragsverstöße der Klägerin vom 17.12.2001 unterzeichneten die Parteien eine Änderungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag der Klägerin unter dem 28.12.2001 aufgrund derer der Klägerin ihre Tätigkeit als erste Kassiererin entzogen wurde und sie nunmehr eingesetzt wurde in der Gruppe Folgebearbeitung Giroverkehr der Abteilung Kundenkonten in der Zentrale der Beklagten M .

Diese Änderungsvereinbarung ging gleichzeitig mit einer Rückgruppierung von Vergütungsgruppe BAT V b nach Vergütungsgruppe BAT VI b einher.

Wegen weiterer aus Sicht der Beklagten festgestellter Arbeitsvertragsverstöße kam es sodann zur Kündigung der Beklagten unter dem 07.02.2002.

Mit Schreiben vom 07.02.2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich unter Einräumung einer der längsten tariflichen Kündigungsfrist für kündbare Angestellte entsprechenden sozialen Auslauffrist zum 30.09.2002.

Bezüglich der im einzelnen umstrittenen Sachverhalte, die zur Kündigung führten wird auf die Ausführungen des Urteils erster Instanz Bezug genommen.

Der Kündigung vom 07.02.2002 ging ein Vorstandsbeschluss voraus, durch welchen der Vorstand festlegte, dass die fristlose Kündigung der Klägerin mit der der längsten tariflichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist beabsichtigt sei.

Das durchgeführte Verfahren betreffend die Beteiligung des bei der Beklagten gewählten Personalrats vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung ist zwischen den Parteien in Einzelheiten streitig insbesondere auch, ob eine ordnungsgemäße Personalratssitzung stattgefunden hat.

Der Vorsitzende des Personalrats unterzeichnete unter dem 07.02.2002 eine Mitteilung an die Beklagte folgenden Inhalts:

Der Personalrat wurde zu dem vorstehenden Kündigungsverfahren der Frau A C angehört. Die vorformulierten weiteren Zusätze:

"bzw. nimmt wie folgt Stellung" sind vom Unterzeichner gestrichen.

Die Kündigung ist nach Behauptung der Beklagten nach Vorlage dieses Personalratsbeschlusses vom 07.02.2002 ausgesprochen worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass durch die Kündigung der Beklagten vom 07.02.2002 das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 30.09.2002 rechtswirksam beendet worden sei.

Die Kündigung sei nicht ohne Beteiligung des Personalrats ausgesprochen worden. Die nach § 72 a Abs. 2 LPVG NW vorgeschriebene Anhörung des Personalrats sei gewahrt. Durch die nachträglich festgestellten - in wesentlichen Umständen unstreitigen Verhaltensumstände der Klägerin - seien wichtige Gründe gesetzt, die die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin rechtfertigten. Für die Kündigung sei auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Eine Interessenabwägung könne aufgrund der Schwere der Vorwürfe nicht zu Gunsten der Klägerin ausfallen; eine Abmahnung sei entbehrlich.

Da sich die Kündigung als wirksam darstelle, komme auch die Weiterbeschäftigung der Klägerin nicht in Betracht.

Gegen dieses der Klägerin am 20.06.2002 zugestellte Urteil erster Instanz hat die Klägerin am 16.07.2002 Berufung eingelegt und ihre Berufung am 19.08.2002 begründet.

Die Klägerin macht geltend, dass die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung nicht gewahrt seien. Insbesondere werde bestritten, dass eine ordnungsgemäße Personalratssitzung stattgefunden habe. Zudem sei die Anhörung der Klägerin Wirksamkeitsvoraussetzung für die streitbefangene Kündigung. Die Kündigung der Beklagten habe jedenfalls nicht die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB beachtet. Das, was an den nachträglich bekannt gewordenen Umständen der Klägerin vorwerfbar sei, rechtfertige allenfalls eine Abmahnung der Klägerin. Jedenfalls müsse eine Interessenabwägung zu Gunsten der Klägerin ausfallen, so dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht zu rechtfertigen sei.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 08.05.2002 - 9 Ca 805/02 - teilweise abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 07.02.2002, zugegangen am 08.02.2002 nicht zum Ende der Auslauffrist zum 30.09.2002 beendet werde

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu den Bedingungen der Änderungsvereinbarung vom 18.12.2001 weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und hält die ausgesprochene Kündigung unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist, die der ordentlichen Kündigung für kündbare Arbeitnehmer entspricht, für sozial gerechtfertigt. Auch formale Gesichtspunkte bezüglich dieser Kündigung insbesondere im Hinblick auf die Beteiligung des bei der Beklagten gewählten Personalrats stünden der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen.

Wegen des sonstigen Sach- und Streitstands und im Hinblick auf die gewechselten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Akten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

Die Klägerin hat fristwahrend gegen das Urteil erster Instanz Berufung eingelegt und ihre Berufung sodann fristwahrend begründet.

Die Berufungsschrift setzt sich im Einzelnen mit dem Urteil erster Instanz auseinander und erfüllt damit die formalen Voraussetzungen für ein ordnungsgemäß eingelegtes Rechtsmittel der Berufung.

II. Die Kündigung der gem. § 55 BAT unkündbaren Klägerin durch die Beklagte vom 07.02.2002 unter Einhaltung der für kündbare Arbeitnehmer geltenden längsten Kündigungsfrist als sozialer Auslauffrist zum 30.09.2002 erweist sich als nicht rechtswirksam.

