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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 09.11.2005
Aktenzeichen: 10 Sa 532/05
Rechtsgebiete: BGB, SGB IX


Vorschriften:

BGB § 134
BGB § 626 Abs. 1
SGB IX § 85
SGB IX § 91 Abs. 3
1. Eine vor Ablauf der Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX ausgesprochene außerordentliche Kündigung setzt das Vorliegen einer Zustimmungsentscheidung des Integrationsamts voraus.

2. Erklärt der Sachbearbeiter des Integrationsamts nach Eingang eines Antrags auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX dem Arbeitgeber fernmündlich, das Integrationsamt wolle die Sache verfristen lassen, ist eine vor Ablauf der Zweiwochenfrist dem Arbeitnehmer zugegangene außerordentliche Kündigung nach §§ 91, 85 SGB IX, 134 BGB nichtig.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

10 Sa 532/05

Verkündet am: 09.11.2005

In dem Rechtsstreit

hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Moeller sowie die ehrenamtlichen Richter Hans Stiglocher und Hermine Marko-Kienel für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 06.04.2005 (Az.: 10 Ca 5431/02) unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 28.11.2002 nicht aufgelöst wurde.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger 3/20 und der Beklagte 17/20.

III. Die Revision wird für den Beklagten zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 28.11.2002 sowie über einen Anspruch auf Zahlung von EUR 1.524,79, den der Beklagte im Wege der Widerklage von dem Kläger zurückverlangt.

Der 1951 geborene, verheiratete Kläger ist seit 01.08.1971 bei dem Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt. Der Kläger übte zuletzt die Funktion eines Wachleiters in der Rettungswache Sch. aus, in der ein Rettungswagen, ein Krankentransportwagen und ein Notarzteinsatzfahrzeug stationiert sind. Er erzielte dabei zuletzt einen Monatsverdienst von ca. EUR 3.000,00 brutto.

Der Kläger ist seit 1991 als Schwerbehinderter anerkannt. Erstmals mit Schreiben vom 20.09.2002 (Bl. 151 bis 152 d. A.) beantragte der Beklagte bei dem Integrationsamt bei der Regierung von Schwaben die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung des Klägers. Mit Bescheid vom 01.10.2002 (Bl. 153 bis 156 d. A.) lehnte das Integrationsamt den Antrag ab.

Mit einem Schreiben vom 11.11.2002 (Bl. 88 bis 90 d. A.) - eingegangenen bei der Regierung von Schwaben am 14.11.2002 - beantragte der Beklagte erneut die Zustimmung des Integrationsamts zur außerordentlichen Kündigung des Klägers. Am 28.11.2002 rief der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei dem Integrationsamt wegen des Antrags auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung an. Der zuständige Mitarbeiter des Integrationsamts erklärte daraufhin gegenüber dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten: "Wir lassen die Sache verfristen" (Bl. 199 d. A.).

Mit Schreiben vom 28.11.2002 (Bl. 5 d. A.) - dem Kläger zugegangen am gleichen Tag - kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos. Dagegen hat der Kläger mit einem am 17.12.2002 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Klage erhoben.

