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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 27.08.2009
Aktenzeichen: 9 Ta 270/09
Rechtsgebiete: ArbGG, RVG


Vorschriften:

ArbGG § 97
RVG § 23 Abs. 3 S. 2
Die Festsetzung des Gebührenstreitwerts auf EUR 450.000,00 in einem Verfahren nach § 97 ArbGG auf Feststellung, dass einer Gewerkschaft die Tariffähigkeit fehlt, ist nicht ermessensfehlerhaft.
Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 17. Dezember 2008 - 14 BV 324/08 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Tariffähigkeit der Antragsgegnerin.

Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 17. Dezember 2008 den Gebührenstreitwert auf EUR 450.000,00 festgesetzt und zur Begründung ausgeführt, die Bedeutung der nichtvermögensrechtlichen Streitigkeit rechtfertige es, den Streitwert an der gesetzlichen Obergrenze nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG zu orientieren.

Gegen den am 19. Dezember 2008 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 2. Januar 2009 Beschwerde eingelegt und beantragt, den Gebührenstreitwert auf EUR 4.000,00 herabzusetzen. Zur Begründung führt sie aus, der Streitwert habe sich nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Rechtsstreitigkeit zu richten. Wenn sich ihre Einnahmen - wie die Antragstellerin vorgetragen habe - auf monatlich maximal EUR 15.000,00 beliefen, werde ihre Existenzgrundlage aufgrund der bei einem Gebührenstreitwert von EUR 450.000,00 anfallenden Rechtsanwaltsgebühren zerstört. Zugleich stelle sich die Wertfestsetzung als eine unverhältnismäßige Maßnahme zu ihren Lasten dar. Es werde in ihre nach Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Vereinigungsfreiheit eingegriffen. Zudem habe das Arbeitsgericht nicht das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Rechtsprechung nach Art. 20 Abs. 3 GG beachtet. Soweit das Arbeitsgericht bei seiner Entscheidung auf einen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts in einem anderen Verfahren verweise, in dem es ebenfalls um die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft gegangen sei und der Streitwert auf EUR 500.000,00 festgesetzt worden sei, werde übersehen, dass es sich dort um eine Gewerkschaft mit 100.000 Mitgliedern, mit 43 fest angestellten Mitarbeitern, die an 16 Standorten tätig gewesen seien, und mit fast 500 ehrenamtlich tätigen Gewerkschaftsmitgliedern gehandelt habe. Diese Gewerkschaft sei seit mehreren Jahrzehnten tätig gewesen und habe in diesem Zeitraum 550 eigenständige und etwa 3.000 Anschlusstarifverträge abgeschlossen. Hingegen habe das Arbeitsgericht ihr im vorliegenden Verfahren die organisatorische Leistungsfähigkeit abgesprochen mit der Begründung, es sei nicht erkennbar, dass es neben den überwiegend ehrenamtlich tätigen Vorstandsmitgliedern noch hauptamtliche Mitarbeiter gebe. Zudem verfüge sie nur über ein Büro in K . Sie habe 1.300 Mitglieder und bislang weniger als 5 Tarifverträge abgeschlossen.

Die Antragstellerin widerspricht einer Abänderung des Streitwertbeschlusses. Der Streitwert habe sich nicht nach der finanziellen Lage der Antragsgegnerin auszurichten, sondern nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Rechtssache für alle Beteiligten und für die Beschäftigten, dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache, der Zahl der betroffenen Arbeitnehmer sowie dem Grad ihrer Betroffenheit. Die Rechtsstreitigkeit betreffe die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten bei den neuen Post- und Zustelldiensten, insbesondere deren Mindestlohn. Für die Antragsgegnerin gehe es - nicht anders als für die Gewerkschaft in dem vom Bundesarbeitsgericht bereits entschiedenen Verfahren - um ihren Status als Tarifvertragspartei. Für sie - die Antragstellerin - gehe es um ihre Stellung als starke Tarifvertragspartei und ihre künftige Durchsetzungsmächtigkeit. Wer sich anmaße, als Gewerkschaft Tarifverträge abzuschließen, müsse auch die Gebührenbelastung aus einem Verfahren über die Tariffähigkeit hinnehmen. Diese belaufe sich auf etwa EUR 7.200,00. Es komme nicht auf die Mitgliederzahl und die Zahl der hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter an.

