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Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
Beschluss verkündet am 16.12.2008
Aktenzeichen: 9 Ta 474/08
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
1. Nimmt eine an der Frischebedienungstheke eines Warenhauses beschäftigte Arbeitnehmerin aus der Verkaufsauslage in einer anderen Abteilung zwei Haarspangen im Wert von EUR 1,99 ohne Bezahlung an sich, um die dienstlich vorgeschriebene Kopfbedeckung (Haube) zu befestigen, so rechtfertigt dies nicht den Ausspruch der Kündigung, und zwar auch dann nicht, wenn die Dienstkleidung nicht ohnehin vom Arbeitgeber zu stellen ist.

2. Wird neben dem Antrag auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst ist, der Antrag auf Feststellung des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses gestellt, so erfasst dieser sog. Schleppnetzantrag als weiteren Beendigungstatbestand auch eine Befristung, die zu einem späteren Datum als die Kündigung das Arbeitsverhältnis beenden soll.


Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Aachen vom 4. Juli 2008 - 1 Ca 1486/08 h - abgeändert:

Der Klägerin wird für die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 3. April 2008 und auf Feststellung des unveränderten Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses Prozesskostenhilfe mit der Maßgabe bewilligt, dass die Klägerin derzeit keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten hat.

Zur Wahrnehmung der Rechte im erstinstanzlichen Verfahren wird ihr Rechtsanwalt Jobs beigeordnet.

2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Klägerin hat mit der am 2. April 2008 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen Klageschrift Gewährung von Prozesskostenhilfe für die Klage beantragt, mit der sie zuletzt Feststellung begehrt hat, dass das Arbeitsverhältnis weder durch fristlose mündliche Kündigung vom 26. März 2008, noch durch fristlose Kündigung vom 28. März 2008, noch durch schriftliche Kündigung vom 3. April 2008 beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Die Klägerin ist bzw. war bei der Beklagten seit dem 9. November 2005 als Fleischereifachverkäuferin in dem Warenhaus der Beklagten in Heinsberg beschäftigt aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge. Nach dem letzten Arbeitsvertrag vom 14. Dezember 2007 sollte das Arbeitsverhältnis vom 1. Januar 2008 bis zum 30. April 2008 fortbestehen, wobei als Befristungsgrund der krankheitsbedingte Ausfall einer anderen Mitarbeiterin vereinbart war. Am 26. März 2008 entnahm die Klägerin Klemmhaarspangen mit einem Verkaufswert von EUR 1,99 in der Drogerieabteilung des Warenhauses, um damit die im Dienst vorgeschriebene Kopfbedeckung (Haube) zu befestigen. Sie bezahlte später andere Waren, die sie eingekauft hatte, nicht aber die Haarspangen. Als sie bei Dienstschluss von dem Geschäftsleiter darauf angesprochen wurde, erklärte sie zunächst, sie habe die Bezahlung der Haarspangen vergessen. Nach dem Vorbringen der Beklagten soll sie später gestanden habe, von Anfang an beabsichtigt zu haben, die Haarspangen nicht zu bezahlen. Auf Veranlassung der Beklagten unterzeichnete sie am 26. März 2008 eine schriftliche Erklärung, in der es heißt, sie habe die Haarspangen entwendet.

Mit Schreiben vom 28. März 2008 stellte die Beklagte die Klägerin unwiderruflich von der Arbeit frei. Mit Schreiben vom 3. April 2008 kündigte sie das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht nach Anhörung des Betriebsrats.