Der Kläger hat vorgetragen, die Kündigung sei unwirksam. Dazu sei bereits der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Auch liege keine wirksame Zustimmung des Integrationsamtes vor. Die Ausschlussfrist für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung habe der Beklagte ebenso nicht gewahrt. Der Beklagte habe nach ursprünglicher Verweigerung der Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt andere behauptete Fälle eines Fehlverhaltens nicht unverzüglich untersucht. Jedenfalls fehle es auch an einem wichtigen Grund. Dem Kläger sei weder Betrug noch Urkundenfälschung vorzuwerfen. Der Kläger führe und erstelle Dienstpläne für insgesamt 7 hauptamtliche Beschäftigte, 3 bis 4 Zivildienstleistende und 25 ehrenamtliche Mitglieder des Beklagten. Diese seien in zwei Schichten eingeteilt. Der Kläger selbst fahre dabei nur noch im Notarztwagen. Vertretungsfälle seien in der Rettungswache alltäglich. Am 22.5.2002 habe der ehrenamtliche Fahrer L. die Schicht für den Kläger übernommen, sollte dies aber nicht selbst im Schichtplan ändern. Nachdem er dies doch gemacht habe, habe der Kläger die Eintragung wieder gelöscht und habe dies bei der Monatsabrechnung korrigieren wollen, dies aber dann vergessen. Herr L. sei aus der Wachgeldkasse bezahlt worden. Am 11.07.2002 habe Herr J. die Nachtschicht des Klägers übernommen und den Namen des Klägers im Dienstplan gestrichen, aber dabei vergessen, den Buchstaben "N" zu streichen. Herr J. sei aus der Wachkasse bezahlt worden. Am 19.06.2000 habe der Kläger tatsächlich gearbeitet und etwa 6 bis 7 Stunden Dienstpläne für die Staatsanwaltschaft kopiert. Am 08.01.2000 habe der Kläger vermutlich wegen der Monatsabrechnung den Dienst getauscht. Dazu sei er sogar von Herrn N. aufgefordert worden. Am 31.01.2000 habe der Kläger tatsächlich nicht gearbeitet und vergessen, dies im Schichtplan einzutragen. Der Mitarbeiter Q. sei dabei aber nicht vom Kläger privat bezahlt worden. Am 20.12.1999 habe der Kläger gearbeitet. Er sei jedoch mit administrativen Aufgaben überhäuft worden, so dass er den Fahrdienst nicht habe übernehmen können. Dabei habe der Kläger eine Antenne installiert. Am 19.03.1998 habe der Kläger vergessen, seine Nachtschicht im Kalender zu streichen. Der Mitarbeiter Sch. sei dabei nicht aus der Tasche des Klägers bezahlt worden. Am 08.11.1997 sei der Kläger zu einem Auftritt des Beklagten bei einer Wanderausstellung zusammen mit weiteren 6 Wachleitern eingeladen gewesen. Die Veranstaltung habe bis 13.00 Uhr gedauert. Danach habe er Wachleitertätigkeit wahrgenommen. Der Mitarbeiter Sch. sei hier nicht aus der Tasche des Klägers bezahlt worden. Am 05.09.1997, 16.07.1997 und 01.07.1997 hätten jeweils Gespräche mit dem Dienstvorgesetzten wegen Kompetenzstreitigkeiten mit dem privaten Unternehmen G. stattgefunden. Deswegen habe der Kläger jeweils spontan seinen Dienst verlegen müssen. Soweit für Mai 2002 EUR 263,93, Juli 2002 EUR 260,23, Januar 2000 EUR 268,25 und März 1998 EUR 234,29 versehentlich an den Kläger ausbezahlt worden, sei der Kläger bereit, diese Beträge zurückzuzahlen.

Der Kläger hat beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung des des Beklagten vom 28.11.2002 nicht beendet wird.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

3. Im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) oder zu 2) wird der Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Rettungsassistent weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage wird abgewiesen.

Darüber hinaus hat der Beklagte Widerklage erhoben und beantragt:

Der Kläger wird verurteilt, an den Beklagten EUR 1.524,79 nebst Zinsen i. H. v. 5 % über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank hieraus seit Klageerhebung zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, der Kläger habe Rettungsdienstschichten abgerechnet, ohne diese abzuleisten und stattdessen ehrenamtliche Mitarbeiter eingesetzt, die er aus seiner persönlichen Tasche oder der Wachkasse bezahlt habe. So habe die Schicht vom 22.05.2002 der Mitarbeiter L. geleistet, dem der Kläger dafür privat EUR 41,00 bezahlt habe. Dem Beklagten sei dadurch ein Schaden von EUR 263,93 entstanden. Am 11.07.2002 habe die Nachtschicht Herr J. geleistet. Diesem habe der Kläger EUR 16,50 aus der Wachkasse, die private Gelder der Mitarbeiter wie eine Kaffeekasse enthalte, bezahlt. Hier sei dem Beklagten ein Schaden von EUR 260,23 entstanden. Am 19.06.2000 habe der Kläger nicht gearbeitet und stattdessen den Mitarbeiter Q. eingesetzt, den er privat bezahlt habe. Es sei auch unrichtig, dass der Kläger 6 bis 7 Stunden für die Staatsanwaltschaft kopiert habe. Zum einen habe der Kläger seine Schicht mit 12 Stunden angegeben. Zum anderen erhalte der Kläger für administrative Tätigkeiten eine gesonderte Vergütung von 7,7 Stunden pro Monat ohne Nachweis ausbezahlt. Hier sei dem Beklagten ein Schaden von EUR 268,25 entstanden. Am 08.01.2000 habe der Kläger eine Nachtschicht abgerechnet, die tatsächlich der Mitarbeiter Qu. geleistet habe, den er aus eigener Tasche bezahlt habe. Hier sei dem Beklagten ein Schaden von EUR 268,25 entstanden. Am 31.01.2000 habe der Kläger eine Schicht abgerechnet, die tatsächlich der Mitarbeiter Q. gegen private Bezahlung durch den Kläger geleistet habe. Hier sei ein Schaden von EUR 268,25 entstanden. Am 20.12.1999 habe die Nachtschicht des Klägers tatsächlich der Mitarbeiter D. übernommen, dem der Kläger EUR 16,36 aus der Wachkasse bezahlt habe. Der Kläger habe auch keine anderen Tätigkeiten an diesem Tag ausgeführt, für die er im Übrigen auch 12 Stunden angegeben habe. Hier habe sich der Kläger einen Vermögensvorteil von EUR 220,24 erschlichen. Am 19.03.1998 habe der Kläger den Mitarbeiter Sch. privat für die Übernahme einer von ihm angegebenen Nachtschicht bezahlt. Dem Kläger sei dafür von dem Beklagten EUR 234,29 vergütet worden. Der gleiche Mitarbeiter habe die Tagschicht vom 08.11.1997 für den Kläger geleistet. Wenn der Kläger sich hier tatsächlich auf einer Wanderausstellung aufgehalten habe, sei dies dessen Privatvergnügen gewesen. Jedenfalls habe er dafür keine 12 Stunden abrechnen dürfen. Hier sei ein Schaden von EUR 221,49 entstanden. Das Gleiche habe sich am 05.09.1997 zugetragen. Für die Nachtschicht habe der Kläger Herrn Sch. aus der Wachkasse vergütet und selbst 12 Stunden abgerechnet. Ein Termin für eine Dienstbesprechung habe hier nicht stattgefunden. Außerdem habe der Kläger 12 Stunden für eine Nachtschicht geltend gemacht. Hier ergebe sich für den Beklagten ein Nachteil von EUR 217,97. Für den 16.07.1997 und 01.07.1997 habe der Kläger ebenfalls Nachtschichten geltend gemacht, die er einmal durch den Mitarbeiter G. und das andere Mal durch den Mitarbeiter Sch. erbringen ließ, die er jeweils privat bezahlt habe. Der Schaden des Beklagten betrage hier jeweils EUR 234,29. Hinsichtlich der Falschabrechnung sei bei dem Beklagten Anfang September 2002 ein Anfangsverdacht entstanden. Der Kläger habe sich dazu zunächst dahingehend geäußert, dass Betrügereien bei allen Wachleitern stattfinden. Der Beklagte habe daher sämtliche Rettungswachen unter die Lupe genommen, ohne dass sich die Äußerung des Klägers bestätigt habe. Dagegen habe der Beklagte die Vorfälle von Mai und Juli 2002, die Gegenstand eines eigenen Kündigungsverfahrens seien, zum Anlass genommen, weitere Untersuchungen durchzuführen, die zur Entdeckung der weiteren Fälle geführt hätten. Das Ergebnis sei am 04.11.2002 dem Geschäftsführer bekannt geworden. Mit Schreiben vom 05.11.2002 (Bl. 87 d. A.) und der Anlage hierzu (Bl. 123 d. A.) sei der Personalrat angehört und die Angelegenheit mit diesem kurz besprochen worden. Am 07.11.2002 sei der Kläger zu den Fälschungen befragt worden, ohne eine Erklärung abzugeben. Am 11.11.2002 sei der Zustimmungsantrag an das Integrationsamt gerichtet worden. Nach dem Telefongespräch zwischen dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten und dem Mitarbeiter des Integrationsamts am 28.11.2002 sei am 29.11.2002 der Bescheid des Integrationsamts über die Verfristung in den Postlauf gegeben worden. Durch das Verhalten des Klägers sei dem Beklagten insgesamt ein Schaden von EUR 2.691,49 abzüglich ersparter Aufwendungen von EUR 140,00 entstanden. Nachdem der Kläger davon einen Teilbetrag von EUR 1.026,70 durch Teilvergleich vom 16.05.2003 anerkannt hat, verbleibe ein Betrag von EUR 1.524,79.

Die Regierung von Schwaben - Integrationsamt - hat durch Widerspruchsbescheid vom 18.06.2004 (Bl. 311 bis 317 d. A.) den Widerspruch des Beklagten gegen den ablehnenden Bescheid vom 01.10.2002 zurückgewiesen. Mit einem zweiten Widerspruchsbescheid vom gleichen Tag (Bl. 304 bis 310 d. A.) hat es den Zustimmungsbescheid vom 29.11.2002 aufgehoben.

