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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Urteil verkündet am 12.11.2008
Aktenzeichen: 9 Sa 666/08
Rechtsgebiete: TV-Ärzte/VKA


Vorschriften:

TV-Ärzte/VKA § 15
TV-Ärzte/VKA § 16
1. Unter einem "selbständigen Teilbereich der Klinik bzw. Abteilung" nach § 16 TV-Ärzte/VKA ist eine fachliche Untergliederung mit eigener Aufgabenstellung zu verstehen, die organisatorisch verselbständigt ist.

2. Die Letztverantwortung des Chefarztes, die regelmäßig alle Teilbereiche der Klinik bzw. Abteilung umfasst, steht der Bejahung einer davon abgeleiteten medizinischen Verantwortung eines Oberarztes für einen Teilbereich oder mehrere Teilbereiche nicht entgegen.

3. Auch nach § 15 TV-Ärzte/VKA ist die ärztliche Tätigkeit bei der Patientenversorgung regelmäßig ohne Rücksicht auf Einzelaufgaben als ein einheitlicher Arbeitsvorgang anzusehen. Zudem dient die Leitung von Teilbereichen durch einen Oberarzt - wie regelmäßig Leitungstätigkeiten - einem einheitlichen Arbeitsergebnis (großer Arbeitsvorgang), da er jederzeit und sofort in der Lage sein muss, aktiv durch Erteilung der erforderlichen fachlichen Weisungen die ärztlichen Leitungsaufgaben wahrzunehmen.


Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 27.03.2008 - 4 Ca 2420/07 G - abgeändert:

a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 7.993,83 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils EUR 614,91 brutto seit dem 01.10.2006, 01.11.2006, 01.12.2006, 01.01.2007, 01.02.2007, 01.03.2007, 01.04.2007, 01.05.2007, 01.06.2007, 01.07.2007, 01.08.2007, 01.09.2007 und 01.10.2007 zu zahlen.

b) Es wird festgestellt, dass der Kläger mit Wirkung ab dem 01.08.2006 in die Entgeltgruppe III/Stufe 2 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an den Kommunalen Krankenhäusern vom 17.08.2006 eingruppiert ist.

c) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 1/36 und die Beklagte zu 35/36.

3. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger für die Zeit ab August 2006 nach der Entgeltgruppe Ä 3 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern vom 17. August 2006 (im Folgenden: TV-Ärzte/VKA) zu vergüten.

Der Kläger, geboren am 21. Juni 1959, ist bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 1993 beschäftigt. Nach Bestehen der Facharztprüfung im Jahr 1996 war er als Facharzt für Psychiatrie tätig. Ab 1998 arbeitet er als Oberarzt in der Psychiatrischen Klinik II der Beklagten, deren Schwerpunkt in der Behandlung älterer Menschen im Sinne einer Psychiatrie der zweiten Lebenshälfte liegt. Weitere Schwerpunkte sind die Psychotherapie und die Behandlung von Menschen mit somatischen und psychiatrischen Störungen.

Die Psychiatrischen Klinken der Beklagten mit Standorten in G und M umfassen die drei Abteilungen "Allgemeinpsychiatrie", "Gerontopsychiatrie/Psychosomatik/Psychotherapie" sowie "Suchtkrankheiten" mit 240 Betten bzw. Behandlungsplätzen.

In einem dem Kläger erteilten Zwischenzeugnis vom 24. Mai 2007, das neben der Chefärztin auch der stellvertretende Geschäftsführer der Beklagten unterzeichnet hat, heißt es u. a.:

