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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 15.11.2007
Aktenzeichen: 3 Sa 303/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 626
1. Ist die ordentliche Kündigung individual- oder kollektivrechtlich ausgeschlossen, muss der Arbeitgeber zur Vermeidung einer beabsichtigten betriebsbedingten außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist mit allen zumutbaren Mitteln die Weiterbeschäftigung des unkündbaren Arbeitnehmers versuchen und ggf. auch durch zumutbarte organisatorische Maßnahmen einen anderen Arbeitsplatz freimachen.

2. Ist die Weiterbeschäftigung nicht unmöglich oder unzumutbar, stehen jedoch weniger geeignete Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung als Arbeitnehmer vorhanden sind, muss der Arbeitgeber hinsichtlich der Frage, welche Arbeitnehmer auf den verbleibenden Arbeitsplätzen weiterbeschäftigt werden sollen, eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten vornehmen.

3. Dabei darf er die Unkündbaren nur einbeziehen, wenn die Beschränkung der Auswahl auf die ordentlich Kündbaren zu unzumutbaren Ergebnissen führen würde. Beruft sich der Arbeitgeber darauf, die Unkündbaren seien in die Auswahl einzubeziehen, weil dies die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur oder Leistungsgesichtspunkte geböten, hat er darzulegen, dass diese Gesichtspunkte bei Abwägung der betrieblichen Interessen gegen die sozialen Belange des unkündbaren Arbeitnehmers überwiegen.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 303/07

Verkündet am: 15. November 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Dritte Kammer des Landesarbeitsgerichts München aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder sowie die ehrenamtlichen Richter Heibutzki und Meiringer für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 12.03.2007 - 22 Ca 13381/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer mit Auslauffrist ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung.

Der am 22.10.1948 geborene, verheiratete Kläger trat am 14.03.1972 in die Dienste der S. AG. Sein Arbeitsverhältnis ging mit der Ausgliederung des Logistikbereichs der genannten Firma auf die Beklagte über. In § 1 des mit der Beklagten geschlossenen Arbeitsvertrages vom 29.06.1998 ist bestimmt, dass die S.-Dienstzeiten angerechnet werden. Der Kläger genießt nach den zwischen der S. AG und ihrem Gesamtbetriebsrat im Rahmen der Ausgliederung vereinbarten Überleitungsregelungen einen besonderen Kündigungsschutz nach den S.-Richtlinien, weil sein Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Ausgliederung der Logistikabteilung mehr als 25 Jahre bestand.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 30.08.2006 aus betriebsbedingten Gründen wegen dauerhaften Wegfalls des Arbeitsplatzes außerordentlich mit sozialer Auslauffrist bis 31.08.2007. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit der vorliegenden Klage. Im "Zeugnis" der S. AG vom 31.08.1998 wird der Kläger als Vorarbeiter in der Warenanlieferung des Versands bezeichnet mit der Aufgabe "Verpacken von Warensendungen nach Vorgabe und vorangehende Kontrolle der Anlieferungen auf Vollständigkeit und Unversehrtheit". Nach § 4 des Arbeitsvertrages der Parteien wird der Kläger mit seiner bisherigen Tätigkeit bei den Logistischen Diensten der S. AG übernommen.

