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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 17.10.2006
Aktenzeichen: 9 Sa 370/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 2
Die Schlechtleistung eines Arbeitnehmers, dessen geistige Fähigkeiten beschränkt sind und der nur gleichförmige Routinearbeiten ausführen kann, stellt keinen Kündigungsgrund dar, wenn Fehler dadurch vermieden werden können, dass der Arbeitnehmer durch andere Mitarbeiter besonders geführt wird. Dies gilt unabhängig davon, ob die Schlechtleistung auf Gründe in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers zurückzuführen ist.
Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 26. Januar 2006 - 4 Ca 3217/05 G - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Oktober 2005 zum 31. Mai 2006 beendet worden ist.

Der Kläger, geboren am 29. September 1955, verheiratet, unterhaltspflichtig gegenüber einem Kind, ist bzw. war bei der Beklagten seit dem 14. Mai 1981 als Arbeiter beschäftigt.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz, den erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträgen und wegen der Gründe, die das Arbeitsgericht Siegburg dazu bewogen haben, sowohl der Kündigungsschutzklage als auch dem Antrag auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Kündigungsrechtsstreits stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils vom 26. Januar 2006 verwiesen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Beklagten am 17. Mai 2006 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 3. April 2006 und vorsorglich nochmals am 19. Mai 2006 Berufung einlegen und diese am 26. Mai 2006 begründen lassen.

Der Kläger ist von der Beklagten über den 31. Mai 2006 hinaus weiterbeschäftigt worden.

Die Beklagte wiederholt ihre Auffassung, aus verhaltensbedingten Gründen sei die Kündigung sozial gerechtfertigt.

Nachdem der Kläger den Anforderungen nicht genügt habe, die sich bei der Bedienung der vollautomatischen Verpackungsmaschinen stellten, sei er im April 2003 auf seinen Wunsch hin in die Zylindervorbereitung versetzt worden. Dort sei es seine Aufgabe, die bei der Tapetenherstellung benutzten Zylinder zu reinigen, zur Weiterverarbeitung einzulagern und bei Bedarf an den Maschinen gereinigte Zylinder für die Produktion bereit zu stellen. Er habe bei der Reinigung zu prüfen, ob ein Zylinder defekt sei und dies sodann dem Schichtmeister zu melden. Sie - die Beklagte - habe dem Kläger zwar eine längere Einarbeitungszeit gewährt, habe aber danach eine beanstandungsfreie Arbeitsleistung erwartet. Dieser Erwartung sei der Kläger nicht gerecht geworden. Am 20. Oktober 2003 sei der Kläger darauf hingewiesen worden, dass er zu wenig Interesse an der Arbeit zeige, die Arbeitsergebnisse zu schlecht seien und die Genauigkeit nicht ausreiche. In einem Gespräch am 21. Januar 2004 habe er zugegeben, sich für den 15. Januar 2004 eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besorgt zu haben, weil er an diesem Tag keine Fahrgelegenheit gehabt habe. Er sei deshalb mit Schreiben vom 30. Januar 2004 abgemahnt worden. Am 26. Februar 2004 habe er einen Zylindersatz falsch zusammengebaut, weshalb er am 27. Februar 2004 ermahnt worden sei. Am 3. März 2004 sei von dem Schichtmeister beanstandet worden, dass der Kläger sehr langsam arbeite. Am 4. März 2004 sei festgestellt worden, dass der Kläger nur auf Anweisung arbeite und die Arbeitsanweisungen nicht vollständig ausführe. Bei einer Untersuchung im Werksarztzentrum sei am 8. März 2004 festgestellt worden, dass die Diabeteserkrankung des Klägers einem 3-schichtigen Einsatz nicht entgegenstehe. Trotz einer erneuten Aufforderung, die Zylinder ordnungsgemäß zu reinigen und keine defekten Zylinder ohne roten Defektzettel einzulagern, habe der Kläger am 9. März 2004 wiederum defekte Zylinder ohne entsprechenden Hinweiszettel eingelagert. Auch am 30. Juni 2004 habe der Kläger mehrere verschmutzte Zylinder eingelagert, die deshalb in die Maschine nicht hätten eingebaut werden können. Die Anweisung des Maschinenpersonals, die Zylinder sofort zu reinigen, habe er erst ausgeführt, nachdem der Vorgesetzte die Aufforderung wiederholt habe. Deshalb sei er am 1. Juli 2004 abgemahnt worden. In der Nachtschicht vom 22. auf den 23. Februar 2005 habe der Kläger verschmutzte Zylinder einsortiert, weshalb er mit Schreiben vom 8. März 2005 erneut abgemahnt worden sei. Am 26. Juni 2005 habe er von ihm verschüttete Farbe nicht auf dem Boden aufgewischt, sondern den Betrieb pünktlich zum Schichtende verlassen. Sein unkollegiales Verhalten sei gerügt worden. Schließlich habe der Kläger am 12. Oktober 2005 einen Zylinder, der bis auf das Kupfer abgelaufen gewesen sei, eingelagert, ohne ihn mit einem Defektzettel zu kennzeichnen. Der Kläger habe anschließend angegeben, den Defekt nicht gesehen zu haben. Daraufhin sei das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Oktober 2005 gekündigt worden. Der Betriebsrat sei zuvor ordnungsgemäß zu der Kündigung angehört worden, der er mit Schreiben vom 28. Oktober 2005 widersprochen habe.