Das Arbeitsgericht hat es durch Beschluss vom 27. Juli 2009 abgelehnt, der Streitwertbeschwerde abzuhelfen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. Die nach § 33 Abs. 3 RVG statthafte und zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

1. Die Bemessung des Streitwerts richtet sich nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG. Danach ist der Gegenstandswert auf EUR 4.000,00 je nach der Lage des Falles aber auch niedriger oder höher, nicht jedoch über EUR 500.000,00 festzusetzen, sofern es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit handelt. Darunter sind Streitigkeiten über Ansprüche zu verstehen, die nicht auf Geld oder geldwerte Leistung gehen, nicht in Ansprüche auf Geld umwandelbar sind und ihren Ursprung in Verhältnissen haben, denen kein Vermögenswert zukommt. Dazu gehört auch das Verfahren über die Gewerkschaftseigenschaft und Tariffähigkeit nach § 97 ArbGG (vgl. Wenzel in GK-ArbGG, § 12 Rdn. 313 und 476 m. w. N.). Innerhalb des nach § 23 Abs. 3 S. 2 RVG vorgegebenen Bewertungsrahmens ist der Streitwert nach Lage des Falles zu bestimmen, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit für die Beteiligten.

In einem Verfahren über die Gewerkschaftseigenschaft und Tariffähigkeit kann nicht auf das Beitragsaufkommen abgestellt werden. Vielmehr bedarf es einer Abschätzung der Bedeutung des Verfahrens für den betroffenen Verband. Die Entfaltungsmöglichkeit eines Arbeitnehmerverbandes hängt entscheidend davon ab, ob er als Gewerkschaft anerkannt ist und über die Tariffähigkeit verfügt. Sieht sich der Verband außerstande, im Rahmen der Betriebsverfassung wesentliche Aktivitäten zu entfalten, weil ihm mangels Gewerkschaftseigenschaft die Betriebe verschlossen bleiben, und kann er auch keine Tarifrunden führen oder sich doch wenigstens daran beteiligen, so ist die Wahrnehmung der Interessen der Verbandsmitglieder auf sozialpolitische Fragen minderer Bedeutung beschränkt. Das entwertet die Verbandsmitgliedschaft in einem wichtigen Punkt und behindert die Mitgliederwerbung ganz erheblich (vgl. Wenzel a.a.O., § 12 Rdn. 476 m. w. N.).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Arbeitsgericht ermessensfehlerfrei den Gebührenstreitwert für die Anträge auf Feststellung, dass die Antragsgegnerin weder bei Abschluss der beiden Mindestlohntarifverträge noch zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung eine tariffähige Gewerkschaft war, mit EUR 450.000,00 bemessen.

Die Antragsgegnerin beansprucht nach ihrer Satzung für sich, die Interessen der privaten Briefdienstleister und der bei ihnen Beschäftigten zu vertreten, wohingegen die Antragstellerin nur an einer faktischen Erhaltung des Briefmonopols der D P AG interessiert sei. Ihre Gründung ist auf dem Hintergrund der Bestrebungen der Antragstellerin zu sehen, den von ihr mit dem Arbeitgeberverband P e. V. abgeschlossenen Mindestlohntarifvertrag auch für die Betriebe der privaten Briefdienstleister zur Anwendung zu bringen. Das Bestreben der Antragsgegnerin ist es, dies zu verhindern und einen niedrigeren Mindestlohn zu erreichen, den sie für angemessen hält. Es ist nicht erkennbar, dass die Antragsgegnerin neben dem Abschluss von zwei Tarifverträgen mit Arbeitgeberverbänden der privaten Briefdienstleiter noch andere bedeutsame gewerkschaftliche Aktivitäten gegenüber Arbeitgebern und Arbeitgeberverbänden entfaltet hat.

Werden die beiden abgeschlossenen Tarifverträge wegen mangelnder Tariffähigkeit der Antragsgegnerin nicht anerkannt, so wird der mit ihrer Gründung verfolgte Zweck nicht mehr erreichbar. Damit wären Gründungsaufwendungen in Höhe von mindestens EUR 133.000,00 und weitere Beträge, die nach Angaben des Insolvenzverwalters der P Group in Höhe von EUR 900.000,00 liegen sollen, letztlich nutzlos aufgebracht worden. Zudem wären nach Angaben der Antragsgegnerin die privaten Briefdienstleister und damit auch rund 40.000 Beschäftigte in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht.

Angesichts dieser überragenden Bedeutung des Rechtsstreits für die Antragsgegnerin und unter Berücksichtigung der von ihr reklamierten Auswirkungen auf private Briefdienstleister und die dort Beschäftigten, deren Interessen sie wahrnehmen will, ist eine Festsetzung des Gebührenstreits auf EUR 450.000,00, also 10 % unterhalb der Höchstgrenze von EUR 500.000,00, auf jeden Fall geboten. Dabei ist auch zu beachten, wie grundsätzlich die Bedeutung dieses Rechtsstreits von den Beteiligten und auch der Öffentlichkeit für die Entwicklung des gesamten Tarifwesens eingeschätzt wird.

Nach alledem ist die Beschwerde zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Ende der Entscheidung

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