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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 15.09.2005
Aktenzeichen: 9 Sa 682/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 133
BGB § 157
1. Die Erklärung des vorläufigen Insolvenzverwalters, der Arbeitnehmer werde von der Arbeit freigestellt unter Anrechnung aller etwaigen Freizeit- und Urlaubsansprüche, er solle sich unter Vorlage der Freistellungserklärung beim Arbeitsamt melden und Arbeitslosengeld beantragen und er habe, obwohl das Arbeitsverhältnis erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekündigt werde, Anspruch auf vorgezogenes Arbeitslosengeld (Gleichwohlgewährung), beinhaltet eine unwiderrufliche Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter ausgesprochenen Kündigung.

2. Weist der Insolvenzverwalter in der später erklärten Kündigung darauf hin, dass der Arbeitnehmer ihm den Wechsel in ein neues Arbeitsverhältnis anzuzeigen habe und sodann mit ihm einen Aufhebungsvertrag abzuschließen habe, so stellt er klar, dass der Arbeitnehmer im Freistellungszeitraum seine Arbeitsleistung nicht einem anderen Arbeitgeber zur Verfügung stellen darf.


Tenor:

1. Die Kosten des erstinstanzlichen Rechtsstreits werden dem Kläger zu 9/10 und der Beklagten zu 1/10 auferlegt.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Gründe:

I.

Die Parteien streiten nur noch über die Kosten des Rechtsstreits.

Zuvor haben sie darüber gestritten, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Gehalt, Arbeitgeberzuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung, vermögenswirksame Leistungen für den Zeitraum Juni 2004 bis Oktober 2004 zu zahlen, und ob sie dem Kläger ein qualifiziertes Zeugnis zu erteilen hat. Zudem haben sie darüber gestritten, ob der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten Auskunft über im Zeitraum Juni 2004 bis Oktober 2004 anderweitig erzielten Verdienst zu erteilen.

Der Kläger war früher bei der E AG aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 11./13. April 2000 beschäftigt.

Unter Ziff. XXI dieses Arbeitsvertrages war bestimmt:

"Verfallfristen

Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung ergeben, sind von den Vertragsschließenden binnen einer Frist von 6 (sechs) Monaten seit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Falle der Ablehnung durch die Gegenpartei binnen einer Frist von zwei Monaten einzuklagen."

Nach Einleitung des Insolvenzeröffnungsverfahrens über das Vermögen der E AG wurde der Kläger mit Schreiben vom 25. April 2002 von dem vorläufigen Insolvenzverwalter von der Arbeit freigestellt unter Anrechung aller etwaigen Freizeit- und Urlaubsansprüche. Zugleich wurde der Kläger aufgefordert, sich am 2. Mai 2002 unter Vorlage der Freistellungserklärung beim zuständigen Arbeitsamt zu melden und Arbeitslosengeld zu beantragen, und darauf hingewiesen, er habe, obwohl das Arbeitsverhältnis voraussichtlich erst im Laufe des Monats Mai 2002 gekündigt werde, Anspruch auf vorgezogenes Arbeitslosengeld (Gleichwohlgewährung). Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 23. Mai 2002 zum 30. Juni 2002.

Anfang Juni 2002 verlangte der Kläger von der Beklagten, ihn zu beschäftigen, mit der Begründung, sie sei durch Betriebs(teil)übergang in die Rechte und Pflichten aus seinem Arbeitsverhältnis eingetreten. Darauf kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26. Juni 2002 und 28. November 2002 betriebsbedingt für den Fall, dass ein Arbeitsverhältnis mit ihr bestehe. In dem Schreiben vom 26. Juni 2002 führte sie aus, eine Möglichkeit, den Kläger entsprechend seiner Qualifikation zu beschäftigen, bestehe bei ihr nicht.

Durch Urteil vom 19. August 2003 stellte das Arbeitsgericht Aachen - 4 Ca 3571/02 - fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungen vom 26. Juni 2002 und 28. November 2002 nicht aufgelöst worden sei. Zugleich wurde die Beklagte verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.

Der Kläger hat im vorliegenden Verfahren geltend gemacht, mit dem Schreiben vom 25. April 2002 habe ihn der Insolvenzverwalter unwiderruflich und unbefristet von der Arbeit freigestellt. Diese Freistellung habe sowohl nach der Kündigung des Insolvenzverwalters und dem Betriebsübergang auf die Beklagte als auch nach Ausspruch der Kündigungen durch die Beklagte fortbestanden. Er sei nicht verpflichtet, Auskunft über anderweitig erzielten Verdienst zu erteilen.

Die Beklagte sei verpflichtet, ihm das Grundgehalt für die Monate Juni 2004 bis Oktober 2004 in Höhe von EUR 18.000,00 brutto zu zahlen. Zudem habe sie - wie vor der Betriebsübernahme die E AG - einen Arbeitsgeberzuschuss zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von EUR 1.386,30 für die Monate Juni 2004 bis Oktober 2004 zu zahlen. Als vermögenswirksame Leistungen habe sie für den Zeitraum Juni 2004 bis Oktober 2004 EUR 199,40 zu zahlen. Für die Zeit ab Fälligkeit der Ansprüche habe sie zudem Verzugszinsen zu zahlen.

