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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 07.12.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 735/05
Rechtsgebiete: KSchG, BGB


Vorschriften:

KSchG § 1
BGB § 242
1. Die rein subjektive Einschätzung des Arbeitgebers hinsichtlich der weiteren gesundheitlichen Entwicklung eines Arbeitnehmers reicht nicht aus, die für die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung erforderliche negative Gesundheitsprognose zu begründen. Für die Richtigkeit der vom Arbeitgeber angestellten Prognose müssen auch ausreichende objektive Gesichtspunkte nach fachlichem Erkenntnisstand sprechen. Gegebenenfalls muss der Arbeitgeber die Ergebnisse einer ihm bekannten, unmittelbar bevorstehenden medizinischen Untersuchung abwarten, die näheren Aufschluss über die Art der Erkrankung und die Heilungschancen verspricht, ehe er die Kündigung ausspricht.

2. Auskünfte des Arbeitnehmers selbst versprechen für sich genommen in der Regel keinen gesicherten Erkenntnisstand über die künftige gesundheitliche Entwicklung. Sie sind somit in der Regel keine tragfähige Grundlage für eine negative Gesundheitsprognose.

3. Eine Kündigungsschutzklage ist nicht rechtsmissbräuchlich, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit mitgeteilt hat, es liege eine erhebliche gesundheitliche Vorschädigung vor, und wenn er den Anlass einer Erkrankung dem Arbeitgeber falsch geschildert hat (Verstauchung des Handgelenks statt Arbeitsunfall auf einer Baustelle), weil der Arbeitgeber sich zuvor über die "vielen Arbeitsunfälle" bei seinen Arbeitnehmern beklagt hatte, mit der Folge, dass der Arbeitgeber - auch - aufgrund dieser Mitteilungen von einer negativen Gesundheitsprognose ausging.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 735/05

Verkündet am: 7. Dezember 2006

In dem Rechtsstreit

hat die Dritte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 16. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder sowie die ehrenamtlichen Richter Spiegel und Betz für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 02.06.2005 - 11 Ca 16117/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer personenbedingten ordentlichen Arbeitgeberkündigung sowie um einen vom Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemachten Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits.

Der Kläger wurde von der Beklagten seit 04.12.2001 als Gerüstbauer zu einem monatlichen Bruttomonatsentgelt von 2.200,00 € beschäftigt. Mit Schreiben vom 21.09.2004 sprach die Beklagte eine ordentliche Kündigung zum 08.10.2004 "wegen betrieblicher Beeinträchtigung durch krankheitsbedingte Fehlzeiten" aus.

Der Kläger fehlte im Jahr 2002 an 20 Arbeitstagen, im Jahr 2003 an 72 Arbeitstagen, die sich auf 12 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen verteilten, und im Jahr 2004 bis zur Kündigung an 56 Arbeitstagen, die in 10 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen attestiert wurden. 59 der 72 Fehltage im Jahr 2003 waren durch eine Handverletzung bedingt. Als Ursache hatte der Kläger gegenüber der Beklagten zunächst angegeben, er habe sich beim Umräumen von Regalen im Keller die Hand verknackst. Diese Darstellung war nach der eigenen Einlassung des Klägers falsch. Er gibt nunmehr als Grund für die Handverletzung einen Arbeitsunfall auf der Baustelle in F. an, den er freilich als solchen nicht gemeldet hat. Auch im Jahr 2004 war es eine Handverletzung, die zu einer Fehlzeit von 56 Arbeitstagen führte. Nach einer mehrmonatigen vergeblichen Behandlung stellte sich durch eine Kernspintomographie am 20.09.2004 heraus, dass der Kläger an einem Ganglionknoten an der rechten Unterhand litt, der operativ entfernt wurde. Der Kläger war deshalb durchgehend bis 06.02.2005 krankgeschrieben. Er hatte die zuständige Bauleiterin der Beklagten am 16.09.2004 von der bevorstehenden Kernspintomographie unterrichtet. Die Beklagte hatte sich im Sommer 2004 in mehreren Telefongesprächen mit dem Kläger um Aufklärung über die Krankheitsursachen sowie die mutmaßliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit bemüht.