Mit Schreiben vom 11.08.2006 teilte die S. AG der Geschäftsführerin der Beklagten mit, die ursprünglich von Mitarbeitern der Beklagten in Anspruch genommenen Standortdienstleistungen hätten sich in den letzten Jahren auf ein Minimum reduziert, so dass eine Verrechnung der Kosten in der bisherigen Höhe über die monatliche Vergütungspauschale zukünftig entfallen könne. Der Produktivitätsfortschritt für das Geschäftsjahr 2006/2007 in Höhe von fünf Prozent müsse sich im Rahmen der Entwicklung der Vergütungspauschale äußern. Aufgrund des kontinuierlichen Mitarbeiterrückgangs an den von der Beklagten bedienten S.-Standorten in München habe sich der von dieser zu erbringende Leistungsumfang für Verkehrsdienste weiter reduziert. Durch die aktuelle Entwicklung im S.-Konzern werde es ab 01.01.2007 zu einer weiteren deutlichen Mitarbeiterreduzierung an den von der Beklagten bedienten S.-Standorten kommen. Deshalb werde zunächst eine Reduzierung der monatlichen Pauschale ab 01.10.2006 vorgeschlagen. Darauf entschloss sich die Beklagte, zunächst 17 von insgesamt 40 gewerblichen Mitarbeitern zu kündigen und ihren Geschäftsbetrieb künftig mit einem geringeren Personalbestand zu führen. Sie entschloss sich, das Arbeitsverhältnis mit allen gewerblichen Mitarbeitern, die über keine Fahrerlaubnis verfügen - mit Ausnahme der schwerbehinderten Mitarbeiter -, zu beenden, mit der Begründung, sie habe sich entschlossen, dass künftig jeder Mitarbeiter der Beklagten in der Lage sein müsse, Ware auch mit einem Kraftfahrzeug auszuliefern.

Mit dem Ziel einer ausgewogenen Personalstruktur teilte die Beklagte die bei ihr beschäftigten 27 gewerblichen Mitarbeiter, die über eine gültige Fahrerlaubnis verfügen, in vier Altersgruppen ein:

- Geburtsjahrgänge vor 1947

- Geburtsjahrgänge 1947 bis 1956

- Geburtsjahrgänge 1957 bis 1966

- Geburtsjahrgänge 1967 bis 1977.

In der Altersgruppe des Klägers waren im Zeitpunkt der Kündigung zwölf der insgesamt 27 gewerblichen Mitarbeiter der Beklagten mit Führerschein beschäftigt, darunter der Kläger. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis von zweien dieser Mitarbeiter, darunter der Kläger, damit der Anteil der Angehörigen dieser Altersgruppe an der Belegschaft in etwa gleich bliebe. Dieser Anteil betrug zuvor 44,4 Prozent und sollte sich nach den Kündigungen auf 50 Prozent belaufen. Entsprechend verfuhr die Beklagte bei den anderen Altersgruppen.

Bei der Auswahl der zu kündigenden Personen bezog die Beklagte diejenigen Arbeitnehmer nicht ein, deren Weiterbeschäftigung sie im berechtigten betrieblichen Interesse liegend ansah bzw. die sie für "Leistungsträger" hielt. Hierzu stellte sie eine Reihe von Beurteilungskriterien - Deutschkenntnisse, Einsatz in Disposition, Einsatz bei Umzug, Einsatz als Vorarbeiter, Flexibilität, Belastbarkeit - auf, gewichtete diese nach einem Punkteschema - von drei bis null Punkten - und erarbeitete auf dieser Grundlage eine Beurteilungsreihenfolge. Der Kläger steht an der letzten Stelle dieses Ranking. Der neben dem Kläger gekündigte Arbeitnehmer derselben Altersgruppe belegt auf dieser Liste den vorletzten Platz.

Nach Ausspruch der Kündigung erstellte die Beklagte eine Auswertung der Arbeitszeiten ihrer gewerblichen Mitarbeiter an den Standorten P., H. und S. -M.. Hieraus folgerte sie, dass auf der Ebene der gewerblichen Mitarbeiter ein Mitarbeiterüberhang von ca. 13 Mitarbeitern bestehe.