"In seiner oberärztlichen Tätigkeit obliegt ihm die Leitung von zwei Stationen der Psychiatrie der zweiten Lebenshälfte mit der Bereichs- und Organisationsverantwortung. Inhaltlich übernimmt er insbesondere die fachliche Aufsicht für die Assistenzärzte, er fördert die konzeptionelle Entwicklung der Stationen im Sinne einer systemischen Weiterentwicklung, er hat stationsübergreifende Therapieangebote wie Infogruppe und kognitives Training implementiert. Herr S lenkt auf den Stationen besonders das dynamische interaktionelle Geschehen in der Patientengruppe und im Team mit herausragender Leitungskompetenz... Darüber hinaus ist er in die kollegiale oberärztliche Vertretung in der Tagesklinik und der Psychotherapiestation eingebunden... Er vertritt die Chefärztin in der Behandlung von Privatpatienten sowohl im stationären als auch ambulanten Bereich... Er ist eingebunden in die ausgedehnte konsiliar-oberärztliche Tätigkeit mit psychiatrischen Konsilen aus allen somatischen Fachbereichen... Sein Aufgabengebiet (in der von ihm ab 2005 aufgebauten) psychiatrischen Institutsambulanz besteht besonders in der ärztlichen Begleitung schwieriger chronisch-kranker Menschen und demenzkranker Patienten sowie deren Angehöriger, darüber hinaus jedoch auch in Behandlungen aus dem Gebiet der Psychosen und der schweren neurotischen Erkrankungen, die im sonstigen ambulanten System die üblichen Wartezeiten nicht verkraften könnten. Dieses Setting ist verbunden mit einer Klärung langfristiger Behandlungsnotwendigkeiten und sozialpsychiatrischer Interventionen... Er ist Fort- und Weiterbildungsbeauftragter der psychiatrischen Abteilung mit Organisation von klinikinterner Assistentenfortbildung und eigenen Fortbildungsangeboten wie z. B. Autogenes Training oder Gutachtenseminare... Er ist regelmäßig in Personalauswahl- und Mitarbeitergespräche eingebunden... Herr S besitzt die Fähigkeit, fachliche Kompetenz, Engagement und Entscheidungsfreudigkeit mit guter Zugewandtheit gegenüber den Patienten und den ihm nachgeordneten Mitarbeitern zu verbinden... Den Mitarbeitern gegenüber ist er ein durchaus fordernder, aber auch kompetenter und stützender Vorgesetzter. Er ist in der Lage, einem Stationsteam eine verlässliche Grundlage zu geben, so dass auch konflikthafte Situationen konstruktiv und ohne Entwertung der nachgeordneten Mitarbeiter gelöst werden können... In der Gruppe der Chef- und Oberärzte hat Herr S sich jederzeit durch Kollegialität und Loyalität ausgezeichnet, verbunden mit großer Freude am fachlichen Diskurs und an der gemeinsamen Arbeit in der Gestaltung der Institution und der regionalen Versorgung... Wir halten Herrn S wegen seines Einsatzes, seiner beschriebenen Fähigkeiten verbunden mit herausragender Planungs-, Leitungs- und Koordinationskompetenz uneingeschränkt für eine leitende Funktion für besonders geeignet..."

Nach dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 1. Dezember 1993 richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) vom 23. Februar 1961 in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung und den diesen ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträgen. Außerdem finden die für den Bereich der Arbeitgeberin jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung.

Mit der vorliegenden Klage, die am 10. Oktober 2007 beim Arbeitsgericht Siegburg eingegangen ist, begehrt der Kläger Feststellung, dass er ab dem 1. August 2006 in die Entgeltgruppe III, Stufe 2, des TV-Ärzte/VKA eingruppiert ist. Zudem macht er mit der Klage Zahlung des Differenzbetrages zwischen einer Vergütung nach dieser Entgeltgruppe III/Stufe 2 und der ihm gewährten Vergütung nach der Entgeltgruppe II/Stufe 4 in Höhe von monatlich EUR 614,91 brutto für die Zeit von August 2006 bis einschließlich September 2007, insgesamt EUR 8.608,74 brutto, geltend.

Das Arbeitsgericht Siegburg hat durch Urteil vom 27. März 2008 die Klage abgewiesen mit der Begründung, die medizinische Verantwortung des Klägers umfasse nicht selbständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung im Sinne der Entgeltgruppe III TV-Ärzte/VKA.

