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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 18.02.2004
Aktenzeichen: 10 Sa 371/03
Rechtsgebiete: BGB, ArbGG, MTV-RBG, TVG, BetrVG


Vorschriften:

BGB § 247
BGB § 611
ArbGG § 64 Abs. 2
MTV-RBG § 7
MTV-RBG § 7 Abs. 10
MTV-RBG § 9
MTV-RBG § 9 Abs. 1
MTV-RBG § 9 Abs. 2
MTV-RBG § 9 Abs. 3
MTV-RBG § 9 Abs. 4
MTV-RBG § 21
MTV-RBG § 21 Abs. 1
TVG § 1
TVG § 4
BetrVG § 77 Abs. 3 Satz 1
1. Für Zeiten einer Arbeitsunterbrechung, die nach einer tariflichen Regelung als Arbeitszeit zu werten sind, sind keine Zuschläge für Mehrarbeit-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Schichtzulagen zu vergüten.

2. Übernachten Arbeitnehmer im Fahrdienst auf auswärtigen Bahnhöfen weil ihr Dienst dort laut Dienstplan am Abend endet und frühmorgens wieder beginnt, steht diesen nach dem Tarifvertrag über Entgelt, Reisekosten und Aufwandsentschädigung zwischen der XY-GmbH und der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands vom 18.08.1999 ein Übernachtungsgeld zu.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 371/03

Verkündet am: 18.02.04

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 09.01.04 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Moeller sowie die ehrenamtliche Richter Silke Wolf und Norbert Riedel für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung im übrigen das Urteil des Arbeitsgerichts Passau vom 20.12.2002 (Az.: 2 Ca 326/01 D) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) EUR 563,85 und an den Kläger zu 2) EUR 501,06 jeweils nebst 5 % Zinsen über den Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 11.5.2001 zu bezahlen.

2) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 39 %, der Kläger zu 1) 31 % und der Kläger zu 2) 30 %.

III. Die Revision wird für die Kläger und für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Parteien besteht Streit, über die Zahlung tariflicher Zuschläge und Zulagen sowie tariflich vorgesehener Übernachtungsgelder.

Die Kläger sind bei der Beklagten, die ein Eisenbahnunternehmen betreibt, im Fahrbetrieb beschäftigt. Auf die Arbeitsverhältnisse der Parteien finden nach übereinstimmenden Vortrag die Tarifverträge für die Arbeitnehmer der ... Anwendung. Diese Tarifverträge gelten auch für die Beschäftigten der ... mit Sitz ....

Der Kläger zu 1) erzielte zuletzt einen Grundlohn von DM 20,39 pro Stunde, der Kläger zu 2) von DM 21,37 pro Stunde. Hinzu kamen für beide Kläger jeweils Schicht-, Nacht-, Sonn-, Feiertags- und ggf. Mehrarbeitszuschläge.

Der Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer der ... vom 25.9.1996 enthält u.a. folgende Bestimmungen:

§ 7

Arbeitszeit

(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 38,5 Stunden wöchentlich. Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist jeweils ein Zeitraum von drei aufeinanderfolgenden Kalendermonaten (Kalendervierteljahr) maßgeblich.

(2) Die tägliche Arbeitszeit soll 10 Stunden nicht überschreiten. Bei dringenden dienstlichen Bedürfnissen, insbesondere zur Erzielung zweckmäßiger und wirtschaftlicher Dienstregelungen sowie im Interesse des Personals, kann sie bis zu 12 Stunden verlängert werden.

...

(4) Die Arbeitszeit beginnt und endet am vorgeschriebenen Arbeitsplatz. Betrieblich veranlasste Wegezeiten innerhalb der Arbeitsstätte und zu Arbeitsplätzen außerhalb der Arbeitsstätte, Arbeitsbereitschaft sowie Vor- und Abschlusszeiten gelten als Arbeitszeit.

(5) Schichtarbeit liegt vor, wenn nach einem Schichtplan gearbeitet wird und dabei die Arbeitszeit in unregelmäßigem Rhythmus auf die einzelnen Tage der Kalenderwoche verteilt sind.