Es sei gerade die Aufgabe des Klägers und nicht die der Maschinenführer und -bediener, bei der Reinigung der verschmutzten Zylinder zu prüfen, ob sie defekt seien. Selbst wenn die Sehkraft des Klägers auf einem Auge vermindert sei, hätte er am 12. Oktober 2005 den Defekt feststellen müssen. Gleiches gelte für den Umstand, dass seine geistigen Fähigkeiten beschränkt seien und er in der Vergangenheit nur gleichförmige Routinearbeiten verrichtet habe. Es habe sich nur um eine einfache Sichtprüfung gehandelt.

In der mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2006 hat der Personalleiter der Beklagten, Herr H , erklärt, es arbeiteten 200 Arbeitnehmer in dem Werk in 3 Schichten. Der jeweilige Maschinenführer und die ihm zugewiesenen weiteren beiden Maschinenbediener seien mit ihrer Arbeitsaufgabe ausgelastet. Sie seien nicht in der Lage, die Zylinder auf Defekte hin zu überprüfen. Während der Produktion müssten laufend Zylinder eingelagert werden. Frau O , die weitere Personalleiterin der Beklagten, hat erklärt, mit dem Kläger sei über seine Weiterbeschäftigung über den 31. Mai 2006 hinaus nicht gesprochen worden. Seit Oktober 2005 bis zur mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2006 habe der Kläger ohne Unterbrechung seine Arbeit in der Zylindervorbereitung verrichtet. Seit Oktober 2005 habe es keine Kritikmeldungen aus der Produktion über den Kläger mehr gegeben.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Siegburg vom 26. Januar 2006 - 4 Ca 3217/05 G - die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er trägt vor, der Arbeitsplatz in der Zylindervorbereitung sei ihm nicht auf eigenen Wunsch zugewiesen worden, sondern aufgrund einer Entscheidung der Beklagten und des Betriebsrats. Die Beklagte habe sowohl ihm als auch dem Betriebsrat zugesagt, die Maschinenführer und -bediener würden bereits die Zylinder auf Defekte hin überprüfen, bevor er mit den Reinigungsarbeiten beginne. Die Beklagte habe es unterlassen, eine entsprechende Anweisung diesen Mitarbeitern zu geben, obwohl ihr bewusst gewesen sei, dass letztlich Fehler des Klägers nicht hätten ausgeschlossen werden können. Der Kläger bestreitet, die von der Beklagten vorgetragenen Schlechtleistungen begangen zu haben.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 2006 vorgetragen, er sei beim Augenarzt gewesen, der keine Verschlechterung des Sehvermögens festgestellt habe. Seit einem Jahr sei seine Arbeitsleistung nicht mehr beanstandet worden. Er frage jetzt häufiger bei den Arbeitskollegen nach, wenn er nicht sicher sei, ob die Zylinder funktionstauglich oder defekt seien. Er sei über den 31. Mai 2006 hinaus an seinem alten Arbeitsplatz weiter tätig, ohne dass die Beklagte ihm hinsichtlich der Weiterbeschäftigung etwas erklärt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß § 64 Abs. 2 c ArbGG statthaft und wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

1. Das Arbeitsgericht Siegburg hat zutreffend entschieden, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 28. Oktober 2005 nicht beendet worden ist.

Die Kündigung ist weder aus verhaltens- noch aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG.

