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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 18.07.2006
Aktenzeichen: 11 TaBV 70/05
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 111 Satz 3 Ziff. 3
BGB § 613 a
Der Begriff der Betriebsspaltung in § 111 Satz 3 Ziff. 3 BetrVG setzt nicht voraus, dass Folge einer Spaltung ein Betriebsübergang i. S. von § 613 a BGB ist.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES Beschluss

11 TaBV 70/05

Verkündet am: 18. Juli 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Elfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23.06.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Obenaus sowie die ehrenamtlichen Richter Platzer und Stöhr für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 23. Sept. 2005, Az.: 18b BV 4/05 I, wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Tatbestand:

Gegenstand der Auseinandersetzung ist die umstrittene Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

Antragstellerin ist die Arbeitgeberin, die einen Zeitungsverlag unterhält, Antragsgegner ist der im Betrieb der Arbeitgeberin bestehende Betriebsrat.

Der Auseinandersetzung liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die Arbeitgeberin hat die technische Anzeigenproduktion (Satzherstellung) mit Wirkung zum 1.3.2004 vollständig geschlossen und an ein hierfür spezialisiertes Dienstleistungsunternehmen, die Fa C. GmbH, übertragen. Dies führt für die Arbeitgeberin zu einer jährlichen Ersparnis von 250.000 € an Personalkosten. Vor der Schließung der Anzeigenproduktion waren in der Satzherstellung bei der Arbeitgeberin 10 Mitarbeiter beschäftigt. Zwei davon wurden von der Fa. C. übernommen. Es handelt sich dabei um Frau S. und Herrn W. Alle übrigen Mitarbeiter der technischen Anzeigeproduktion wurden entlassen.

Die bei der Arbeitgeberin bezüglich der bezeichneten Maßnahme gebildete Einigungsstelle beschloss am 11.2.2005 einen Sozialplan für alle 10 in der Anzeigenproduktion beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht München am 20.4.2005 eingegangenen Antragsschrift hat die Arbeitgeberin die gerichtliche Feststellung im Beschlussverfahren begehrt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11.2.2005 unwirksam sei.

Zur Begründung hat sie vorgetragen, die von ihr durchgeführte Maßnahme sei nicht sozialplanpflichtig und falle nicht unter § 111 Satz 3 Nummer 3 BetrVG. Zudem sei die persönliche Reichweite des Sozialplans ermessensfehlerhaft festgelegt, weil auch Frau S. und Herr W. umfasst seien.

Der Betriebsrat hat in erster Instanz erwidert, der Spruch der Einigungsstelle sei rechtlich in keiner Weise zu beanstanden und hat in diesem Zusammenhang auf die Begründung dieses Spruches verwiesen. Er sei auch nicht ermessensfehlerhaft.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23.9.2005, der der Arbeitgeberin am 10.10.2005 zugestellt wurde, den Antrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen.

Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die Übertragung der Anzeigenproduktion auf die Firma C. stelle eine Spaltung im Sinn des § 111 Satz 3 Nummer 3 BetrVG dar. Dem stehe auch nicht entgegen, dass es sich um einen verhältnismäßig kleinen Betriebsteil handele um, da die bezeichnete Vorschrift nicht auf die Abspaltung eines erheblichen oder wesentlichen Betriebsteils abstelle. Eine Bagatellgrenze sei jedenfalls nicht überschritten, da das Einsparungspotenzial 250.000 € betrage und die Anzeigenproduktion einen wichtigen Teil des Betriebs darstelle. Der Sozialplan sei auch nicht ermessensfehlerhaft. Die Einigungsstelle habe sich nämlich im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessensspielraums gehalten.

Gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 23. September 2005 wendet sich an die Arbeitgeberin mit ihrer Beschwerde vom 12.10.2005.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags trägt die Arbeitgeberin vor, das Arbeitsgericht habe es zu Unrecht genügen lassen, dass ein eigenständiger Betriebsteil aufgegeben wird und dass der in diesem Betriebsteil verfolgte arbeitstechnische Zweck von einem Dritten fortgeführt werde.

Die vom Betriebsrat zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.12.96 passe nicht, weil sich der Sachverhalt dort ganz wesentlich von dem hierzu entscheidenden unterscheide. In dem der dortigen Entscheidung zu Grunde liegenden Fall sei die 24 Mitarbeiter umfassende Fertigungseinheit auch nach der Spaltung als solche erhalten geblieben.

Dies sei im vorliegenden Fall bei der technischen Herstellung von Anzeigen nicht der Fall: Die Fa. C. sei bereits seit 1997 am Markt tätig und habe einen eigenen Mitarbeiter-Stamm. Nur zwei Mitarbeiter seien von der Fa. C übernommen worden Es liege auch kein Betriebsübergang, bzw. ein Teilbetriebsübergang vor. Die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien seien jedenfalls nicht erfüllt.

