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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 30.04.2009
Aktenzeichen: 3 Sa 3/09
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 280
BGB § 823
Eine allgemeine tarifvertragliche Ausschlussfristklausel, die alle (übrigen) "beiderseitigen" Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis umfasst, schließt auch Ansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung ein. Sie gilt im Übrigen nicht nur für im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende - synallagmatische - Ansprüche, sondern für alle Ansprüche einer Seite gegen die jeweils andere Seite.
Landesarbeitsgericht München Im Namen des Volkes URTEIL

3 Sa 3/09

Verkündet am: 30.04.2009

In dem Rechtsstreit

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 30. April 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder und die ehrenamtlichen Richter Kahlich und Riedel

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Kempten vom 20.11.2008 - 5 Ca 716/08 M - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Schadenersatzansprüche, die von der Klägerin gegenüber dem Beklagten geltend gemacht werden.

Der Beklagte war bei der Klägerin bis 31.12.2007 als Verkäufer für Neu- und Gebrauchtwagen angestellt aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrages vom 27.03.2006, in dessen Ziffer 6.0 bestimmt ist, dass die "regionalen Manteltarifvertrags-Bestimmungen für die Angestellten des Kraftfahrzeug-Gewerbes ... in der jeweils gültigen Fassung" Anwendung finden.

Nach § XVII Ziff. 2 des Manteltarifvertrages vom 07.02.1994/19.07.1996 für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des Kraftfahrzeuggewerbes in Bayern, der mit Wirkung vom 01.08.2008 durch den Nachfolger-Tarifvertrag abgelöst wurde, ist bestimmt, dass - abgesehen von den in Ziffer 1.2 geregelten Ansprüchen auf Zahlung von Zuschlägen und Entschädigungen für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit - "alle übrigen gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" sechs Monate nach ihrer Fälligkeit erlöschen, spätestens jedoch sechs Wochen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, und dass Ansprüche, die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden, sechs Wochen nach ihrer Fälligkeit erlöschen.

Der Beklagte verkaufte am 10.09.2007 an einen Kunden ein Kraftfahrzeug Ford C-Max und nahm dafür dessen Ford Focus in Zahlung. Am 29.09.2007 verkaufte der Beklagte an einen anderen Kunden einen Ford Mondeo Turnier, nahm dessen Altfahrzeug vom Typ Ford Mondeo in Zahlung und gewährte einen Nachlass in Höhe von 19,14 %.

Die Klägerin bringt vor, der Beklagte habe sie im Zusammenhang mit den genannten Autoverkäufen geschädigt. Im erstgenannten Fall habe er entgegen den betrieblichen Regelungen vom Händlerverkaufswert ohne Rechtsgrund Instandsetzungskosten sowie eine Handelsspanne abgesetzt und somit einen unzutreffend niedrigen Händlereinkaufswert ermittelt, zu dem er das in Zahlung genommene Fahrzeug für den Eigengebrauch gekauft habe. Der dadurch entstandene Schaden belaufe sich auf 2.158,44 €. Im zweiten Falle habe er statt des korrekten Händlerverkaufswertes des in Zahlung genommenen Fahrzeuges einen um 803,60 € zu niedrigen Wert angegeben und, um dies zu kaschieren, dem Kunden einen Nachlass in Höhe von 19,14 % eingeräumt, obwohl er nur einen Nachlass bis 10 % habe gewähren dürfen. Dadurch sei der Klägerin ein weiterer Schaden in Höhe von 3.223,51 € zuzüglich 803,60 €, = 4.027,11 € entstanden. Dies sei aus der jeweiligen "Verbindlichen Bestellung", dem "Verkaufsmeldebogen" sowie dem jeweiligen "Protokoll zur Gebrauchtfahrzeug-Bewertung" zu entnehmen, die bezüglich des erstgenannten Verkaufsvorgangs am 24.01.2008 und hinsichtlich des zweiten Verkaufsvorgangs am 28.01.2008 ausgedruckt worden seien.

Der Beklagte bringt vor, sein Verhalten im Zusammenhang mit den genannten Verkaufsvorgängen sei korrekt gewesen. Insbesondere trägt er vor, er habe sich im ersten Fall den Ankauf des Kundenfahrzeugs von seinem Vorgesetzten genehmigen lassen, und er habe im zweiten Fall während des Verkaufs zwei bis dreimal mit dem Geschäftsführer der Klägerin Details besprochen. Der Beklagte beruft sich ferner darauf, dass die geltend gemachten Ansprüche nach der Ausschlussfristregelung des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des Kraftfahrzeug-Gewerbes in Bayern verfallen seien.

Das Arbeitsgericht Kempten hat mit Endurteil vom 20.11.2008, auf das hinsichtlich der Einzelheiten des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug, der erstinstanzlich gestellten Anträge sowie der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts im Einzelnen verwiesen wird, die Klage abgewiesen, weil die streitgegenständlichen Ansprüche gemäß § XVII des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des KraftfahrzeugGewerbes in Bayern vom 07.02.1994/19.07.1996 verfallen seien. Diese Ausschlussfristregelung erfasse auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung. Die Tarifnorm sei wirksam in den Arbeitsvertrag einbezogen worden; die Klägerin als Verwenderin könne sich nicht auf die gesetzlichen Vorschriften zur Kontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen berufen. Die Ausschlussfrist habe jeweils zu laufen begonnen, als die Klägerin die zuvor entstandenen Schadenersatzansprüche wenigstens annähernd habe beziffern können. Dies sei in dem Zeitpunkt der Fall gewesen, als die Klägerin die Protokolle zur GebrauchtfahrzeugBewertung ausgedruckt habe. Nachdem eine Geltendmachung der streitgegenständlichen Ansprüche vor Klageerhebung mit Schriftsatz vom 01.04.2008 nicht ersichtlich sei, seien die Ansprüche verfallen.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 03.12.2008 zugestellte Endurteil vom 20.11.2008 mit einem am 05.01.2009 - einem Montag - beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese am letzten Tag der verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.