(10) Betriebsbedingte Arbeitsunterbrechungen bis zu jeweils 15 Minuten werden voll, darüber mit 50 als Arbeitszeit gewertet und vergütet.

...

§ 8

Pausen und Ruhezeiten

(1) In der Arbeitszeit sind Ruhepausen nicht enthalten. Ruhepausen liegen nur dann vor, wenn während der Unterbrechung der Arbeit jede Verpflichtung zu einer Arbeitsleistung ausgeschlossen ist.

...

§ 9

Zuschlagspflichtige Arbeit

(1) Mehrarbeit, Nachtarbeit, Arbeit an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen ist zuschlagspflichtig. Bei der Berechnung der Zuschlagspflichtigen Arbeitszeit wird jede angefangene halbe Stunde als halbe Stunde vergütet.

Mehrarbeit

(2) Unter Mehrarbeit (Überstunden) sind diejenigen Arbeitsstunden zu verstehen, die auf Anordnung innerhalb des jeweils maßgeblichen Ausgleichs-Zeitraums von drei aufeinanderfolgenden Kalendermonaten (Kalendervierteljahr) über die regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit im Sinne von § 7 Abs. 1 geleistet werden. Der Überstundenzuschlag beträgt 25 % des tariflichen Stundenlohns. ...

Nachtarbeit

(3) Nachtarbeit ist in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr geleistete Arbeit. Sie ist auf das Notwendigste zu beschränken. Für Nachtarbeit wird je Stunde ein Nachtarbeitszuschlag von 50 % zum tariflichen Stundenlohn gezahlt. Der Nachtarbeitszuschlag entfällt für Zeiten in denen Zuschläge nach Abs. 4 gezahlt werden.

Sonn- und Feiertagsarbeit

(4) Sonn- und Feiertagsarbeit beginnt am Sonn- und Feiertag um 0.00 Uhr und endet um 24.00 Uhr. Die Arbeit am Oster- und Pfingstsonntag ist einer Feiertagsarbeit gleichzusetzen. Das gleiche gilt für Arbeit, die an Weihnachten, Neujahr und am 1. Mai geleistet wird, soweit diese Tage auf einen Sonntag fallen.

Die Zuschläge betragen:

...

§ 12

Entgelt

...

(6) Das Monatstabellenentgelt und die in Monatsbeträgen festgelegten Entgeltbestandteile werden am Monatsletzten, die anderen Entgeltbestandteile jeweils mit der Entgeltzahlung des darauffolgenden Monats ausgezahlt. Auf Wunsch des Arbeitnehmers können Abschlagszahlungen gewährt werden.

...

(8) Für jeden Abrechnungszeitraum ist dem Arbeitnehmer eine übersichtliche Abrechnungsbescheinigung auszuhändigen, in der die Beträge, aus denen sich das Entgelt zusammensetzt und die Abzüge getrennt aufzuführen sind. Der Arbeitnehmer hat unverzüglich die Entgeltabrechnung nachzuprüfen.

(9) Für die Rückforderung überzahlten Entgelts gelten die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung.

...

§ 21

Ausschlussfrist

(1) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.

Die Geltendmachung des Anspruchs erstreckt sich auch auf später fällig werdende Leistungen, die auf demselben Sachverhalt beruhen.

Später, aber innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfrist gelten gemachte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis werden nur dann berücksichtigt, wenn sie für den Beanstandenden nachweisbar erst zu einem späteren Zeitpunkt erkennbar wurden.

Im Tarifvertrag über Entgelt, Reisekosten und Aufwandsentschädigung zwischen der ... und der Gewerkschaft ... Deutschlands vom 18. August 1999 ist u.a. folgendes bestimmt:

§ 3

Entgelttabelle für Bayern

...

Zusatz:

Qualifizierte Facharbeiter in der Tätigkeit eines Vorarbeiters und Beschäftigte im Lokfahrdienst erhalten für Schicht- und zeitversetzten Dienst eine Zulage in Höhe von DM 0,60 je Stunde.

...

§ 4

Reisekosten

...

5. Für die dienstplanmäßige auswärtige Übernachtung wird dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin ein Übernachtungsgeld in Höhe von DM 35,-- gewährt.