Die Klägerin hat geltend gemacht, zwischen ihr und der Beklagten bestehe ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Der Geschäftsleiter der Beklagten habe am 26. März 2008 die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses erklärt, worin eine mündliche Kündigung zu sehen sei. Auch die Freistellung vom 28. März 2008 beinhalte eine Kündigungserklärung. Sämtliche Kündigungen seien unwirksam, da kein Kündigungsgrund vorgelegen habe. Sie habe die Haarspangen nur deshalb an sich genommen, weil sie ihre eigenen zuhause vergessen habe. Später habe sie vergessen, sie zu bezahlen. Die anderen Waren, die sie eingekauft habe, seien von ihr an dem Tag auch bezahlt worden. Die schriftliche Erklärung habe sie unterzeichnet, nachdem ihr erklärt worden sei, damit sei die Sache erledigt, andernfalls erfolge eine Strafanzeige und eine fristlose Kündigung. Die Beklagte habe sie bewegen wollen, einen Aufhebungsvertrag abzuschließen. Sie ist der Ansicht, der Vorfall sei selbst dann nicht kündigungsrelevant, wenn sie vorgehabt hätte, die Haarspangen nicht zu bezahlen.

Die Beklagte hat vorgetragen, am 26. März 2008 habe der Geschäftsleiter das Arbeitsverhältnis nicht mündlich gekündigt, sondern mit der Klägerin vereinbart, am nächsten Tag einen Aufhebungsvertrag abzuschließen. Als die Klägerin aber am 27. März 2008 den Abschluss eines Aufhebungsvertrages abgelehnt habe, sei zunächst die Freistellung am 28. März 2008 und anschließend die Kündigung 3. April 2008 erfolgt. Sie ist der Ansicht, die fristlose Kündigung sei wirksam, weil das Vertrauensverhältnis aufgrund des Diebstahls der Haarspangen irreparabel zerstört sei. Sofern das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen nicht beendet worden sei, habe es aufgrund der Befristungsabrede am 30. April 2008 geendet.

Das Arbeitsgericht Aachen hat durch Beschluss vom 4. Juli 2008 den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, es bestehe für die Kündigungsschutzklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Auch der Diebstahl einer geringwertigen Sache sei als wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB zu werten.

Gegen den Beschluss hat die Klägerin am 10. Juli 2008 sofortige Beschwerde eingelegt. Das Arbeitsgericht Aachen hat es abgelehnt, dieser abzuhelfen.

II. Die nach §§ 127 Abs. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist im erkannten Umfang begründet.

Auszugehen ist bei der Prüfung der Erfolgsaussicht im Sinne des § 114 ZPO von den Maßstäben, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gelten. Danach darf die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht dazu führen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern, und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. z. B. BVerfG, Beschlüsse vom 13. März 1990 - 2 BvR 94/88 - und vom 30. April 2007 - 1 BvR 1323/05 -).

1. Hinreichende Erfolgsaussicht hat das Arbeitsgericht zu Recht für die Klage gegen eine angebliche mündliche Kündigung vom 26. März 2008 und gegen die angebliche schriftliche Kündigung vom 28. März 2008 verneint.

Es kann dahinstehen, was der Geschäftsleiter am 26. März 2008 mündlich erklärt hatte. Denn durch das Schreiben vom 28. März 2008 stellte er klar, dass er zu diesem Zeitpunkt von einem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ausging und deshalb die Klägerin von der noch bestehenden Pflicht zur Arbeitsleistung freistellte. Diese Freistellung machte Sinn, weil nach dem Vorbringen beider Parteien die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung vom 3. April 2008 zunächst den Abschluss eines Aufhebungsvertrages anstrebte.

2. Dagegen besteht hinreichende Erfolgsaussicht für die Klage gegen die schriftliche Kündigung vom 3. April 2008.

Bei der Beurteilung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung und der hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 3. April 2008 müssen alle Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden.