Die Arbeitgeberin trägt weiter vor, lege man den Wortlaut aus, so müsse zumindest verlangt werden, dass ein Spaltprodukt entstanden sei. Dies sei aber gerade nicht der Fall.

Eine systematische Auslegung führe zum gleichen Ergebnis. Ein Zusammenschluss setze begrifflich voraus, dass zuvor mehrere Betriebe oder Betriebsteile bestanden hätten. Umgekehrt sei es eine für eine Spaltung nötig, dass aus der Spaltung heraus wieder mehrere Betriebe oder zumindest Betriebsteile entstünden. Auch der gesetzliche Kontext spreche dafür, dass Outsourcing-Fälle nicht erfasst seien. Andernfalls liefe die Einschränkung in Nummer 1, leer, dass es sich nämlich um wesentliche Betriebsteile handeln müsse.

Bezüglich der gerügten Ermessensfehlgebrauchs trägt die Arbeitgeberin vor, gemäß § 112 Absatz 5 BetrVG habe die Einigungsstelle die Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen. Vorliegend hätte berücksichtigt werden müssen, dass der Arbeitnehmer W. bereits einen Arbeitsplatz angenommen gehabt habe. Die Einigungsstelle müsse eine Prognose im Einzelfall anstellen. Sie müsse sich insbesondere um den Ausgleich feststellbarer oder zu erwartender materieller Einbußen des Arbeitnehmers im Einzelfall bemühen. Der Ausgleich der durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile müsse für die Arbeitnehmer möglichst konkret vorgenommen werden. Bei Herrn W. sei nicht einmal eine Prognose erforderlich gewesen, da es bekannt gewesen sei, dass er von C. übernommen werde.

Die Arbeitgeberin beantragt in zweiter Instanz:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts München - Kammer Ingolstadt - vom 23.9.2005, Az.: 18 b BV 04/05 I wird abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 11.2.2005 unwirksam ist.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, eine Spaltung im Sinne des § 111 Satz 3 Ziffer 3 BetrVG liege dann vor, wenn die organisatorische Einheit dadurch aufgehoben werde, dass ein Teil des ursprünglich einheitlichen Betriebs einer eigenständigen Leitung unterstellt werde.

Von einer Spaltung in diesem Sinn spreche man also, wenn von einer organisatorischen Einheit ein arbeitstechnische Teilzweck abgespalten werde und dabei nicht untergehe. Der Spaltungsbegriff setze nicht voraus, dass ein wesentlicher Betriebsteil abgespalten werde.

Der Einigungsstellenspruch - so der Betriebsrat weiter - führe zu Recht aus, dass die Systematik des § 111 BetrVG dagegen spreche.

Die These der Arbeitgeberin: "Fremdvergabe ohne Teilbetriebsübergang = keine Betriebsspaltung" widerspreche der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Der Werkvertrag mit C. stelle sicher, dass die von der Arbeitgeberin bisher selbst wahrgenommenen betrieblichen Teilfunktionen nunmehr von der Auftragnehmerin sichergestellt würden.

Im Übrigen handele es sich bei der vorliegenden Fremdvergabe nach der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Bundesarbeitsgerichts ohnehin um einen Betriebsübergang.

Zur Frage des behaupteten Ermessensfehlgebrauchs trägt der Betriebsrat vor, die Einigungsstelle habe immer einen gewissen Ermessensspielraum. Eine unzulässige Ermessensüberschreitung liege vor, wenn sich die Einigungsstelle von sachfremden Erwägungen habe leiten lassen oder den ihr zustehenden Regelungsspielraum verkannt habe.

Das sei hier nicht der Fall.

Weder Gesetz noch Rechtsprechung schlössen es aus, dass Mitarbeiter, die eine Anschlusstätigkeit wahrnehmen könnten, gleichwohl eine Abfindung erhalten.

Es sei auch nicht nachvollziehbar, inwiefern die Anschlussbeschäftigung des Herrn W. wirtschaftlich gleichwertig sein solle.

Hinsichtlich des weiteren Ergebnisses der Anhörung wird auf die von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

I.

Der angefochtene Spruch der Einigungsstelle ist wirksam. Die Einigungsstelle war zuständig (§§ 76 Abs. 5 Satz 1; 111 Satz 3 Ziff. 3; 112 Abs. 4 BetrVG). Der Spruch der Einigungsstelle verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere auch nicht gegen § 112 Abs. 5 Satz 2 BetrVG.

1. Gemäß § 76 Abs. 5 Satz 1 BetrVG ist die Einigungsstelle in den Fällen, in denen der Spruch der Einigungsstelle die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat ersetzt, zuständig. Gemäß § 112 Absatz 1 Satz 2 BetrVG ist die Einigungsstelle im Fall einer geplanten Betriebsänderung für die Vereinbarung eines Sozialplanes nach erfolglosem Versuch eines Interessenausgleichs über die geplante Betriebsänderung zuständig. Kommt eine Einigung über den Sozialplan nicht zu Stande, so entscheidet die Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplans. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrats (§ 112 Absatz 4 BetrVG. Gemäß § 111 Satz 3 Ziff. 3 BetrVG gilt als Betriebsänderung auch der Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben.