Der Einsatz der Kläger erfolgte aufgrund von Dienstplänen. Dazu besteht bei der Beklagten eine Betriebsvereinbarung vom 6.12.2000 (Bl. 154 - 155 d.A.), in der es am Ende wie folgt heißt:

Anhang:

Die dem Arbeitnehmer seit Mai 2000 entgangene Arbeitszeit durch betriebsbedingte Arbeitszeitunterbrechung und durch den Arbeitnehmer geltend gemacht (Übernachtung) sind dem Arbeitnehmer gutzuschreiben (die DM 35,-- Übernachtungsgeld werden gegengerechnet).

In einem vom Betriebsrat und der Geschäftsleitung der Beklagten unterzeichneten Protokoll vom 22.2.2001 (Bl. 156 d.A.) über ein Monatsgespräch vom 19.2.2001 ist folgendes festgelegt:

Betriebsbedingte Arbeitsunterbrechungen werden vergütet mit 50 % (Tarifvertrag RBG) bzw. 80 % (ETV). Nachtarbeitszuschlag fällt bei betriebsbedingter Arbeitsunterbrechung nicht an und ist nicht Teil der Arbeitszeit (10 Stunden).

In der Zeit vom 1.5.2000 bis 31.1.2001 war der Kläger zu 1) nach seinem Dienstplan insgesamt 30 x und der Kläger zu 2) 28 x so eingesetzt, dass ihr Fahrdienst am abend an einem auswärtigen Bahnhof endete, von dem aus sie jeweils morgens wieder ihren Fahrdienst antraten. Den Klägern war am jeweiligen Bahnhof von der Beklagten unentgeltlich eine Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung gestellt. Die Zeit zwischen Arbeitsende und neuem Dienstbeginn schwankte zwischen 5,583 und 8,5 Stunden bei dem Kläger zu 1) und zwischen 5,083 und 8,5 Stunden bei dem Kläger zu 2). Eine Vergütung erhielten die Kläger zunächst nicht. Die Beklagte bezahlte jedoch für jede Übernachtung einen Betrag von DM 35,--.

Aufgrund der Betriebsvereinbarung vom 6.12.2000 änderte die Beklagte ab 1.5.2000 rückwirkend diese Abrechungspraxis.

Nach von der Beklagten am 13.2.2001 als sachlich richtig festgestellten Aufstellungen betrugen die bisher nicht vergüteten Unterbrechungszeiten zwischen der Beendigung des Abenddienstes und dem Arbeitsbeginn am nächsten Morgen bei auswärtigen Aufenthalten bei dem Kläger zu 1) in der Zeit vom 3.5.2000 bis 25.1.2001 201,49 Stunden (Bl. 94 d.A.) und bei dem Kläger zu 2) in der Zeit vom 13.5.2000 bis 24.1.2001 188,411 Stunden (Bl. 95 d.A.). Diese Zeiten vergütete die Beklagte nun nachträglich mit 50 % des Grundlohns der Kläger zu 1) und 2), brachte davon aber die in diesem Zeitraum gezahlten Übernachtungsgelder in Höhe von DM 1.050,-- bei dem Kläger zu 1) und DM 980,-- bei dem Kläger zu 2) in Abzug.

Dagegen wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Kläger zunächst mit Schreiben vom 15.3.2001 (Bl. 45 - 46 der verbundenen Akte 2 Ca 326/01 D) für den Kläger zu 2) und mit Schreiben vom 29.3.2001 (Bl. 44 - 45 d.A.) für den Kläger zu 1) dahingehend, dass für die Zeiten der Arbeitsunterbrechung auch Zulagen, wie Mehrarbeitsvergütung zu bezahlen seien und eine Verrechnung mit Übernachtungskosten nicht möglich sei. Mit Schreiben vom 12.4.2001 wurde schließlich für den Kläger zu 1) (Bl. 46 - 47 d.A.) eine Betrag von DM 1.703,92 und für den Kläger zu 2) (Bl. 47 - 48 der verbundenen Akte) ein Betrag von DM 1.633,98 geltend gemacht.

