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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 22.07.2008
Aktenzeichen: 1 Sa 257/07
Rechtsgebiete: BAT-O, BGB, TV-Ärzte/VKA, TVG


Vorschriften:

BAT-O
BGB § 611
TV-Ärzte/VKA
TVG § 4
1. Eine arbeitsvertragliche Klausel in einem Arbeitsvertrag eines Arztes in einer Klinik eines kirchlichen Arbeitgebers (Diakonie), die auf den BAT-O verweist, kann nicht als Gleichstellungsabrede aufgefasst werden. Es handelt sich vielmehr um eine konstitutive Bezugnahmeklausel auf das fremde Tarifwerk.

2. Soll die arbeitsvertragliche Inbezugnahme nicht nur den BAT-O erfassen, sondern auch die "diesen ergänzenden ändernden oder ersetzenden" Tarifverträge in der "für die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeber (VKA) jeweils geltenden Fassung", liegt eine umfassende dynamische Bezugnahme auf das jeweils für VKA-Arbeitgeber maßgebliche gesamte Tarifwerk vor.

3. Ist der Arbeitnehmer dieses Arbeitsvertrages Mitglied des Marburger Bundes, muss der kirchliche Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis der Parteien den Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) vom 17. August 2006 anwenden und nicht den TVÖD, da man sich zur Bestimmung des Inhalts der Bezugnahmeklausel fiktiv vorstellen muss, der kirchliche Arbeitgeber sei Mitglied des VKA. In diesem Falle müsste der Arbeitgeber hier kraft der Mitgliedschaft des Klägers im Marburger Bund im Arbeitsverhältnis der Parteien den TV-Ärzte/VKA anwenden.


Tenor:

1. Auf die klägerische Berufung wird unter teilweiser Abänderung der Klagabweisung durch das Arbeitsgericht festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien ab dem 1. August 2006 der "Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände" (TV-Ärzte/VKA) vom 17. August 2006 anzuwenden ist.

2. Im Übrigen wird die Berufung als unzulässig verworfen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits tragen beide Parteien je zur Hälfte.

4. Die Revision wird nur für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Frage, welcher Tarifvertrag auf ihr Arbeitsverhältnis aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel Anwendung findet und in welcher Entgeltgruppe der Kläger dann eingruppiert ist.

Der Kläger ist seit dem 1. Januar 2001 als Facharzt für Kinderchirurgie und Oberarzt in der Klinik für Kinderchirurgie der Beklagten beschäftigt. In § 2 des Arbeitsvertrages vom 10. April 2000 (Kopie Blatt 4 d. A., es wird Bezug genommen) heißt es zum anwendbaren Tarifrecht wörtlich:

"§ 2

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften (BAT-O) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung. Außerdem finden die im Bereich des Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung."

Die Beklagte hat die Rechtsform einer GmbH, gehört jedoch zum Bereich der Diakonie. Sie betreibt das Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum in Neubrandenburg. Diese Einrichtung hatte die Beklagte Jahre vor dem Dienstantritt des Klägers von einem Träger der öffentlichen Hand übernommen. Dementsprechend waren zunächst und auch noch während der Zeit des Eintritts des Klägers die Arbeitsverträge der dort tätigen Arbeitnehmer mit gleichen oder ähnlichen arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklauseln auf die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes versehen.

Einige Jahre später (2003) hatte die Beklagte versucht, die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer der Klinik auf eine für den kirchlichen Bereich typische Inbezugnahme der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) umzustellen. Die meisten Arbeitnehmer der Klinik haben dementsprechende neue Arbeitsverträge unterzeichnet. Der Kläger war nicht bereit, einen Arbeitsvertrag auf Basis der AVR abzuschließen. Die Beklagte hatte sodann versucht, diese Änderung im Wege einer Änderungskündigung zu erzwingen. Diese Änderungskündigung hat der Kläger erfolgreich gerichtlich angegriffen (Arbeitsgericht Neubrandenburg 4 Ca 2158/03).

Mit Inkrafttreten des TVöD zum 01.10.2005 sollte das Arbeitsverhältnis der Parteien nach dem Willen der Beklagten und unter Bezugnahme auf § 2 des Arbeitsvertrages auf Basis des TVöD fortgesetzt werden. Der Kläger, der selbst Mitglied des Marburger Bundes ist, hat sich gegen die Anwendung dieses Tarifwerkes gewandt und darauf bestanden, dass weiterhin der BAT-O zur Anwendung komme. Dem hat sich die Beklagte gebeugt.