Die Beklagte hat geltend gemacht, die Erklärung des vorläufigen Insolvenzverwalters vom 25. April 2002 sei dahin auszulegen, dass die Freistellung bis zum 30. Juni 2002 gegolten habe. In der Freistellungserklärung sei die mit Schreiben vom 23. Mai 2002 erklärte Kündigung bereits angekündigt worden. Der Kläger müsse sich den anderweitig erzielten Verdienst anrechnen lassen. Ihr stehe ein Zurückbehaltungsrecht zu, solange der Kläger ihr keine Auskunft darüber gebe, was er im Klagezeitraum infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart habe oder durch anderweitige Verwendung seiner Dienste erworben habe oder zu erwerben böswillig unterlassen habe.

Das Arbeitsgericht Aachen hat durch Urteil vom 25. Februar 2005 die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen. Hinsichtlich der Ansprüche auf Grundgehalt, Arbeitgeberzuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung und vermögenswirksamen Leistungen hat es die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der vorläufige Insolvenzverwalter habe durch die Erklärung vom 25. April 2002 nur für den Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist auf die Arbeitsleistung des Klägers verzichtet. Dem Kläger stehe derzeit keine Verzugsvergütung zu, da er bislang keine Auskunft über anderweitig erzielten Verdienst erteilt habe und der Beklagten deshalb ein Zurückbehaltungsrecht zustehe. Auf Widerklage hat das Arbeitsgericht den Kläger verurteilt, der Beklagten die von ihr verlangte Auskunft über anderweitig erzielten Verdienst zu erteilen.

Gegen das Urteil hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegen lassen. Er hat dazu ausgeführt, die Freistellung sei unwiderruflich und zeitlich unbegrenzt von dem vorläufigen Insolvenzverwalter erklärt worden. Von dem Fortbestand der Freistellung habe er auch nach der Kündigung der Beklagten vom 26. Juni 2002 ausgehen müssen. Denn in der Kündigung sei erklärt worden, es bestehe keine Möglichkeit ihn weiterzubeschäftigen. Erstmals in der Güteverhandlung vom 26. Oktober 2004 in dem Verfahren 9 Ca 5111/04 Arbeitsgericht Aachen habe die Beklagte erklärt, die Freistellung werde aufgehoben, und zugleich ihn aufgefordert, bis zum 30. November 2004 seine Arbeit wieder aufzunehmen.

Die Beklagte hat darauf erwidert, der Insolvenzverwalter habe den Kläger nur vorläufig für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von der Arbeit freigestellt. Der Kläger sei selbst nicht von einer unwiderruflichen Freistellung ausgegangen, da er in dem Kündigungsschutzverfahren 4 Ca 3571/02 Arbeitsgericht Aachen einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht habe.

Die Parteien haben in einem weiteren Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Aachen - 2 Ca 5784/04 - am 29. Juli 2005 einen gerichtlichen Vergleich geschlossen. Damit haben sie zugleich den vorliegenden Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und wechselseitige Kostenanträge gestellt.

II.

Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien im erkannten Umfang zu tragen.

Nachdem die Parteien übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist die von den Parteien auch ausdrücklich beantragte Entscheidung über die Kosten nach § 91 a ZPO zu treffen.

Bei der Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen sind die allgemeinen Grundgedanken des Kostenrechts, die sich aus den Vorschriften der §§ 91 ff. ZPO ergeben, heranzuziehen. Es ist darauf abzustellen, wer die Kosten hätte tragen müssen, wenn sich die Hauptsache nicht erledigt hätte. Die Kosten hat danach der zu tragen, der voraussichtlich unterlegen wäre (§ 91 ZPO). Für die Kostenentscheidung ist dabei der Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigterklärung maßgebend (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 91 a Rdnr. 24 m.w.N.).

1. Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die Beklagte die Zahlung des Lohns für den Klagezeitraum verweigern durfte.

Ihr stand ein Leistungsverweigerungsrecht zu, weil der Kläger trotz ihrer Aufforderung keine Auskunft über anderweitig erzielten Verdienst im Klagezeitraum erteilt hat.

Wird der Arbeitgeber auf Zahlung von Annahmeverzugslohn in Anspruch genommen, so hat er gegen den Arbeitnehmer in entsprechender Anwendung von § 74 c HGB Anspruch auf Auskunft über die tatsächlichen Umstände, die nach § 615 Satz 2 BGB das Erlöschen seiner Zahlungspflicht bewirken. Erteilt der Arbeitnehmer die verlangte Auskunft nicht, kann der Arbeitgeber die Fortzahlung des Arbeitsentgelts verweigern. Die Klage ist dann als zur Zeit unbegründet abzuweisen (vgl. BAG, Urteil vom 19. März 2002 - 9 AZR 16/01 -).