Der Kläger hat gegen das am 6. Mai 2008 zugestellte Urteil am 21. Mai 2008 Berufung einlegen und diese am 7. Juli 2008 (Montag) begründen lassen.

Der Kläger trägt vor, als Oberarzt leite er zwei Stationen der Psychiatrischen Klinik II, und zwar die Psychose- und die Demenzstation. Zudem leite er die Institutsambulanz. Es handle sich um räumlich und organisatorisch eigenständige Teilbereiche. Die Psychose- und die Demenzstation befänden sich auf der sechsten Etage und seien dort abgegrenzt von anderen Stationen der Psychiatrischen Klinik II. Beiden Stationen sei gesondert ärztliches und nicht ärztliches Personal fest zugeordnet. Auch die psychiatrische Institutsambulanz sei auf der dritten Etage räumlich und organisatorisch gesondert untergebracht. Er habe die medizinische Verantwortung für die Arbeit von einem in der Institutsambulanz tätigen Facharzt für Psychiatrie sowie für die Arbeit von zwei Assistenzärzten, zwei Psychologen, zwei Sozialarbeitern, zwei Ergotherapeuten, etwa 22 Pflegekräften und einer Sekretärin in der Ambulanz zu tragen. Ihm obliege neben der fachlichen Aufsicht auch die Ausbildung der Mitarbeiter. Er habe das ärztliche Personal bei der Aufnahme der Patienten, bei der Erstellung der individuellen Therapiepläne für die Patienten, bei der Behandlung der Patienten und schließlich bei der Entlassung der Patienten anzuweisen, zu beaufsichtigen und zu überwachen. Er sei auch selbst bei der Versorgung der Patienten tätig und berate die Patienten und ihre Angehörigen. Er unterschreibe den bei der Entlassung der Patienten erstellten Arztbrief, den auch die Chefärztin als Letztverantwortliche der Abteilung mitunterzeichne. Er führe die Visiten mit dem ärztlichen Personal durch. Chefarztvisiten gebe es nicht. Seine Leitungstätigkeit erfordere 75 % bis 90 % seiner täglichen Arbeitszeit. Die Leitung und die damit verbundene Verantwortung sei ihm von der Chefärztin mit Wissen und Wollen der gesetzlichen Vertreter der Beklagten übertragen worden. Dies werde durch das Zwischenzeugnis vom 24. Mai 2007 bestätigt, das nach Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA erstellt und von der Chefärztin und dem stellvertretenden Geschäftsführer der Beklagten unterzeichnet worden sei.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass der Kläger mit Wirkung ab dem 1. August 2006 in die Entgeltgruppe III/Stufe 2 des TV-Ärzte/VKA vom 17. August 2006 eingruppiert ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 8.608,74 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus jeweils EUR 614,91 brutto seit dem 1. September 2006, 1. Oktober 2006, 1. November 2006, 1. Dezember 2006, 1. Januar 2007, 1. Februar 2007, 1. März 2007, 1. April 2007, 1. Mai 2007, 1. Juni 2007, 1. Juli 2007, 1. August 2007, 1. September 2007 und 1. Oktober 2007 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bestreitet, dass die Leitung der Stationen Psychose, Demenz und Institutsambulanz als Arbeitsvorgang im Sinne des § 15 TV-Ärzte/VKA gelten kann. Zudem handle es sich bei diesen Stationen weder um einen selbständigen Funktionsbereich noch um einen selbständigen Teilbereich, da es sich nicht um organisatorisch abgrenzbare Spezialgebiete innerhalb eines ärztlichen Fachgebietes handle. Mit den Bezeichnungen "Demenzstation" und "Psychosestation" werde nur der Schwerpunkt der Tätigkeit in diesen Stationen benannt, da auf ihnen etwa ein Drittel der Patienten mit anderen psychiatrischen Erkrankungen behandelt würden. Auch die Institutsambulanz stehe allgemein für Patienten mit derartigen Erkrankungen zur Verfügung. Die medizinische Verantwortung trage die Chefärztin. Es fehle auch an einer ausdrücklichen Übertragung der medizinischen Verantwortung durch den Arbeitgeber.