Das Arbeitsgericht München hat mit Endurteil vom 02.06.2005, auf das hinsichtlich des Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug, der erstinstanzlich gestellten Anträge sowie der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 21.09.2004 aufgelöst worden ist, und die Beklagte zur unveränderten Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verurteilt.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 13.06.2005 zugestellte Endurteil vom 02.06.2005 mit einem am 13.07.2005 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem 13.09.2005 - am letzten Tag der verlängerten Berufungsbegründungsfrist - eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie bringt vor, die Kündigung sei durch die beiden Handverletzungen i.V.m. den Aussagen des Klägers gegenüber leitenden Mitarbeitern der Beklagten gerechtfertigt. Es sei nicht akzeptabel, dass der Kläger hinsichtlich der Handverletzungen in den Jahren 2002 und 2004 wissentlich unrichtige Angaben gegenüber der Beklagten gemacht habe. Bei der für die krankheitsbedingte Kündigung erforderlichen negativen Gesundheitsprognose sei nicht ausschließlich auf objektive Umstände abzustellen. Die Krankheitsgeschichte des Klägers nach Ausspruch der Kündigung zeige, dass die Prognose zutreffend gewesen sei. Diese weitere Entwicklung nach Ausspruch der Kündigung sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei der Prognoseentscheidung des Arbeitgebers berücksichtigungsfähig. Vor allem habe die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung von der Richtigkeit der Auskünfte des Klägers ausgehen müssen und dürfen. So sei nach der eigenen Aussage des Klägers am 17.08.2004 sein Handgelenk erheblich vorgeschädigt gewesen. Wenn die Beklagte vorsätzlich falsche Antworten erhalte, könne sich der Kläger später nicht im Wege der Kündigungsschutzklage gegen eine infolge seiner unrichtigen Angaben ausgesprochene Kündigung wehren. Dies sei rechtsmissbräuchlich. Auch dürfe daran gezweifelt werden, ob der Kläger für den Beruf des Gerüstbauers geeignet sei, wenn er bereits beim Umräumen im Keller und beim Heben eines Limokastens in zwei aufeinander folgenden Jahren jeweils mehr als 55 Arbeitstage arbeitsunfähig geworden sei. Für die Beklagte habe sich eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür ergeben, dass der Kläger kurzfristig erneut arbeitsunfähig werden würde. Die Beklagte habe ihre Zukunftsprognose nur auf die ihr bekannten Tatsachen stützen können und dürfen. Sie habe sich auf diese Tatsachen, insbesondere auf die Angaben des Klägers, verlassen dürfen. Demnach sei von einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit des Klägers auszugehen gewesen. Auch habe sich der Kläger nicht arbeits- und kooperationswillig gezeigt, da er eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen abgelehnt habe.

Die Beklagte verweist - wie schon im ersten Rechtszug - auf erhebliche betrieblich organisatorische Beeinträchtigungen durch die jeweils kurzfristig mitgeteilten (fortgesetzten) Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers. Es hätten sich bereits mehrere andere Mitarbeiter über den Kläger beschwert. Auch sei unzumutbar, wenn zwei Arbeitnehmer die Arbeit von drei Arbeitnehmern leisten müssten; dies ergebe eine Mehrbelastung von 50 %.

Die Beklagte meint, wenn die von ihr angestellte Gesundheitsprognose objektiv unrichtig gewesen sei, führe dies nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung, sondern allenfalls zu einer Wiedereinstellung des Klägers ab Feststellung der Unrichtigkeit.

Die Beklagte meint abschließend, der Kläger habe die Kündigung gerade zu provoziert. Er trage die Verantwortung für seine wissentlich unrichtigen Angaben über die Ursachen der Verletzungen bzw. Krankheiten. Es könne nicht angehen, dass er sich nunmehr auf die Unwirksamkeit der Kündigung berufe.

Sie beantragt deshalb,

das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 02.06.2005 "aufzuheben" und die Klage abzuweisen.

Der Kläger stellt

Antrag auf kostenfällige Zurückweisung der Berufung.

