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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 20.09.2007
Aktenzeichen: 2 Sa 63/07
Rechtsgebiete: TVG, BTV Nr. 4 zum BMT-G II
Vorschriften:
TVG § 4 Abs. 5 | |
BTV Nr. 4 zum BMT-G II § 15 |
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL
Verkündet am: 20. September 2007
In dem Rechtsstreit
hat die zweite Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Waitz sowie die ehrenamtlichen Richter Ragaller und Eichert für Recht erkannt:
Tenor:
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 08.11.2006 - 5 Ca 5346/06 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Lohnstandssicherung für November 2005 in Höhe von € 179,13 (i. W.: einhundertneunundsiebzig 13/100 Euro) brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2006 zu bezahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
2. Die Revision für die Beklagte wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für November 2005 ein Lohnstandssicherungslohn nach § 15 des Bezirkstarifvertrages Nr. 4 zum BMT-G II (künftig: BTV Nr. 4) zusteht. Es bestehen unterschiedliche Auffassungen darüber, ob dieser Tarifvertrag nachwirkt.
Der am 04.11.1966 geborene Kläger war seit November 1989 bei der Beklagten als U-Bahnfahrer beschäftigt. Jedenfalls ab April 2005 war er zunächst arbeitsunfähig erkrankt, seit 09.10.2005 fahrdienstuntauglich. Gemäß § 2 des Arbeitsvertrages regelt sich das Arbeitsverhältnis nach den Bestimmungen des BMT-G II in ihren jeweils geltenden Fassungen bzw. nach den an deren Stelle tretenden Bestimmungen. Daneben finden die für den Bereich der Stadtverwaltung X. jeweils in Kraft befindlichen sonstigen Tarifverträge Anwendung.
§ 16 der Sondervereinbarung gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1a BMT-G II für Arbeiter im Betriebs- und Verkehrsdienst von Nahverkehrsbetrieben enthält eine Regelung zur Lohnstandssicherung bei ein Eintritt der Fahrdienstuntauglichkeit. Nach ihrem § 28 gilt diese Sondervereinbarung jedoch nicht im Bereich des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern. Für diesen Bereich galt der BTV Nr. 4. § 15 dieses Tarifvertrages enthält ebenfalls Regelungen zur Lohnstandssicherung. Der BTV Nr. 4 wurde vom Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern zum 30.06.2004 gekündigt. Am 18.08.2006 wurde ein neuer Tarifvertrag Nahverkehrsbetriebe Bayern abgeschlossen, der auch die Lohnstandssicherung neu regelt.
Die Forderung des Klägers, ihm eine Lohnstandssicherung nach § 15 BTV Nr. 4 zu gewähren, lehnte die Beklagte ab.
Der Kläger ist der Auffassung, er könne eine Lohnstandssicherung nach § 15 BTV Nr. 4 aufgrund seiner im Oktober 2005 eingetretenen Fahrdienstuntauglichkeit beanspruchen, da dieser Tarifvertrag nachwirke.
Dagegen vertritt die Beklagte die Auffassung, der BTV Nr. 4 wirke nicht nach.
Mit Endurteil vom 08.11.2006 hat das Arbeitsgericht die Klage auf Zahlung von € 179,13 brutto nebst Zinsen für November 2005 abgewiesen. Bei Eintritt der Anspruchsvoraussetzungen habe der BTV Nr. 4 nicht mehr gegolten. Er sei gegenüber dem BMT-G II als die engere Norm anzusehen. Mit Ablauf des engeren Tarifvertrages entfalle dessen Nachwirkung, wenn und soweit zu diesem Zeitpunkt ein geltender weiterer Tarifvertrag eingreife, der bisher von dem spezielleren Tarifvertrag verdrängt worden sei. Für eine Nachwirkung bestehe kein Bedürfnis, denn wegen der Anwendbarkeit des BMT-G II entstehe keine Regelungslücke. Der BMT-G II enthalte auch Regelungen zur Lohnstandssicherung. Eine Nachwirkung habe den Sinn, eine Regelungslücke und damit ein inhaltsleeres Arbeitsverhältnis zu verhindern.
Gegen dieses den Klägervertretern am 19.12.2006 zugestellte Endurteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 18.01.2007, die am 19.03.2007 begründet worden ist, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert worden war.
Der Kläger ist der Auffassung, das Arbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft eine Nachwirkung verneint. Der BTV Nr. 4 sei nicht durch eine andere Abmachung ersetzt worden, denn es sei jedenfalls im November 2005 noch kein neuer Tarifvertrag abgeschlossen gewesen, der den BTV Nr. 4 ersetzt hätte. Eine Nachwirkung scheide auch nicht deshalb aus, weil mit dem Ablauf des spezielleren Tarifvertrages wieder der räumlich weitere Tarifvertrag Anwendung finde. Der BTV Nr. 4 weiche bei der Lohnstandssicherung vom BTM-G II ab.