Sie beruft sich im Übrigen auf die tarifliche Ausschlussfrist, soweit der Kläger Zahlung verlangt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nach § 64 Abs. 2 b ArbGG statthaft und innerhalb der Fristen nach § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

1. Der Kläger ist aufgrund seiner Tätigkeit in die Entgeltgruppe III/Stufe 2 des TV-Ärzte/VKA ab dem 1. August 2006 eingruppiert.

a. Nach § 15 TV-Ärzte/VKA richtet sich die Eingruppierung der Ärzte nach den in § 16 dieses Tarifvertrages bezeichneten Tätigkeitsmerkmalen. Die Ärzte sind in die Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihnen nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. Arbeitsvorgänge sind nach der Protokollerklärung Nr. 1 zu § 15 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der Ärztin/des Arztes, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (z. B. Erstellung eines EKG). Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu betrachten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.

b. Nach § 16 TV-Ärzte/VKA sind Ärztinnen und Ärzte wie folgt einzugruppieren:

a) Entgeltgruppe I

Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit

b) Entgeltgruppe II

Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit

Protokollerklärung zu Buchstabe b:

Fachärztin/Facharzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der aufgrund abgeschlossener Facharztausbildung in ihrem/seinem Fachgebiet tätig ist.

c) Entgeltgruppe III:

Oberärztin/Oberarzt

Protokollerklärung zu Buchstabe c:

Oberärztin/Oberarzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die medizinische Verantwortung für selbständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.

d) Entgeltgruppe IV:

Leitende Oberärztin/Leitender Oberarzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die ständige Vertretung der leitenden Ärztin/des leitendes Arztes (Chefärztin/Chefarzt) vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.

Protokollerklärung zu Buchtstabe d:

Leitende Oberärztin/Leitender Oberarzt ist nur diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der die leitende Ärztin/den leitenden Arzt in der Gesamtheit ihrer/seiner Dienstaufgaben vertritt. Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb der Klinik in der Regel nur von einer Ärztin/einem Arzt erfüllt werden.

c. Danach müssen gemäß §§ 15, 16 TV-Ärzte/VKA kumulativ folgende vier Voraussetzungen für eine Eingruppierung als Oberarzt in die Entgeltgruppe III vorliegen:

(1) Es muss ein selbständiger Teil- oder Funktionsbereich der Klinik bzw. Abteilung vorliegen.

(2) Der Arzt muss die medizinische Verantwortung für diesen Teil- oder Funktionsbereich haben.

(3) Die medizinische Verantwortung muss durch den Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden sein.

(4) Der Arzt muss zeitlich mindestens zur Hälfte im Rahmen dieses selbständigen Teil- oder Funktionsbereichs tätig sein.

d. Diese Voraussetzungen sind nach Auffassung der Berufungskammer im vorliegenden Fall erfüllt.

Zu (1): Der Kläger erbringt seine Tätigkeit in selbständigen Teilbereichen der Psychiatrischen Klinik II der Beklagten.

Bei der Auslegung des Begriffs "Teilbereich" kann anders als bei der des Begriffs "Funktionsbereich" nicht auf eine bereits in der Vergangenheit erfolgte einschlägige Begriffsbestimmung zurückgegriffen werden.

Unter Funktionsbereich war nach den Vorgängerregelung gemäß Protokollnotiz Nr. 5 zum Teil I der Anlage 1 a BAT/VKA ein wissenschaftlich anerkanntes Spezialgebiet innerhalb eines ärztlichen Fachgebietes zu verstehen (z. B. Nephrologie innerhalb des Fachgebietes Innere Medizin, Handchirurgie innerhalb des Fachgebietes Chirurgie, Neuroradiologie innerhalb des Fachgebietes Radiologie). Aufgrund der unveränderten Übernahme dieses Begriffs in den neuen Eingruppierungstarifvertrag ist davon auszugehen, dass diese Begriffsbestimmung weitergilt.

