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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 30.03.2006
Aktenzeichen: 4 Sa 501/05
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
Wird durch erstinstanzliches Urteil die Unwirksamkeit verhaltensbedingter Kündigungen festgestellt und die beklagte Arbeitgeberin gleichzeitig zur weiter beantragten Rücknahme einer - einzigen - vorausgegangenen Abmahnung und Entfernung des Abmahnungsschreibens aus dem Personalakt (aus materiell-rechtlichen Gründen) verurteilt und wird das Ersturteil hinsichtich der Abmahnung mit der Berufung nicht angegriffen, fehlt es auf Grund der somit rechtskräftigen Entscheidung zur Abmahnung auch als solcher an dieser als, hier notwendiger, Voraussetzung der Kündigung(en).
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 Sa 501/05

Verkündet am: 30. März 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Vierte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Burger sowie die ehrenamtlichen Richter Kuhlemann und Markert für Recht erkannt:

Tenor: I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 4. März 2005 - 3 Ca 13941/04 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren insbesondere noch über die Rechtswirksamkeit mehrerer außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher, Arbeitgeberkündigungen der Beklagten gegenüber dem Kläger.

Der am 00.00.1958 geborene, verheiratete und für ein Kind unterhaltspflichtige Kläger war seit 04.03.1991 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zuletzt als Kundenbetreuer im Nahverkehr mit einer Vergütung von, ebenfalls zuletzt, 1.936,12 € brutto/Monat beschäftigt. Die Beklagte erteilte dem Kläger mit Schreiben vom 16.10.2003 (Bl. 8/Rückseite bzw. Bl. 86/87 d. A.) eine Abmahnung mit dem Vermerk: "Tilgungsfrist: 2 Jahre" wegen des Vorwurfs, dass dieser am 18.09.2003 als Kundenbetreuer im Nahverkehr auf dem Zug RE 3057 entgegen der bestehenden Weisungen insbesondere das Abfertigungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt und die Vorgänge am Zug nicht vom Bahnsteig, sondern bei Abfahrt vom Seitenfenster des Führerstands aus beobachtet habe. Gegen diese Abmahnung erhob der Kläger mit Schreiben vom 30.10.2003 (Anl. K6, Bl. 101 d. A.) eine Gegendarstellung.

Vor allem wegen in Qualitätsberichten eines Qualitätsprüfers festgehaltener Pflichtverstöße des Klägers bei der Zugabfertigung, unterlassener Fahrscheinkontrollen und Lautsprecherdurchsagen u. ä. am 15.07.2004 in mehreren Regionalexpresszügen auf den Strecken Marktredwitz - Pegnitz, Pegnitz - Hof und Hof - Regensburg Hauptbahnhof kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 26.07.2004 zunächst außerordentlich fristlos (u. a. Anl. K2, Bl 9 d. A.), sodann mit Schreiben vom 29.07.2004 (u. a. Anl. K3, Bl. 10/Rückseite d. A.) hilfsweise ordentlich zum 31.03.2005 und - nachdem der Kläger beide Kündigungen mangels Beifügung einer Vollmachtsurkunde zurückweisen hatte lassen - mit Schreiben vom 03.08.2004 (u. a. Anl. K6, Bl. 17/Rückseite d. A.) erneut fristlos, hilfsweise ordentlich ebenfalls zum 31.03.2005 aus denselben Gründen.

Erstinstanzlich hat der Kläger die Unwirksamkeit sämtlicher Kündigungen, einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung und weiter einen Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung vom 16.10.2003 und Entfernung des Abmahnungsschreibens aus seiner Personalakte geltend gemacht.

Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen und des streitigen Vorbringens sowie der Anträge der Parteien im Ersten Rechtszug wird auf den ausführlichen Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Arbeitsgerichts München - an das der Rechtsstreit mit Beschluss des ursprünglich angerufenen Arbeitsgerichts Bayreuth vom 30.08.2004 (Bl. 45/46 d. A.) verwiesen worden war - vom 04.03.2005, das den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 12.04.2005 zugestellt wurde, Bezug genommen, mit dem dieses der Klage in vollem Umfang mit der Begründung stattgegeben hat, dass sowohl die außerordentlichen als auch die ordentlichen Kündigungen der Beklagten das Arbeitsverhältnis nicht beendet hätten, da zwar insbesondere das beanstandete Verhalten des Klägers, den Zug an bestimmten Bahnhöfen nicht zur Abfertigung verlassen zu haben, aus Sicherheitsgründen einen erheblichen Verstoß darstelle, der aber nicht so schwer wiege, dass insbesondere unter Berücksichtigung des Alters, der Unterhaltsverpflichtungen und der Betriebszugehörigkeit des Klägers die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen wäre, wobei hinsichtlich der ordentlichen Kündigungen zum einen auch die Betriebsratsanhörung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei - da die Information des Betriebsrats ungenau gewesen sei und hierbei des Weiteren erforderlich gewesen wäre, auch entlastende Umstände wie z. B. die Gegendarstellung des Klägers gegen die Abmahnung vom 16.10.2003 vorzulegen - und zum anderen und jedenfalls ohne Ausspruch einer weiteren Abmahnung diese nicht sozial gerechtfertigt gewesen seien.

Auch die Abmahnung vom 16.10.2003 sei irreführend und unrichtig und deshalb das Abmahnungsschreiben aus der Personalakte des Klägers zu entfernen, da aus den Darlegungen der Beklagten nicht ersichtlich sei, dass dem Kläger, wie dort gerügt, bereits öfters die Notwendigkeit des Verlassens des Zuges zum Zwecke der Abfertigung vor Augen geführt worden und diese auch unverhältnismäßig sei.

Hiergegen richtet sich die Berufung dem Beklagten mit Schriftsatz vom 12.05.2005, am selben Tag beim Landesarbeitsgericht München eingegangen, zu deren Begründung sie, hinsichtlich der Kündigungen, vorgetragen hat, dass das Arbeitsgericht verkenne, dass die sicherheitsrelevanten Pflichtverstöße des Klägers von derartigem Gewicht seien, dass sie, zumindest nach der Abmahnung vom 16.10.2003 wegen eines gleichartigen Verstoßes, nicht durch Umstände im persönlichen Bereich des Klägers relativiert oder gar aufgehoben werden könnten, weshalb das höher zu bewertende Beendigungsinteresse der Beklagten gerechtfertigt sei wegen des dringend gebotenen Schutzes von Leib und Leben der Kunden der Beklagten vor typischen Gefahrensituationen bei der Zugabfertigung, zu deren Vermeidung es unerlässlich sei, dass der Kläger, wie unstreitig vorgeschrieben und ihm bekannt, bei jedem Zughalt den Zug verlasse, um zu gewährleisten, dass Reisende wie sonstige Bahnkunden bei An- und Abfahrt des Zuges nicht zu Schaden kämen und sie ggf. durch Hilfe beim Aus- und Einsteigen den Zug sicher und weitgehend komfortabel im Rahmen des vertraglichen Beförderungsverhältnisses nutzen könnten. Deshalb sei durch das Zusammentreffen mit den Pflichtverstößen im Sicherheitsbereich das Vertrauen der Beklagten in den künftig störungsfreien Ablauf des Arbeitsverhältnisses irreparabel beeinträchtigt. Die Anhörung des Betriebsrats sei unter Berücksichtigung der Grundsätze der subjektiven Determination nicht fehlerhaft erfolgt, da eine bewusste Irreführung des Betriebsrats durch Verschweigen oder Hinzufügen von Umständen hinsichtlich des Kündigungssachverhalts nicht vorgelegen habe. Die Beklagte sei auch gemäß der Feststellungen des Arbeitsgerichts irrtümlich vom Stattfinden von Unterrichtungen gegenüber dem Kläger ausgegangen, wobei die Häufigkeit dessen Unterrichtungen für den Kündigungsentschluss der Beklagten keinesfalls ausschlaggebend gewesen seien. Auch die vom Arbeitsgericht beanstandete Nichtbeifügung der schriftlichen Gegendarstellung des Klägers zur Abmahnung vom 18.10.2003 habe nicht die Unwirksamkeit der Betriebsratsanhörung zur Folge, da es sich insoweit lediglich um Schutzbehauptungen handle, die die Beklagte weder für den Ausspruch der Abmahnung noch der Kündigung für relevant gehalten habe.

