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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 24.05.2007
Aktenzeichen: 2 Ta 174/07
Rechtsgebiete: KSchG, ZPO


Vorschriften:

KSchG § 5
ZPO § 85 Abs. 2
Ein Arbeitnehmer muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten bei der Versäumung der Klagefrist des § 4 KSchG zurechnen lassen.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN BESCHLUSS

2 Ta 174/07

In Sachen

hat die 2. Kammer des Landesarbeitsgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Waitz am 24. Mai 2007 ohne mündliche Verhandlung beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 15.03.2007 - 32 Ca 7648/06 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 11.001,-- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit einer am 15.05.2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin die Sozialwidrigkeit einer Kündigung der Beklagten vom 14.11.2005, der Klägerin zugegangen am 16.11.2005, geltend gemacht und die nachträgliche Zulassung ihrer Kündigungsschutzklage beantragt. Zur Begründung des Antrags auf nachträgliche Klagezulassung hat sie vorgetragen, sie habe am 21.11.2005 den Streitverkündeten Rechtsanwalt mandatiert und ihm alle zur ordnungsgemäßen Bearbeitung des Mandats erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Mehrfach habe sie sich in der Kanzlei nach dem Sachstand erkundigt, jedoch nur hinhaltende Erklärungen erhalten. Aufgrund dieser Erklärungen sei sie von der Erhebung einer Kündigungsschutzklage ausgegangen. Erst am 02.05.2006 habe sie erfahren, dass dies nicht der Fall gewesen sei.

Mit Beschluss vom 15.03.2007 hat das Arbeitsgericht den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückgewiesen, da der Klägerin das Verschulden ihres früheren Prozessbevollmächtigten gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei.

Gegen diesen den neuen Klägervertretern am 29.03.2007 zugestellten Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 04.04.2007, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet, weil das Beschwerdegericht dem Arbeitsgericht darin zustimmt, dass das Verschulden des früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin dieser zuzurechnen ist. Obwohl die Klägerin durchaus beachtenswerte Gründe für die gegenteilige Auffassung vorträgt, überwiegen nach Ansicht des Beschwerdegerichts die Argumente für eine Zurechnung des Vertreterverschuldens.

1. Zugunsten der Klägerin kann davon ausgegangen werden, dass sich dies nicht bereits aus dem Wortlaut des § 85 Abs. 2 ZPO ergibt, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht. Diese Bestimmung bezieht sich nach seiner Stellung in der ZPO auf die prozessualen Folgen des Verschuldens. Auch wenn man die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG als prozessuale Klageerhebungsfrist ansieht, weil sie nur eine Klage gewahrt werden kann (BAG vom 26.06.1986 - 2 AZR 358/85 - NZA 1986, 761 sowie vom 13.04.1989 - 2 AZR 441/88 - NZA 1990, 395) hat die Versäumung der Frist keine prozessualen Folgen, sondern führt dazu, dass die Kündigung als von Anfang an wirksam gilt (§ 7 KSchG). Diese materiellrechtliche Folge spricht gegen eine direkte Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO auf § 5 KSchG (ebenso Thüringer LAG vom 30.11.2000 - 7 Ta 19/00 sowie LAG Berlin vom 08.01.2002 - 6 Ta 2245/01).

2. Die Zurechnungsnorm des § 85 Abs. 2 ZPO ist aber jedenfalls entsprechend auf § 5 KSchG anzuwenden. § 5 KSchG regelt das Vertreterverschulden nicht. Diese Regelungslücke ist durch eine entsprechende Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO zu schließen, da die Fristversäumung, die prozessuale Folgen hat und auf die sich § 85 Abs. 2 ZPO bezieht, mit der Versäumung der Klagefrist des § 4 KSchG vergleichbar ist. § 85 Abs. 2 ZPO liegt der Gedanke zugrunde, dass die Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen lässt, in jeder Weise so behandelt wird, als würde sie den Prozess selbst führen (Zöller/Vollkommer, ZPO, Rnr. 2 zu § 85; Thüringer LAG und LAG Berlin aaO jeweils m. w. N.). Außerdem will § 85 Abs. 2 verhindern, dass durch die Einschaltung eines Vertreters das Prozessrisiko zulasten des Gegners vergrößert wird. Ohne die Zurechnung des Vertreterverschuldens ergäben sich Nachteile für den Gegner, denn die von der Partei selbst verschuldete verspätete Erhebung der Kündigungsschutzklage würden dazu führen, dass die Kündigung als wirksam gilt, während bei Fehlern des Prozessbevollmächtigten die verspätete Klage nachträglich zuzulassen wäre.

