Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 21.07.2005
Aktenzeichen: 3 Sa 295/05
Rechtsgebiete: BGB, UmwG, BMT-G II, BTV


Vorschriften:

BGB § 613 A
UmwG § 20
UmwG § 188
BMT-G II
BTV Nr. 1 zum BMT-G II
1. Im Falle einer Ausgliederung gem. § 168 UmwG aus einer Gebietskörperschaft - hier: Privatisierung eines kommunalen Verkehrsbetriebs - gelten die normativen Bestimmungen eines regionalen oder bezirklichen Tarifvertrages, deren Geltungsbereich die abspaltende Gebietskörperschaft unterfiel, nicht mit unmittelbarer und zwingender Wirkung weiter aufgrund einer Gesamtrechtsnachfolge in entsprechender Anwendung der vom Bundesarbeitsgericht zur Weitergeltung von Firmentarifverträgen im Falle einer Verschmelzung von Unternehmen gem. § 20 Abs-1 Nr.1 UmwG für den privatisierten Rechtsträger.

2. Ein "anderer Tarifvertrag" im Sinne von § 613 a Abs.1 Satz 3 BGB setzt nicht ausnahmslos eine andere Tarifzuständigkeit des neuen Arbeitgebers voraus.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 296/05

Verkündet am: 21. Juli 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Dritte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. Juli 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder sowie die ehrenamtlichen Richter H. Walch und P. Beneke für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 03.02.2005 - 33 Ca 15409/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Gewährung von Zeitgutschriften wegen des Wegfalls von Brotzeitpausen.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 01.04.1988 zu einen monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 2.424,00 € beschäftigt.

Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Tarifverträge für Arbeiterinnen und Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe, Stand 31.01.2003 (BMT-G II) Anwendung. Dort ist in § 14 Abs. 5 geregelt, dass Arbeitspausen, ausgenommen bei Wechselschichten, in die regelmäßige Arbeitszeit nicht eingerechnet werden. Der Kläger arbeitet nicht in Wechselschicht.

Der Bezirkstarifvertrag (BTV) Nr. 1 über ergänzende Regelungen zum BMT-G II vom 03.05.1962 in der Fassung vom 05.05.1998 regelt in Abschnitt II Ziffer 14 (zu § 14 Abs. 5 BMT-G II), dass es, soweit bisher auch für nicht in Wechselschicht dienstbeschäftigte Arbeitnehmer betriebsübliche Pausen in die Arbeitszeit eingerechnet wurden und diese 15 Minuten nicht überschreiten, dabei verbleibt.

So wurde beim Kläger verfahren.

Im Eingangssatz des Abschnitts II des BTV Nr. 1 ist unter der Überschrift "Wahrung von Besitzständen (§ 68 Abs. 3 BMT-G II)" geregelt, dass die folgende Vorschriften - mithin auch Ziffer 14 - nicht für Mitglieder des kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern gelten, die ihren Beitritt frühestens mit Wirkung vom 01.12.1953 erklärt haben oder noch erklären.

Die Beklagte ist durch Ausgliederung eines vormaligen Eigenbetriebs der Landeshauptstadt M. zur Neugründung einer Kapitalgesellschaft nach § 168 UmwG entstanden. Sie wurde durch Eintritt in den kommunalen Arbeitgeberverband Bayern rückwirkend zum 02.03.1998 dessen Mitglied. Die Landeshauptstadt M. war dagegen bereits vor dem 01.12.1953 Mitglied des genannten Verbandes. Der BTV Nr. 1, der bis 31.12.2003 gültig war, wurde mit Tarifvertrag vom 10.12.2003 betreffend das Wiederinkrafttreten und die Änderung des Bezirkstarifvertrages Nr. 1 zum BMT-G II vom 03.05.1962 mit Änderungen wieder in Kraft gesetzt. Gemäß § 2 dieses Tarifvertrages ist die bisherige Ziffer 14 gestrichen. Stattdessen ist bestimmt, dass Arbeiter, die am 31.12.2003 unter Abschnitt II Ziffer 14 des BTV Nr. 1 BMT-G II fallen und deren Arbeitsverhältnis am 01.01.2004 zum gleichen Arbeitgeber fortbesteht, als Ausgleich für den Wegfall der Regelung eine Zeitgutschrift nach Maßgabe bestimmter Berechnungsregeln erhalten.

Für den Kläger errechnen sich nach dieser Vorschrift 43,33 Arbeitsstunden.

