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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 26.08.2009
Aktenzeichen: 2 Sa 31/09
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 626
KSchG § 1
1. Von einer Entbehrlichkeit der Mitteilung der Sozialdaten an den Personalrat kann nur dann ausgegangen werden, wenn es sich um erhebliche Kündigungsvorwürfe handelt (vgl. BAG vom 21.06.2001 -2 AZR 30/00- ). Die unerlaubte Weitergabe von im Wesentlichen zutreffenden Informationen an die Presse gehört nicht zu derartigen Pflichtverletzungen.

2. Einzelfallbezogene Ausführungen zu den Aufklärungspflichten bei einer Verdachtskündigung.


Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen und mehrerer fristgerechter Kündigungen. Die am 08.09.1950 geborene Klägerin ist seit 1973 bei der Beklagten als Angestellte, zuletzt in der Bürgerverwaltung, mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoverdienst in Höhe von 1.840,99 EUR entsprechend der Vergütungsgruppe Vb BAT-O/EG 9 TVöD tätig.

Seit dem 01.10.2007 befindet sie sich in einem Altersteilzeitverhältnis. Am 25. und 29. Februar 2008 sowie am 07.03.2008 erschienen in der Regionalausgabe des "Nordkurier" Artikel, die sich mit internen Vorgängen in der Stadtverwaltung befassten. Am 06.03.2008 wurde die Beklagte darüber informiert, dass ein Lokalredakeur des "Nordkurier" einen Herrn Sch als behördeninternen Informanten genannt habe. Zwischen Herrn Sch und der Klägerin bestehen private und dienstliche Kontakte. Herr Sch ist Mitarbeiter des u. a. auch für die Beklagte zuständigen Landkreises und Gemeindevertreter einer Gemeinde, die von der Stadtverwaltung der Beklagten mitbetreut wird.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 19.03.2008 fristlos, hilfsweise fristgemäß. In dem Kündigungsschreiben führte sie u. a. aus:

Der Verdacht, nunmehr auch gegen diese Verschwiegenheitsverpflichtung verstoßen zu haben, lastete zunächst auf allen befragten Mitarbeitern. Er lastete jedoch nicht auf allen Mitarbeitern gleichermaßen, der hauptsächliche Verdacht fällt auf Sie.

Dies insbesondere deshalb, weil

- ausschließlich Sie mit dem Informanten vom 25.02. - 03.03.08 Telefonate mit Dienstapparat geführt haben, für die es keine dienstliche Veranlassung gab;

- ausschließlich Sie mit dem Informanten freundschaftlich verkehren, so dass der Schluss nahe liegt, dass es zusätzliche private Gespräche außerhalb des Rathauses zum o. g. Thema gegeben hat;

- ausschließlich Sie aufgrund des Nachbarschaftsverhältnisses zum Informanten in Ihrem Wohnort ausreichend Möglichkeiten haben, bei denen auch Gespräche zum Thema stattgefunden haben könnten;

- ausschließlich Sie mit dem Informanten über einen längeren Zeitraum intensive Telefonate über den Dienstapparat führten, die am 03.03.2008 jäh und unvermittelt

abbrachen

und bezeichnenderweise

- ausschließlich Sie in den erneuten Befragungen zum erneuten Zeitungsbericht

aggressiv reagierten und den Versuch des Arbeitgebers, die Sache aufzuklären diskreditierten.

Eine weitere ordentliche Kündigung erfolgte unter dem 09.05.2008 (Blatt 26 ff. d. A.), die sich im Wesentlichen auf die gleichen Vorwürfe stützt wie die Kündigung vom 19.03.2008. Eine weitere ordentliche Kündigung vom 09.05.2008 wird damit begründet, dass die Klägerin dafür verantwortlich sei, dass der Inhalt des Kündigungsschreibens vom 19.03.2008 der Presse zugänglich gemacht worden sei.

Auf entsprechende Klagen hin hat das Arbeitsgericht Neubrandenburg durch Urteil vom 19.12.2008 - 5 Ca 465/08 - für Recht erkannt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 19.03.2008 weder fristlos noch fristgerecht beendet worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungen vom 09.05.2008 (Az: KÜ-01-2008/1 und KÜ-01-2008/2) nicht beendet wird.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin zu unveränderten Bedingungen als Angestellte weiterzubeschäftigen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Klägerin zu 1/8 und die Beklagte zu 7/8.

6. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 12.886,93 EUR festgesetzt.

In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Kündigungen seien unwirksam, weil der Personalrat entgegen § 68 Abs. 7 Landespersonalvertretungsgesetz nicht ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Der Dienststellenleiter müsse dem Personalrat bei jeder Kündigung u. a. die sozialen Daten (Alter, Familienstand, Unterhaltsverpflichtung, Beschäftigungsdauer) mitteilen. In dem Anhörungsschreiben zur Kündigung vom 13.03.2008 seien keine Angaben zur Person der Klägerin erfolgt. Es ist von der Beklagten auch nicht vorgetragen worden, dass dem Personalrat die maßgeblichen sozialen Daten bereits zuvor oder anderweitig bekannt gewesen seien. Auch die beiden Kündigungen vom 09.05.2008 litten unter dem gleichen Mangel. Darüber hinaus liege kein dringender Verdacht einer schwerwiegenden Arbeitspflichtverletzung zugrunde. Die von der Beklagten genannten Verdachtsmomente reichten nicht aus. So habe die Beklagte u. a. keine eigenen Erkenntnisse dafür, dass es sich bei dem benannten Herrn Sch tatsächlich um den Informanten gehandelt habe. Sie habe insoweit auch keine weitere Aufklärung betrieben. Dass Herr Sch der Informant gewesen sei, wird von der Beklagten nicht belegt.

Die Kündigung vom 09.05.2008, die damit begründet werde, die Klägerin habe Auszüge aus dem Kündigungsschreiben der Presse zugänglich gemacht, sei als Tatkündigung ausgestaltet gewesen. Damit habe die Beklagte den Vollbeweis für ihre Behauptungen erbringen müssen. Dies habe sie nicht getan. Im Übrigen wird auf die Urteilsgründe Bezug genommen.

Dieses Urteil ist der Beklagten am 06.01.2009 zugestellt worden. Sie hat dagegen Berufung eingelegt, die am 05.02.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangen ist. Die Berufungsbegründung ist nach einer Fristverlängerung bis 06.04.2009 am 03.04.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.

Die Beklagte behauptet, die Personalratsvorsitzende habe vor der Entscheidung des Personalrates die Sozialdaten gekannt und den Mitgliedern in der Personalratssitzung mitgeteilt. Auch sei wegen der besonderen Schwere der Kündigungsgründe eine genaue Mitteilung entbehrlich. Der Umstand, dass Herr Sch Informant der Presse gewesen sei, habe Herr B, Redakteur beim "Nordkurier", einem Mitarbeiter der Beklagten, Herrn Thomas K, mitgeteilt. Zum Beweis hierzu beruft sie sich auf das Zeugnis von Herrn Thomas K. An den Aussagen von Herrn K und Herrn B habe die Beklagte keinen Anlass zu zweifeln. Angesichts des freundschaftlichen Verhältnisses zwischen der Klägerin und Herrn Sch hätte man auch nicht verlangen können, Herrn Sch zu dessen Informanteneigenschaften zu befragen.

Aufgrund der Würdigung der Gesamtumstände habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, die Klägerin habe gegen ihre Verschwiegenheitspflicht verstoßen. Auch sei die Parellele auffällig, dass sowohl die Klägerin als auch die Presse von Stasi-Methoden gesprochen habe. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin bei dem Personalgespräch am 10.03.2008 nachgefragt habe, ob ein etwaiger Verstoß gegen die Verschwiegenheitsverpflichtung arbeitsrechtliche Konsequenzen haben könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Neubrandenburg vom 19.12.2008 - 5 Ca 465/08 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es liege eine Erklärung von Herrn B vor, wonach es unrechtlich sei, dass er gegenüber Herrn K Herrn Sch als Informanten genannt habe. Die Beklagte habe Herrn B überhaupt nicht hierzu befragt. Deshalb könne sie auch seine Aussage nicht bewerten. Es sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen habe.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat mit zutreffender Begründung den Klageanträgen stattgegeben.