Das Arbeitsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme mit Urteil vom 06.04.2005 die Klage abgewiesen und der Widerklage entsprochen. Wegen des weiteren erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien sowie den Ausführungen des Arbeitsgerichts wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Ersturteils Bezug genommen.

Gegen das dem Kläger am 21.04.2005 zugestellte Urteil hat dieser mit einem am Montag, den 23.05.2005 bei dem Landesarbeitsgericht München eingegangenen Schriftsatz Berufung einlegen lassen und durch einen am 20.07.2005 innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist eingegangenen Schriftsatz sein Rechtsmittel begründet.

Er trägt vor, die Kündigung sei jedenfalls wegen fehlender Zustimmung des Integrationsamtes unwirksam. Zum Zeitpunkt der Kündigung vom 28.11.2002 habe noch kein schriftlicher Bescheid des Integrationsamts vorgelegen. Darüber hinaus fehle es auch an einem Grund zur Kündigung. Der Kläger habe zu keinem Zeitpunkt in betrügerischer Absicht gegen den Beklagten gehandelt. Der Kläger habe nur für den 19.03.1998 und 31.01.2000 zu Unrecht Beträge erhalten. Unterlassene Korrekturen an Dienstplänen seien hier auf Konzentrationsmängel wegen ständiger Stresssituation am Arbeitsplatz zurückzuführen. Angesichts der 30jährigen Tätigkeit für den Beklagten sei die Kündigung unverhältnismäßig. Deswegen sei auch die Widerklage unbegründet.

Der Kläger beantragt:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 06.04.2005 (Az.: 10 Ca 5431/02) wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 28.11.2002 nicht beendet worden ist.

3. Die Widerklage wird abgewiesen.

Der Beklagte beantragt,

Die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, für die Kündigung liege eine wirksame Zustimmung des Integrationsamtes vor. Die Vorfälle vom 22.05.2002 und 11./12.9.2002 seien nicht Gegenstand des vorliegenden Kündigungsverfahrens. Dass die Kündigung wegen der restlichen Vorfälle vom 20.12.1999, 01.07., 16.07. 05.09.1997 gerechtfertigt sei, habe das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt. Diese Vorfälle seien auch nicht verfristet. Aufgrund der massiven vorsätzlichen Vermögensdelikte des Klägers sei die Kündigung auch gerechtfertigt. Daher sei auch die Widerklage begründet.

Mit Urteil vom 02.08.2005 (Bl. 339 bis 364 d. A.) hat das Bayerische Verwaltungsgericht Augsburg die Bescheide der Regierung von Schwaben vom 18.06.2004 aufgehoben und das Integrationsamt verpflichtet, dem Antrag des Beklagten vom 25.09.2002 zuzustimmen.

Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze des Klägers vom 19.07.2005 (Bl. 298 bis 303 d. A.), des Beklagten vom 24.08.2005 (Bl. 321 bis 326 d. A.) und 02.11.2005 (Bl. 376 bis 377 d. A.) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 21.10.2005 (Bl. 371 bis 373 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung des Klägers ist nur teilweise zulässig.

1) Soweit sich der Kläger gegen die Abweisung seiner Kündigungsschutzklage wendet, ist die Berufung nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthaft und in der rechten Form und Frist eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO) und daher zulässig.

2) Soweit sich die Berufung gegen die Verurteilung des Klägers zur Zahlung von EUR 1.4524,79 im Wege der Widerklage richtet, ist die Berufung dagegen unzulässig.

