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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 12.12.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 1059/06
Rechtsgebiete: KSchG
Vorschriften:
KSchG § 1 Abs. 2 |
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 26. Juli 2006 - 4 Ca 992/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung der Beklagten vom 31. März 2006 zum 31. Juli 2006 beendet worden ist.
Die Klägerin, geboren am 21. Mai 1952, ist bzw. war bei der Beklagten seit dem 1. September 1995 als Lehrkraft für Mathematik beschäftigt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden.
Mit Schreiben vom 31. März 2006 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2006 unter Hinweis auf betriebsbedingte Gründe.
Mit der vorliegenden Klage, die am 1. April 2006 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangen ist, wendet sich die Klägerin gegen die Kündigung.
Sie macht geltend, die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt.
Gegen weitere Kündigungen vom 16. August 2006 und 17. August 2006 zum 30. November 2006 wendet sich die Klägerin in einem gesonderten Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Bonn.
Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, den erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträgen und wegen der Gründe, die die 4. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, der Kündigungsschutzklage stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 26. Juli 2006 verwiesen.
Das erstinstanzliche Urteil ist der Beklagten am 4. September 2006 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 18. September 2006 Berufung einlegen und diese am 16. Oktober 2006 begründen lassen.
Die Beklagte ist weiter der Ansicht, die Kündigung sei aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt.
Sie trägt vor, die von ihr betriebene Schule sei insbesondere von a Diplomatenkindern besucht worden.
Als Folge der Verlegung der Bundeshauptstadt von B nach B , einer für sie nachteiligen Fernsehsendung mit dem Titel "Brutstätten der Gewalt - Hass und Hetze an deutschen Koran Schulen" vom 2. Dezember 2003 und einer restriktiveren Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zum Besuch der Schule durch die zuständige deutsche Schulbehörde, sei die Zahl der Schüler seit 2003 von 469 bis 2006 auf etwa 200 gesunken. Demgegenüber sei die Anzahl der Lehrer fast gleichgeblieben, und zwar im Jahr 2003 mit 34, im Jahr 2004 mit 32 und im Jahr 2005 mit 33 Lehrkräften.
Um die Erhaltung der Schule zu sichern, habe ihr Geschäftsführer im August 2004 zunächst entschieden, die nicht zwingend für den Lehrbetrieb erforderlichen Arbeitsplätze ersatzlos zu streichen bzw. sie entsprechend dem tatsächlichen Bedarf und der Berücksichtigung einer angemessenen Personalstruktur zu reduzieren. Im Februar 2006 sei die Entscheidung gefallen, auch die Zahl der Lehrkräfte abzubauen. Zu dem Zeitpunkt habe bereits prognostiziert werden können, dass ab dem Schuljahr 2006/2007 nur noch etwa 200 Schüler zu unterrichten seien, davon 20, die nicht während des gesamten Schuljahres anwesend sein würden. Deshalb habe der Geschäftsführer entschieden, eine 1. Klasse für das neue Schuljahr nicht einzurichten und auch Klassen zusammenzulegen. In der 2. Klasse seien 6 Schüler, in der 3. Klasse 5, in der 4. Klasse 4 und in der 5. Klasse 2 zu unterrichten. Eine 6. Klasse sei wegen fehlender Schüler nicht eingerichtet worden. Die übrigen Schüler verteilten sich auf die Klassen 7 bis 12. Danach habe kein Beschäftigungsbedarf mehr für die Klägerin und einige andere Kollegen bestanden. Die unternehmerische Entscheidung ihres Geschäftsführers sei lediglich dahin zu prüfen, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei.
Es sei auch eine soziale Auswahl getroffen worden. In der Grundstufe hätten neben der Klägerin mit dem Fach Mathematik auch eine Lehrerin mit dem Fach Arabisch und eine weitere Lehrerin mit dem Fach Religion unterrichtet. Da ein Überangebot an Mathematiklehrern bestanden habe, seien die 5 Mathematiklehrer miteinander verglichen worden nach den folgenden Sozialdaten: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten (vgl. Aufstellung mit Punktebewertung: Bl. 110 d. A.). Die Klägerin sei am wenigsten schutzwürdig gewesen, da sie ausschließlich in der Grundstufe Mathematik unterrichtet habe. Im Übrigen habe sie nur eine Ausbildung als Statistikerin im Irak absolviert. Aufgrund der fehlenden pädagogischen Ausbildung sei die Klägerin nicht in der Lage, mögliche Wirkungen und Grenzen von Lern- und Hilfsmitteln bzw. Medien einzuschätzen und im Unterricht zu nutzen. Schließlich hätten sich im April 2004 zwei Eltern darüber beschwert, dass die Klägerin Kinder im Unterricht anschreie und grob behandle. Deshalb sei sie mit Schreiben vom 28. April 2004 abgemahnt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 26. Juli 2006 - 4 Ca 992/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, ihre frühere Beschäftigung bei der arabischen Schule in B sei bei der Bestimmung der Dauer der Betriebszugehörigkeit anzurechnen.