Das Arbeitsgericht München stellte mit Endurteil vom 12.03.2007 - 22 Ca 13381/06 -, auf das hinsichtlich der Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug, der erstinstanzlich gestellten Anträge sowie der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, fest, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 30.08.2006 zum 31.08.2007 aufgelöst wird. Es hat ausgeführt, die Beklagte habe keinen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB unter Einbeziehung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Kündigung ordentlich unkündbarer Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen. Die Beklagte sei zum Freimachen geeigneter gleichwertiger Arbeitsplätze verpflichtet gewesen. Ggf., also wenn ordentlich kündbare Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen nicht mehr zur Verfügung gestanden hätten, habe sie unter mehreren unkündbaren Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmerinnen eine Sozialauswahl durchführen müssen. Diese Grundsätze habe sie missachtet. Sie könne dem Kläger weder die lediglich "im berechtigten betrieblichen Interesse" liegende Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur noch Leistungsgesichtspunkte mit einem seinen besonderen Kündigungsschutz überwiegenden Gewicht entgegenhalten. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bilde auch keine unüberwindbare Sperre gegenüber der sonst zu treffenden Sozialauswahl, sondern erfordere nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine Abwägung zwischen den berechtigten betrieblichen Interessen und der sozialen Schwäche des für die Kündigung ins Auge gefassten Arbeitnehmers. Erst wenn auch für die unkündbaren Arbeitnehmer bzw. Arbeitnehmerinnen keine Arbeit mehr vorhanden sei oder sie diese aus anderen Gründen, etwa andauernder Krankheit, nicht mehr beschäftigten könne, dürfe sie diesen besonders geschützten Personen gegenüber Kündigungen aussprechen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 22.03.2007 zugestellte Endurteil vom 12.03.2007 mit einem am 04.04.2007 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist mit einem am 22.06.2007 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie betont erneut, es sei künftig erforderlich, dass jeder Mitarbeiter in der Lage ist, Ware auch mit einem Kfz anzuliefern. Dies habe der Kläger in Bezug auf einen mit dem PKW-Führerschein zugelassenen LKW aus nervlichen Gründen ausgeschlossen. Sie bringt vor, für gewerbliche Arbeitnehmer, die dazu nicht in der Lage seien, bestehe keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr. Auch sei die Annahme des Arbeitsgerichts unzutreffend, dass erst dann eine soziale Auswahl unter den unkündbaren Arbeitnehmern durchzuführen sei, wenn keine ordentlich kündbaren Arbeitnehmer mehr zur Verfügung stünden. Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht verstoße insoweit gegen die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 05.02.1998 -2 AZR 227/97). Entgegen den selbst aufgestellten Grundsätzen nehme das Arbeitsgericht in Bezug auf § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG eine Interessenabwägung nicht vor, sondern räume den Unkündbaren einen Vorrang schlechthin ein. Damit missachte es, dass die Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur berechtigte betriebliche Interessen darstellten. Dies gelte hinsichtlich der Leistungsgesichtspunkte entsprechend. Die Beklagte trägt vor, der Kläger könne auch nicht anderweitig weiterbeschäftigt werden. Er habe im Jahr 2004 gegenüber dem damaligen Abteilungsleiter der Transportstelle und dem Niederlassungsleiter erklärt, er könne aufgrund seiner allgemeinen körperlichen Verfassung keine zu schweren Arbeiten verrichten. Gerade auch die Tätigkeit in der Transportstelle und in der Warenannahme setze voraus, dass jeder Mitarbeiter in der Lage ist, mit dem LKW, wenn er mit dem PKW-Führerschein gefahren werden dürfe, auszuliefern.

Die Beklagte beantragt:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichtes München vom 12.03.2007, Aktenzeichen 22 Ca 13381/06 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er meint, der Vortrag der Beklagten zur Altersstruktur und zu den Leistungsgesichtspunkten sei irrelevant. Er bestreitet, dass er den Anforderungen als Fahrer eines LKW nicht gewachsen sei und dies dem Niederlassungsleiter mitgeteilt habe. Auch bestreitet er, dass jeder der Mitarbeiter in der Lage sein müsse, Ware mit dem Kraftfahrzeug auszuliefern und dass ansonsten keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestehe. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten würden schwerbehinderte Mitarbeiter künftig auch ohne Fahrerlaubnis beschäftigt. Der Kläger könne, wie er bereits erstinstanzlich dargelegt habe, in der Verpackungsabteilung, der Versandabteilung und der Warenannahmeabteilung beschäftigt werden. Ggf. müsse die Beklagte aufgrund ihrer gesteigerten Pflichten gegenüber den unkündbaren Arbeitnehmern organisatorische Umstrukturierungen vornehmen. Dass es in den Bereichen Transport, Versand, Verpackung oder Warenannahme überhaupt keine Beschäftigungsmöglichkeit für Mitarbeiter ohne Führerschein geben solle, sei nicht nachvollziehbar.

