Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
Urteil verkündet am 16.10.2007
Aktenzeichen: 5 Sa 66/07
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 615
BGB § 626
KSchG § 1 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Das Versäumnisurteil vom 26.06.2007 wird unter Zurückweisung des Einspruchs der Beklagten aufrechterhalten.

2. Die Beklagte trägt auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 12.01.2006, die die Beklagte zusätzlich hilfsweise auch als ordentliche Kündigung ausgesprochen hat.

Die Beklagte mit Verwaltungssitz in Niedersachsen betreibt in G eine industrielle Großbäckerei. Der Kläger ist dort seit dem 10. April 2001 als Bäcker tätig.

Der Kläger ist 1977 geboren. Er ist verheiratet und zwei noch nicht schulpflichtigen Kindern zum Unterhalt verpflichtet.

Ein schriftlicher Arbeitsvertrag ist nicht vorhanden; eine schriftliche Bestätigung der Arbeitsbedingungen hat die Beklagte nicht erteilt.

Der Kläger verdient seit Anfang an im Regelfall monatlich 1.278,70 (2.500,00 DM) brutto zuzüglich eventuell anfallender Zuschläge für Nachtarbeit oder einzelne Überstunden. Zwischen den Parteien ist im Streit, ob ein Vollzeit- oder ein Teilzeitarbeitsverhältnis vereinbart ist.

Nach den vorliegenden Lohnabrechnungen hat der Kläger seinen Bruttolohn in der Zeit von Mai 2001 bis einschließlich Juli 2003 für die Ableistung von 173,5 Stunden pro Monat erhalten. Ob die Arbeitskraft jemals in vollem Umfang von der Beklagten abgerufen wurde, ist streitig.

Allein in den Monaten August, September und Oktober 2003 gab es stundenabhängige Einkommensschwankungen. Im November und Dezember des Jahres 2003 hat die Beklagte wieder den konstanten Lohn in Höhe von 1.278,70 für 173,5 Stunden abgerechnet.

Seit Januar 2004 sehen die Abrechnungen der Beklagten anders aus, nach Angaben der Beklagten ist auch die Lohnabrechnungssoftware ausgetauscht worden. Seit dieser Zeit wird der Kläger als Teilzeitarbeiter mit 138,75 Stunden geführt bei gleichgebliebenem Monatseinkommen in Höhe von 1.278,70 brutto.

Es ist unstreitig, dass der Kläger jedenfalls seit dieser Zeit auch nicht mehr als 138,75 Stunden pro Monat eingesetzt wurde und dann, wenn er ausnahmsweise über diese Anzahl der Stunden hinaus gearbeitet hat, ihm insoweit Überstunden angerechnet wurden. Streitig ist insoweit zwischen den Parteien lediglich, ob der Kläger dadurch weniger als früher arbeiten musste, oder ob er bereits seit 2001 nur in dem nunmehr in der Abrechnung ausgewiesenen Umfang zur Arbeit herangezogen wurde. Diese neue Abrechnungs- und Einsatzpraxis dauerte bis Mai 2005 an.

Seit Juni 2005 weisen die Abrechnungen wieder eine Regelarbeitszeit von 173,5 Stunden im Monat aus; das Entgelt in Höhe von 1.278,70 brutto ist unverändert geblieben. Seitdem werden die Arbeitsstunden auf einem Stundenkonto verrechnet, das beim Kläger chronisch negativ ist.

Inzwischen - es ist nicht aufgeklärt seit wann genau - sind die Arbeitnehmer und auch der Kläger verpflichtet, ihre persönlich abgeleisteten Arbeitsstunden auf Stundenzetteln, die jeweils einen gesamten Monat umfassen, zu erfassen.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass keine der geschilderten Veränderungen in der Abrechnungspraxis im Laufe der Jahre auf rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen der Parteien und seien sie auch nur mündlicher Natur zurückzuführen sind.