Die Kläger haben vorgetragen, die Zeiträume der betriebsbedingten Arbeitsunterbrechungen könne die Beklagte nicht nur mit dem Grundlohn vergüten. Vielmehr sei die Beklagte verpflichtet, dafür auch Zulagen und Zuschläge zu bezahlen weil nach den tariflichen Bestimmungen diese Zeiten als Arbeitszeit zu werten seien. Demgemäß seien für diese Zeiten auch Mehrarbeits-, Nachtarbeits-, Sonn- und Feiertagszuschläge sowie Schichtzulagen zu bezahlen. Demgemäß ergebe sich für den Kläger zu 1) für die in der Zeit vom 1.5.2000 bis 31.12.2000 angefallenen Unterbrechungsstunden ein Betrag in Höhe von DM 1.703, 92 und für den Kläger zu 2) für den gleichen Zeitraum ein Betrag von DM 1.633,98. Die Beklagte habe zudem, die Übernachtungszulagen zu Unrecht mit der Bezahlung der betriebsbedingten Arbeitsunterbrechung verrechnet. Demgemäß ergebe sich für den Kläger zu 1) ein Betrag von DM 1.050,-- und für den Kläger zu 2) ein Betrag in Höhe von DM 980,--. Die tarifliche Ausschlussfrist sei von den Klägern gewahrt worden. Denn die Beklagte habe erst rückwirkend die Zeiträume als betriebsbedingte Arbeitsunterbrechung gewertet.

Die Kläger haben beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1) DM 2.753,92 und an den Kläger zu 2) DM 2.613,98 nebst Zinsen hieraus jeweils i.H.v. 5 %-Punkten über den jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die von den Klägern geltend gemachten Beträge seien bereits der Höhe nach nicht nachvollziehbar. Im übrigen habe die Beklagte korrekt abgerechnet. Es habe sich herausgestellt, dass die Zeiten zwischen Arbeitsende am Abend und Beginn des Dienstes am nächsten Morgen an auswärtigen Bahnhöfen Zeiten betriebsbedingter Arbeitsunterbrechung seien. Dies ergebe sich auch aus der Betriebsvereinbarung vom 6.12.2000. Daher stünden den Klägern keine Übernachtungsgelder zu. Dies folge aus dem Protokoll des Betriebsrats vom 21.2.2001. Aber auch Zulagen oder Zuschläge habe die Beklagte für diese Zeiten nicht zu vergüten. Diese könnten nur bei tatsächlich geleisteter Arbeit anfallen. Dass ist nicht der Fall, wenn gar keine Arbeitsleistung gefordert wird. Im übrigen seien die von den Klägern verfolgten Ansprüche nach der tariflichen Ausschlussfrist verfallen. Die Ansprüche seien nicht innerhalb von sechs Monaten geltend gemacht worden.

Das Arbeitsgericht hat durch Endurteil vom 20.12.2002 der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien sowie den Ausführungen des Arbeitsgerichts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug genommen.

Gegen das der Beklagten am 17.3.2003 zugestellte Urteil hat diese mit einem am 16.4.2003 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung einlegen lassen und ihr Rechtsmittel mit einem am 9.5.2003 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Beklagte trägt vor, die Kläger hätten die tarifliche Ausschlussfrist nicht gewahrt. Dass die Beklagte rückwirkend Zahlungen anders deklariert habe, besage nichts. Wenn die Kläger meinten, dass ihnen sowohl Übernachtungsgeld als auch eine Bezahlung der Unterbrechungszeiträume zustehe, hätten sie dies geltend machen müssen. Nicht einmal die Schreiben vom 12.4.2001 stellten aber eine ausreichende Geltendmachung dar. Ein Zahlungsanspruch stehe den Klägern im übrigen auch nicht zu. Eine Arbeitsunterbrechung nach dem Manteltarifvertrag sei keine Arbeitszeit sondern werde nur als solche gewertet. Demgemäß seien dafür keine Zulagen und Zuschläge zu bezahlen. Übernachtungsgelder und Vergütung für Arbeitsunterbrechung würden sich gegenseitig ausschließen.