Der Kläger hat Ansprüche aus Annahmeverzug geltend gemacht.

Weder der vorläufige Insolvenzverwalter noch der Insolvenzverwalter noch die Beklagte hatten den Kläger für den Klagezeitraum von der Arbeit mit der Maßgabe freigestellt, dass sie sich vorbehaltlos zur Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Freistellungszeitraum verpflichteten und der Kläger frei über seine Arbeitsleistung verfügen konnte.

a) Durch die Mitteilung des vorläufigen Insolvenzverwalters vom 25. April 2002 ist der Kläger nur für die Zeit bis zum 30. Juni 2002 unwiderruflich von der Arbeit freigestellt worden.

Der Inhalt von Willenserklärungen ist nach den §§ 133, 157 BGB objektiv unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles nach der Sicht des Empfängers zu bestimmen.

In dem Schreiben vom 25. April 2002 hat der vorläufige Insolvenzverwalter die Dauer der Freistellung nicht ausdrücklich klargestellt. Jedoch ergibt sich aus dem zweiten Absatz des Schreibens, dass sie befristet war bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist. Ausdrücklich wird auf die beabsichtigte Kündigung hingewiesen, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Schreiben vom 23. Mai 2002 zum 30. Juni 2002 auch erklärt worden ist und von deren Wirksamkeit der vorläufige Insolvenzverwalter offensichtlich ausging.

Aus dem Hinweis auf einen Anspruch auf vorgezogenes Arbeitslosengeld ab dem 2. Mai 2005 ergibt sich zudem, dass die Freistellung dazu dienen sollte, dem Kläger bereits vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die noch zu erklärende Kündigung einen Anspruch nach § 143 Abs. 3 SGB III zu verschaffen. Nach dieser gesetzlichen Bestimmung wird Arbeitslosengeld auch dann gewährt, wenn zwar das Arbeitsverhältnis noch besteht, die Arbeitsleistung tatsächlich aber nicht mehr erbracht wird, weil der Arbeitgeber auf seine Verfügungsbefugnis verzichtet hat (BSG, Urteil vom 3. Juni 2004 - B 11 AL 70/03 R -; juris). Auch diese erkennbare Zweckbestimmung spricht dafür, dass die Freistellung nur für die Zeit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gelten sollte. Bezog der Kläger vorgezogenes Arbeitslosengeld, ging im Übrigen sein Anspruch auf Arbeitsentgelt und Urlaubsabgeltung nach § 115 SGB X in Höhe des gewährten Arbeitslosengeldes auf die Bundesanstalt für Arbeit über.

Da die Freistellung mit dem Hinweis verbunden war, er solle sich spätestens am 2. Mai 2002 mit der Freistellungserklärung arbeitslos melden und Arbeitslosengeld beantragen, konnte der Kläger nicht ohne weiteres davon ausgehen, der vorläufige Insolvenzverwalter sei auch damit einverstanden, dass er über seine Arbeitsleistung durch eine anderweitige Erwerbstätigkeit frei verfüge und wolle ihm auch für diesen Fall das Arbeitsentgelt in voller Höhe fortzahlen.

b) Mit dem Kündigungsschreiben vom 23. Mai 2002 hat der Insolvenzverwalter noch während des Freistellungszeitraums klargestellt, dass die unwiderrufliche Freistellung nicht bedeutete, dass der Kläger seine Arbeitsleistung einem anderen Arbeitgeber zur Verfügung stellen konnte. Ausdrücklich wies er den Kläger an, ihm den Wechsel in ein neues Arbeitsverhältnis anzuzeigen. Als Voraussetzung für die Aufnahme einer anderweitigen Tätigkeit nannte er den Abschluss eines Aufhebungsvertrages, was bedeutete, dass damit das Arbeitsverhältnis und die sich daraus ergebenden Vergütungspflichten beendet waren.

c) Mit der vorsorglich erklärten Kündigung vom 26. Juni 2002 hat die Beklagte keine Freistellung des Klägers erklärt. Vielmehr hat sie zur Begründung der Kündigung nur erklärt, sie könne ihn nicht entsprechend seiner Qualifikation in ihrem Betrieb beschäftigten. Von einer Bereitschaft, den Kläger vorbehaltlos unter Fortzahlung der Bezüge freizustellen, ist nicht die Rede, auch nicht für die Dauer der Kündigungsfrist.

2. Demgegenüber war die Widerklage begründet. Der Arbeitgeber hat einen einklagbaren Anspruch auf Auskunft über die Höhe anrechenbarer Bezüge (vgl. HWK/Krause, § 615 BGB Rdn. 109 m.w.N.).

Nach alledem sind unter Berücksichtigung auch des Obsiegens des Klägers mit der Zeugnisklage die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens dem Kläger zu 9/10 und der Beklagten zu 1/10 aufzuerlegen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Ende der Entscheidung

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