Der Kläger ist länger als 6 Monate bei der Beklagten beschäftigt (§ 1 Abs. 1 KSchG). Die nach § 23 Abs. 1 KSchG erforderliche Mindestbeschäftigtenzahl wird weit überschritten. Der Kläger hat auch innerhalb der nach § 4 S. 1 KSchG geltenden Frist von 3 Wochen Kündigungsschutzklage erhoben, so dass die Wirksamkeit der Kündigung nach den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes zu überprüfen ist.

a. Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers ist im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - schuldhaft - verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint. Es genügt ein Umstand, der einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung bestimmen kann (vgl. ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 - und vom 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 -).

Auf Pflichtverletzungen beruhende Schlechtleistungen sind geeignet, eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen. Ob eine Leistung als Schlechtleistung anzusehen ist, beurteilt sich nach den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien. Dabei richtet sich im Allgemeinen der Inhalt des Leistungsversprechens zum einen nach dem vom Arbeitgeber durch Ausübung des Direktionsrechts festzulegenden Arbeitsinhalt und zum anderen nach dem persönlichen, subjektiven Leistungsvermögen des Arbeitnehmers (vgl. BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 -).

Dabei gilt für eine verhaltensbedingte Kündigung das sog. Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach Androhung einer Kündigung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Eine Kündigung ist hiernach nicht gerechtfertigt, wenn es andere geeignete mildere Mittel gibt, um eine Vertragsstörung künftig zu beseitigen (vgl. BAG, Urteil vom 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 -).

b. Demgegenüber kommt Schlechtleistung als personenbedingter Kündigungsgrund in Betracht, wenn sie auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden "Störquelle" beruht. Der Arbeitnehmer, der trotz angemessener Bemühung die Normalleistung unterschreitet oder nicht erbringt, verstößt nicht gegen den Vertrag, sondern unterschreitet die nicht zur Vertragsbedingung erhobene berechtigte Erwartung des Arbeitgebers von einem ausgewogenen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung. Auch die Kündigung aus personenbedingten Gründen setzt stets voraus, dass für die Zukunft nicht mit einer Wiederherstellung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung zu rechnen ist und kein milderes Mittel zur Wiederherstellung eines Vertragsgleichgewichts zur Verfügung steht. Insbesondere muss dem Schutz älterer, langjährig beschäftigter und unverschuldet erkrankter oder leistungseingeschränkter Arbeitnehmer Rechnung getragen werden (vgl. BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 -).

c. Ob alle oder jedenfalls ein Teil der von der Beklagten behaupteten Schlechtleistungen des Klägers in der Zylindervorbereitung schuldhaft erfolgten, kann dahinstehen. Denn jedenfalls war zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs die sowohl für eine verhaltensbedingte als auch für eine personenbedingte Kündigung erforderliche negative Prognose nicht zu stellen, wenn, wie im Widerspruch des Betriebsrats vom 28. Oktober 2005 erwähnt, der Kläger künftig im Hinblick auf die bekannte Leistungseinschränkung durch andere Mitarbeiter besonders geführt wird.

Der Beklagten war bekannt, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers eingeschränkt ist. Sie wusste, dass der Kläger selbständig nur reine Routinearbeiten durchführen konnte. Es musste von vornherein damit gerechnet werden, dass der Kläger ab April 2003 für die Einarbeitung eine längere Zeit benötigte als ein durchschnittlich begabter Arbeiter mit vergleichbarer Tätigkeit. Aber auch danach braucht der Kläger eine Beaufsichtigung, da er offensichtlich überfordert ist, wenn er selbständig entscheiden soll, ob die Zylinder weiter funktionsfähig sind oder nicht. Eine solche Beaufsichtigung des Klägers ist für die Beklagte auch möglich. Es kann nicht nachvollzogen worden, inwiefern der Arbeitsanfall es nicht zulässt, dass die vom Kläger gereinigten Zylinder vor der Einlagerung nochmals mittels Sichtprüfung von einem anderen Mitarbeiter kontrolliert werden.

