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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 21.12.2005
Aktenzeichen: 9 Ta 409/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 253 Abs. 2
1. Wird ein unbezifferter Leistungsantrag gestellt, so ist der Streitwert nach dem Betrag zu bestimmen, den das Gericht bei Unterstellung des klägerischen Tatsachenvorbringens für angemessen hält.

2. Fordert der Kläger allerdings einen Mindest- oder Höchstbetrag, dann bildet diese Wertangabe die untere bzw. obere Bemessungsgrundlage. Dies ist nicht der Fall, wenn mit der Wertangabe nur Ausführungen zur Zulässigkeit eines ggf. einzulegenden Rechtsmittels gemacht werden sollen.

3. Der unberechtigte Vorwurf im Kündigungsschutzprozess, am Arbeitsplatz aus dem Internet pornografische Dateien herunter geladen zu haben, rechtfertigt weder einen Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts noch einen Schmerzensgeldanspruch wegen Körperverletzung, wenn sich der Arbeitnehmer wegen der Vorwürfe in eine depressive Verstimmung mit Bauchschmerzen und gelegentlichem Herzrasen hineinsteigert.


Tenor:

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Streitwertbeschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 24. September 2005 - 9 Ca 3567/05 - abgeändert:

Der Streitwert wird für das Verfahren bis auf EUR 300,00 festgesetzt.

Gründe:

I. Der Kläger hat von der Beklagten verlangt, ihm ein nicht beziffertes Schmerzensgeld zu zahlen, weil sie im Rechtsstreit über die von ihr erklärte fristlose Kündigung ihm zu Unrecht vorgeworfen habe, er habe an seinem Arbeitsplatz pornografische Dateien herunter geladen. Dadurch habe sie sein Persönlichkeitsrecht schwerwiegend verletzt. Zudem habe er daraufhin an Bauchschmerzen, Sodbrennen und Durchfall, gelegentlichem Herzrasen und einer ausgeprägten depressiven Verstimmung gelitten, Medikamente einnehmen müssen und sich in psychotherapeutische Behandlung begeben. In der Klageschrift hat er angegeben, als Beschwer für die Zulässigkeit der Berufung halte er ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 5.000,00 für angemessen.

Nachdem der Rechtsstreit durch einen im Kündigungsschutzprozess abgeschlossenen Vergleich miterledigt worden war, hat das Arbeitsgericht den Gebührenstreitwert auf EUR 5.000,00 festgesetzt.

Dagegen hat die Beklagte fristgerecht Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass der Streitwert bei objektiver Würdigung des Vorbringens auf Null festzusetzen sei, da es die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes nicht rechtfertige.

Das Arbeitsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II. Die Beschwerde hat Erfolg.

1. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 33 Abs. 3 S. 3 RVG). Die Beschwerde ist auch statthaft (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG), da der Beschwerdegegenstand EUR 200,00 übersteigt.

2. Die Beschwerde ist auch begründet.

Der Streitwert ist auf nicht mehr als EUR 300,00 festzusetzen.

a. Wird ein unbezifferter Leistungsantrag gestellt, so ist der Streitwert nach dem Betrag zu bestimmen, den das Gericht bei Unterstellung des klägerischen Tatsachenvorbringens für angemessen hält.

Es werden zu der Frage, wie hoch der Streitwert bei einem unbezifferten Leistungsantrag ist, im Wesentlichen drei Ansichten vertreten: Nach der ersten Ansicht richtet sich der Streitwert ausschließlich nach den Vorstellungen oder Erwartungen des Klägers, wobei der von ihm geäußerte Betrag die Untergrenze bildet. Nach der zweiten Ansicht richtet er sich nach dem tatsächlich zuerkannten Betrag. Nach der dritten Ansicht, der sich das Gericht anschließt, richtet er sich nach dem Betrag, den das Gericht bei Unterstellung des klägerischen Tatsachenvorbringens für angemessen hält. Sie berücksichtigt hinreichend auch die Interessen des Gegners, d. h. dessen Kostenrisiko, und die Besonderheiten der unbezifferten Leistungsklage. Sie führt auch zu interessengerechten Ergebnissen, wenn der in der ersten Instanz zuerkannte Betrag in der Berufung herabgesetzt wird (vgl. dazu: Schneider-Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rdn. 4366 ff. m.w.N.; Anders/Gehle/Kunze, Streitwertlexikon, 4. Aufl., S. 298 f.).

