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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 15.12.2006
Aktenzeichen: 9 Ta 467/06
Rechtsgebiete: KSchG


Vorschriften:

KSchG § 1 Abs. 1
Wird ein Arbeitnehmer auf besonderen Wunsch eines Kunden des Arbeitgebers eingestellt und verzichten die Arbeitsvertragsparteien ausdrücklich auf die Vereinbarung einer Probezeit, weil der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auch aufgrund einer früheren Beschäftigung bekannt ist, so kann darin eine stillschweigende Übereinstimmung liegen, dass der Arbeitnehmer auch in den ersten 6 Monaten nur aus solchen Gründen gekündigt werden darf, die im Sinne von § 1 KSchG anzuerkennen sind.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 19. Oktober 2006 - 4 Ca 2029/006 - aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über das Gesuch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe an das Arbeitsgericht Bonn zurückverwiesen.

Gründe:

I. Die Parteien haben darüber gestritten, ob das zwischen ihnen mit Wirkung zum 1. Januar 2006 begründete Arbeitsverhältnis durch eine am 27. Juni 2006 der Klägerin zugegangene ordentliche Kündigung der Beklagten zum 11. Juli 2006 aufgelöst worden ist und ob die Beklagte zur Weiterbeschäftigung der Klägerin bereits vor rechtskräftiger Entscheidung des Kündigungsrechtsstreits verpflichtet ist.

Die Klägerin hat geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt und deshalb nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam gewesen. Auf das Arbeitsverhältnis habe das Kündigungsschutzgesetz Anwendung gefunden. Die Beklagte habe die nach § 23 Abs. 1 KSchG erforderliche Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt. Die gesetzliche Wartezeit von sechs Monaten nach § 1 Abs. 1 KSchG hätten die Parteien stillschweigend ausgeschlossen. Dies ergebe sich aus folgenden Umständen: Ab November 1999 sei sie als Service-Mitarbeiterin bei der Beklagten angestellt gewesen und bei einem Kunden, dem D H , in B eingesetzt worden, u. a. in der zum Sicherheitsbereich gehörenden Kartenlogistik (Erstellung von Hausausweisen). Nachdem die Kartenlogistik für diesen Kunden im April 2004 von einer Firma C in R übernommen worden sei, sei sie von der neuen Auftragnehmerin mit derselben Tätigkeit weiterbeschäftigt worden. Die Firma C habe damals mit ihr ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ohne Probezeit vereinbart. Als die Beklagte für die Zeit ab Januar 2006 erneut die Kartenlogistik für den D H übernommen habe, habe der Kunde der Klägerin erklärt, er habe sich mit der Beklagten verständigt, dass sie als erfahrene Mitarbeiterin weiterhin bei ihm eingesetzt werde. Obwohl sie von der Firma C mit anderen Aufgaben hätte weiterbeschäftigt werden können, habe sie dem Wechsel zu der Beklagten zugestimmt. Nachdem sie gegenüber der Beklagten klargestellt habe, dass ein Wechsel nur in Frage komme, wenn ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ohne Probezeit vereinbart werde, sei ein entsprechender Arbeitsvertrag geschlossen worden.

Nachdem sie anderweitig eine Beschäftigung gefunden hatte, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 22. September 2006 das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Durch Beschluss vom 19. Oktober 2006 hat das Arbeitsgericht Bonn den bereits vor der Erledigungserklärung gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen mit der Begründung, die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg gehabt. Die Klägerin habe nicht dargelegt, dass die gesetzliche Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG von den Parteien abbedungen worden sei.

Gegen den am 25. Oktober 2006 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 27. November 2006 (Montag) sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, aus ihrem Vorbringe ergebe sich, dass die Parteien bei Begründung des Arbeitsverhältnisses den Ausschluss der gesetzlichen Wartezeit vereinbart hätten.

Das Arbeitsgericht Bonn hat es mit Beschluss vom 30. November 2006 abgelehnt, der sofortigen Beschwerde abzuhelfen. Es ist bei seiner Ansicht geblieben, der Kläger habe nicht dargelegt, dass die gesetzliche Wartezeit abbedungen worden sei. Zudem sei die Beschwerde verspätet eingelegt worden.

II. Die nach §§ 78 S. 1 ArbGG, 127 Abs. 2, 569 ZPO statthafte und zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.

Zu Unrecht hat das Arbeitsgericht Bonn das Prozesskostenhilfegesuch mit der Begründung abgewiesen, es fehle die nach § 114 ZPO erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht für die Kündigungsschutz- und die Weiterbeschäftigungsklage.