Mit dem Inkrafttreten des TV-Ärzte durch Tarifabschluss zwischen dem Marburger Bund und der VKA mit Wirkung ab 1. August 2006 hat der Kläger verlangt, diesen Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwenden. Er vertritt insoweit die Auffassung, erst dieser Tarifvertrag habe im Arbeitsverhältnis der Parteien nach § 2 des Arbeitsvertrages den BAT-O abgelöst bzw. ersetzt.

Der Kläger meint, er sei nach § 16 TV-Ärzte (VKA) in der Entgeltgruppe IV eingruppiert. Insoweit ist unstreitig, dass zum Ende April 2004 an der Klinik der leitende Oberarzt Herr Dr. Sch, dem die Vertretung des Chefarztes übertragen war, ausgeschieden ist. Weiter ist unstreitig, dass der Kläger ab April 2004 im beruflichen Alltag in die bisherige Stellung von Herrn Dr. Sch eingerückt ist. Aus der Sicht des Chefarztes ist der Kläger seit dem sein Stellvertreter gewesen. Der Antrag des Chefarztes an die Klinikleitung vom 25.10.2004, dies förmlich zu beschließen, wurde abgelehnt. Dementsprechend ist dem Kläger die Stellung als Stellvertreter des Chefarztes oder auch die Stellung des "Ersten Oberarztes" zu keinem Zeitpunkt ausdrücklich oder gar förmlich von der Klinikleitung übertragen worden.

Nach vergeblichen außergerichtlichen Bemühungen verfolgt der Kläger sein Begehren mit der vorliegenden Klage, die am 24.01.2007 beim Arbeitsgericht eingegangen ist, in Form von Feststellungsanträgen weiter. Er begehrt sowohl die Feststellung der Geltung des TV-Ärzte im Arbeitsverhältnis der Parteien als auch die darauf aufbauende Feststellung der Eingruppierung in die Entgeltgruppe IV.

Der Kläger ist während des Rechtsstreit zum 31.12.2007 aus den Diensten der Beklagten ausgeschieden.

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat die Klage mit Urteil vom 23. August 2007 insgesamt abgewiesen. Auf dieses Urteil wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

Das arbeitsgerichtliche Urteil ist dem Kläger am 17. September 2007 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung vom 15. Oktober 2007 hat das Landesarbeitsgericht am 16. Oktober 2007 erreicht. Aufgrund eines Antrages, der hier am 13.11.2007 eingegangen war, ist sodann die Frist zur Begründung der Berufung antragsgemäß bis zum 19.12.2007 verlängert worden. Die Berufung ist sodann mit dem Schriftsatz vom 18.12.2007, der beim Landesarbeitsgericht am 19.12.2007 eingegangen ist, begründet worden.

Der Kläger verfolgt im Berufungsrechtszug sein Begehren in vollem Umfang weiter.

In der Berufungsbegründung setzt er sich insbesondere mit der Auslegung von § 2 des Arbeitsvertrages und mit den daraus folgenden Konsequenzen auseinander. Zur Frage der Eingruppierung in die Entgeltgruppe IV heißt es in der Berufungsbegründung lediglich, da das Arbeitsgericht rechtsirrig die Anwendung des TV-Ärzte verneint habe, habe es auch rechtsirrig versäumt, der Frage der richtigen Eingruppierung nachzugehen.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 23. August 2007 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Neubrandenburg (Az. 4 Ca 91/07) festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis des Klägers beginnend mit dem 1. August 2006 die Regelungen des am 17. August 2006 zwischen der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände und dem Marburger Bund abgeschlossenen "Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände" (TV-Ärzte/ VKA) anzuwenden sind und dass der Kläger in die Entgeltgruppe IV unter Berücksichtigung seiner seit dem Monat April 2004 ausgeübten Tätigkeit als leitender Oberarzt einzustufen sei.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien sei im Sinne einer Gleichstellung auszulegen. Es sollte seinerzeit eine Gleichstellung mit den anderen Arbeitnehmern der Beklagten in der Klinik erfolgen. Selbst wenn man die Klausel als eine Gleichstellungsabrede bezogen auf vergleichbares Personal in öffentlich geführten Kliniken beziehen wolle, könne diese Auslegung allenfalls dazu führen, dass die Klausel sich auf den TVöD, den die Gewerkschaft ver.di abgeschlossen habe und der ebenfalls Eingruppierungsmerkmale für Ärzte im Besonderen Teil BT-K vorsehe, beziehe. Denn die Beklagte habe nur Interesse daran gehabt marktübliche Arbeitsbedingungen anzubieten, und der Markt werde eben noch geprägt von den Tarifverträgen im öffentlichen Dienst. Damit scheide die Anwendung des TV-Ärzte aufgrund der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel aus, denn es sei ein Spezialtarifvertrag, den eine kleine Gewerkschaft unter Außerachtlassung der gemeinsamen Interessen aller Beschäftigten des öffentlichen Dienstes durchgesetzt habe.