Ihr Arbeitsplatz sei nicht weggefallen. Sie bestreitet, dass sich die Schülerzahl in dem von der Beklagten genannten Umfang verringert hat. Es werde auch im Schuljahr 2006/2007 in allen Klassen unterrichtet, in denen im vorhergehenden Schuljahr Unterricht erteilt worden sei. Die Beklagte beschäftige derzeit in der Grundstufe 5 Lehrkräfte, und zwar 2 Lehrerinnen mit den Fächern Arabisch und Religion, einen Lehrer mit dem Fach Religion, einen Lehrer mit dem Fach Arabisch und eine Lehrerin mit dem Fach Mathematik. Sie habe zudem einen deutschen Lehrer neu eingestellt. Die Beklagte wolle aus Kostengründen Ortskräfte durch drei Lehrkräfte aus arabischen Ländern ersetzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
I. Die Berufung ist zulässig.
Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.
II. Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Das Arbeitsgericht Bonn hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 31. März 2006 nicht beendet worden ist.
1. Die Kündigung ist nicht aus dringenden betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG.
Die Klägerin ist länger als 6 Monate bei der Beklagten beschäftigt (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die unter § 23 Abs. 1 KSchG festgelegte Mindestbeschäftigtenzahl wird weit überschritten. Die Klägerin hat auch binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben (§ 4 S. 1 KSchG), so dass die Kündigung nach den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes zu überprüfen ist.
a. Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung u. a. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen. Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen bzw. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe ( z. B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben. Entschließt sich der Arbeitgeber im Unternehmensbereich zu einer organisatorischen Maßnahme, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrer Arbeitnehmer entfällt, so ist die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit dieser Unternehmerentscheidung von den Arbeitsgerichten inhaltlich nicht zu überprüfen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. Urteil vom 26. September 2002 - 2 AZR 636/01 -).
Die unternehmerische Freiheit gilt jedoch nicht schrankenlos. Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG schützt nicht nur die unternehmerische Freiheit, sondern gewährt auch einen Mindestbestandsschutz für den Arbeitnehmer. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist deshalb bei der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes auf die an sich "freie" Unternehmerentscheidung stets eine eingeschränkte Prüfung des unternehmerischen Konzepts vorzunehmen. Je näher die eigentliche Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss rückt, um so stärkere Anforderungen werden an die Darlegungslast des Arbeitgebers gestellt, der verdeutlichen muss, dass infolge der unternehmerischen Entscheidung ein Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer entfallen ist (vgl. BAG, Urteil vom 26. September 2002 - 2 AZR 636/01 -). Es kann dann die Vermutung, dass die Unternehmerentscheidung aus sachlichen Gründen erfolgt ist, nicht von vornherein gelten. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber vielmehr darlegen, in welchem Umfang die fraglichen Arbeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand anfallen, d. h. es geht um die Darlegung einer näher konkretisierten Prognose der Entwicklung aufgrund außerbetrieblicher Faktoren oder unternehmerischer Vorgaben, z. B. nur noch eine geringere Zahl von Aufträgen anzunehmen, und wie diese Arbeiten von dem verbliebenen Personal ohne überobligatorische Leistungen erledigt werden können. Der Arbeitgeber muss im Kündigungsschutzprozess konkrete Angaben dazu machen, wie sich die Verringerung der Produktion auf die Arbeitmenge auswirkt und in welchem Umfang dadurch ein konkreter Arbeitskräfteüberhang entsteht (vgl. BAG, Urteil vom 17. Juni 1999 - 2 AZR 522/98 -).
b. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte nicht schlüssig dargetan, dass zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 31. März 2006 von einem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses hinsichtlich der Klägerin auszugehen war.