Zwar stellt ein Diebstahl des Arbeitnehmers zum Nachteil des Arbeitgebers nach ständiger Rechtsprechung an sich einen Grund auch für eine fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar (vgl. HWK-Sandmann, Arbeitsrechtskommentar, 3. Aufl., § 626 BGB Rdn. 284 m.w.N.). Jedoch ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin zunächst die Haarspangen aus dienstlichen Gründen an sich genommen hatte, um die vorgeschriebene Kopfbedeckung tragen zu können. Wenn sie anschließend diese Haarspangen mit einem Verkaufspreis von EUR 1,99 anders als die für ihren privaten Verbrauch gekauften Waren nicht bezahlte, so mag dies auf der Vorstellung beruht haben, an sich müsste der Arbeitgeber ihr diese Haarspangen stellen. Diese Ansicht war durchaus vertretbar, da auf das Arbeitsverhältnis kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung und kraft einzelvertraglicher Inbezugnahme der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel NRW vom 10. Februar 2006 Anwendung findet, der unter § 22 vorsieht, dass der Arbeitgeber kostenlos dem Arbeitnehmer die Kleidung zu stellen hat, die aufgrund Gesetz, Verordnung oder Vorschriften der Berufsgenossenschaft oder des Arbeitgebers zu tragen ist. Die Beklagte hat selbst vorgetragen, sie habe angeordnet, dass Hauben an der Frischebedienungstheke zu tragen seien. Zur Kleidung müssen auch die zum Tragen erforderlichen Hilfsmittel wie Gürtel oder Spangen gehören.

Abgesehen davon ist auch bei einer Kündigung wegen einer Straftat stets der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten und die erforderliche Interessenabwägung vorzunehmen. Bei letzterer sind Verschuldensgrad und Schadenshöhe zu gewichten (vgl. HWK-Sandmann, a.a.O., § 626 BGB Rdn. 285).

Im Hinblick auf diese Erwägungen kann der Klage gegen die Kündigung vom 3. April 2008 nicht die hinreichende Erfolgsaussicht abgesprochen werden.

3. Hinreichende Erfolgsaussicht besteht auch, soweit die Klägerin die Unwirksamkeit der Befristung im Arbeitsvertrag vom 14. Dezember 2007 geltend macht.

a. Nach § 17 TzBfG muss der Arbeitnehmer spätestens innerhalb von drei Wochen nach dem vereinbarten Ende des befristeten Arbeitsvertrages - hier: 30. April 2008 - Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis auf Grund der Befristung nicht beendet ist.

Die Klägerin hat bereits mit der am 2. April 2008 beim Arbeitsgericht Aachen eingegangenen Klage nicht nur die Unwirksamkeit der angeblichen Kündigungen vom 26. März 2008 und 28. März 2008 geltend gemacht, sondern zusätzlich beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Dieser sog. Schleppnetzantrag erfasst weitere Beendigungstatbestände bis zum Zeitpunkt der letzten Tatsachenverhandlung erster Instanz (vgl. HWK-Quecke, a.a.O., § 4 Rdn. 49). Es wird die Ansicht vertreten, diese für Folgekündigungen entwickelte Rechtsprechung sei auch auf Befristungen zu übertragen, die zu einem späteren Datum als die Kündigung das Arbeitsverhältnis beenden sollen (vgl. dazu: APS-Backhaus, Kündigungsrecht, 3. Aufl., § 17 TzBfG Rdn. 71).

Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 23. Juni 2006 klargestellt, dass sie - mit ihrem Schleppnetzantrag - auch die Unwirksamkeit der Befristung geltend macht, nachdem sich die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 5. Juni 2008 auf diese Befristung als weiteren Beendigungstatbestand berufen hatte.

b. Da sich aus dem bisherigen Parteivorbringen nicht ergibt, dass eine wirksame Vertretungsbefristung im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 2 Ziff. 3 TzBfG vorlag, kann die hinreichende Erfolgsaussicht nicht verneint werden (vgl. zur Darlegungslast: HWK-Schmalenberg, a.a.O., § 17 TzBfG Rdn. 19).

4. Die Klägerin ist nach ihren derzeitigen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Kosten des Rechtsstreits auch nur in Raten zu tragen. Auf eine Abänderbarkeit nach § 120 Abs. 4 ZPO bei einer Besserung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse wird hingewiesen.

Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Ende der Entscheidung

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