In etwa zeitgleich mit der Abforderung von 173,5 Stunden pro Monat und der Einführung des Stundenkontos ab Juni 2005 traten weitere Spannungen im Arbeitsverhältnis der Parteien auf.

So hat der Kläger am 08.06.2005 eine Abmahnung erhalten, weil er - so die Beklagte - am 06.06.2005 unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben sei. Später hat der Kläger für diesen Tag eine rechtzeitig ausgestellte ärztliche Bescheinigung über Arbeitsunfähigkeit vorgelegt.

Im August 2005 erhielt der Kläger eine weitere Abmahnung, da er die Rosinenbrötchen in schlechter Qualität gebacken habe. Ebenfalls noch im August 2005 erhielt der Kläger abermals eine Abmahnung, weil er seinen Arbeitsplatz bereits um 12.00 Uhr verlassen habe. Schließlich gab es noch im August 2005 eine dritte Abmahnung, weil es der Kläger versäumt habe, dem Teig Hefe hinzuzufügen.

Mit Schreiben vom 04.10.2005 wurde dem Kläger vorgehalten, die Brötchenanlage nicht ausreichend gereinigt zu haben.

Ebenfalls noch im Oktober 2005 erhielt der Kläger eine Abmahnung wegen unentschuldigten Fehlens am 27.10.2005 (erster Tag nach Ende einer vorgelegten AU-Bescheinigung). Inzwischen ist unstreitig, dass dem Kläger für diesen Tag rechtzeitig abermals Arbeitsunfähigkeit ärztlicherseits bescheinigt wurde.

Die Beklagte hält dem Kläger weiter vor, am 18.12.2005 1,5 Paletten Teiglinge zu wenig hergestellt zu haben.

Der Anlass zur Kündigung war das klägerische Verhalten am 27.12.2005 sowie sein weiteres Verhalten in den Folgetagen.

Der Kläger hat sich für diesen Tag auf dem Stundenzettel eine Arbeitszeit bis 13.45 Uhr eingetragen. Die Beklagte hegt den Verdacht, dass der Kläger tatsächlich bereits um 13.10 Uhr nicht mehr auf dem Betriebsgelände anwesend war und verbindet das mit dem Vorwurf, der Kläger habe Arbeitszeitbetrug begangen.

Im Einzelnen konnte dazu Folgendes festgestellt werden.

Der Kläger hat sich für den 27.12.2005 eine Arbeitszeit von 06.00 Uhr bis 13.45 Uhr mit einer darin enthaltenen 1/2-stündigen Pause eingetragen. In der Spalte für die Tagessumme der erreichten Arbeitsstunden hat er 6,75 Stunden (rechnerisch richtig wären es 7,25 Stunden) eingetragen.

Zu einem späteren Zeitpunkt - Einzelheiten sind streitig - hat Herr D (seinerzeitiger Produktionsleiter in G) die Zahl 13.45 Uhr in 13.10 Uhr korrigiert und die Tagessumme der Stunden auf 6,67 Stunden abgeändert. Die Zahl 6,67 hat er ohne Streichung der klägerischen Zahl zur Tagessumme direkt darüber in der Zeile für den Vortag (26.12.2005 - Feiertag) eingetragen, so dass bei oberflächlicher Betrachtung des Stundenzettels der Eindruck entsteht, der Kläger hätte am 26.12.2005 6,67 Stunden und am 27.12.2005 6,75 Stunden gearbeitet.

Am 28. oder 29. Dezember 2005 gab es ein Personalgespräch wegen des Verdachts der Falscheintragung zwischen dem Kläger, Herrn D und Herrn Sch (Gesamtproduktionsleiter Unternehmensgruppe). Dabei hat der Kläger behauptet, er sei bis 13.45 Uhr im Betrieb gewesen und hätte erst nach Abschluss seiner Arbeiten die Eintragung auf dem Stundenzettel vorgenommen.