Der Kläger meint, er sei aufgrund der Verdrängungswirkung der Unkündbarkeit von der Sozialauswahl auszunehmen. Nichts anderes ergebe sich aus dem von der Beklagten zitierten Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 05.02.1998. Unkündbare Arbeitnehmer seien nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, solange der Stellenabbau durch Kündigung von ordentlich kündbaren Arbeitnehmern erreicht werden könne. Die Beurteilung des Klägers im "Ranking" mit nur einem Punkt ist nach dessen Auffassung unzutreffend.

Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 22.06.2007 und 22.10.2007, des Klägers vom 02.08.2007 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 25.10.2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, die Kündigung ermangele eines wichtigen Grundes, weil der Beklagten eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht unter zumutbaren Bedingungen unmöglich sei.

Das Berufungsgericht folgt den vom Bundesarbeitsgericht zur außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist bei ordentlicher Unkündbarkeit entwickelten Grundsätzen (vgl. z. B. BAG 10.05.2007 - 2 AZR 626/05; BAG 24.06.2004 -2 AZR 215/03; BAG 08.04.2003 - 2 AZR 355/02; BAG 05.02.1998 - 2 AZR 227/97). Danach kommt eine solche Kündigung in Betracht, wenn ein wichtiger Grund zur Kündigung gerade darin zu sehen ist, dass wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung der Arbeitgeber den Arbeitnehmer notfalls bis zum Erreichen der Pensionsgrenze weiterbeschäftigten müsste und ihm dies unzumutbar ist. Eine die ordentliche Kündigung ersetzende außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist komme allerdings nur in Ausnahmefällen in Betracht; es gehe im Wesentlichen darum, dass der Ausschluss der ordentlichen Kündigung dem Arbeitgeber nichts Unmögliches oder evident Unzumutbares aufbürden dürfe. In erheblich weiterem Umfang als bei einer ordentlichen Kündigung sei es dem Arbeitgeber bei einer außerordentlichen Kündigung mit notwendiger Auslauffrist zumutbar, die Kündigung durch geeignete andere Maßnahmen zu vermeiden. Hierzu müsse der Arbeitgeber mit allen zumutbaren Mitteln eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses versuchen. Bestehe noch irgendeine Alternative, die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu vermeiden, sei es dem Arbeitgeber regelmäßig zumutbar, diese andere Möglichkeit zu wählen. Erst wenn alle Lösungsversuche gescheitert seien, könne ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist vorliegen. Den Arbeitgeber treffe - je nach Art des Sonderkündigungsschutzes - die Pflicht, mit allen zumutbaren Mitteln, ggf. auch durch eine entsprechende Umorganisation und das Freimachen geeigneter gleichwertiger Arbeitsplätze, eine Weiterbeschäftigung zu versuchen.

Wird nach diesen Grundsätzen die Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung unter zumutbaren Bedingungen bereits zum wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB, folgt aus dem Vortrag der Beklagten nicht, dass ein solcher Grund vorliegt.