a) Nach der Neuregelung des Verfahrensrechts durch das Zivilprozessreformgesetz vom 17.05.2001 kann eine Berufung gem. § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Damit korrespondiert der notwendige Inhalt einer Berufungsbegründung nach den Bestimmungen in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 3 ZPO. Danach muss die Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich eine Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben, oder die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine neue Feststellung gebieten, enthalten. Diese Anforderungen an eine Berufungsbegründung gelten gem. § 64 Abs. 6 ArbGG auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren (vgl. LAG Düsseldorf MDR 2004, 160; Schmidt/ Schwab/ Wildschütz NZA 2001, 1220). Wie bereits unter der Geltung des bisherigen Prozessrechtes muss in der Berufungsbegründung eine Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung stattfinden. Die Begründung muss auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher und rechtlicher Art sowie aus welchen Gründen der Berufungsführer das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Insoweit hat sich durch die Neuregelung des Verfahrensrechts nichts geändert (vgl. BGH MDR 2003, 1246; BGH MDR 2003, 1130; LAG Düsseldorf - a. a. O.). Zur Begründung eines Rechtsmittels gehört es deshalb, dass sich der Rechtsmittelführer nicht nur mit jedem einzelnen Anspruch sondern auch mit allen tragenden Entscheidungsgründen der Vorinstanz hinsichtlich dieses Anspruchs auseinandersetzt (vgl. BAG vom 25.06.2002 - AP Nr. 15 zu § 1 AEntG). Die Rechtsmittelbegründung muss sich nicht nur mit allen einzelnen Ansprüchen und mit allen diesen zugrunde liegenden Lebenssachverhalten auseinandersetzen sondern muss vor allen Dingen eine Begründung zu jedem einzelnen Streitgegenstand enthalten, die der gesetzlichen Anforderung entspricht und damit auch hier zur Widerklage (vgl. BAG vom 13.03.2003 - AP Nr. 7 zu § 11 BAT; BAG vom 12.11.2002 - AP Nr. 155 zu § 112 BetrVG 1972; BGH NJW 1993, 3073).

b) Soweit sich der Kläger gegen die Verurteilung gemäß der Widerklage wendet, fehlt es daran. Das Arbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 06.04.2005 im Einzelnen dargelegt, dass nach seinen nach Beweisaufnahme getroffenen Feststellungen der Kläger am 01.07., 16.07. und 05.09.1997, 08.11.1997, 20.12.1999, 08.01.2000 und 19.06.2000 keine Arbeitsleistungen für den Beklagten erbracht und dafür aber einen Betrag von EUR 1.664,79 erhalten habe, den er dem Beklagten abzüglich eines Betrages von EUR 140,00 für ersparte Aufwendungen zu erstatten hat. Dagegen hat der Kläger in der Berufungsbegründung - ohne dass er sich mit den Feststellungen und den Gründen des arbeitsgerichtlichen Urteils überhaupt auseinandersetzt - nur vorgetragen, er habe in keinem dieser Fälle zu Unrecht von dem Beklagten Geld erhalten. Dies stellt keine ordnungsgemäße Berufungsbegründung dar (§ 520 Abs. 3 ZPO). Denn darin wird auf die Begründung des Urteils des Arbeitsgerichts in keiner Weise eingegangen, was allein schon zu Unzulässigkeit führt (vgl. BGH NJW 2002, 1578; BGH MDR 2000, 535). Im Übrigen können weder bloße Redewendungen (vgl. BGH NJW 1998, 2470; LAG Hessen NZA-RR 1999, 607) oder die Angabe abweichender Rechtsansichten dem Erfordernis eines zulässigen Berufungsangriffs genügen (vgl. BGH NJW 1995, 1559; LAG Berlin NZA-RR 1999, 99). Dazu ist eine argumentative Auseinandersetzung mit den Rechtsansichten des Arbeitsgerichts (vgl. LAG Sachsen NZA-RR 2003, 438) oder mit den Tatsachenfeststellungen des Arbeitsgerichts von Nöten (vgl. LAG Düsseldorf FA 2000, 57), an denen es der Kläger fehlen lässt.

II.

Soweit die Berufung zulässig ist, ist sie auch begründet.

1. Die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28.11.2002 ist unwirksam. Dabei muss - wie es das Arbeitsgericht angenommen hat - offen bleiben, ob für diese ein wichtiger Grund vorlag, der es dem Beklagten unzumutbar machte, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortzusetzen (§ 626 Abs. 1 BGB). Ebenso kann dahinstehen, ob der Beklagte mit der Kündigung vom 28.11.2002 die Ausschlussfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat, nachdem vorliegende Kündigung allein auf Fehlverhalten des Klägers vor dem Jahr 2001 von dessen Fortsetzung im Jahr 2002 der Beklagte weit vor dem 28.11.2002 Kenntnis hatte. Schließlich kann auch dahinstehen, ob zur Kündigung des Klägers vom 28.11.2002 der Personalrat bei dem Beklagten ordnungsgemäß beteiligt worden ist, nachdem die dazu vorgelegte schriftliche Anhörung vom 05.11.2002 (Bl. 87 d. A.) mit der Anlage (Bl. 123 d. A.) nur eine äußerst knappe Beschreibung eines Kündigungssachverhalts darstellen.