Der Kläger hat sodann noch die Woche bis zum 30.12.2005 weitergearbeitet und am 02.01.2006 den Stundenzettel sodann durch seine Unterschrift autorisiert und an Herrn D weitergegeben.

Herr D hat sodann weitere Eintragungen auf dem Stundenzettel vorgenommen, insbesondere in der Zeile "Gesamt". Er hat dort die vom Kläger erreichten Stunden aufsummiert und daraus abgeleitet das Stundenkonto fortgeschrieben. Zu einem nicht mehr feststellbaren späteren Zeitpunkt sind dann einzelne Eintragungen des Herrn D mit Tipp-Ex geweißt worden und durch neue Zahlen zur Wochensumme, zur Monatssumme und zu dem fortgeschriebenen Stundenkonto ersetzt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den im Original zur Akte gereichten Stundenzettel Bezug genommen.

Bei dieser Gelegenheit ist dann die von Herrn D korrigierte Tagessumme für den 27.12.2005, die er in der darüberliegenden Zeile vom 26.12.2005 eingetragen hat, als zusätzlicher Stundenposten in die Rechnung eingegangen, so dass dem Kläger für diese Woche 34,67 Stunden gutgeschrieben wurden, obwohl die vom Kläger selbst vorgenommenen Eintragungen lediglich eine Summe in Höhe von 28 Stunden gerechtfertigt hätten.

Am 10.01.2006 kam es zu einem weiteren Konflikt um eine weitere Arbeitsunfähigkeitsmeldung des Klägers, die erst gegen Mittag des ersten Ausfalltages bei der Beklagten eingegangen sein soll (streitig).

Die Kündigung vom 12.01.2006 ist dem Kläger per Einschreiben am 13.01.2006 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage hat das Arbeitsgericht am 30.01.2006 erreicht. Der Kläger hat zusätzlich Weiterbeschäftigung begehrt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 18.12.2006 stattgegeben und in der Hauptsache wie folgt entschieden:

"I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche fristlose noch durch die fristgemäße Kündigung vom 12.01.2006 aufgelöst worden ist.

II. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Bäcker weiterzubeschäftigen."

Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen.

Das Urteil ist der Beklagten am 29.01.2007 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung ist am 23.02.2007 hier eingegangen und mit Schriftsatz vom 29.03.2007, Gerichtseingang per Fax am selben Tage, begründet worden.

In der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2007 hat der Kammervorsitzende deutlich gemacht, dass er die Berufungsbegründung für unschlüssig halte. Darauf hat die Beklagte sich geweigert, Anträge zu stellen, worauf mit Versäumnis-Urteil vom 26.06.2006 auf Antrag des Klägers die Berufung zurückgewiesen wurde.

Gegen das Versäumnis-Urteil hat die Beklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt und diesen wie folgt begründet.

Die Beklagte behauptet, Herr D und Herr Sch hätten am 27.12.2005 nach 13.00 Uhr einen Handwerker der Firma T-B durch die Hallen begleitet, da dieses Unternehmen neue Einrichtungen für die Produktionshalle liefern sollte und daher mehrere Zonen in der Halle genauer ausgemessen werden mussten. Gegen 13.10 Uhr seien die drei Herren bei der K-Brötchenanlage vorbeigekommen, die man in einem nicht vollständig gereinigten Zustand vorgefunden habe (Es ist unstreitig, dass der Kläger an diesem Tage unter anderem an dieser Anlage zu arbeiten hatte). Herr Sch und Herr D hätten an der Anlage oder in der Nähe weder den Kläger noch den ihm zugeordneten Auszubildenden Herrn O noch den Gesellen Herrn Sch (die Ablösung des Klägers aus der Spätschicht) gesehen. Irritiert durch diese Umstände habe man sich zu dem Ort begeben, an dem die Stundenzettel abgelegt sind und habe feststellen müssen, dass dort bereits die Eintragung des Klägers zum Arbeitszeitende um 13.45 Uhr vorgenommen gewesen sei.