Soweit die Beklagte behauptet, der Kläger könne nur weiterbeschäftigt werden bzw. es sei nur dann für ihn Arbeit da, wenn er in der Lage sei, Ware mit einem für den PKW-Führerschein zugelassenen LKW auszuliefern, folgt diese Unmöglichkeit nicht aus einer der Beklagten vorgegebenen "Gesetzmäßigkeit", sondern aus einer diesbezüglichen Organisationsentscheidung. Berücksichtigt man jedoch die erwähnten Grundsätze über die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist, kann eine solche Entscheidung nicht allein deshalb, weil sie getroffen wurde, die Obliegenheit des Arbeitgebers beiseite schieben, mit allen zumutbaren Mitteln eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu versuchen. Jedenfalls ist aus dem Vortrag der Beklagten nicht ersichtlich, dass mit der Weiterbeschäftigung des Klägers der Beklagten etwas schlechterdings Unmögliches oder evident Unzumutbares aufgebürdet würde bzw. dass alle anderen Lösungsversuche zum Scheitern verurteilt wären. So behauptet die Beklagte nicht, dass in den Bereichen Transport, Versand, Verpackung oder Warenannahme überhaupt keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr für Mitarbeiter ohne Führerschein vorhanden ist. Geht man davon aus, dass der Kläger Auslieferungsfahrten mit einem PKW unternehmen kann, ist nicht nachvollziehbar dargelegt, warum eine derartige Ausliefertätigkeit unmöglich oder unzumutbar sein soll. Dass der Kläger generell nicht in der Lage wäre, Ware mit einem Kraftfahrzeug auszuliefern, kann nicht zuverlässig aus den von der Beklagten behaupteten Äußerungen gegenüber einem Abteilungsleiter und einem Niederlassungsleiter gefolgert werden, wonach er aufgrund seiner allgemeinen körperlichen Verfassung keine zu schweren Arbeiten verrichten könne. Zum einen lässt ein solcher pauschaler Einwand nicht erkennen, dass mit "zu schweren Arbeiten" gerade auch Ausliefertätigkeit mit einem PKW gemeint ist. Zum anderen kann eine solche Äußerung schlicht auch eine Ausrede sein, mit der sich ein Arbeitnehmer Arbeiten entziehen will, die von ihm als unangenehm empfunden werden. Auch aus dem erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten, der Kläger habe nach zweitägiger Einarbeitungszeit als Fahrer und Auslieferer im Jahr 2004 dem Niederlassungsleiter mitgeteilt, er sei den Anforderungen als Fahrer eines LKWs nicht gewachsen, da er ein solches Fahrzeug nicht gewohnt sei und nicht damit umgehen könne, auch befürchte er, dass Personen zu Schaden kommen könnten, weil er einer derartigen Tätigkeit "nervlich" nicht gewachsen sei, folgt nicht, dass der Kläger für Liefertätigkeiten mit dem PKW nicht tauglich wäre.

Vor allem aber hat die Beklagte nicht dargestellt, welchen konkreten Bedarf an Liefertätigkeit mit dem LKW sie, z. B. gemessen in Mannsstunden pro Woche, hat und ob sich dieser Bedarf nicht unschwer oder jedenfalls mittels einer ausgefeilten Arbeitsorganisation auch ohne Beschäftigung des Klägers mit Ausliefertätigkeiten decken lässt.

Aber auch dann, wenn man der Beklagten darin folgt, dass künftig jeder Mitarbeiter der Beklagten in der Lage sein muss, Ware auch mit einem LKW auszuliefern - was allerdings so kaum zutreffen kann, weil es auch Angestellte in der Verwaltung beträfe -, kann aus den behaupteten Äußerungen des Klägers, er sei einen LKW nicht gewohnt und könne nicht damit umgehen, er sei zu einer derartigen Tätigkeit nervlich nicht in der Lage, nicht abgeleitet werden, dass er für Auslieferungstätigkeiten mit einem LKW nicht in Frage käme. Denn solche denkbar allgemein gehaltenen Äußerungen - die zudem im Zeitpunkt der Kündigung schon etliche Zeit zurücklagen - können ohne nähere Nachfrage nicht einfach für bare Münze genommen werden. Sie hätten eher Anlass für eine intensivere Fortbildung bzw. Einarbeitung geben müssen. Eine Einarbeitungszeit von lediglich zwei Tagen bis hin zu den genannten Äußerungen des Klägers erscheint zu kurz, um belastbare Erkenntnisse über dessen Fähigkeiten, einen für die PKW-Fahrerlaubnis zugelassenen LKW zu fahren, zu gewinnen.

Soweit die Beklagte vorträgt, ein Einsatz des Klägers in der Packerei sei nicht möglich, weil es dort trotz zahlreicher Schlichtungsversuche des Niederlassungsleiters immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen dem Kläger und dem Vorarbeiter gekommen sei, auf die der Kläger mit psychischen Problemen und Krankheiten reagiert habe, genügt dieser - sehr pauschale - Vortrag nicht, um die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Klägers in diesem Bereich zu untermauern. Denn es ist weder ersichtlich, inwiefern der Kläger diese Auseinandersetzungen veranlasst oder wenigstens zu ihnen beigetragen hätte, noch, warum diese Zwistigkeiten nicht durch geeignete Maßnahmen des Arbeitgebers vermieden werden könnten.