Fordert der Kläger allerdings einen Mindest- oder Höchstbetrag, dann bildet diese Wertangabe die untere bzw. obere Bemessungsgrundlage. Dies ist nicht der Fall, wenn der Kläger - wie im vorliegenden Verfahren - lediglich mit der Wertangabe Ausführungen zur Zulässigkeit machen will, ohne eine Begrenzung nach unten oder oben tatsächlich zu wollen (vgl. BGH NJW 1992, S. 311, 312).

b. Ausgehend von dem klägerischen Tatsachenvorbringen ist weder ein Entschädigungs- noch ein Schmerzensgeldanspruch gegeben.

aa. Zunächst ist festzustellen, dass sich durch § 253 Abs. 2 BGB n. F. die Rechtslage über einen Entschädigungsanspruch wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht verändert hat.

Nach dieser Rechtslage löst nicht jede Verletzung des Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf immaterielle Geldentschädigung des Betroffenen aus. Vielmehr kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein solcher Anspruch nur in Betracht, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Dabei hängt die Entscheidung, ob eine hinreichend schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner auch von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (vgl. z. B. BGH, Urteil vom 30. Januar 1996 - VI ZR 386/94 -).

Es handelte sich schon objektiv nicht um einen schwerwiegenden Eingriff. Die Vorwürfe sind nicht in der Öffentlichkeit, sondern in einem Kündigungsschutzprozess zur Wahrung der Rechtsposition abgegeben worden. Dabei hat die Beklagte in erster Linie darauf abgestellt, der Kläger habe seinen Arbeitsvertrag verletzt. Offengelassen hat sie die Bewertung, ob es sich zugleich um eine Straftat nach § 184 StGB gehandelt habe. Zudem bestand für den Kläger die Möglichkeit, die Beeinträchtigung in anderer Weise befriedigend ausgleichen zu lassen. So konnte er den Kündigungsschutzprozess entscheiden lassen und dabei die Berechtigung der Vorwürfe prüfen lassen. Auch war eine Genugtuung ggf. durch eine Klage auf Widerruf und Unterlassung der Vorwürfe zu erreichen.

bb. Es scheidet auch ein Schmerzensgeldanspruch wegen Gesundheitsbeschädigung als Folge der Ehrverletzung aus.

Ein Schmerzensgeldanspruch ist bei einer Körperverletzung nicht gegeben, wenn es sich um eine ganz geringe Beeinträchtigung handelt (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 253 Rdn. 24).

Auch bei einem Arbeitnehmer, dessen psychische Verfassung stabil ist, kann zwar die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zu einer erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigung führen, wenn sie als existenzbedrohend empfunden wird. Dagegen wiegen unberechtigte Vorwürfe, selbst wenn sie ehrverletzend sind, viel geringer, weil der Arbeitnehmer darauf vertrauen kann, dass sie in dem gerichtlichen Kündigungsschutzverfahren ohnehin widerlegt werden. Wenn er sich gleichwohl allein wegen dieser Vorwürfe in eine depressive Verstimmung mit Bauchschmerzen und gelegentlichem Herzrasen hineinsteigert, stellt dies eine unverhältnismäßige Reaktion dar, die keinen Schmerzensgeldanspruch begründen kann.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger nicht dargelegt hat, inwiefern überhaupt objektivierbar ist, dass seine Gesundheitsbeeinträchtigung nicht auf den Ausspruch der Kündigung, sondern (nur) auf die zur Begründung der Kündigung erhobenen Vorwürfe zurückzuführen ist. Ein Schmerzensgeldanspruch kann nicht allein auf seine subjektive Schilderung gestützt werden, und zwar auch dann nicht, wenn sie zur Ausstellung eines ärztlichen Attestes geführt hat.

c. Rechtfertigt das klägerische Tatsachenvorbringen keinen Schmerzensgeldanspruch, dann ist der Streitwert nach der niedrigsten Gebührenstufe zu bemessen.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Ende der Entscheidung

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