Die Beklagte folgert daraus, dass der Kläger versucht habe, sie durch Vorspiegelung falscher Tatsachen über die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu täuschen.

Entgegen der Rechtsansicht des Arbeitsgerichtes sei die Kündigung auch noch innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB ausgesprochen worden, da man zur Bestätigung des Betrugsverdachts habe abwarten müssen, mit welchen Eintragungen der Kläger den Stundenzettel einreichen würde. Dies habe man erst am 02.01.2006 gesehen, so dass die Frist aus § 626 Abs. 2 BGB nicht vor Ablauf dieses Tages zu laufen begonnen haben könne.

Da man dieses Ereignis habe abwarten müssen, könne auch offen bleiben, ob Herr Sch nach seiner Stellung im Unternehmen wie ein Organvertreter der Beklagten zu behandeln sei.

Im Übrigen sei die Kündigung auch gerechtfertigt wegen der Verletzung der Hinweispflicht aus § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz am 10.01.2006 und wegen der weiteren Vorfälle im vorangegangenen Halbjahr.

Die Beklagte beantragt,

das Versäumnis-Urteil aufzuheben, das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichtes abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnis-Urteil zurückzuweisen und das Versäumnis-Urteil aufrechtzuerhalten.

Der Kläger hat bis zuletzt betont, er habe bis 13.45 Uhr gearbeitet und zwar abwechselnd bzw. gleichzeitig an der K-Brötchenanlage (Reinigungsarbeiten) sowie an der benachbarten Maschine, an der er Berliner-Teiglinge hergestellt habe, die in der Spätschicht ausgebacken werden sollten. Er könne aber nicht ausschließen, dass er seinen Arbeitsplatz unter Umständen auch für wenige Minuten verlassen habe.

Weiter behauptet der Kläger, die Korrektur der Uhrzeitangabe zum Arbeitszeitende am 27.12.2005 auf seinem Stundenzettel sei bereits vorgenommen gewesen, als ihm am 28.12.2005 oder 29.12.2005 von Herrn Sch und Herrn D die Falscheintragung vorgehalten wurde.

Zum 10.01.2006 behauptet der Kläger, er habe sich bereits in aller Frühe bei Frau O telefonisch krank gemeldet. Er habe die zentrale Einwahltelefonnummer der Produktionsstätte in G angewählt und sei dann dort bei Frau O gelandet. Die Telefonanlage sei so geschaltet, dass man nicht vorhersehen könne, welcher Arbeitnehmer aus welcher Abteilung das Gespräch in den frühen Morgenstunden annehmen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der gerichtlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Einspruch gegen das Versäumnis-Urteil des Landesarbeitsgerichtes Mecklenburg-Vorpommern vom 26.06.2007 ist zulässig, aber nicht begründet. Zutreffend hat bereits das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 12.01.2006 beendet wurde. Die Beklagte ist daher auch zu Recht zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt worden.

I.

Ein Grund zur außerordentlichen Kündigung liegt nicht vor.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich ohne Einhaltung einer Frist kündigen, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer ihm unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zumutbar ist. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt.

1.

Das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der Eintragung des Arbeitszeitendes auf 13.45 Uhr am 27.12.2005 stellt keinen wichtigen Grund zur Kündigung dar.

Für diese Bewertung unterstellt das Gericht die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe die Arbeit bereits gegen 13.10 Uhr eingestellt, als wahr. Denn selbst wenn man unterstellt, dass der Kläger sich an diesem Tag 35 Minuten zu viel an Arbeitszeit bescheinigen wollte, kann darin auf Grund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles keine Vertragsverletzung gesehen werden, die so schwer wiegt, dass das Arbeitsverhältnis beendet werden müsste.

a)

Bei allem Streit und allen Unklarheiten der rechtsgeschäftlichen Grundlagen der beiderseitigen Zusammenarbeit steht dennoch fest, dass die Beklagte nicht berechtigt ist, von ihr nicht abgeforderte Arbeitsstunden auf einem Stundenkonto nachzuhalten, um gegebenenfalls Nacharbeit im dort aufgezeichneten Umfang vom Kläger zu fordern.