Die Beklagte beantragt:

Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 04.03.2004, Az: - 3 Ca 13941/04 -, wird abgeändert und die Klage zurückgewiesen, soweit festgestellt wurde, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 26.07.2004, 29.07.2004 und 03.08.2004 nicht beendet worden ist, sondern fortbesteht.

Der Kläger trägt zur Begründung seines Antrages auf Zurückweisung der Berufung vor, dass bereits der Betriebsrat vor der Kündigung unrichtig angehört worden sei, da es sich bei dem dem Betriebsrat nicht zur Kenntnis gegebenen Widerspruch des Klägers gegenüber der Abmahnung vom 16.10.2003 nicht mehr um ein Versehen gehandelt und dieser auch Behauptungen beinhaltet habe, die vom Betriebsrat zu werten gewesen wären, was nichts mit einer subjektiven Determination zu tun habe, sondern eine bewusst unrichtige Mitteilung darstelle. Gleiches gelte für die bei der Information des Betriebsrats behauptete Situation, dass mehrere ausführliche Gespräche und Weisungen gegenüber dem Kläger stattgefunden gehabt hätten.

Materiellrechtlich habe das Arbeitsgericht zu Recht gesehen, dass zwar das Abfertigungsverhalten des Klägers nicht mit den Sicherheitsvorschriften, die überdies laufend geändert würden, übereingestimmt habe, hierbei jedoch letzten Endes lediglich kleinere Fehler gerügt worden seien. Hinsichtlich der Abmahnung sei rechtskräftig festgestellt, dass diese unwirksam sei. Bei der Interessenabwägung verkenne die Beklagte, dass der Kläger schon langjährig ohne Beanstandungen tätig gewesen sei und das Interesse des Klägers am Erhalt seines Arbeitsplatzes den zugestandenen Pflichtenverstoß überwiege.

Wegen des Sachvortrags der Parteien im Zweiten Rechtszug im Übrigen wird Bezug genommen auf die Schriftsätze vom 07.06.2005 und vom 10.06.2005 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 26.08.2005.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht, auf dessen ausführliche Gründe Bezug genommen wird (§ 69 Abs. 2 ArbGG), hat zutreffend festgestellt, dass sämtliche Kündigungen rechtsunwirksam bzw. als vorsorgliche ordentliche Kündigungen auch sozial ungerechtfertigt sind.

1. a) Die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 26.07.2004 und die vorsorgliche ordentliche Kündigung mit nachfolgendem Schreiben vom 29.07.2004 sind zwar - was im Ergebnis allerdings offen bleiben kann - nicht bereits im Hinblick auf § 174 BGB rechtsunwirksam, weil der Kläger in seiner - damit wenngleich unverzüglich erfolgten (§§ 174 Satz 1, 121 Abs. 1 BGB) - Zurückweisung mit Schreiben seiner früheren Prozessbevollmächtigten vom 30.07.2004 selbst ausführt, dass beiden Kündigungsschreiben eine Vollmachtsurkunde über die Bevollmächtigung u. a. von Herrn M. beigelegen habe und beiden Kündigungsschreiben allerdings unschwer und ohne allzu große Dechiffrieranstrengungen zu entnehmen ist, dass u. a. Herr D. als Personalleiter beide oberhalb der entsprechenden maschinenschriftlichen Namensangabe unterzeichnet hat.

b) Weiter kann offen bleiben, ob nicht beide zeitlich zuerst ausgesprochenen Kündigungen - diejenige vom 26.07.2004 (außerordentliche fristlose Kündigung) und die vorsorgliche ordentliche Kündigung vom 29.07.2004 - bereits wegen fehlerhafter Beteiligung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG rechtsunwirksam sind (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG), weil, wie das Arbeitsgericht, im Rahmen der Würdigung der ordentlichen Kündigung zunächst vom 29.07.2004, im Ansatz zutreffend ausgeführt hat,