3. Außerdem ist das Vertrauen des Arbeitgebers darin, dass beim Fehlen einer Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung diese Kündigung wirksam ist, jedenfalls nicht weniger geschützt als das Vertrauen in die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen, das durch § 85 Abs. 2 ZPO geschützt werden soll. § 5 KSchG ist den Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff ZPO) nachgebildet. Der Regelung in § 5 Abs. 3 Satz 2 KSchG, dass der Antrag auf nachträgliche Zulassung nach Ablauf von sechs Monaten, vom Ende der versäumten Klagefrist an gerechnet, nicht mehr gestellt werden kann, lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber der Klagefrist offenbar eine größere Bedeutung beigemessen hat als dem Schutz der formellen Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen. Für die Durchbrechung dieser Rechtskraft durch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt nämlich gemäß § 234 Abs. 3 ZPO eine doppelt so lange Antragsfrist (Thüringer LAG und LAG Berlin aaO).

Auch der Normzweck des § 5 KSchG spricht nicht dagegen, dass dem Arbeitnehmer das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist. § 5 KSchG kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern regelt eine Ausnahme von § 4 KSchG, der eine rasche Klärung der Rechtswirksamkeit von Kündigungen erreichen will. Jede nachträgliche Klagezulassung enttäuscht das grundsätzlich, wenn auch nicht ausnahmslos geschützte Vertrauen des Arbeitgebers darin, dass seine Kündigung rechtswirksam ist, wenn sie innerhalb der Klagefrist nicht gerichtlich angegriffen worden ist.

Die vom Kläger aufgezeigte Diskrepanz zwischen der bloßen Rechtsberatung und der Erteilung der Prozessvollmacht besteht zwar, ist aber auch begründbar. Ein Arbeitnehmer, der sich lediglich beraten lässt, handelt weiter selbst. Deshalb ist es konsequent, bei der nachträglichen Klagezulassung auf sein eigenes Verschulden abzustellen. Wer dagegen eine andere Person mit der Klageerhebung beauftragt, gibt die Verantwortung an die beauftragte Person ab und möchte sich selbst nicht mehr um die Angelegenheit kümmern. Hieraus erklärt sich die Zurechnung fremden Verschuldens. Erst nach Erteilung einer Prozessvollmacht gibt es mit § 85 Abs. 2 ZPO eine Norm über die Zurechnung fremden Verschuldens (Thüringer LAG aaO).

4. Die Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO auf § 5 KSchG stellt keine unzulässige Beschränkung des ersten Zugangs zu den Gerichten dar. Sie widerspricht weder dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) noch Art. 103 Abs. 1 GG (Anspruch auf den gesetzlichen Richter). Das Grundgesetz garantiert nicht den unbeschränkten ersten Zugang zum Gericht, sondern verbietet nur solche Zugangsbeschränkungen, die nicht sachlich gerechtfertigt sind (BVerfG v. 29.11.1989 - 1 BvR 101/88 - NJW 1990, 1104). Die Sachgründe wurden bereits oben behandelt, nämlich insbesondere der Zweck, die Wirksamkeit von Kündigungen rasch zu klären, sowie die Benachteiligung des Arbeitgebers, wenn bei Einschaltung eines Prozessbevollmächtigten eine Versäumung der Klagefrist regelmäßig unverschuldet wäre.

5. Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass das Geltendmachen von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Prozessbevollmächtigten, der die Versäumung der Klagefrist verschuldet hat, die mit dem Verlust des Arbeitsplatzes verbundenen Nachteile nicht ausgleichen muss. Damit unterscheiden sich die Folgen von Fehlern eines Prozessbevollmächtigten bei der Erhebung der Kündigungsschutzklage allerdings nicht von den Folgen, die bei der Versäumung prozessualer Fristen eintreten können.

III.

Nach § 97 Abs. 1 ZPO hat die Klägerin die Kosten ihrer erfolglosen Beschwerde zu tragen.

IV.

Der Beschwerdewert wird entsprechend dem Hauptsachewert festgesetzt (§ 42 Abs. 4 Satz 1 GKG).

V.

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Insbesondere ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht möglich, weil § 5 Abs. 4 Satz 2 KSchG nur ein zweistufiges Klagezulassungsverfahren regelt (BAG v. 20.08.2002 - 2 AZB 16/02 - NZA 2002, 1228).

Ende der Entscheidung

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