Diese Feststellung kann unabhängig davon getroffen werden, ob das streitige Arbeitsverhältnis ein Vollzeit- oder ein Teilzeitarbeitsverhältnis ist. Denn mit der Einführung eines Stundenkontos weicht man von dem in § 615 BGB normierten gesetzlichen Leitbild ab, nach dem der vereinbarte Lohn auch dann vollständig zu bezahlen ist, wenn die Arbeit nur deshalb ausfällt, weil der Arbeitgeber die Arbeitskraft des Arbeitnehmers nicht im vertraglich vorgesehenen Umfang abruft.

§ 615 BGB gehört zwar zum dispositiven Recht, von dem die Arbeitsvertragsparteien einvernehmlich abweichen können, etwa indem sie sich über die Führung eines Stundenkontos verständigen. Vorliegend ist es allerdings unstreitig, dass die Arbeitgeberin das Stundenkonto einseitig und ohne Zustimmung des Klägers eingeführt hat. Damit fehlt es an dem notwendigen rechtsgeschäftlichen Einvernehmen zum Abweichen von § 615 BGB.

Da der Kläger mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, dass er die geänderte Abrechnungspraxis seit Juni 2005 für falsch hält, kann auch nicht aus der Duldung oder Hinnahme des Handelns des Arbeitgebers auf eine konkludente Vertragsänderung geschlossen werden.

Da die Arbeitsvertragsparteien demnach ein Arbeitsverhältnis verbindet, in dem § 615 BGB zur Anwendung kommt, ist die Beklagte zur vollständigen monatlichen Vergütung verpflichtet ohne vom Kläger eine Nachleistung von Stunden fordern zu können, die sie aus betrieblichen Gründen nicht in Anspruch genommen hat.

Eine hier unterstellte Falscheintragung der Arbeitszeit auf dem Stundenzettel könnte also nur dann zu einer Schädigung der Arbeitgeberin führen, wenn der Kläger sich damit einen Anspruch auf Überstundenvergütung erschleichen wollte oder erschleichen könnte.

Davon kann aber nicht ausgegangen werden. Geht man mit der Beklagten davon aus, dass die Parteien ein Vollzeitarbeitsverhältnis mit einer maximalen Arbeitspflicht von 173,5 Stunden pro Monat verbindet, dann hat die Arbeitgeberin ohnehin noch nie die Arbeitskraft des Klägers vollumfänglich abgerufen. Damit wären die Falscheintragungen des Klägers gänzlich folgenlos.

Geht man von dem klägerischen Vortrag aus, gilt im Ergebnis nichts anderes. Nach dem klägerischen Vortrag besteht die Arbeitspflicht nur im Umfang von 138,5 Stunden monatlich. Im Dezember 2005 hat der Kläger - unter Einbeziehung des Rechenfehlers der Beklagten zu ihren eigenen Lasten - lediglich 134,42 Stunden gearbeitet. Diese nicht vollständige Verwertung der Arbeitskraft des Klägers beruht ausweislich des vorliegenden Stundenzettels für den streitigen Monat allein auf der Anordnung der Arbeitszeit durch die Beklagte und nicht auf der Inanspruchnahme von Freizeit zu Lasten des Stundenkontos durch den Kläger. Also hätte auch hier - wenn man unterstellt, der Kläger hätte sich tatsächlich nicht 6,75, sondern 7,25 Stunden für den 27.12.2005 angeschrieben - die Falscheintragung des Klägers keine Auswirkungen auf die Höhe der ihm zustehenden Vergütung gehabt.