1. Die Beklagte hat für ihre Kündigungsentscheidung unter Berücksichtung der Gründe, die zur Änderungsvereinbarung vom 28.12.2001 geführt haben und der weiteren Gründe, die vor dem 28.12.2001 gesetzt sind und nach dem 28.12.2001 durch die Beklagte festgestellt wurden, bei der Interessenabwägung die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts betreffend die außerordentliche Kündigung tariflich unkündbarer Arbeitnehmer ordnungsgemäß beachtet.

Es hat nämlich insbesondere geprüft, ob im Hinblick auf die Kündigungsgründe, die nach Bewertung der Beklagten grundsätzlich geeignet sind, die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen, als milderes Mittel gegenüber einer außerordentlichen fristlosen Kündigung eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist in Betracht kam. Kann sich nämlich bei der Prüfung der Frage, ob ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegt die tarifliche Unkündbarkeit auch zu Lasten des Arbeitnehmers auswirken, so ist auf der Rechtsfolgenseite zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs dem besonders geschützten Arbeitnehmer, wenn bei unterstellter Kündbarkeit nur eine fristgerechte Kündigung zulässig wäre, eine der fiktiven ordentlichen Kündigung entsprechende Auslauffrist einzuräumen (BAG Urteil vom 11.03.1999 - 2 AZR 427/98 - EzA BGB § 626 n. F. Nr. 177).

2. Die Beklagte hat sich sodann genau dazu entschieden, an Stelle einer in Betracht zu ziehenden außerordentlichen fristlosen Kündigung eine außerordentliche Kündigung mit einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist auszusprechen. Damit hat sich die Beklagte in ihrer Kündigungsentscheidung für ein mögliches und gegebenenfalls gebotenes milderes Mittel der Kündigung unter Berücksichtigung insbesondere der langen Betriebszugehörigkeit der Klägerin bei der Beklagten entschieden.

3. Ob sich diese Kündigung als wirksam erweist, ob insbesondere dafür ausreichende Gründe gesetzt sind und ob die Kündigung sich unter Berücksichtigung der einzuhaltenden Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 und einer schlussendlich vorzunehmenden Interessenabwägung als wirksam erweist, kann dahinstehen.

4. Die Kündigung ist jedenfalls unwirksam, weil das vor Durchführung der Kündigung einzuhaltende Mitbestimmungsverfahren gegenüber dem bei der Beklagten gewählten Personalrat nicht eingehalten ist.

a) Dabei kann unterstellt werden, dass der Personalrat im Zusammenhang mit seiner Beteiligung vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung über die wesentlichen Gesichtspunkte, die für die Kündigung heranzuziehen sind, vollständig und umfassend informiert gewesen ist. Auch kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Personalrat vor Abgabe seiner Stellungnahme gegenüber der Beklagten durch den Personalratsvorsitzenden mit Notiz vom 07.02.2002 eine ordnungsgemäße Beschlussfassung herbeigeführt hat, jedenfalls dass die Beklagte davon ausgehen durfte, dass eine solche Beschlussfassung erfolgt ist.

b) Dennoch vermag nicht davon ausgegangen zu werden, das Mitbestimmungsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt.

Das Bundesarbeitsgericht hat für Fälle der vorliegenden Art, in denen es um die Prüfung einer außerordentlichen Kündigung mit einer der längsten tariflichen Ausschlussfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist geht ausdrücklich mehrfach darauf hingewiesen, dass für das sodann vorab durchzuführende Mitbestimmungsverfahren die Regelungen gelten, die für ordentliche Kündigungen mitbestimmungsrechtlich anzuwenden sind (BAG Urteil vom 05.02.1998 - 2 AZR 227/97 - BAGE 88, 10, 22; BAG Urteil vom 18.10.2000 - 2 AZR 627/99 - DB 2001 338, 339; BAG Urteil vom 15.11.2001 - 2 AZR 605/00 - EzA - SD 2001, Nr. 24, 5 - 6).

c) Für die Mitbestimmungsrechte des bei der Beklagten gewählten Personalrats gelten die Bestimmungen des LPVG NW.

Danach ist - soweit vorliegend von Bedeutung - festgelegt:

Der Personalrat bestimmt bei einer ordentlichen Kündigung mit, § 72 a Abs. 1 LPVG NW.

Soweit eine Maßnahme der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt, kann sie nur mit seiner Zustimmung getroffen werden, § 66 Abs. 1 LPVG NW.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt:

Der beteiligte Personalrat hat der beabsichtigten Kündigung der Beklagten gerade nicht zugestimmt.

Damit fehlt es an der erforderlichen Zustimmung des Personalrats zur streitbefangenen Kündigung.

Die Kündigung vom 07.02.2002 ist daher nicht geeignet zum beabsichtigten Zeitpunkt außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist die Vertragsbeziehungen der Parteien zu beenden.

Dies führt zur Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts und zum Erfolg der Berufung der Klägerin.

III. Da die Klägerin erfolgreich geltend macht, dass die streitbefangene Kündigung nicht geeignet ist, den bestehenden Arbeitsvertrag der Parteien zu beenden, ist das Arbeitsvertragsverhältnis auch antragsgemäß zu den bestehenden Bedingungen fortzusetzen. Dies sind nach Rücknahme der Berufung betreffend Angriffe der Klägerin gegen die Änderungsvereinbarung vom 28.1.2001 die Bedingungen der Änderungsvereinbarungen vom 28.12.2001.

Auch dem von der Klägerin geltend gemachten Weiterbeschäftigungsanspruch war somit im Sinne dieses klargestellten Begehrens der Berufung zu entsprechen.

IV. Die Kostenentscheidung des Rechtsstreits beruht auf §§ 91, 516 ZPO.

V. Der Rechtsstreit hat keine grundsätzliche Bedeutung, daher hat die Kammer die Revision nicht zugelassen.

Ende der Entscheidung

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