Allein der behauptete Rückgang der Schülerzahl auf etwa 200 und die fehlende Einrichtung der 1. und 6. Klasse für das Schuljahr 2006/2007 rechtfertigen nicht den Schluss, eine Lehrkraft für Mathematik habe nicht mehr beschäftigt werden können.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht bereits ausgeführt, dass jedenfalls die Zahl der Unterrichtsstunden nicht davon abhängig ist, wie viele Schüler sich in einer Klasse befinden. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass 1/5 aller Unterrichtsstunden im Fach Mathematik in der 1. und 6. Klasse zu unterrichten waren und damit bei Schließung dieser Klassen der Bedarf für eine von fünf Lehrkräften entfiel, wobei noch unterstellt werden müsste, dass alle Lehrkräfte die gleiche Anzahl von Unterrichtsstunden zu erbringen hatten.
Maßgeblich kann nur sein, wie viele Stunden im Fach Mathematik in allen Klassen zu unterrichten sind und wie viele Lehrkräfte für diesen Unterricht benötigt werden. Dazu hätte es zunächst einer Aufstellung über die Anzahl der Unterrichtsstunden für jede Klasse im Schuljahr 2006/2007 bedurft. Zudem hätte dargetan werden müssen, mit welcher Gesamtarbeitszeit Lehrkräfte für Mathematik in der Lage sind, diesen Unterrichtsbedarf abzudecken. Dabei ist zu beachten, dass bei der Berechnung der Gesamtarbeitszeit neben den Unterrichtsstunden auch Vor- und Nachbereitungsstunden sowie ggf. auch Vertretungsstunden zu berücksichtigen sind. Schließlich hätte die Beklagte für jede verbleibende Lehrkraft darlegen müssen, mit welcher Arbeitszeit sie beschäftigt wird, und inwiefern danach die verbleibenden Lehrkräfte unter Berücksichtigung auch ihrer Qualifikation in der Lage sind, ohne Mehrarbeit den Unterrichtsbedarf im Fach Mathematik abzudecken.
Dies hat die Beklagte auch im Berufungsverfahren nicht vorgetragen, obwohl sie im erstinstanzlichen Urteil unter Ziffer III 7 darauf hingewiesen worden ist, dass allein eine rückläufige Schülerzahl für den Beschäftigungsbedarf keine Aussagekraft hat. Vielmehr hat sie weiterhin an ihrer Ansicht festgehalten, die Entscheidung, alle Lehrer zu entlassen, die mangels vorhandener Schüler nicht mehr hätten unterrichten können, sei nicht im Einzelnen zu verdeutlichen.
2. Da bereits nicht dargetan worden ist, dass die Kündigung aus dringenden betrieblichen Gründen bedingt war, kann dahinstehen, ob die Kündigung auch nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG wegen fehlerhafter sozialer Auswahl sozial ungerechtfertigt ist.
Allerdings sei darauf hingewiesen, dass nach der eigenen (Punkte)bewertung der Beklagten, abgestellt auf die Lehrkräfte für das Fach Mathematik, die Klägerin nach der Lehrkraft M am sozial schützenswertesten ist. Ihrem Einwand, die Klägerin könne nur in der Grundstufe unterrichten, wohingegen andere Lehrer auch in der Oberstufe unterrichteten, muss entgegengehalten werden, dass nach ihrem eigenen Vorbringen nur eine Klasse in der Grundstufe geschlossen worden sein soll, folglich die Klägerin in mindestens 3 Klassen weiterhin unterrichten kann. Angesichts des Umstandes, dass die Klägerin bereits seit 1995 bei der Beklagten und zuvor in der a Schule in B Mathematik unterrichtet hat, kann das Vorbringen der Beklagten, der Klägerin fehle für den Unterricht die erforderliche Fachkompetenz und die gebotene didaktische Kompetenz, nicht ernst genommen werden. Ebenso wenig sind zwei Beschwerden von Eltern aus dem Jahr 2004 geeignet, ein berechtigtes betriebliches Interesse der Beklagten im Sinne von § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG zu begründen, weniger sozial schützenswerte Lehrkräfte anstelle der Klägerin weiterzubeschäftigen.
Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die sich dabei stellenden Rechtsfragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet.
Ende der Entscheidung
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