Der Kläger stellt folgende Anträge:
1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 08.11.2006, Az.: 5 Ca 5346/06 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Lohnstandssicherung für den Monat November 2005 in Höhe von 179,13 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2006 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des Arbeitsgerichts für zutreffend. Der BTV Nr. 4 sei ab 01.07.2004 durch die Regelungen des BMT-G II als andere Abmachung im Sinne des § 4 Abs. 5 TVG ersetzt worden. Die andere Abmachung müsse nicht zur Wahrung des bisherigen Rechtszustandes führen, sondern nur den Regelungszustand im weiteren Sinne berücksichtigen. Der BMT-G II enthalte in seinem § 28 eine Regelung zur Lohnstandssicherung. Ohne den Abschluss des BTV Nr. 4 wäre der BMT-G II für die Lohnstandssicherung des Klägers einschlägig gewesen.
Wegen Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründung vom 19.03.2007, die Berufungserwiderung vom 29.05.2007 sowie die Sitzungsniederschrift vom 28.06.2007 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung ist begründet, weil dem Kläger der Lohnstandssicherungslohn nach § 15 BTV Nr. 4 zusteht. Dieser Tarifvertrag wirkte nach seiner Kündigung durch den Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e. V. zum 30.06.2004 nach, weil er im November 2005 noch nicht durch eine andere Abmachung ersetzt war (§ 4 Abs. 5 TVG).
Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung endet die Nachwirkung erst dann, wenn die Rechtsnormen des abgelaufenen Tarifvertrages durch eine andere Abmachung ersetzt werden. Die andere Abmachung muss also grundsätzlich zeitlich nach dem abgelaufenen Tarifvertrag geschlossen worden sein. Der BMT-G II, auf dessen ersetzende Wirkung sich die Beklagte beruft, galt schon während der Geltungsdauer des BTV Nr. 4. Diese Parallelität beider Tarifverträge spricht dagegen, dass der BMT-G II nach Ablauf des BMTV Nr. 4 diesen ersetzt hat.
Den vom Arbeitsgericht sowie der Beklagten zitierten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts kann nicht entnommen werden, dass der BTV Nr. 4 nach dem 30.06.2004 nicht nachwirkte. Im Urteil vom 19.01.1962 (1 AZR 147/61 - AP Nr. 11 zu § 5 TVG) hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, mit dem Ablauf des räumlich engeren Tarifvertrages erfasse der allgemeinverbindliche räumlich weitere Tarifvertrag auch die bisher von dem räumlich engeren Tarifvertrag beherrschten Arbeitsverhältnisse so, dass eine Nachwirkung des räumlich engeren Tarifvertrages ausscheide. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte der Kläger seine Ansprüche auf einen für das gesamte Land Nordrhein-Westfalen abgeschlossenen Gehaltstarifvertrag, der ab 01.10.1958 für allgemeinverbindlich erklärt worden war, gestützt, während die Beklagte die Auffassung vertrat, die Ansprüche des Klägers würden sich aus einem für einen Kreis abgeschlossenen Tarifvertrag ergeben, der nach seiner Kündigung zum 31.12.1958 nachwirke. Das Bundesarbeitsgericht hat vor allem deshalb eine ersetzende Wirkung angenommen, weil ursprünglich ausschließlich der räumlich engere Tarifvertrag galt und mit dessen Kündigung die Konkurrenz zu dem räumlich weiteren Tarifvertrag wegfiel. Das vorliegende Verfahren unterscheidet sich von dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zugrunde liegenden Fall dadurch, dass der gekündigte BTV Nr. 4 den BMT-G II nicht ausschloss, sondern die Regelungen beider Tarifverträge nebeneinander galten. Eine Tarifkonkurrenz in dem Sinne, dass auf das Arbeitsverhältnis nur der eine oder der andere Tarifvertrag anzuwenden war, lag nicht vor. Damit ist das wesentliche Argument des Bundesarbeitsgerichts auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden und die Kündigung des BTV Nr. 4 führt nicht dazu, dass anstelle dieses Tarifvertrages nun der BMT-G II tritt.
Auch der Fall, der dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 04.09.1996 (4 AZR 135/95 - NZA 1997, 271) zugrunde lag, ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Auch in diesem Fall ging es um eine echte Tarifkonkurrenz. Der zunächst geltende speziellere Tarifvertrag galt ausschließlich und verdrängte einen allgemeineren Tarifvertrag. Zu einer Ersetzung durch eine andere Abmachung kam es dadurch, dass der Arbeitgeber einem anderen Arbeitgeberverband beigetreten war.