Die Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Passau - Kammer Deggendorf - Az.: 2 Ca 325/01 D vom 20.12.2002 wird abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tragen vor, die Ausschlussfrist sei jedenfalls durch die Schreiben vom 12.4.2001 gewahrt. Die Beklagte habe dadurch die konkreten Beträge erkennen können. Die Kläger hätten erst durch die Feststellungen der Beklagten im Februar 2001 davon Kenntnis erhalten, dass die Zeiten zwischen den Dienstschichten rückwirkend als Arbeitsunterbrechung vergütet werden. Erst dadurch seien die Ansprüche entstanden. Die Arbeitsunterbrechung sei als Arbeitszeit zu bezahlen. Daher seien dazu die jeweiligen tariflichen Zuschläge für diese Zeiten zu vergüten. Übernachtungsgelder könnten damit nicht verrechnet werden. An Mehrarbeits-, Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschlägen sowie Schichtzulagen ergebe sich daher für den Kläger zu 1) in der zeit von Mai 2000 bis Januar 2001 nunmehr ein Betrag i.H.v. DM 1.969,51 und für den Kläger zu 2) i.H.v. DM 1.596,89. Wegen der Berechnung der einzelnen Stunden wird dabei für den Kläger zu 1) auf den Schriftsatz vom 15.12.2003 Seite 3 - 9 (= Bl. 370 - 376 d.A.) und für den Kläger zu 2) auf Seite 9-14 (= Bl. 376 - 381 d.A.) Bezug genommen. Hinzu komme bei dem Kläger zu 1) das Übernachtungsgeld i.H.v. DM 1.050,-- und für den Kläger zu 2) i.H.v. DM 980,--.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 9.5.2003 (Bl. 299 - 302 d.A.) und 8.10.2003 (Bl. 338 - 340 d.A.), der Kläger vom 13.6.2003 (Bl. 312 - 316 d.A.) und 15.12.2003 (Bl. 368 - 383 d.A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 9.1.2004 (Bl. 384 - 386 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist in der rechten Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO) und daher zulässig.

II.

Die Berufung ist auch teilweise begründet.

Denn das Arbeitsgericht hat zu Unrecht den Klägern für die von der Beklagten nach ihren Feststellungen vom 13.2.2001 für den Kläger zu 1) (Bl. 94 d.A.) und den Kläger zu 2) (Bl. 95 d.A.) nachvergüteten Zeiten auch Zuschläge für Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit sowie Schicht-Zulagen zuerkannt und einem entsprechenden - wenn auch der Entscheidung des Arbeitsgerichts rechnerisch nicht klar zu entnehmenden - Zahlungsantrag stattgegeben. Ein derartiger Anspruch steht den Klägern auch nicht nach der in zweiter Instanz erfolgten detaillierten Berechnung zu. Dagegen hat die Beklagte bei Nachvergütung der "Unterbrechungszeiten" der Kläger zu Unrecht: die den Klägern zuvor ausbezahlten Übernachtungsgelder in Abzug gebracht. Daher steht dem Kläger zu 1) für die Zeit von Mai 2000 bis Januar 2001 jedenfalls ein Anspruch i.H.v. DM 1.050,-- (= EUR 536,85) und dem Kläger zu 2) i.H.v. DM 980,-- (= EUR 501,06) zu. Insoweit ist die Berufung der Beklagten unbegründet.

1. Ein Anspruch auf Bezahlung von Mehrarbeits-, Nachtarbeits-, Sonntags- und Feiertagszuschlägen sowie Schichtzulagen für die von der Beklagten nachvergüteten Zeiten wegen Arbeitsunterbrechung besteht nicht. Dem Kläger zu 1) stehen insoweit weder Zuschläge und Zulagen i.H.v. von DM 1.703,92 - wie nach dem erstinstanzlichen Tenor zu vermuten wäre - noch i.H.v. DM 1.969,51 nach seiner zweitinstanzlichen Berechnung (Bl. 370 - 376 d.A.) zu. Für den Kläger zu 2) gilt dies entsprechend, soweit seine Forderungen erstinstanzlich DM 1.633,98 und zweitinstanzlich DM 1.596,89 betragen.