- die Auflistung der Leistungsmängel des Klägers im Informationsschreiben an den Betriebsrat vom 19.07.2004 (Anl. B5, Bl. 94 f d. A.) hinsichtlich der Qualitätsprüfung in drei RE-Zügen (3050, 3049 und 26107) am 15.07.2004 ersichtlich mechanisch den dort beigefügten Qualitätsberichten entnommen ist, wo eben diese Punkte abstrakt unter der Spalte "Nein" angekreuzt sind (allerdings am Ende aller drei beigefügten Qualitätsberichte ergänzend auch handschriftliche Detailbeanstandungen angefügt sind), ohne dass nach dem Vorbringen der Beklagten etwa eine ergänzende, auch mündliche, Erläuterung stattgefunden hätte,

- und allerdings unstreitig die, wenngleich wenig nachvollziehbare und substantielle, Gegendarstellung des Klägers vom 30.10.2003 zu der, ebenfalls dem Anhörungsschreiben vom 19.07.2004 - nach dessen Inhalt - beigefügten Abmahnung vom 16.10.2003 nicht beilag:

Bei beabsichtigtem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung darf der Arbeitgeber dem Betriebsrat den zu kündigenden Arbeitnehmer entlastende Umstände nicht vorenthalten, soweit sie dem Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung bekannt und aus seiner subjektiven Sicht für den Kündigungssachverhalt und Kündigungsentschluss nicht unerheblich sind; deshalb gehört zur ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats in der Regel auch die Information über eine bereits vorliegende Gegendarstellung des Arbeitnehmers zu einer erteilten einschlägigen Abmahnung, die gegenüber dem Betriebsrat zur Begründung der beabsichtigten Kündigung herangezogen werden soll, da es bereits der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) gebieten kann, dem Betriebsrat solche gegen den Ausspruch der Kündigung sprechende Umstände nicht vorzuenthalten (vgl. nur BAG, U. v. 31.08.1989, AP Nr. 1 zu § 77 LPVG Schleswig-Holstein; siehe auch BAG, U. v. 22.09.1994, AP Nr. 68 zu § 102 BetrVG 1972 - II. 3. a der Gründe -).

Da die Beklagte die Kündigungen vom 26.07.2004 und vom 29.07.2004 jedoch wesentlich auf die bei der dortigen Qualitätsprüfung festgestellten Vorfälle/Pflichtverletzungen des Klägers in mehreren RE-Zügen am 15.07.2004 stützt - und allein stützen kann, da die schriftsätzlich zunächst in der erstinstanzlichen Klageerwiderung vom 21.12.2004 weiter ausgeführten vergleichbaren/ähnlichen Beanstandungen bei der Zugbegleitung des Klägers am 30.04.2002, am 06.03.2003 und am 18.09.2003 ersichtlich nicht Gegenstand der Betriebsratsinformation mit Schreiben vom 19.07.2004 waren (!, vgl. BAG, etwa U. v. 11.10.1989, AP Nr. 47 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung - II. 2. (3.) b und c der Gründe -; KR-Etzel, 7. Aufl. 2004, § 102 BetrVG Rzn. 66 f, 111 und 185 f, jeweils m. w. N.) -, mag allerdings im Hinblick auf die von der Beklagten angezogenen Grundsätze der subjektiven Determination nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich der dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungsgründe das Unterlassen der Vorlage der Gegendarstellung des Klägers vom 30.10.2003 zur Abmahnung vom 16.10.2003 - zumal diese eben nicht besonders aussagekräftig und überzeugend erscheint! -, insoweit, noch nicht ohne weiteres als schädlich für die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsinformation und damit das Anhörungsverfahren insgesamt angesehen werden.

c) Entscheidend für die Berufungskammer ist allerdings, dass die Kündigungen vom 26.07.2004 und vom 29.07.2004 jedenfalls aus materiellrechtlichen Gründen unwirksam (außerordentliche Kündigung, § 626 Abs. 1 BGB) bzw. sozial ungerechtfertigt (ordentliche Kündigung, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) sind schon deshalb, weil es auf Grund der rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts hierüber am Vorliegen mindestens einer, unverzichtbaren, Abmahnung fehlt:

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt eine verhaltensbedingte - ordentliche und außerordentliche - Kündigung wie hier, wie grundsätzlich auch die Beklagte selbst in der Berufungsbegründung konzediert, grundsätzlich den vorherigen Ausspruch einer Abmahnung im Rechtssinne und die Wiederholung gleichgelagerten Fehlverhaltens voraus.