Er bringt vor, eine Negativprognose habe zum Zeitpunkt der Kündigung nicht vorgelegen. Der Beklagten sei zum Kündigungszeitpunkt bekannt gewesen, dass eine Kernspintomographie unmittelbar bevorgestanden habe, so dass zum Kündigungszeitpunkt noch keine gesicherte Erkenntnis bestanden habe. Deshalb habe die Beklagte zu diesem Zeitpunkt nicht von einer negativen Prognose ausgehen können. Der Kläger meint, der Zeitraum nach der Kündigung bis Februar 2005 sei für die Negativprognose nicht relevant. Im Übrigen sei der Kläger nunmehr voll einsatzfähig. Einzig unrichtige Angabe des Klägers über die Ursachen von Arbeitsunfähigkeitszeiten sei die Mitteilung, die im Jahr 2003 erlittene Verletzung habe sich beim Umräumen im Keller ereignet. Dagegen sei die Angabe über das Heben des Limokastens im Jahr 2004 wahr gewesen. Der Kläger habe zu diesem Zeitpunkt bereits Schmerzen in der Hand wegen des Ganglionknotens gehabt. Er habe gemerkt, dass er den Limokasten wegen dieser Schmerzen nicht mehr habe heben können. Er hält die Schlussfolgerung der Beklagten, die Klage sei rechtsmissbräuchlich, für abwegig. Die behaupteten betrieblichen Beeinträchtigungen durch seine Fehlzeiten stellt er in Abrede.

Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 13.09.2005, 18.01.2006, 15.03.2006 und 06.11.2006, des Klägers vom 11.10.2005, 23.03.2006 und 03.04.2006 sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 02.02.2006 und 16.11.2006 verwiesen.

Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens gemäß Beschluss vom 16.02.2006 (Bl. 140 d.A.). Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Dr.med. W. vom 13.09.2006 (Bl. 262 bis 280 d.A.) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Die Kündigung vom 21.09.2004 ist mangels sozialer Rechtfertigung im Sinne von § 1 Abs. 1, 2 KSchG rechtsunwirksam. Der Kläger hat aufgrund dessen einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits.

1. Das Berufungsgericht pflichtet dem Erstgericht darin bei, dass die Kündigung nicht aufgrund häufiger und umfangreicher Fehlzeiten sozial gerechtfertigt ist. Denn es fehlt schon an der - nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur krankheitsbedingten Kündigung (vgl. z.B. BAG vom 16.02.1989 - 2 AZR 299/88; BAG vom 06.09.1989 - 2 AZR 19/89) erforderlichen - negativen Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes, also am Vorliegen der ersten Stufe der in drei Stufen zu prüfenden Kündigungsvoraussetzungen.

Zwar sind die Fehlzeiten des Klägers in den Jahren 2003 und 2004 an sich geeignet für eine Indizwirkung dahingehend, dass künftig mit ähnlichen Fehlzeiten zu rechnen sei. Auch können zu den prognosebegründenden Umständen durchaus Mitteilungen des Arbeitnehmers selbst ohne sonstige Kenntnisse des Arbeitgebers gehören, aufgrund derer er sich ein gesichertes Bild von der mutmaßlichen zukünftigen Entwicklung des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers machen kann. Allerdings reicht - worauf das Erstgericht zu Recht hingewiesen hat - die rein subjektive Einschätzung des Arbeitgebers als solche keineswegs aus, ebenso wenig im Übrigen die subjektive Einschätzung des Arbeitnehmers. Eine durch Mitteilungen des Arbeitnehmers oder sonstige dem Arbeitgeber bekannte Umstände begründete "Prognoseeinschätzung" des Arbeitgebers ist also in der Regel mehr oder weniger risikobehaftet. Für die Richtigkeit der vom Arbeitgeber angestellten Prognose müssen somit auch ausreichende objektive Gesichtspunkte nach fachlichem Erkenntnisstand sprechen (vgl. zum Ganzen - und zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit der objektiven Gesundheitsprognosen - KR/Etzel, 7. Aufl., § 1 KSchG, Rn. 325 mit zahlreichen Nachweisen; Erfurter Kommentar/Ascheid/Oetker, 7. Aufl., § 1 KSchG Rn. 197 mit weiteren Nachweisen).

Dies ist der vorliegend nicht der Fall. Entgegen der Annahme der Beklagten reichen die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in den Jahren 2003 und 2004 sowie die Auskünfte des Klägers über die Ursachen der Handgelenkserkrankungen in beiden Jahren nicht aus, um eine hinreichend gesicherte negative Prognose anzunehmen.