Das Verfahren ist nach dem Widerruf des Vergleichs aus der mündlichen Verhandlung vom 13.03.2008 im Einverständnis der Parteien im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO fortgesetzt und zu Ende geführt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Feststellungsantrag hinsichtlich des zur Anwendung kommenden Tarifvertrages ist zulässig und begründet. Der weitere Berufungsantrag hinsichtlich der begehrten Eingruppierung in die Entgeltgruppe IV ist mangels ausreichender Begründung der Berufung unzulässig.

I.

Die Berufung ist hinsichtlich der begehrten Eingruppierung in die Entgeltgruppe IV unzulässig, da der Kläger seine Berufung nicht ausreichend begründet hat.

Nach § 64 Absatz 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO muss der Berufungskläger die Berufung begründen. Nach § 522 Absatz 1 ZPO hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung diesem Erfordernis genügt. Das ist vorliegend nicht der Fall.

Die Begründungspflicht besteht bei einer Mehrheit von Streitgegenständen hinsichtlich jedes einzelnen Streitgegenstandes (BGH NJW 1998, 1399). Die Begründungspflicht bestand daher hier auch bezüglich der geltend gemachten Eingruppierung in die Entgeltgruppe IV. Der Kläger hat seinen Eingruppierungsantrag innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nicht begründet. Der Vortrag, das Arbeitsgericht habe sich aufgrund seines rechtsirrigen Standpunktes fehlerhaft nicht mit diesem Streitgegenstand befasst, ist keine Anspruchsbegründung.

Vorliegend kann der Kläger nicht damit gehört werden, die Begründung des Anspruchs ergebe sich aus dem erstinstanzlichen Vortrag. Denn auch erstinstanzlich fehlt es an einer schlüssigen Begründung des Anspruchs. Der Kläger hat sich zum Beispiel nicht mit dem Tatsachenvortrag der Beklagten auseinandergesetzt, die Klinikleitung habe den Wunsch des Chefarztes, den Kläger zu seinem Stellvertreter zu bestellen, abgelehnt.

II.

Soweit die Berufung zulässig ist, ist sie auch begründet.

1.

Der Feststellungsantrag hinsichtlich des anzuwendenden Tarifvertrages ist zulässig.

Für eine Feststellungsklage, mit der geklärt werden soll, welcher Tarifvertrag auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, ist das Feststellungsinteresse gegeben, wenn hiervon die Entscheidung über mehrere Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis abhängt (BAG 28.05.1997 - 4 AZR 663/95 - AP Nr. 6 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag = NZA 1997, 1066 = DB 1997, 2130).

Diese Voraussetzung ist erfüllt, denn von der Anwendung des Tarifvertrages hängt sowohl die Grundvergütung des Klägers ab, als auch die variablen Vergütungsbestandteile, die für Sonderformen der Arbeitszeit (Bereitschaftsdienste etc) gezahlt werden.

Dem Feststellungsantrag steht das zwischenzeitliche Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis nicht entgegen, denn die Beklagte wird sich dem Feststellungsurteil, sofern es zu ihren Lasten rechtskräftig wird, beugen und eine entsprechende Nachberechnung der Bezüge vornehmen. Davon kann aufgrund der Einbindung in die Diakonie ausgegangen werden.

Das Gericht hat die Formulierung der im Antrag begehrten Feststellung im Tenor sprachlich etwas geglättet. Das darf nicht als teilweise Zurückweisung des klägerischen Begehrens missverstanden werden.