Die Notwendigkeit einer Abmahnung wäre hier nicht etwa im Hinblick auf die Bedeutung des Fehlverhaltens des Klägers verzichtbar gewesen: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entfällt das Erfordernis einer Abmahnung als Voraussetzung einer Kündigung insbesondere - nur - dann, wenn der Arbeitnehmer eine schwere Pflichtverletzung begangen hat, die für ihn ohne weiteres erkennbar und deren Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen war - in solchen Fällen muss es dem Arbeitnehmer bewusst sein, dass er mit seinem Verhalten seinen Arbeitsplatz aufs Spiel setzt (vgl. BAG, U. v. 11.03.1999, AP Nr. 149 zu § 626 BGB - II. 1. b aa der Gründe -; U. v. 10.02.1999, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG 1969 - II. 5 der Gründe -); Gleiches gilt, wenn die Vertrauensgrundlage der Rechtsbeziehung durch die Pflichtverletzung derart erschüttert ist, dass sie auch durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden kann (vgl. etwa BGH, U. v. 02.03.2004, MDR 2004, S. 737 f, m. w. N.).

Vom Vorliegen derart bereits besonders schwerwiegender Pflichtverletzungen die das Erfordernis (mindestens) einer Abmahnung entfallen lassen könnten, kann hier jedoch nach dem vorgetragenen Sachverhalt nicht ausgegangen werden (wenngleich gerade das, vom Arbeitsgericht auch besonders gewürdigte, Verhalten des Klägers, aus wenig nachvollziehbaren Gründen (nur) an einzelnen Haltepunkten den Zug nicht zu verlassen, hinsichtlich seiner grundsätzlichen Bedeutung und potentiellen Gefährdungssituation nicht unterschätzt werden soll).

bb) Hier fehlt es auf Grund der insoweit rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts im angefochtenen Endurteil hinsichtlich der ebenfalls angegriffen gewesenen - einzigen - Abmahnung vom 16.03.2003 am Vorliegen einer sonach unverzichtbaren Abmahnung:

Das Arbeitsgericht hatte mit dem Endurteil vom 04.03.2005 dem weiteren Antrag des Klägers, "die Abmahnung vom 16.10.2003 zurückzunehmen und aus der Personalakte des Klägers zu entfernen", vollinhaltlich entsprochen und die Beklagte ebenso verurteilt. Auch ausweislich der diesbezüglichen Entscheidungsgründe (unter II. 5., S. 18 f dieses Urteils) hat das Arbeitsgericht die Abmahnung nicht etwa nur aus formellen Gründen als rechtsunwirksam angesehen und/oder die Beklagte zur Entfernung allein des Abmahnungsschreibens aus der Personalakte verurteilt - was die Abmahnung als solche, hinsichtlich ihrer Beanstandungs-/Warnfunktion, mündlich, grundsätzlich unberührt lassen würde (vgl. den gerichtlichen Hinweis- und Auflagenbeschluss vom 29.09.2005 und die dort unter Ziff. 4. lit. a) zitierte Rechtsprechung und Literatur) -, sondern die Abmahnung vom 16.10.2003 ausdrücklich auch als materiellrechtliche Erklärung als unberechtigt - weil in zwei Punkten eine unrichtige Tatsachenbehauptung enthaltend (da vor allem keine mehrfache Beanstandung vorausgegangen gewesen sei ...) und auch unverhältnismäßig - angesehen und deshalb die Beklagte, wie beantragt, nicht nur zur Entfernung des Abmahnungsschreibens aus der Personalakte, sondern auch zur Rücknahme der Abmahnung im Sinne eines Widerrufs der materiellrechtlichen Abmahnungserklärung als solcher (auf Grund eines quasi-negatorischen Beseitigungsanspruchs gemäß § 1004 Abs. 2 BGB analog) verurteilt, weshalb die Abmahnung vom 16.10.2003 insgesamt, auch als Erklärung, also auch als mündliche Abmahnung, gegenstandslos ist und rückwirkend, ex tunc, keine Wirkung mehr entfaltet (BAG, U. v. 05.08.1992, AP Nr. 8 zu § 611 BGB Abmahnung; vgl. wiederum bereits den gerichtlichen Beschluss vom 29.09.2005, aaO).