Der Kläger meint, die genannten Ausgleichsstunden stünden ihm bis zum Jahr 2009 zu, obwohl die Beklagte nicht die Voraussetzungen für Anwendung der streitgegenständlichen Bestimmung des BTV Nr. 1 erfülle, weil sie erst zum 03.09.1998 Mitglied des kommunalen Arbeitgeberverbandes Bayern (KAV) geworden sei. Die Ausgliederung des früheren kommunalen Eigenbetriebs aus der Landeshauptstadt M. sei jedoch als partielle Universalsukzession anzusehen, auf die die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Gesamtrechtsnachfolge im Falle der Verschmelzung entsprechend anzuwenden sei, wonach der übernehmende Rechtsträger in Firmentarifverträge eintrete. Zwar sei der BTV Nr. 1 kein Firmentarifvertrag, aber er sei wie in der Regel ein Firmentarifvertrag spezieller, weil er räumlich dem Betrieb bzw. der Dienststelle am nächsten stehe. Somit sei unerheblich, ob die Brotzeitpause vom Überleitungstarifvertrag erfasst worden sei. Weil der BTV Nr. 1 ungeachtet der Ausgliederung aufgrund Gesamtrechtsnachfolge über den 03.09.1998 hinaus gegolten habe, werde die Beklagte vom Wiederinkrafttreten des BTV Nr. 1 erfasst. § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB sei nicht anwendbar, da es zu keiner Änderung der Verbandszugehörigkeit gekommen sei.

Die Beklagte ist demgegenüber der Auffassung, der Anwendungsbereich der Ziffer 14 BTV Nr. 1 sei hier nicht eröffnet. Durch die Umwandlung des früheren Eigenbetriebs in eine GmbH sei die Mitgliedschaft der Landeshauptstadt im Arbeitgeberverband nicht übergegangen. Die Beklagte habe die 15-minütige Pause im Werkstättenbereich lediglich deshalb bis 30.09.2003 bezahlt, weil dies in einem am 25.05.1998 geschlossenen Personalüberleitungsvertrag so vereinbart gewesen sei. Dieser Vertrag sei zum 30.09.2003 gekündigt und die Nachwirkung ausgeschlossen worden.

Das Arbeitsgericht München hat mit Urteil vom 03.02.2005, auf das hinsichtlich des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien im einzelnen, der im ersten Rechtszug gestellten Anträge und der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, die Klage abgewiesen, weil sich der Anspruch des Klägers weder aus einer entsprechenden Anwendung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 24.06.1998 noch aus § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ergebe. Zum einen liege hier keine Unternehmensverschmelzung vor, auf die § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG anwendbar sei, sondern eine Unternehmensspaltung, für die Abschnitt I des UmwG nicht gelte; darüber hinaus sei der BTV Nr. 1 kein Firmentarifvertrag, sondern ein Flächentarifvertrag. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB scheide aus, weil dieser nach § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB nicht anwendbar sei. Bei der Beklagten gelte lediglich der BMT-G II, bei der Landeshauptstadt M. habe dagegen die von § 14 Abs. 5 dieses Tarifvertrags abweichende Regelung des BTV Nr. 1 Anwendung gefunden, also ein anderer Tarifvertrag.

Der Kläger hat gegen das ihm am 28.02.2005 zugestellte Endurteil vom 03.02.2005 am 14.03.2005 (Faxeingang) Berufung eingelegt und diese am 26.04.2005 (Faxeingang) begründet.

Er wiederholt, vertieft und erläutert sein erstinstanzliches Vorbringen und beantragt:

1. Das Endurteil des ArbG München vom 3.2.2005, Az.: 33 Ca 15409/2004, wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für das Jahr 2004 43,33 Ausgleichsstunden zu gewähren.

3. Die Beklagte wird weiter verurteilt, dem Kläger für das Jahr 2005 und künftig jeweils jeden Jahr bis zum Jahr 2009 43,33 Ausgleichsstunden zu gewähren.

Die Beklagte beantragt

die kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung, ebenfalls unter Wiederholung, Vertiefung und Erläuterung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 26.04.2005 und der Beklagten vom 13.05.2005, ferner auf die Sitzungsniederschrift vom 08.07.2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, für die geltend gemachten Ansprüche bestehe keine Anspruchsgrundlage.

Da das Gericht dem angefochtenen Urteil sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung folgt, wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des Endurteils vom 03.02.2005 verwiesen.

Lediglich ergänzend und nochmals verdeutlichend soll nachfolgend kurz auf die wesentlichen Gesichtspunkte eingegangen werden:

§ 3 des Tarifvertrags vom 10.12.2003 betreffend das Wiederinkrafttreten und die Änderung des Bezirkstarifvertrages Nr. 1 zum BMT-G II vom 03.05.1962 scheidet als Anspruchsgrundlage aus, weil das Arbeitsverhältnis des Klägers am 31.12.2003 - dem Zeitpunkt des Außerkrafttretens des BTV Nr. 1 - nicht unter Abschnitt II Ziffer 14 des BTV Nr. 1 fiel. Nach der genannten Vorschrift des Tarifvertrags vom 10.12.2003 war Voraussetzung, dass Ziffer 14 des Abschnitts II des BTV Nr. 1 das betreffende Arbeitsverhältnis mit normativer Wirkung erfasst. Dies war hier nach der Ausgliederung des früheren kommunalen Eigenbetriebs aus der Landeshauptstadt M. und der Übertragung auf die Beklagte - trotz deren rückwirkenden Beitritts zum Arbeitgeberverband - nicht der Fall, weil die Beklagte die für Ziffer 14 des Abschnitts II des BTV Nr. 1 geltende tarifliche Voraussetzung einer Verbandsmitgliedschaft bereits vor dem 01.12.1953 nicht erfüllt. Die Besonderheit des vorliegenden Falles ist, dass trotz Tarifgebundenheit sowohl des alten als auch des neuen Arbeitgebers aufgrund der Mitgliedschaft in dem selben Verband der tarifvertragliche Anspruch aufgrund der Ausgliederung beseitigt wurde, und zwar aufgrund der tatbestandlichen Struktur der fraglichen Tarifnorm selbst und nicht allein schon wegen des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf einen neuen Rechtsträger.

Zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, die Mitgliedschaft der Landeshauptstadt M. im Arbeitgeberverband sei nicht auf die Beklagte übertragen worden mit der Folge, dass die Voraussetzungen des in Ziffer 14 des Abschnitt II des BTV Nr. 1 geregelten Anspruchs aufrecht erhalten geblieben seien.

Abgesehen davon, dass die Mitgliedschaft nach § 38 BGB nicht übergegangen ist, scheidet auch der vom Kläger angenommene Übergang in entsprechender Anwendung der Grundsätze der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.06.1998 - 4 AZR 208/97 - aus, weil hier keine Verschmelzung im Sinne der §§ 2 bis 122 UmwG vorliegt, die keinen Raum lässt für § 613a BGB, und auch keine formwechselnde Umwandlung der Landeshauptstadt M. selbst gemäß §§ 301 bis 304 UmwG, auf die § 613a BGB ebenfalls keine Anwendung findet, sondern eine Ausgliederung nach § 168 UmwG aus einer Gebietskörperschaft, die einen Betriebsübergang bzw. Betriebsteilübergang gemäß § 613a BGB nicht ausschließt (BAG vom 25.05.2000 - 8 AZR 416/99). Angesichts dieser sowohl hinsichtlich der tatbestandlichen Voraussetzungen als auch in Bezug auf die Rechtsfolgen völlig konträren Rechtsinstitute scheidet eine entsprechende Anwendung der Rechtssprechung des BAG zur Gesamtrechtsnachfolge im Falle der Verschmelzung aus, abgesehen davon, dass es sich bei dem BTV Nr. 1 nicht um einen Firmentarifvertrag handelt, der zu den Verbindlichkeiten im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 UmwG zählt und durch Verschmelzung auf einen neuen Unternehmensträger übergeht, sondern um einen Flächentarifvertrag.

Das Berufungsgericht pflichtet dem Erstgericht auch darin bei, dass die geltend gemachten Ansprüche auf Zeitgutschrift auch nicht auf § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB gestützt werden können.

Zum einen trifft die Auffassung des Arbeitsgerichts zu, dass die Beklagte hinsichtlich der Zeitgutschrift für Brotzeitpausen einem anderen Tarifvertrag - dem BMT-G II unterliegt als die Landeshauptstadt M., auf die insoweit BTV Nr. 1 Abschnitt II Ziffer 14 Anwendung fand, mit der Folge, dass die in § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB angeordnete Transformation normativ geltender Tarifregelungen in Individualrecht durch § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB ausgeschlossen ist.

Selbst wenn jedoch im Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses des Klägers auf die Beklagte eine solche Transformation stattgefunden hätte, würde daraus kein Anspruch auf Zeitgutschrift nach § 3 Tarifvertrags vom 10.12.2003 folgen, sondern allenfalls ein Anspruch auf Weitergewährung der Brotzeitpausen. Eine Transformation der Ziffer 14 des Abschnitts II des BTV Nr. 1 in Individualrecht scheidet im übrigen deshalb aus, weil diese Regelung mit Wirkung zum Zeitpunkt des Übergangs des Arbeitsverhältnisses durch die Bestandsschutzregelung des § 2 Abs. 3 i.V.m. Anlage 3 des Personalüberleitungs-Tarifvertrags vom 25.05.1998 abgelöst wurde.

Dieser Tarifvertrag scheidet als Anspruchsgrundlage für die Gewährung der Zeitgutschrift ebenso wie die frühere Fassung des BTV Nr. 1 schon deshalb aus, weil hier lediglich die Beibehaltung der Brotzeitpausen angeordnet und nicht etwa ein Anspruch auf Zeitausgleich geregelt ist - abgesehen davon, dass dieser Überleitungstarifvertrag durch den Aufhebungstarifvertrag vom 25.06.2003 zum 30.09.2003 ohne Nachwirkung aufgehoben worden ist. Dieser Ausschluss der Nachwirkung ist zulässig (vgl. BAG vom 03.09.1986 - 5 AZR 319/85). Nach allem bestehen die geltend gemachten Ansprüche auf Gewährung von Ausgleichsstunden unter keinen erdenklichen rechtlichen Gesichtspunkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zu erheben, wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

Zurück