Schließlich spricht auch das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 15.11.2006 (10 AZR 665/05 - NZA 2007, 448) nicht entscheidend gegen eine Nachwirkung des BTV Nr. 4. In diesem Verfahren stritten die Parteien darüber, ob der Beklagte einen von den für allgemeinverbindlich erklärten Sozialkassentarifverträgen des Baugewerbes erfassten Betrieb unterhalten hat. Für seinen Betrieb galt zunächst ein Manteltarifvertrag für das Tischlerhandwerk, der dann gekündigt wurde. Vor diesem Hintergrund nahm das Bundesarbeitsgericht an, nach dem Grundsatz der Spezialität komme in einem Fall der Tarifkonkurrenz bzw. Tarifpluralität allein der Tarifvertrag zur Anwendung, der dem Betrieb räumlich, betrieblich, fachlich und persönlich am nächsten stehe und deshalb den Erfordernissen und Eigenarten des Betriebes und der darin tätigen Arbeitnehmer am besten gerecht werde. Ein abgelaufener Tarifvertrag könne in der Nachwirkungszeit allerdings nicht als speziellerer, sachnäherer Tarifvertrag die für allgemeinverbindlich erklärten Rahmen- und Sozialkassentarifverträge des Baugewerbes verdrängen. Das Bundesarbeitsgericht nimmt an, mit der Kündigung des Manteltarifvertrages für das Tischlerhandwerk habe die Tarifkonkurrenz geendet und deshalb seien die allgemeinverbindlichen Rahmen- und Sozialkassentarifverträge an die Stelle der abgelaufenen Bestimmungen des Manteltarifvertrages für das Tischlerhandwerk getreten. Auch in diesem Fall galt also der allgemeinere Tarifvertrag zunächst deshalb nicht, weil es einen spezielleren Tarifvertrag gab. Im vorliegenden Fall gab es dagegen von vornherein eine Parallelität beider Tarifverträge, der BTV Nr. 4 schloss den BMT-G II nicht aus, sondern ergänzte ihn. Vor diesem Hintergrund gibt es keinen Anknüpfungspunkt dafür, den BMT-G II als eine andere Abmachung anzusehen, die den BTV Nr. 4 ersetzt hat. Eine Ersetzung fand vielmehr erst durch den ab 01.01.2007 geltenden Tarifvertrag für den Nahverkehrsbetriebe Bayern statt.
Sinn und Zweck des in § 4 Abs. 5 TVG sprechen nicht gegen eine Nachwirkung des BTV Nr. 4. Zweck der Bestimmung ist es, bis zum Zustandekommen einer anderen Abmachung den Rechtszustand zu erhalten und damit dem tariflichen Ordnungsprinzip Rechnung zu tragen. Arbeitsverhältnisse sollen nach Beendigung eines Tarifvertrages nicht inhaltsleer oder durch dispositives Gesetzesrecht ergänzt werden müssen (BAG vom 15.11.2006, aaO). Der bis zum 30.06.2004 tariflich geregelte Rechtszustand bestand darin, dass für Fahrer in bayerischen Nahverkehrsbetrieben eine günstigere Regelung über die Lohnstandssicherung galt als für andere Arbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnisse der BMT-G II anwendbar war. Der Sinn der Nachwirkung kann also auch darin gesehen werden, diese Bevorzugung gegenüber anderen Arbeitnehmern aufrechtzuerhalten. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass auch der BMT-G II in seinem § 28 eine Regelung zur Sicherung des Lohnstandes bei Leistungsminderung enthält. Diese Regelung könnte zwar sicherstellen, dass Arbeitsverhältnisse von Fahrern nach Ablauf des BTV Nr. 4 nicht inhaltsleer werden. Die Arbeitsverhältnisse hätten allerdings einen Inhalt, der von den Tarifvertragsparteien bei Abschluss des BTV Nr. 4 nicht gewollt war. Der Zweck des § 4 Abs. 5 TVG beschränkt sich nicht darauf, dass Arbeitsverhältnisse nach Beendigung eines Tarifvertrages nicht inhaltsleer werden. Vielmehr sollen sie grundsätzlich bis zu einer anderen Abmachung mit dem von den Tarifvertragsparteien gewollten Inhalt bestehen bleiben.
Unstreitig erfüllte der Kläger im November 2005 die Anspruchsvoraussetzungen des § 15 BTV Nr. 4. Die Beklagte hat die Höhe des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs nicht bestritten.
II.
Nach § 91 Abs. 1 ZPO hat die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Ende der Entscheidung
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