Ist nach dem bisher Ausgeführten die Weiterbeschäftigung des Klägers für die Beklagte weder unmöglich noch unzumutbar, musste die Beklagte hinsichtlich der Frage, welche gewerblichen Arbeitnehmer für eine Weiterbeschäftigung auf den verbliebenen Arbeitsplätzen in Frage kämen, eine Auswahl unter sozialen Gesichtspunkten durchführen (vgl. KR/Etzel, 7. Auflage, § 1 KSchG Rn. 546 mit Rechtsprechungsnachweisen/ErfK, 7. Auflage, § 1 KSchG Rn. 415). Dies bedeutet vor allem auch, dass er dann, wenn er - wie hier - geltend machen will, berechtigte betriebliche Interessen geböten es, bestimmte vergleichbare Arbeitnehmer nicht in die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten einzubeziehen (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG), die Auswahl zunächst innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer ohne (tarif-)vertraglichen besonderen Kündigungsschutz Beschäftigten durchzuführen versuchen muss, es sei denn, dass dies zu unzumutbaren Ergebnissen führte, z. B. zum Scheitern der der Kündigung zugrunde liegenden unternehmerischen Entscheidung. Nur in einem solchen Ausnahmefall kann die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten auch auf die Gruppe der Unkündbaren erstreckt werden. Nur dann wird der mit der arbeitsvertraglich vereinbarten Unkündbarkeit verfolgte Zweck erreicht (vgl. zum Streitstand z. B. Küttner, Personalhandbuch 2007, Stichwort Unkündbarkeit Rn. 14; KR/Etzel, 7. Auflage, § 1 KSchG Rn. 666, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Dies wird auch nicht in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 05.02.1998 (2 AZR 227/97) ausgeschlossen. Dort ist lediglich in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass auch bei Unkündbaren eine Sozialauswahl "entsprechend" durchzuführen ist, weil es einen Wertungswiderspruch darstellen würde, wenn man bei den besonders geschützten Arbeitnehmern nicht zumindest die Kündigungsschranken beachten würde, die zugunsten der nicht besonders geschützten Arbeitnehmer gelten. Dies zwingt gerade nicht dazu, die Unkündbaren mit den Kündbaren "in einen Topf zu werfen". Vielmehr wirkt sich diese von der Beklagten zitierte Rechtsprechung nicht zu Lasten, sondern zu Gunsten der unkündbaren Arbeitnehmer aus.

Deshalb gilt hier für die im Rahmen der Prüfung einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vorzunehmende Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten - ebenso wie im Übrigen für die Sozialauswahl selbst:

Soweit die Beklagte vorbringt, bei einer Beschränkung der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten auf die ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer könne ihrem Interesse an der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur nicht Rechnung getragen werden, weil sie dann überproportional viele jüngere Arbeitnehmer entlassen müsste, hat sie den Zweck des Status der ordentlichen Unkündbarkeit verkannt. Dass die Herausnahme der Unkündbaren aus der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten -die sich zweifelsohne auf den Altersaufbau der Belegschaft auswirkt und die Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur beeinträchtigt bzw. erschwert - hier zu schlechterdings untragbaren Ergebnissen führen würde, ist nicht dargetan und auch nicht ersichtlich. Auch die Anwendung des Rechtsgedankens des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG vermag die von der Beklagten vorgenommene Einbeziehung der Unkündbaren in die Auswahl bzw. deren Durchführung ohne Rücksicht auf Kündbarkeit oder Unkündbarkeit nicht zu rechtfertigen. Denn im Rahmen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ist, wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat, eine Abwägung des möglicherweise berechtigten betrieblichen Interesses an der Weiterbeschäftigung der nicht in die Auswahl einbezogenen Arbeitnehmer - hier: der Arbeitnehmer der jüngeren Altersgruppen - gegen die soziale Belange des für die Kündigung in Aussicht genommenen Arbeitnehmers, hier also des Klägers, vorzunehmen (vgl. BAG 31.05.2007 -2 AZR 306/06; BAG 12.04.2002 - 2 AZR 706/00). Daraus folgt, dass dem Interesse der Beklagten an einer möglichst punktgenauen Erhaltung der bisherigen Altersstruktur kein absoluter Vorrang zukommt. Welche Folgen aber die vom Arbeitsgericht geforderte und von der Beklagten mit der Berufung angegriffene Beschränkung der Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer auf die ordentlich Kündbaren unter Überschreitung der von der Beklagten gezogenen Altersgruppengrenzen für die Personalstruktur des Unternehmens hätte und welche Probleme sich daraus für seine wirtschaftliche Lage und Entwicklung ergäben, kann aufgrund des Vortrags der Beklagten nicht beurteilt werden. Es ist nach allem nicht anzunehmen, dass die durch die Nichteinbeziehung der Unkündbaren in die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten verursachte Aufweichung der bisherigen Altersstruktur der Belegschaft für die Beklagte unzumutbar wäre.