Die arbeitsgerichtliche Entscheidung hat die Beklagte insoweit jedoch mit der Berufung ausdrücklich nicht angegriffen und damit rechtskräftig werden lassen:

Ausweislich des Berufungsantrags im Berufungsbegründungsschriftsatz vom 07.06.2005, Ziff. 1., auf den sie in den mündlichen Verhandlungen im Berufungsverfahren allein Bezug genommen hat, beantragt sie eindeutig Abänderung des Ersturteils und Klageabweisung (nur), "soweit" die Nichtbeendigung des Arbeitsverhältnisses durch die angegriffenen Kündigungen festgestellt wurde - also unzweifelhaft nicht Änderung des Ersturteils auch hinsichtlich der ausgeurteilten Leistungsanträge (insbesondere eben zur Abmahnung vom 16.10.2003). Hierauf hatte die Berufungskammer ebenfalls bereits mit Beschluss vom 29.09.2005 (aaO) ausdrücklich hingewiesen. Zu den Gründen des Ersturteils hinsichtlich der in vollem Umfang stattgegebenen Leistungsklage zur Rücknahme/Entfernung der Abmahnung/des Abmahnungsschreibens hat sie in ihrer Berufungsbegründung auch nichts ausgeführt (s.u.).

Selbst wenn - im Hinblick auf die von der Beklagten hierzu erst (!) in der weiteren mündlichen Verhandlung am 16.03.2006 leise geäußerten Überlegungen - im Berufungsantrag (konkludent ...?) etwa auch ein Angriff gegen den Ausspruch des Ersturteils zur Abmahnung zu sehen wäre (?), wäre die Berufung insoweit jedenfalls unzulässig - das Ersturteil damit insoweit ebenfalls rechtskräftig -, weil sich die Berufungsbegründung mit den ausführlichen Erwägungen des Arbeitsgerichts im Endurteil vom 04.03.2005 zur Abmahnung eben auch nicht ansatzweise auseinandersetzt. Die Berufung muss sich, was nicht extensiv begründet zu werden braucht, mit sämtlichen in der Vorinstanz entschiedenen Streitgegenständen/prozessualen Ansprüchen, soweit diese mit der Berufung angegriffen werden sollen - auch mit etwa unabhängig von einander gegebenen selbstständig tragenden rechtlichen Erwägungen zu einem prozessualen Anspruch (vgl. hierzu zuletzt etwa BGH, B. v. 18.10.2005, VI ZB 81/04, VersR 2006, S 285 f; ebenso BAG, U. v. 11.03.1998, AP Nr. 49 zu § 519 ZPO) -, einzeln ausreichend auseinandersetzen, andernfalls ist die Berufung unzulässig (sh. auch BAG, U. v. 16.04.1997, NZA 1998, S. 45 f; BGH, U. v. 09.03.1995, AP Nr. 46 zu § 519 ZPO; vgl. auch Schwab in Schwab/Weth (Hg.), ArbGG (2004), § 64 Rz. 162 m. w. N.).

cc) Wegen rechtskräftiger Entscheidung über die Abmahnung vom 16.10.2003 auch als solcher fehlt es damit bereits am Vorliegen einer, unverzichtbaren, Abmahnung als zwingender Voraussetzung für die verhaltensbedingten Kündigungen vom 26.07.2004 und vom 29.07.2004, weshalb diese unwirksam (§ 626 BGB) bzw. sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG) sind.

2. Die gleichen Grundsätze gelten hinsichtlich der vorsorglichen außerordentlichen, hilfsweise gleichzeitig als ordentlicher ausgesprochenen, Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 03.08.2004, die überdies schon deshalb rechtsunwirksam ist, weil - wie die Beklagte auf den entsprechenden Hinweis wiederum im gerichtlichen Auflagenbeschluss vom 29.09.2005 (aaO) vorgetragen hat - der Betriebsrat hierzu nicht, wie erforderlich, erneut angehört worden war (BAG, Ue. v. 10.11.1989 und v. 16.09.1993, AP Nrn. 55 und 62 - hier II. 2. der Gründe - zu § 102 BetrVG 1972).

3. Damit war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

III.

Die Beklagte hat damit die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

IV.

Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gemäß § 72 a ArbGG die Beklagte hingewiesen wird, zulassen sollte.

Ende der Entscheidung

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