2. Die Kündigung vom 28.11.2002 ist jedenfalls bereits deshalb unwirksam, weil es für sie an einer Zustimmung des Integrationsamtes fehlte (§ 85 i. V. m. § 91 Abs. 1 SGB IX).

a) Bei dem Kläger liegt ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 % vor, so dass er Schwerbehinderter im Sinne des Gesetzes ist (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Gem. § 85 SGB IX bedarf die Kündigung eines schwer behinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Dies gilt auch für eine außerordentliche Kündigung (§ 91 Abs. 1 SGB IX). Eine ohne erforderliche Zustimmung erklärte Kündigung ist nichtig (§ 134 BGB).

b) Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 28.11.2002 lag keine Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung vor. Dies folgt auch nicht aus § 91 Abs. 3 SGB IX.

aa) Der Beklagte hatte unstreitig durch einen am 14.11.2002 bei dem Integrationsamt eingegangenen Antrag die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung beantragt. Gem. § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX hatte darüber das Integrationsamt innerhalb von zwei Wochen vom Tage des Eingangs des Antrags an eine Entscheidung zu treffen. Gem. § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX gilt die Zustimmung als erteilt, wenn das Integrationsamt eine Entscheidung innerhalb dieser Frist nicht getroffen hat. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber zwar eine Kündigung aussprechen kann, wenn das Integrationsamt eine Zustimmungsentscheidung getroffen hat, auch wenn diese dem Arbeitgeber noch nicht in schriftlicher Form zugegangen, ja noch nicht einmal in schriftlicher Form getroffen worden ist (vgl. BAG vom 12.05.2005 - 2 AZR 159/04 = NZA 2005, 1173).

bb) Andererseits ergibt sich aus § 91 Abs. 3 SGB IX aber eindeutig, dass jedenfalls nicht irgendeine sondern eine zustimmende Entscheidung des Integrationsamts getroffen worden sein muss (vgl. BAG vom 12.08.1999 - 2 AZR 748/98; LAG Düsseldorf DB 2004, 1108). Nur wenn das Integrationsamt eine positive Entscheidung zum Antrag des Arbeitgebers getroffen hat, der beabsichtigten Kündigung wenigstens mündlich definitiv zugestimmt hat (vgl. BAG vom 12.05.2005 - a. a. O. - zu B I 4 der Gründe), kann der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen. Allein die Mitteilung, dass das Integrationsamt die Zustimmung erteilt hat, beseitigt die Kündigungssperre vor Ablauf von zwei Wochen (vgl. ErfK/Rolfs 5. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 5; APS-Vossen 2. Aufl. § 91 SGB IX Rn. 12 i. V. m. § 85 SGB IX Rn. 3). Fehlt es daran, hat der Arbeitgeber den Ablauf der Zweiwochenfrist abzuwarten. Erst dann greift die gesetzliche Fiktion ein.

c) Mit der dem Kläger am gleichen Tag zugegangenen Kündigung vom 28.11.2002 hat der Beklagte diese erst an diesem Tag ablaufende Frist (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB) nicht abgewartet. Dies wäre für die Kündigung nur dann unschädlich, wenn zu diesem Zeitpunkt eine definitiv zustimmende Entscheidung bereits getroffen war. Dies ist jedoch nicht der Fall. Nach der zwischen den Parteien unstreitigen Erklärung des Sachbearbeiters des Integrationsamts bei dem Telefongespräch mit dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten hat dieser ausdrücklich erklärt: "Wir lassen die Sache verfristen". Das ist keine dem Antrag des Arbeitgebers stattgebende Entscheidung, die allein den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigt hätte (vgl. APS-Vossen a. a. O. § 91 SGB IX Rn. 15). Bei einer derartigen Erklärung ist schon fraglich, ob es sich überhaupt um die Mitteilung einer abschließenden Entscheidung handelt (vgl. LAG Frankfurt RzK III 1 e Nr. 10; KR-Etzel 7. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 103). Erst recht ist dies jedenfalls keine über den Antrag des Arbeitgebers positiv urteilende Entscheidung, wenn das Integrationsamt mitteilt, es wolle die Angelegenheit verfristen lassen. Damit geht das Integrationsamt selbst davon aus, dass vor Ablauf der Frist des § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Kündigung durch den Arbeitgeber nicht erfolgen kann. Hat der Beklagte den Ablauf der Zweiwochenfrist mit der dem Kläger am 28.11.2002 übergebenen Kündigung nicht abgewartet, ist die Kündigung unwirksam.

III.

Auf die Berufung des Klägers war daher das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abzuändern.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den § 97 Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Kammer hat die Revision für den Beklagten wegen grundsätzlicher Bedeutung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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