Unter dem allgemeineren Begriff "Teilbereich der Klinik bzw. Abteilung" ist demgegenüber eine fachliche Untergliederung mit einer eigenen Aufgabenstellung zu verstehen. Da es sich um einen "selbständigen" Teilbereich handeln muss, muss diese Untergliederung räumlich und personell abgrenzbar, mithin organisatorisch verselbständigt sein (vgl. dazu: LAG München, Urteil vom 26. August 2008 - 4 Sa 328/08 -; Anton ZTR 2008, S. 184, 187). Die organisatorische Verselbständigung zeigt sich gerade darin, dass sie unter einer gesonderten fachlichen Leitung steht.

Der Kläger leitet die beiden Stationen Demenz und Psychose sowie die Institutsambulanz dieser Klinik. Diese Bereiche sind sowohl organisatorisch als auch räumlich verselbständigt innerhalb der Psychiatrischen Klinik II der Beklagten. Ihnen ist ärztliches und nichtärztliches Personal zugeordnet, das jeweils nur in dem betreffenden Teilbereich eingesetzt wird. Die fachliche Aufsicht obliegt dem Leiter.

Zu (2): Der Kläger hat die medizinische Verantwortung für diese Teilbereiche.

Er hat die fachliche Aufsicht über das ärztliche und nichtärztliche Personal bei der Behandlung und Versorgung aller in diesen Teilbereichen aufgenommenen Patientinnen und Patienten. Die Verantwortung betrifft sämtliche Leistungsabschnitte, von der Aufnahme und der Erstellung der individuellen Therapiepläne über die anschließende Behandlung bis hin zur Entlassung der Patienten.

Dem steht nicht entgegen, dass er bei medizinischen Zweifelsfällen fachlichen Rat bei der Chefärztin einholt. Es handelt sich um eine Abstimmung innerhalb einer Supervision, die eine Chefärztin kraft ihrer Stellung bei allen Oberärzten wahrzunehmen hat. Dagegen ist die Chefärztin nicht für die tägliche Behandlung und Versorgung der Patienten verantwortlich. Dies ergibt sich auch daraus, dass nach Angaben des Klägers keine Chefarztvisite in den von ihm geleiteten Stationen stattfindet.

Soweit sie zusätzlich zum Kläger die Entlassungsberichte unterzeichnet, entspricht auch dies ihrer medizinischen Endverantwortung für die Psychiatrische Klinik II. Diese Letztverantwortung des Leitenden Arztes, die regelmäßig alle Teilbereiche der Klinik bzw. Abteilung umfasst, steht der Bejahung einer davon abgeleiteten medizinischen Verantwortung eines Oberarztes für einen Teilbereich oder mehrere Teilbereiche der Klinik nicht entgegen (vgl. dazu auch: Anton a.a.O., S. 184, 188).

Zu (3): Die medizinische Verantwortung ist ihm von der Beklagten mit der Bestellung zum Oberarzt im Jahr 1998 ausdrücklich übertragen worden.

Dies ergibt sich aus dem Zwischenzeugnis vom 24. Mai 2007, das von dem stellvertretenden Geschäftsführer und damit einem Vertreter der Arbeitgeberin unterzeichnet worden ist. Darin wird ausdrücklich bestätigt, dass ihm im Jahr 1998 die Leitung der Demenz- und der Psychosestation mit der fachlichen Aufsicht über das darin tätige ärztliche und nichtärztliche Personal zugewiesen worden ist. Seit dem Jahr 2005 trägt er zusätzlich die Verantwortung für die von ihm aufgebaute psychiatrische Institutsambulanz. Selbst wenn die Übertragung zunächst ohne Wissen und Wollen der Vertreter der Arbeitgeberin erfolgt wäre, wäre sie jedenfalls mit dieser Erklärung im Nachhinein rückwirkend gebilligt worden (vgl. dazu auch: LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 13. August 2008 - 2 Sa 329/07 -).