Da aber die hier als gegeben unterstellte Falscheintragung des Klägers auf dem Stundenzettel unter keinem denkbaren Gesichtspunkt einen Einfluss auf das Einkommen des Klägers und auf das Recht der Beklagten weitere Stunden vom Kläger abzufordern, haben konnte, kann diese Falscheintragung nicht das Gewicht haben, das für eine außerordentliche Kündigung erforderlich ist.

b)

Eine andere Bewertung des Sachverhaltes wäre selbst dann nicht möglich, wenn man zu Gunsten der Beklagten hilfsweise unterstellt, die Parteien hätten sich tatsächlich rechtsgeschäftlich auf die Führung eines Stundenkontos geeinigt.

In diesem Falle hätte die - ebenfalls unterstellte - Falscheintragung zwar zu einer Verfälschung des Stundenkontos geführt und hätte dadurch später indirekt dazu führen können, dass die Beklagte daran gehindert wird, die Arbeitskraft des Klägers im vertraglich möglichen Umfang abzurufen.

Das wäre eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung, die an sich geeignet sein könnte, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Die Kündigung wäre jedoch auch dann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht gerechtfertigt, denn die Beklagte führt das Stundenkonto in einer Art und Weise, die mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren ist. Denn wie sich aus dem Stundenzettel für den Monat Dezember 2005 ergibt, sind dem Kläger für den Arbeitsausfall wegen des Feiertages am Montag, den 26.12.2005 keine Stunden gut geschrieben worden. Daraus schließt das Gericht, dass das Stundenkonto unter Missachtung von § 2 Entgeltfortzahlungsgesetz geführt wurde.

Das könnte zwar das Fehlverhalten des Klägers unter keinen Umständen rechtfertigen im juristischen Sinne. In der Gesamtschau der besonderen Umstände des Einzelfalles muss sich jedoch die Beklagte vorhalten lassen, dass sie durch ihre eigenmächtige und vertragswidrige Abrechnungspraxis ein Klima der Willkürlichkeit geschaffen hat, das vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers zumindest begünstigt hat.

Neben diese rechtswidrige Abrechnungspraxis tritt der weitere Umstand hinzu, dass wohl alle seinerzeit beteiligten Personen Schwierigkeiten bei der rechnerischen Bewältigung der Schlussfolgerungen aus den Angaben im Stundenzettel hatten, was die Aussagekraft der Stundenzettel für einen außenstehenden Dritten zusätzlich schmälert.

2.

Auch die weiteren Umstände, die dem Kläger zur Last gelegt werden, können die außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen.

a)

Im sachlichen Zusammenhang mit den bisherigen Ausführungen ist zunächst hervorzuheben, dass in dem vorzeitigen Verlassen des Arbeitsplatzes am 27.12.2005 auch eine Arbeitsverweigerung zum Ausdruck gekommen sein könnte, die bei Beharrlichkeit ebenfalls geeignet wäre, eine Kündigung zu rechtfertigen.

Für diesen möglichen weiteren Kündigungsgrund gelten allerdings ohne Weiteres die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichtes zu § 626 Abs. 2 BGB. Die mögliche Arbeitsverweigerung des Klägers wurde von führenden Mitarbeitern der Beklagten bereits am 27.12.2005 beobachtet. Die erst am 13.01.2006 zugegangene Kündigung ist daher außerhalb der Frist des § 626 BGB ausgesprochen worden.

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte zum Kündigungsgrund der beharrlichen Arbeitsverweigerung auch nicht schlüssig vorgetragen hat. Denn die Beklagte hat nicht einmal vorgetragen, bis zu welcher Uhrzeit sie gegenüber dem Kläger am 27.12.2005 überhaupt Arbeit angeordnet hatte. Dementsprechend fehlt auch jeglicher Vortrag zu den negativen betrieblichen Folgen des vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes durch den Kläger.

b)

Auch die streitige späte Krankmeldung am 10.01.2006 kann die außerordentliche Kündigung nicht rechtfertigen. Zur Begründung nimmt das Gericht vollumfänglich Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichtes zu diesem Kündigungsgrund.