2.

Der Feststellungsantrag ist auch begründet.

§ 2 des Arbeitsvertrages der Parteien ist so zu verstehen, dass er seit August 2006 auf den rückwirkend zum 1. August in Kraft gesetzten TV-Ärzte/VKA verweist.

a)

§ 2 des Arbeitsvertrages kann nicht als eine Gleichstellungsabrede im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts angesehen werden. Denn die Gleichstellungsabrede soll sicherstellen, dass der Arbeitgeber tarifgebundene und nicht tarifgebundene Arbeitnehmer in seinem Betrieb gleich behandelt. Die Auslegung einer vertraglichen Inbezugnahme eines Tarifvertrages oder eines ganzen Tarifwerkes als Gleichstellungsabrede setzt damit notwendig voraus, dass der Arbeitgeber selbst ebenfalls der Tarifbindung unterliegt, denn nur dann kann es in seinem Betrieb Arbeitnehmer geben, die tarifgebunden sind.

Daran mangelt es hier. Als kirchliche Arbeitgeberin gehört die Beklagte keinem der Arbeitgeberverbände an, die den BAT-O, auf den der Arbeitsvertrag Bezug nimmt, mit abgeschlossen haben.

Demnach muss davon ausgegangen werden, dass die Parteien sich tatsächlich rechtsgeschäftlich konstitutiv und unabhängig von einer Tarifbindung der Beklagten darauf geeinigt haben, den BAT-O auf das Arbeitsverhältnis der Parteien zur Anwendung bringen zu wollen. Dass die Beklagte damit einen Arbeitsvertrag abgeschlossen hat, der den übrigen Arbeitsverträgen entsprach, die seinerzeit in der Klinik galten, hat nichts mit einer Gleichstellungsabrede im Sinne der Rechtsprechung des BAG zu tun und kann den konstitutiven Charakter der Abrede nicht in Frage stellen. Insoweit fehlt es bereits an der Behauptung, dass dieser besondere Umstand der innerbetrieblichen Üblichkeit derartiger Vertragsabreden dem Kläger bei Vertragsunterzeichnung überhaupt bekannt war.

b)

Da die Parteien nicht nur den BAT-O sondern auch die "diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden" Tarifverträge in Bezug genommen haben, ist von einer konstitutiven dynamischen Verweisung auf das Tarifwerk des öffentlichen Dienstes in seiner jeweils geltenden Fassung auszugehen.

Diese sehr weitgehende Abrede wird nur dadurch eingeschränkt bzw. konkretisiert, dass es auf die "für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung" der Tarifverträge ankommen soll. Ob man dem letzten Satz von § 2 ("Außerdem finden die im Bereich des Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung") angesichts der Zugehörigkeit der Beklagten zur Diakonie überhaupt einen Sinn abgewinnen könnte, kann offen bleiben, da sich weder der Kläger noch die Beklagte für ihren Standpunkt auf diese Regelung bezieht.

Für die Anwendung der Bezugnahmeklausel muss man sich also vorstellen, die Beklagte würde zum Bereich des (kommunalen) öffentlichen Dienstes gehören und sie sei Mitglied in der VKA. Die in einem solchen fiktiven Fall dann für die Beklagte im Falle der Tarifbindung eines ihrer Arbeitnehmer geltenden Tarifnormen sollten aufgrund der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel dann auch im Arbeitsverhältnis der Parteien des vorliegenden Rechtsstreits gelten.

c)

Die Anwendung des TV-Ärzte/VKA hängt also davon ab, ob auch ein gedachter kommunaler Arbeitgeber mit Tarifbindung an die VKA diesen Tarifvertrag auf den Kläger anwenden müsste. Das ist zu bejahen.

Denn im Falle der hier zu beobachtenden Tarifkonkurrenz zweier Gewerkschaften müsste der Arbeitgeber vom gedanklichen Ansatz her immer den Tarifvertrag zur Anwendung bringen, der zu der Gewerkschaft des betroffenen Arbeitnehmers passt. Dieser Zwang zur Differenzierung müsste dann aber auch auf die vertragliche Inbezugnahme auf einen branchenfremden Tarifvertrag durchschlagen. Die vertragliche Inbezugnahme verweist auf den Tarifvertrag, der kraft der tatsächlich vorhandenen Gewerkschaftsbindung des Arbeitnehmers in dem betrachteten fiktiven Fall anzuwenden wäre. Da der Kläger nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass er dem Marburger Bund angehört, müsste der hier betrachtete fiktive Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes mit VKA-Bindung also im Arbeitsverhältnis zum Kläger den TV-Ärzte zur Anwendung bringen.