a) Es spricht viel dafür, dass diese Forderungen der Kläger gem. § 21 Abs. 1 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmer der ... vom 25.9.1996 (i.F.: MTV-RBG) bereits weitgehend verfallen sind.

aa) Denn danach verfallen Ansprüche, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Die von den Klägern geltend gemachten Forderungen auf Zulagen und Zuschläge sind spätestens mit der Entgeltzahlung des auf den Monat, in dem sie angefallen sind, folgenden Monats fällig geworden (§ 12 Abs. 6 MTV-RBG). Daran ändert nichts, dass die Beklagte die Zeiten, für die die Kläger Zuschläge und Zulagen geltend machen, erst nachträglich abgerechnet und ausbezahlt hat. Tarifliche Ausschlussfristen laufen ohne Rücksicht darauf, ob die Ansprüche bekannt sind oder die Parteien Kenntnis von den Fristen haben (vgl. BAG vom 23.8.1990 - AP Nr. 9 zu § 1 TVG "Tarifverträge: Bundesbahn"; BAG vom 16.8.1983 - AP Nr. 131 zu § 1 TVG "Auslegung").

bb) Darauf, dass die Beklagte selbst diese Zeiten erst später als vergütungspflichtig angesehen und abgerechnet hat, kommt es daher nicht an. Davon wäre auch unter Berücksichtigung von § 21 MTV-RBG letzter Absatz nur dann auszugehen, wenn ohne eine derartige Abrechnung des Arbeitgebers eine Geltendmachung der Forderung völlig ausgeschlossen war (vgl. BAG vom 22.9.1999 - AP Nr. 226 zu § 1 TVG "Tarifverträge: Bau"; BAG vom 6.11.1985 - AP Nr. 93 zu § 4 TVG "Ausschlussfristen"; LAG München AMBl. 1980 C 13). Dies ist aber nicht der Fall. Wären die Kläger selbst der Auffassung gewesen, bei den Zeiten zwischen Arbeitsende und Arbeitsbeginn auf auswärtigen Bahnhöfen hätte es sich um Vergütungspflichtige Unterbrechungszeiten gehandelt, wären sie auch imstande gewesen, ihrer Auffassung nach für diese Zeiten zusätzlich zu bezahlende Zuschläge und Zulagen geltend zu machen.

cc) Darauf, ob die Kläger bereits mit Schreiben vom 15.3. (Kläger zu 2) und 29.3.2001 (Kläger zu 1) oder erst mit Schreiben vom 12.4.2001 Ansprüche auf Zuschläge und Zulagen wirksam geltend gemacht haben (vgl. dazu: BAG vom 17.4.2002 - AP Nr. 40 zu § 611 BGB "Mehrarbeitsvergütung"; BAG vom 29.6.2000 - AP Nr. 11 zu § 37 BAT) und damit jedenfalls Ansprüche auf Bezahlung von Mehrarbeits-, Nachtarbeits-, Sonn- und Feiertagsarbeitszuschläge und Schichtzulagen für die Monate Mai, Juni und Juli 2000 verfallen wären, kommt es nicht an.

b) Denn für die Ansprüche der Kläger auf Bezahlung dieser Zuschläge und Zulagen fehlt es bereits an einer Rechtsgrundlage.

aa) Aufgrund der von der Beklagten erfolgten Nachberechnung geht die Kammer zu Gunsten der Kläger davon aus, dass es sich bei den streitbefangenen Zeiten zwischen der Beendigung der Fahrtätigkeit am Abend und dem morgendlichen Beginn der Fahrtätigkeit am nächsten Tag, die die Kläger zur Übernachtung am jeweiligen auswärtigen Bahnhof nutzten, tatsächlich um Zeiten einer betriebsbedingten Arbeitsunterbrechung handelt, obwohl sich dies sowohl nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch wie auch nach der Arbeitszeitregelung in § 7 MTV-RBG nicht geradezu aufdrängt. Selbst wenn diese Zeiten betriebsbedingte Arbeitsunterbrechungen gem. § 7 Abs. 10 MTV-RBG sind, die mit 50 % als Arbeitszeit zu werten und zu vergüten sind, steht den Klägern über die von der Beklagten erbrachte Vergütung kein weiterer Anspruch zu. Denn bei diesen Zeiten handelt es sich jedenfalls nicht um Arbeitszeit, für die auch Mehrarbeitszuschläge, Nachtarbeitszuschläge oder Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit gem. § 9 MTV-RBG zu bezahlen sind oder eine Zulage für schicht- und zeitversetzten Dienst gemäß Zusatz zu § 3 des Tarifvertrages über Entgelt, Reisekosten und Aufwandsentschädigung anfällt.