Zu (4): Die Erfüllung dieser Oberarzttätigkeit erfordert auch mindestens die Hälfte der Arbeitszeit des Klägers.

Es ist von dem Begriff des Arbeitsvorgangs auszugehen, wie er von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelt worden ist, also von einer unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbaren und rechtlich selbständig zu bewertenden Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 25. Oktober 1995 - 4 AZR 479/94 -).

Dabei ist zu beachten, dass schon nach der zum bisherigen Eingruppierungsrecht des BAT ergangenen Rechtsprechung die ärztliche Tätigkeit bei der Patientenversorgung regelmäßig ohne Rücksicht auf die Einzelaufgaben als rechtlich einheitlich anzusehen war. Begründet wurde dies damit, dass die Tarifvertragsparteien die Vergütung nach Fachfunktionen wie "Arzt" oder "Facharzt" zuerkannt hätten (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 25. Oktober 1995 - 4 AZR 479/94 - und vom 5. November 2003 - 4 AZR 632/02 -).

Die Tarifvertragsparteien, denen diese Rechtsprechung bekannt war, haben unter § 15 TV-Ärzte keine davon abweichende Regelung getroffen. Wenn sie von den in der früheren Protokollnotiz Nr. 1 zu § 22 Abs. 2 BAT genannten Beispielsfällen für einen Arbeitsvorgang nur die "Erstellung eines EKG" übernommen haben, so haben sie damit dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich um den einzigen einschlägigen Beispielsfall für die Eingruppierung von Ärzten in der genannten Vorschrift handelte.

Die Tätigkeit des Klägers als Leiter der Stationen Demenz und Psychose sowie der Institutsambulanz dient einem einheitlichen Arbeitsergebnis, nämlich der Leitung der Patientenversorgung in diesen Teilbereichen. Sie ist als einziger großer Arbeitsvorgang anzusehen. Zwar ließe sich zwischen unmittelbaren Leitungstätigkeiten und Zusammenhangstätigkeiten unterscheiden. Letztlich dienen aber alle Tätigkeiten des Klägers dem genannten Arbeitsergebnis (vgl. zur Bewertung von Leitungstätigkeiten als Arbeitsvorgang: BAG, Urteil vom 29. April 1992 - 4 AZR 458/91 - und vom 18. Mai 1994 - 4 AZR 468/93 -). Der Kläger übt diese Leitungstätigkeit während seiner Arbeitszeit selbst dann aus, wenn er sich gerade mit anderen Aufgaben im Krankenhaus beschäftigt. Denn auch dann muss er jederzeit und sofort in der Lage sein, aktiv durch Erteilung der erforderlichen fachlichen Weisungen die ärztlichen Leitungsaufgabe wahrzunehmen (vgl. dazu: BAG, Urteil vom 29. April 1992 - 4 AZR 458/91 -).

Er hat dargetan, dass seine Leitungsaufgabe 75 % bis 90 % seiner täglichen Arbeitszeit erfordert.

Nach alledem sind die tariflichen Voraussetzungen für eine Eingruppierung des Klägers in die Entgeltgruppe III ab dem Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA am 1. August 2006 erfüllt.

e. Der Kläger ist nach § 19 TV-Ärzte/VKA in die Stufe 2 der Entgeltgruppe III einzuordnen, da er die oberärztliche Tätigkeit am 1. August 2006 bereits 3 Jahre ausübte.

2. Die vom Kläger geltend gemachte Differenz zwischen der gewährten Vergütung und der geschuldeten Vergütung kann allerdings nur für Zeit ab September 2006 beansprucht werden.

Der Vergütungsanspruch für den Monat August 2006, der am 31. August 2006 fällig wurde (§ 24 TVöD), ist nach § 37 TVöD verfallen, da der Kläger erstmals mit Schreiben vom 30. März 2007 und damit nach Ablauf der 6-monatigen Ausschlussfrist den Anspruch geltend gemacht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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