Entsprechendes gilt in Bezug auf die von der Beklagten herangezogenen Leistungsgesichtspunkte. Dass es aus berechtigtem betrieblichen Interesse generell geboten wäre, in der Altersgruppe des Klägers die in der von der Beklagten erstellten Ranking-Liste oberhalb des Klägers und des ebenfalls gekündigten Arbeitnehmer stehenden Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, vermochte die Berufungskammer nicht zu erkennen. Denn die von der Beklagten vergebene Punktewertung ist - bei aller Anerkennung eines Beurteilungsspielraums - zum einen stark subjektiv geprägt.

Dies gilt beispielsweise für die Kriterien "Flexibilität" und "Belastbarkeit". Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, wie die Beklagte im Falle des Klägers dazu kommt, diesem lediglich beim Kriterium "Deutschkenntnisse" einen Punkt und bei allen anderen Kriterien null Punkte, d. h. das Prädikat "sehr schlecht" zu vergeben. Mit dem Zwischenzeugnis vom 31.08.1998, an dessen Inhalt sich die Beklagte grundsätzlich festhalten lassen muss, ist diese Bewertung schlechterdings nicht zu vereinbaren. Die Beklagte ist nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert, sich darauf zu berufen, dass dieses Zeugnis, was die Beurteilung der Leistungen des Klägers, aber auch seine Tätigkeit und Verantwortlichkeit betrifft, unwahr sei.

Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche in der Rankingliste oberhalb des Klägers stehenden Arbeitnehmer - gewissermaßen als Leistungsträger - der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entzogen wären. Auch insoweit ist eine Abwägung des Interesses der Beklagten an einer Weiterbeschäftigung dieser Arbeitnehmer gegen die sozialen Belange des Klägers vorzunehmen. Diese führt beispielsweise dazu, dass der nicht zu den Unkündbaren gehörende Arbeitnehmer O., der in der Ranking-Liste der Beklagten innerhalb der Altersgruppe des Klägers den zweitbesten Platz einnimmt, nicht von vornherein der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entzogen wäre. Dasselbe gilt in Bezug auf den Arbeitnehmer M., der fast vier Jahre jünger ist als der Kläger, eine rund neuneinhalb Jahre kürzere anrechnungsfähige Dienstzeit aufweist und in der unteren Hälfte der Ranking-Liste der Beklagten an fünftletzter Stelle steht. Ungeachtet der Zubilligung eines Wertungsspielraums des Arbeitgebers bei der Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten ist festzustellen, dass der zuletzt genannte Arbeitnehmer sozial deutlich stärker ist als der Kläger. Ihm hätte somit, selbst bei Beschränkung der Auswahl auf die Angehörigen der jeweiligen, von der Beklagten gebildeten Altersgruppen, vorrangig gekündigt werden müssen.

Alles in allem erweist sich die Kündigung als unwirksam, weil die Beklagte nicht ausreichend dargelegt hat, dass es ihr unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre, den ordentlich unkündbaren Kläger weiter zu beschäftigen, und weil überdies die (eigentliche) Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten fehlerhaft ist.

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Einzelheiten sind der nachfolgenden Rechtsmittelbelehrung zu entnehmen.

Ende der Entscheidung

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