Sie meint, die Ausschlussfristregelung gemäß § XVII Ziff. 2 des genannten Manteltarifvertrages erfasse nicht Ansprüche aus unerlaubter Handlung, da solche Ansprüche keine "gegenseitigen" Ansprüche seien. Deliktische Ansprüche, wie sie hier auf der Grundlage von § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB geltend gemacht würden, seien gerade keine "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis". Darunter fielen etwa nur Entgeltansprüche oder Schadenersatzansprüche wegen Pflichtverletzung aus dem Arbeitsvertrag.

Die Klägerin beantragt deshalb:

II. Das Urteil des Arbeitsgerichts Kempten, Az. 5 Ca 716/08 vom 20.11.2008, wird aufgehoben.

III. Der Beklagte/Berufungsbeklagte wird verurteilt, an die Klägerin/Berufungsklägerin € 6.185,55 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit, spätestens seit 12.03.2008, zu bezahlen.

IV. Der Beklagte/Berufungsbeklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung kostenpflichtig "abzuweisen".

Er führt aus - unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vortrags und Verteidigung der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils -, § XVII Ziff. 2 des genannten Manteltarifvertrages finde auch auf Ansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung Anwendung. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Mit der zutreffenden Begründung des Arbeitsgerichts seien die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche verfallen.

Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 03.03.2009 und des Klägers vom 01.04.2009 sowie die Sitzungsniederschrift vom 30.04.2009 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat mit in jedem Punkt zutreffenden rechtlichen Erwägungen erkannt, dass die streitgegenständlichen Ansprüche verfallen sind. Da das Berufungsgericht dem Erstgericht sowohl im Ergebnis als auch in der - stets sorgfältigen, umfassenden und erschöpfenden - Begründung folgt, wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Lediglich deshalb, weil die Klägerin den Ausführungen des Arbeitsgerichts, dass die hier anwendbare tarifvertragliche Ausschlussfristregelung auch Ansprüche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung erfasse, nicht zu folgen vermag, wird nochmals nachdrücklich auf Folgendes hingewiesen:

Es trifft zu, dass eine allgemeine Ausschlussfristklausel, die - wie hier - "alle (übrigen)" Ansprüche "aus dem Arbeitsverhältnis" erfasst, auch Ansprüche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung einschließt. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 27.04.1995 (8 AZR 582/94, Juris-Rn. 28) ausdrücklich ausgeführt. Der Tarifwortlaut gibt in solchen Fällen - und auch hier - keinen Anhaltspunkt dafür, dass nur bestimmte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis dem Verfall unterliegen sollen.

Daran ändert auch nichts, dass in § XVII Ziff. 2 Satz 1 des genannten Manteltarifvertrages von "gegenseitigen" Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis die Rede ist. Denn damit sind entgegen der Auffassung der Klägerin nicht lediglich die im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden - also synallagmatischen - Ansprüche gemeint. Wäre die Ausschlussfristklausel so zu verstehen, würden lediglich die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer sowie die Ansprüche der Arbeitgeber auf Arbeitsleistung unter die Ausschlussfristregelung fallen. Dies widerspricht sowohl dem Wortlaut als auch der Systematik und dem erkennbaren Zweck der Tarifnorm. Denn diese lässt eindeutig erkennen, dass - abgesehen von den einer Sonderregelung - § XVII Ziff. 1.2 - zugeführten Ansprüchen auf Zahlung von Zuschlägen und Entschädigungen für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit, sämtliche sonstigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis bei Nichteinhaltung der Ausschlussfrist erlöschen sollen. Es ist nicht anzunehmen - und auch nicht aus dem Wortlaut der Tarifnorm abzuleiten -, dass mit der Verwendung des Worts "beiderseitigen" die nur in Juristenkreisen bekannte, feinsinnige juristisch-dogmatische Unterscheidung zwischen synallagmatischen und nichtsynallagmatischen Ansprüchen in die Ausschlussfristregelung Eingang finden sollte, die gerade auch für eine Anwendung im Arbeitsleben durch Nichtjuristen geschaffen wurde. Eine Beschränkung der Reichweite der Ausschlussklausel auf synallagmatische Ansprüche könnte nur dann angenommen werden, wenn dies in eindeutiger Weise im Wortlaut der Tarifnorm zum Ausdruck gekommen wäre, etwa dahingehend, dass dem Verfall "alle im Gegenseitigkeitsverhältnis stehenden Ansprüche" unterliegen. Da dies nicht der Fall ist, bedeutet das Wort "beiderseitigen" im Zusammenhang der hier in Frage stehenden tarifvertraglichen Ausschlussklausel, dass die "wechselseitigen" Ansprüche der Ausschlussfristregelung unterliegen sollen. Es wird demnach mit der genannten Formulierung klargestellt, dass sowohl Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber als auch Ansprüche des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer von der Ausschlussfristregelung erfasst werden sollen. Das Wort "beiderseitig" hat nach allem in seiner umgangssprachlichen Bedeutung Eingang in den Tarifwortlaut gefunden mit der Folge, dass Ansprüche einer Seite gegen die jeweils andere Seite gemeint sind.

Das Arbeitsgericht hat demnach zu Recht dahingestellt sein lassen, ob der Beklagte die ihm angelasteten unerlaubten Handlungen bzw. die entsprechenden arbeitsvertraglichen Pflichtverletzungen begangen hat, wofür es immerhin etliche Indizien gibt.

Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zu erheben, wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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