Zwischen den Beteiligten ist im vorliegenden Verfahren streitig, ob die Schließung des Bereichs technische Anzeigenherstellung sowie die Auftragsvergabe dieser betrieblichen Funktion an ein externes Unternehmen den gesetzlichen Tatbestand einer "Spaltung des Betriebs " erfüllt.

Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin sieht das Beschwerdegericht - wie das Arbeitsgericht - das gesetzliche Merkmal einer Spaltung des Betriebs im vorliegenden Fall als erfüllt an.

Aus dem Gesetzestext kann nicht entnommen werden, dass bei der Spaltung eines Betriebes im Sinn von § 111 Satz 3 Ziff. 3 BetrVG eine wirtschaftliche Einheit entstehen muss, die als solche an einen Dritten übertragen werden könnte. Dies kann auch nicht der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Dezember 1996, NZA 1997, 898, entnommen werden. Denn dort ist lediglich festgehalten, dass die Ausgliederung eines Betriebsteils mit einer abgrenzbaren, eigenständigen Struktur im Zusammenhang mit einer Übertragung desselben regelmäßig den Begriff der Spaltung erfülle, wobei diese Aussage im Zusammenhang mit der Frage erörtert wird, ob es sich im konkreten Fall um eine "Bagatellausgründung" gehalten habe.

Mit der Schließung des Betriebsteils technische Anzeigenherstellung und Verlagerung der von diesem Betriebsteil erfüllten Aufgabe auf ein externes Unternehmen hat die Arbeitgeberin ihren Betrieb gespalten. Der Betriebsteil "Anzeigenproduktion (Satzherstellung)" ist aus dem bisher einheitlichen Betrieb ausgelagert worden. Als organisatorische Einheit ist dieser Betriebsteil zwar mit der Auslagerung der Aufgabe aufgelöst worden. Diese Auflösung ist jedoch gleichzeitig mit der Spaltung erfolgt, die dann dazu geführt hat, dass die bisherige betriebliche Funktion "Anzeigenproduktion" nunmehr von einem externen Unternehmen in der Weise wahrgenommen wird, dass der Herstellungsrhythmus in das betriebliche Geschehen der Arbeitgeberin - werkvertraglich abgesichert - integriert ist.

Wie der Vorsitzende der Einigungsstelle in der Begründung des Einigungsstellenspruchs auch zutreffend ausgeführt hat, ist für die Bejahung einer Spaltung auch nicht Voraussetzung, dass es sich bei dem abgespaltenen Betriebsteil um einen "wesentlichen" Betriebsteil handelt. Hierfür gibt es keine tragfähigen Anhaltspunkte. Ein Bagatellfall ist das Outsourcing der Anzeigenherstellung bei der Arbeitgeberin jedenfalls nicht.

Schließlich bedarf es auch keiner näheren Erörterung, ob die hier unterstellte Betriebsänderung wesentliche Nachteile für die Belegschaft mit sich zu bringen geeignet war. Gemäß § 111 Satz 3 Ziff. 3 BetrVG wird die Erwartung solcher Nachteile bei den in § 111 Satz 3 BetrVG aufgezählten Beispielsfällen nämlich gesetzlich fingiert.

2. Der Einigungsstellenspruch verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht.

Gemäß § 76 Absatz 5 Satz 3 BetrVG fasst die Einigungsstelle ihre Beschlüsse unter angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nach billigem Ermessen. Für den Fall einer Sozialplanvereinbarung sieht das Gesetz in § 112 Absatz 5 Satz 2 BetrVG im Einzelnen vor, dass sich die Einigungsstelle im Rahmen billigen Ermessens insbesondere von folgenden Grundsätzen leiten lassen müsse: Sie solle beim Ausgleich oder der Milderung wirtschaftlicher Nachteile, insbesondere durch Einkommensminderung, Wegfall von Sonderleistungen oder Verlust von Anwartschaften auf betriebliche Altersversorgung, Umzugskosten oder erhöhten Fahrtkosten, Leistungen vorsehen, die in der Regel den Gegebenheiten des Einzelfalles Rechnung trügen (§ 112 Absatz fünf Satz 2 BetrVG). Ferner habe sie die Aussichten der betroffenen Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt zu berücksichtigen.

Dem ist durch die in § 2 Ziff. 3) des Sozialplans enthaltene Regelung hinreichend Rechnung getragen. Der Verzicht auf eine Ausnahmeregelung für den Arbeitnehmer W. hielt sich noch im Rahmen des der Einigungsstelle zustehenden Ermessensspielraums, nachdem Herr W. im neuen Arbeitsverhältnis noch keinen Bestandsschutz hatte.

III.

Die Rechtsbeschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gem. §§ 92 Abs. 1 Satz 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.

Ende der Entscheidung

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