Für die Richtigkeit der Feststellung, dass eine Weiterbeschäftigung des Klägers unter regelmäßiger Kontrolle seiner Arbeitsergebnisse möglich ist, spricht die Tätigkeit des Klägers während der Kündigungsfrist und nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zur Berufungsverhandlung am 17. Oktober 2006. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass es in dem einjährigen Zeitraum zu einer weiteren Fehlleistung des Klägers gekommen ist. Der Kläger hat dies damit erklärt, er frage jetzt häufiger bei den Arbeitskollegen nach, wenn er nicht sicher sei, ob die Zylinder funktionstauglich oder defekt seien. Dass sich durch die häufigere Befragung von Arbeitskollegen Produktionsverzögerungen ergeben haben, weil die Arbeitskollegen ihre Arbeit unterbrechen müssen, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Im Übrigen kann sich die Kammer die Weiterbeschäftigung des Klägers über den Kündigungszeitpunkt hinaus und auch noch nach Ablauf der Kündigungsfrist nur damit erklären, dass die Beklagte nicht ernsthaft befürchtet, der Produktionsprozess werde durch ständige Fehlleistungen des Klägers gestört. Brächte der Einsatz des Klägers die von ihr mit Schriftsatz vom 12. Januar 2006 vorgetragene Gefahr von ständigen Fehlleistungen, so wäre sie wohl kaum bereit gewesen, nach Kündigungsausspruch den Kläger weiterhin in der Zylindervorbereitung für 10 Maschinen einzusetzen, an denen mit hoher Durchlaufgeschwindigkeit Tapeten gefertigt werden und auch ein Zylinderwechsel unter Zeitdruck stattfinden muss.

d. Unter Beachtung dieser Umstände muss zudem die sowohl bei einer personenbedingten als auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung erforderliche Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausgehen. Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse an einem möglichst störungsfreien Produktionsverlauf und darf deshalb von jedem Arbeitnehmer erwarten, dass er unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeitet. Dabei muss sie aber dem Schutz älterer, langjährig beschäftigter und unverschuldet erkrankter Arbeitnehmer Rechnung tragen (vgl. BAG, Urteil vom 11. Dezember 2003 - 2 AZR 667/02 -). Der Kläger war zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs bereits seit über 24 Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Er war damals 50 Jahre alt. Unterhaltspflichten bestehen gegenüber seiner nicht berufstätigen Ehefrau und seinem minderjährigen Kind. Er ist in seiner Leistungsfähigkeit dauerhaft eingeschränkt und wird deshalb und aufgrund seines Lebensalters keine auch nur annähernd vergleichbar dotierte Tätigkeit auf dem Arbeitsmarkt finden. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass offensichtlich bei einer mit dem Produktionsprozess zu vereinbarenden Beaufsichtigung des Klägers zufriedenstellende Arbeitsergebnisse erwartet werden können, muss das Interesse des Klägers an einer Fortführung des Arbeitsverhältnisses das Beendigungsinteresse der Beklagten überwiegen.

2. Da die ordentliche Kündigung unwirksam war, kann dahinstehen, ob die Weiterbeschäftigung des Klägers über den 31. Mai 2006 hinaus zu einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses geführt hätte, wenn die Kündigung wirksam gewesen wäre.

Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der tatsächlichen Beschäftigung des Arbeitnehmers nach Ausspruch einer Kündigung und nach Ablauf der Kündigungsfrist der Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsvertrages liegen kann oder die Vereinbarung, dass der gekündigte Arbeitsvertrag auflösend bedingt durch die rechtskräftige Abweisung der Kündigungsschutzklage bzw. zweckbefristet bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens fortgesetzt werden soll. Denn der Arbeitnehmer ist auf Grund des gekündigten Arbeitsverhältnisses zu weiterer Arbeitsleistung nicht verpflichtet. Liegt ein befristeter Arbeitsvertrag vor, so ist die Befristung unwirksam, wenn sie entgegen § 14 Abs. 4 TzBfG nicht schriftlich vereinbart worden ist (vgl. BAG, Urteil vom 22. Oktober 2003 - 7 AZR 113/03 -).

An einer vertraglichen Grundlage kann es allerdings fehlen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nur zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung aus einem bereits ergangenen Weiterbeschäftigungsurteil beschäftigt. Dafür könnte im vorliegenden Fall sprechen, dass das Weiterbeschäftigungsurteil am 26. Januar 2006, also noch vor Ende der Kündigungsfrist ergangen war. Zudem hatte die Beklagte durch Einlegung der Berufung am 3. April 2006 dem Kläger mitgeteilt, dass sie weiter an ihrem Rechtsstandpunkt festhalten wollte, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung beendet worden und sie sei zur weiteren Beschäftigung des Klägers nicht verpflichtet.

3. Der Weiterbeschäftigungsanspruch ist nach den Grundsätzen in der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgericht vom 27. Februar 1985 - 1 GS 1/84 - gerechtfertigt.

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge nach § 97 ZPO zurückzuweisen.

Die Revision war nicht zuzulassen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Die sich dabei stellenden Rechtsfragen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet.

Ende der Entscheidung

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