Das Problem der hier gegebenen Tarifkonkurrenz zwischen dem ver.di-Tarifvertrag (TVöD) und dem Tarifvertrag des Marburger Bundes (TV-Ärzte/VKA) kann auch nicht mit dem Leitgedanken der Tarifeinheit ("Ein Betrieb - Ein Tarifvertrag") aus der Welt geschafft werden, denn der hier betrachtete fiktive Arbeitgeber muss sich verbandstreu verhalten und die VKA hat nun einmal mit beiden Gewerkschaften Tarifverträge für denselben Personenkreis abgeschlossen; der Arbeitgeber ist also allein schon aufgrund der Tarifabschlüsse der VKA gezwungen, innerhalb seiner Belegschaft zu differenzieren.

Selbst dann, wenn man hilfsweise annehmen würde, dass die Anwendung verschiedener Tarifverträge auf dieselbe Arbeitnehmergruppe innerhalb eines Betriebes rechtlich nicht hinnehmbar wäre, würde die dann notwendige Harmonisierung dazu führen, dass hier der TV-Ärzte/VKA auf alle Ärzte anzuwenden wäre. Denn angesichts der Beobachtung, dass sich in der Tariflandschaft kleine Gewerkschaften für kleine Arbeitnehmergruppen etabliert haben, muss auch der alte Gedanke der Tarifeinheit an die neuen tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werden. Daher kann heute zum Zwecke der Harmonisierung nicht mehr auf den ganzen Betrieb abgestellt werden, sondern es kann allenfalls noch um eine Harmonisierung innerhalb einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer gehen. Auf diese Arbeitnehmergruppe wäre dann nach dem Spezialitätsgedanken der Tarifvertrag einheitlich anzuwenden, der sachnäher und passender ist. Das wäre hier der TV-Ärzte/VKA, da er sich ausschließlich mit den Belangen der Berufsgruppe der Ärzte auseinandersetzt; er müsste daher als der sachnähere Tarifvertrag dem für alle Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes geltenden TVöD vorgehen. Dies ergibt sich für das Gericht indirekt auch aus § 2 Absatz 1 des Überleitungstarifvertrages zum TV-Ärzte/VKA, nach dem der TV-Ärzte in seinem Anwendungsbereich nicht nur den BAT und den BAT-O ablöst, sondern zusätzlich auch den TVÖD, an dessen Abschluss der Marburger Bund gar nicht beteiligt war.

d)

Dem kann die Beklagte nicht entgegenhalten, ihr Interesse bei Verabredung der Bezugnahmeklausel wäre es lediglich gewesen, dem Kläger marktübliche Konditionen anzubieten. Es ist bereits fraglich, ob man mit diesem Argument die Anwendung des TV-Ärzte/VKA überhaupt ausschließen könnte, denn dazu hätte mindestens weiterer Sachvortrag zu den marktüblichen Arbeitsbedingungen nach dem Auftreten der Tarifkonkurrenz seit August 2006 gehört. Eines diesbezüglichen Hinweises bedurfte es jedoch nicht, da die Beklagte zu diesem Gedanken nicht vorgetragen hat, das es ein gemeinsamer Gedanke war, den beide Parteien des Arbeitsvertrages dem Vertragsschluss zu Grunde gelegt haben.

III.

Die Kosten des Rechtsstreits sind nach § 92 ZPO hälftig zu teilen, da dies dem jeweiligen Obsiegen beider Parteien bei einer wertenden Betrachtung entspricht.

Das Gericht hat für die Beklagte das Rechtsmittel der Revision nach § 72 Absatz 2 Satz 1 ArbGG zugelassen. Soweit der Kläger mit der Berufung nicht durchdringen konnte, steht ihm kein weiteres Rechtsmittel zu, da kein Anlass besteht, hinsichtlich der verworfenen Berufung die Rechtsbeschwerde zuzulassen.

Ende der Entscheidung

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