bb) Die Kläger haben in den Zeiten, die die Beklagte als betriebsbedingte Arbeitsunterbrechungen nachvergütet hat, keine Arbeit geleistet.

(1) Schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und der Üblichkeit im Arbeitsleben ist davon auszugehen, dass eine Vergütungspflichtige Arbeitszeit nur bei tatsächlicher Erbringung eigener Arbeitsleistung vorliegt oder zumindest das Entstehen einer zusätzlichen Belastung in dieser Zeit voraussetzt (vgl. BAG vom 23.7.1996 - AP Nr. 26 zu § 87 BetrVG 1972 "Ordnung des Betriebes"). Ebenso ist nach Artikel 2 Nr. 1 der Richtlinie 93/104/EG des Rates der Europäischen Union über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom 23.11.1993 (ABl. EG Nr. I 307/18) Arbeitszeit jede Zeitspanne, während derer ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt (vgl. dazu BAG vom 11.10.2000 - AP Nr. 20 zu § 611 BGB "Arbeitszeit"), bei einer betriebsbedingten Arbeitsunterbrechung ist keine dieser Voraussetzungen einer Arbeitszeit erfüllt. Von diesem Verständnis einer Arbeitszeit gehen aber auch die Tarifvertragsparteien aus, wenn sie in § 7 Abs. 10 MTV-RBG bestimmen, dass eine Arbeitsunterbrechung nicht Arbeitszeit ist sondern nur als solche gewertet wird.

(2) Erst recht ergibt sich dies, wenn in § 9 Abs. 1 bis Abs. 4 MTV-RBG jeweils ausdrücklich sowohl für Mehrarbeit, Nachtarbeit als auch Sonn- und Feiertagsarbeit als Voraussetzung geleistete Arbeit verlangt wird. Sieht ein Tarifvertrag zusätzliche Leistungen wie hier Zuschläge oder Zulagen für geleistete Arbeiten vor, setzt dies auch die tatsächliche Leistung dieser Arbeiten voraus (vgl. BAG vom 7.2.1996 - AP Nr. 9 zu § 33 a BAT; BAG vom 27.4.2000 - AP Nr. 1 zu § 14 BMT-G II). Denn nur bei tatsächlicher Leistung dieser Arbeiten können auch die Belastungen auftreten, die diese Zulagen gerade honorieren wollen. Dies wird gerade auch im vorliegenden Fall deutlich. Mehrarbeitszuschläge stellen einen Ausgleich für Belastungen dar, die der Arbeitnehmer durch eine über die vertragliche Verpflichtung hinausreichende Arbeitsleistung eines Vollzeitarbeitnehmers erleidet. Derartige Belastungen können aber für einen Arbeitnehmer nicht entstehen, dessen Arbeitszeit die vertragliche Verpflichtung eines vollbeschäftigten Arbeitnehmers nur deshalb überschreitet, weil ihm für eine Arbeitsunterbrechung eine Vergütung als Arbeitszeit gewährt wird. Das gleiche gilt, wenn die Tarifvertragsparteien einen Zuschlag für zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr geleistete Arbeit vorsehen (§ 9 Abs. 3 MTV-RBG) oder für an Sonn- und Feiertagen geleistete Arbeit regeln, die auch hier geleistete Arbeit ist (§ 9 Abs. 4 Satz 3 MTV-RBG). Schließlich verlangt auch der Zusatz zu § 3 des Tarifvertrags über Entgelt, Reisekosten und Aufwandsentschädigung für die Zulage die Ableistung eines schient- oder zeitversetzten Dienstes. Die Zeit, die der Arbeitnehmer zum Schlaf nutzt, kann keine Arbeitszeit unter diesen besonderen Belastungen darstellen. Hat die Beklagte die streitbefangenen Zeiten als Arbeitsunterbrechungen nachvergütet, können die Kläger jedenfalls keine Bezahlung dieser Zeiten mit Zuschlägen oder Zulagen beanspruchen.

2. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet, soweit das Arbeitsgericht dem Kläger zu 1) einen Anspruch auf Bezahlung von EUR 536,85 und dem Kläger zu 2) einen Anspruch auf Bezahlung von EUR 501,06 zuerkannt hat.

Denn die Beklagte hatte den Klägern unstreitig in dieser Höhe in der Vergangenheit Übernachtungsgelder bezahlt und sie bei der nach der Feststellung vom 13.2.2001 erfolgten Nachberechnung in Abzug gebracht. Die Beklagte hat daher gegen den ihrer Auffassung nach geschuldeten Nachzahlungsbetrag in dieser Höhe mit einem Rückzahlungsanspruch aufgerechnet (§§ 387, 389 BGB). Dies ist unzulässig, da der Beklagten kein Rückzahlungsanspruch gegen die Kläger zusteht (§ 12 Abs. 9 MTV-RBG, § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB).

a) Ob dies auch hier wenigstens teilweise bereits daraus folgt, dass auch der Rückzahlungsanspruch der Beklagten der Ausschlussfrist des § 21 MTV-RBG unterliegt (vgl. BAG vom 19.1.1999 - AP Nr. 34 zu § 1 TVG "Tarifverträge: Druckindustrie"; BAG vom 14.9.1994 - AP Nr. 127 zu § 4 TVG "Ausschlussfristen") und bereits mit Auszahlung der Übernachtungsgelder an die Kläger fällig wurde (vgl. BAG vom 30.9.1999 - AP Nr. 1 zu § 71 BAT; BAG vom 27.3.1996 - AP Nr. 26 zu § 70 BAT; BAG vom 1.6.1995 - AP Nr. 16 zu § 812 BGB), so dass mindestens bis Juli ausbezahlte Übernachtungsgelder nicht mehr zurückgefordert werden können, kann offen bleiben.

b) Denn die Übernachtungsgelder hat die Beklagte nicht ohne Rechtsgrund bezahlt. Vielmehr bestimmt § 4 Abs. 5 des Tarifvertrags über Entgelt, Reisekosten und Aufwandsentschädigung ausdrücklich, dass für die dienstplanmäßige auswärtige Übernachtung des Arbeitnehmers ein Übernachtungsgeld i.H.v. DM 35,-- gewährt wird. Das Übernachtungsgeld ist den Klägern unstreitig für die Übernachtungen bezahlt worden, die zwischen der dienstplanmäßigen Beendigung und der dienstplanmäßigen Wiederaufnahme der Fahrtätigkeit an einem auswärtigem Bahnhof anfielen und für die die Beklagte jeweils unentgeltlich eine Übernachtungsmöglichkeit an diesem Bahnhof zur Verfügung gestellt hat. Nach Auffassung der Kammer kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass die Beklagte zur Bezahlung der Übernachtungsgelder gem. § 4 Abs. 5 des Tarifvertrags über Entgelt, Reisekosten und Aufwandsentschädigung verpflichtet war. Ein Rückzahlungsanspruch besteht daher nicht.

c) Soweit die Beklagte meint, aus dem Anhang zur Betriebs-Vereinbarung vom 6.12.2000 (Bl. 155 d.A.) sowie dem Protokoll vom 22.2.2001 (Bl. 156 d.A.) etwas anders herleiten zu können, ist dies rechtsirrig. Das Protokoll vom 22.2.2001 enthält schon keinerlei Aussage zu Übernachtungsgeldern.

Der Anhang zur Betriebsvereinbarung verstößt nicht nur gegen zwingendes Tarifrecht (§ 4 Abs. 3 TVG) sondern ist auch gem. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den § 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat gem. § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG die Revision für beide Parteien zugelassen.

Ende der Entscheidung

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