1. Die Kündigungsschutzklage bot hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 ZPO).

a. Eine hinreichende Erfolgsaussicht für die Rechtsverfolgung liegt vor, wenn der vom Kläger vertretene Rechtsstandpunkt zumindest vertretbar erscheint und in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit einer Beweisführung besteht (vgl. BAG, Beschluss vom 26. Januar 2006 - 9 AZA 11/05 -, NZA 2006, S. 1180 ff.).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 i.V.m. dem in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Im Institut der Prozesskostenhilfe sind die notwendigen Vorkehrungen getroffen, die auch Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu Gericht ermöglichen. Dabei braucht der Unbemittelte nur einem solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, der seine Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Es ist deshalb verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht erfolgt in einem summarischen Verfahren. Hinreichende Erfolgsaussicht erfordert dabei nicht, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss (vgl. BVerfG AP Nr. 10 zu Art. 19 GG).

b. Der Rechtsstandpunkt der Klägerin, die Rechtswirksamkeit der Kündigung sei nach den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes zu beurteilen gewesen, ist zumindest vertretbar.

aa. Zwar war die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch nicht länger als 6 Monate bei der Beklagten beschäftigt, so dass die gesetzliche Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG nicht erfüllt war.

Jedoch ist anerkannt, dass durch Parteivereinbarung der allgemeine Kündigungsschutz nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes für Arbeitsverhältnisse eingeführt werden kann, die noch keine 6 Monate bestanden haben. Eine solche Vereinbarung kann auch stillschweigend getroffen werden (vgl. BAG EzA Nr. 5 und 24 zu § 5 KSchG; HWK-Quecke, 2. Auflage, § 1 KSchG Rdn. 9).

Die Klägerin hat vorgetragen, ihr Wechsel zu der Beklagten sei auf Wunsch des Auftraggebers zustande gekommen. Sie habe gegenüber der Beklagten klargestellt, dass für sie nur die Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses ohne Probezeit in Frage gekommen sei. Die Beklagte habe dies akzeptiert und mit ihr eine entsprechende Vereinbarung getroffen. Auf die Probezeit habe die Beklagte verzichten können, weil sie seit 5 3/4 Jahren die Tätigkeit bei der Auftraggeberin verrichtet habe und weil sie aus der früheren Beschäftigung der Beklagten bereits bekannt gewesen sei.

Diese Umstände lassen die Ansicht als vertretbar erscheinen, der Abschluss eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses und der zusätzliche Verzicht auf die Probezeit hätten gleichzeitig eine stillschweigende Übereinstimmung enthalten, dass sie innerhalb der ersten 6 Monate nur aus solchen Gründen gekündigt werden dürfe, die im Sinne von § 1 KSchG anzuerkennen seien. Zweck der gesetzlichen Wartezeit ist es, dem Arbeitgeber Gelegenheit zu geben, den Arbeitnehmer zunächst kennen zu lernen, ohne durch das Verbot sozial ungerechtfertigter Kündigungen gleich gebunden zu sein (vgl. BAG, Urteil vom 15. März 1978 - 5 AZR 831/76 -; HWK-Quecke, a.a.O., § 1 KSchG Rnd. 7). Einer solchen Erprobung bedurfte es aber nicht, weil die Beklagte die Klägerin bereits kannte und weil zudem der Auftraggeber durch die Vermittlung des Wechsels sein besonderes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Klägerin zum Ausdruck gebracht hatte.

bb. Da die Klägerin auch binnen 3 Wochen nach Zugang der Kündigung Klage erhoben hat (§ 4 KSchG) und sie dargelegt hat, dass die Mindestbeschäftigtenzahl nach § 23 Abs. 1 KSchG erreicht war, sind die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes nach § 1 KSchG erfüllt gewesen.

Damit bestand hinreichende Erfolgsaussicht für die Kündigungsschutzklage.

2. Nach den Grundsätzen in der Entscheidung des Großen Senats vom 27. Februar 1985 - GS 1/84 - bestand auch hinreichende Erfolgsaussicht für die Weiterbeschäftigungsklage.

3. Der Beschluss des Arbeitsgerichts war aufzuheben und die Sache an das Arbeitsgericht Bonn zur erneuten Entscheidung zurückzuweisen. Es wird zu prüfen haben, ob die Klägerin bedürftig war. Dabei ist nach den Grundsätzen in dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 5. April 2006 - 3 AZB 61/04 - insbesondere festzustellen, ob die Klägerin gegen ihren Ehemann einen Anspruch auf Prozesskostenhilfevorschuss hatte, der alsbald realisierbar war und dessen Durchsetzung für die Klägerin zumutbar und nicht mit Rechtseinbußen verbunden war.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Ende der Entscheidung

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