1.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß gehört worden. Es wird in dem Urteil beanstandet, dass dem Personalrat nicht das Lebensalter und etwaige Unterhaltsverpflichtungen und die Dauer der Betriebszugehörigkeit mitgeteilt worden sind. Hierzu heißt es dann in der Berufungsbegründung:

Die Sozialdaten seien durch die Personalratsvorsitzende den Mitgliedern des Personalrates mündlich mitgeteilt worden, sofern sie dem Personalrat nicht ohnehin geläufig waren.

Dies ist unpräzise. Angesichts der klaren Ausführungen in dem Urteil hätte die Beklagte deutlich ausführen müssen, welche Sozialdaten der Personalratsvorsitzenden bekannt waren, z. B. welches Lebensalter, welche Betriebszugehörigkeit und von welchen Sozialdaten aufgrund welcher Umstände davon auszugehen war, dass diese dem Personalrat ohnehin geläufig waren. Schließlich kann sich die Beklagte auch nicht darauf berufen, dass wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe es auf die genauen Daten nicht ankomme. Das Bundesarbeitsgericht hat in der zitierten Entscheidung (BAG vom 21.06.2001 - 2 AZR 30/00 -) ausgeführt, dass auf der einen Seite die subjektive Determination des Anhörungsverfahrens nicht dazu führe, dass der Arbeitgeber auf Mitteilung persönlicher Umstände ganz verzichten könne, unbahängig davon, ob er sie berücksichtigt habe oder nicht. Andererseits stünde der Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung die fehlende Mitteilung der genauen Sozialdaten nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe auf die genauen Daten ersichtlich nicht ankomme und die Arbeitnehmervertretung die ungefähren Daten kenne.

Diese Ausführungen sind auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, weil von einer vergleichbaren Schwere der Kündigungsvorwürfe, wie in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, nicht ausgegangen werden kann. In der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts war es unstreitig, dass der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit Zahlungen in Beträgen zwischen 100,00 DM und 1.600,00 DM entgegengenommen hat. Diese Pflichtverletzungen sind mit im Wesentlichen zutreffenden, wenn auch pflichtwidrigen Mitteilungen an die Presse über interne Vorgänge nicht vergleichbar.

2.

Das Arbeitsgericht Neubrandenburg hat auch zutreffend ausgeführt, dass im vorliegenden Fall ein Verdacht, der eine Verdachtskündigung rechtfertigen könnte, gegen die Klägerin nicht vorliegt. Eine Verdachtskündigung kommt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt Urteil vom 27.11.2008 - 2 AZR 98/07 m. w. N.) nur in Betracht, wenn dringende, auf objektiven Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen und diese geeignet sind, dass für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen bei einem verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen hat.

Zuerst einmal hat die Beklagte im vorliegenden Fall nicht alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen. Sie hat nämlich davon abgesehen, Herrn B zu hören. Schließlich hat sich die Beklagte noch nicht einmal bemüht, aufzuklären, inwieweit die Informationen der Klägerin gegenüber Herrn Sch, wenn sie denn erfolgt sind, von dem Willen oder Bewusstsein getragen waren, dass dieser die Presse informieren wird. Hierbei handelt es sich um eine reine Spekulation. Von einem dringenden Verdacht dahingehend, dass die Klägerin Herrn Sch mit entsprechender Zielsetzung informiert haben soll, kann nicht ausgegangen werden.

3.

Aufgrund der vorangegangenen Ausführungen kann dahinstehen, ob trotz der Betriebszugehörigkeit der Klägerin eine außerordentliche bzw. ordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen wäre, wenn die Vorwürfe zutreffen würden. Zu der zweiten Kündigung vom 09.05.2008 (Tatkündigung wegen Mitteilung der Inhalte des Kündigungsschreibens) hat das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt, dass die Beklage insoweit ihrer Darlegungslast nicht nachgekommen ist. Sie hat nicht unter Beweis gestellt, auf welche Weise die Klägerin die Presse informiert hat. Eine diesbezügliche Wahrscheinlichkeit mag zwar gegeben sein, die Information kann jedoch auf andere Weise erfolgt sein.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 97 ZPO.

Zur Zulassung der Revision gem. 72 Abs. 2 ArbGG bestand kein Anlass.

Ende der Entscheidung

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