Ergänzend ist lediglich darauf hinzuweisen, dass sich die Beklagte nicht mit dem Entlastungsvorbringen des Klägers auseinandergesetzt habe, er kenne nur die zentrale Einwahltelefonnummer des Betriebes in G und bei frühmorgendlichen Anrufen sei nicht kalkulierbar, zu wem das Gespräch durchgestellt werde.

Eine Einvernahme der angebotenen Zeugin O war nicht erforderlich, da die Beklagte nicht dargelegt hat, ob sie die Zeugin mit der Behauptung des Klägers konfrontiert hat und was diese darauf erwidert hat.

c)

Die weiter zurückliegenden Vorwürfe können die außerordentliche Kündigung ebenfalls nicht rechtfertigen. Es wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichtes Bezug genommen.

II.

Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist nicht wirksam. Nach der Dauer der Zusammenarbeit der Parteien und der Größe des Betriebes in G findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Der streitgegenständlichen hilfsweise ausgesprochen ordentlichen Kündigung fehlt die soziale Rechtfertigung im Sinne von

§ 1 Abs. 2 KSchG, sie ist insbesondere nicht durch das Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt.

Dazu kann im Wesentlichen auf die Ausführungen zur außerordentlichen Kündigung Bezug genommen werden.

Die behaupteten Nachlässigkeiten in der eigentlichen Bäckertätigkeit des Klägers (mangelhafte Rosinenbrötchen im August 2005, vergessene Hefe im August 2005, Hygiene Brötchenanlage im Oktober 2005, zu geringe Produktion am 18.12.2005) können die Kündigung sozial nicht rechtfertigen, da nicht dargelegt ist, dass es sich um Fehlverhalten handelt, das über die unvermeidliche Fehlerquote hinausgeht, die immer vorhanden sein wird, da Menschen keine Maschinen sind.

Die behaupteten Nachlässigkeiten des Klägers bei der Erfüllung seiner Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit sind für den Arbeitgeber äußerst lästig. Eine Kündigung können sie aber allenfalls rechtfertigen, wenn dabei eine Hartnäckigkeit oder ähnliche erschwerende Umstände festgestellt werden können (BAG 15.01.1986 - 7 AZR 128/83 - DB 1986, 2443 = NZA 1987, 93). Solche Feststellungen können hier nicht getroffen werden.

Sollte der Kläger tatsächlich auch seiner Hinweispflicht bei Eintritt oder Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit nicht nachgekommen sein, wiegt das schwer. Das Gericht sieht sich jedoch daran gehindert, deshalb die Kündigung als wirksam zu erachten, da die Beklagte nicht dargelegt hat, ob es dadurch überhaupt zu Betriebsablaufstörungen oder zu sonstigen Beeinträchtigungen gekommen ist.

Bei allem Respekt vor der Beklagten und ihrer Schwierigkeit, den Kläger so zu führen, dass beide Seiten aus der Zusammenarbeit ihren Nutzen ziehen können, möchte das Gericht dennoch anmerken, dass der Kern der Krise der Zusammenarbeit der Parteien in den ungeklärten rechtsgeschäftlichen Grundlagen der Zusammenarbeit zu suchen ist. Die Beklagte sollte daher schnellstens neue rechtsgeschäftliche Grundlagen der Zusammenarbeit im Verhandlungswege schaffen oder jedenfalls unter gerichtlicher zur Hilfenahme die alten rechtsgeschäftlichen Grundlagen konkret feststellen lassen. Denn erst dann wird die Basis geschaffen sein, auf der man schnell und zuverlässig entscheiden kann, ob die Zusammenarbeit noch eine Zukunft hat oder ob man sich trennen muss.

III.

Da der Kläger mit seinen Kündigungsschutzanträgen obsiegt hat, ist die Beklagte auch zur Weiterbeschäftigung zu verurteilen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, da der Einspruch der Beklagten erfolglos geblieben ist.

Zur Zulassung der Revision besteht im vorliegenden Einzelfall kein Anlass.

Ende der Entscheidung

Zurück