Zwar hat der Kläger unstreitig die Beklagte mit der Unwahrheit bedient, was die Ursache der Erkrankung im Jahr 2003 betrifft: Verstauchung des Handgelenks beim Räumen von Regalen im Keller statt, wie später dargestellt, Erleiden eines Arbeitsunfalls auf einer Baustelle. Aber selbst dann, wenn die Beklagte aufgrund dieser Fehlinformation davon ausgehen musste, der Kläger habe diese Handverletzung beim Räumen von Regalen im Keller erlitten, ist daraus weder auf eine allgemeine Labilität des Handgelenks noch auf eine besondere Verletzungsanfälligkeit zu schließen. Denn auch beim Räumen von schweren - z.B. beladenen - Regalen im Keller können selbst für Personen, die sich in körperlich bester Verfassung befinden, erhebliche und langwierige Gelenkserkrankungen entstehen. Eine einigermaßen gesicherte Annahme einer diesbezüglichen besonderen Anfälligkeit oder gar ein Eignungsmangel für den Beruf des Gerüstbauers lässt sich aus der damaligen Schilderung der Verletzungsursachen durch den Kläger nicht ableiten.

Auch die Angabe des Klägers zur Handgelenkserkrankung im Jahr 2004 rechtfertigt nicht eine hinreichend sichere Negativprognose. Dies bezüglich hat der Kläger die Beklagte nicht über die von ihm damals angenommene Ursache der Erkrankung belogen (Verletzung aus Anlass des Hebens eines Limokastens). Allerdings hat sich diese "Eigenanamnese" des Klägers später als unzutreffend erwiesen. Wenn die Beklagte angesichts des ihr vom Kläger geschilderten, vergleichsweise nichtigen Anlasses für eine mehrmonatige Arbeitsunfähigkeit auf eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dahingehend schloss, dass der Kläger kurzfristig erneut arbeitsunfähig werden würde, ist dies verständlich. Dies gilt erst recht dann, wenn er - wie sie vorträgt - gegenüber seiner Vorgesetzten am 17.08.2004 mitteilte, sein Handgelenk sei erheblich vorgeschädigt.

Andererseits durfte die Beklagte diese Mitteilungen des Klägers als eines medizinischen Laien nicht für bare Münze nehmen, zumal aus den von der Beklagten selbst geschilderten telefonischen Mitteilungen des Klägers über den Verlauf seiner Erkrankung hervorgeht, dass von ärztlicher Seite keine klare Diagnose gegeben wurde. Diese Mitteilungen des Klägers sind somit gerade nicht geeignet, eine negative Zukunftsprognose zu erhärten. Sie sind kein "fachlicher Erkenntnisstand" (ErfK/Ascheid/Oetker, a.a.O. Rn. 197).

Nach allem durfte die Beklagte angesichts des damaligen, ihr erkennbaren "medizinischen Rätselratens" über die Ursachen der Erkrankung des Klägers nicht von einem hinreichend sicheren Prognosewert von dessen Äußerungen ausgehen.

Dagegen hätte es nahe gelegen, vor der Kündigungsentscheidung das Ergebnis der am Tag vor Ausspruch der Kündigung durchgeführten Kernspintomographie abzuwarten, um einen fachlichen Erkenntnisstand zu gewinnen. Der Beklagten war dem insoweit unbestrittenen gebliebenen Vortrag des Klägers zufolge bekannt, dass diese Untersuchung stattfinden würde. Von ihr konnte man sich näheren Aufschluss über Ursachen und Art der krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers erhoffen und damit auch Erkenntnisse, die eine einigermaßen gesicherte Prognose über die weitere gesundheitliche Entwicklung des Klägers ermöglicht hätten. Die Beklagte hat die Ergebnisse dieser Untersuchung nicht abwarten mögen. Sie hat damit zu einem Zeitpunkt gekündigt, in dem eine hinreichend gesicherte Prognose noch nicht bestand, jedoch greifbar nahe war.

Das im Berufungsverfahren eingeholte medizinische Sachverständigengutachten ist zum Ergebnis gelangt, dass sich weder anamnestisch noch klinisch irgendwelche Hinweise auf verletzungsanfällige Handgelenke beim Kläger fänden; nach der erfolgreich durchgeführten Operation am 03.11.2004 könne nicht von weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiträumen wegen des rechten Handgelenks aufgegangen werden. Aufgrund dieses sorgfältig erstellten, in sich stimmigen und im Ergebnis folgerichtigen und plausiblen Gutachtens steht nach Überzeugung der Berufungskammer fest, dass im Zeitpunkt der Kündigung objektive medizinische Anhaltspunkte für eine negative Gesundheitsprognose im Falle des Klägers nicht gegeben waren. Die Indizwirkung der erheblichen Krankheitszeiten des Klägers hat sich somit nicht als tragfähig erwiesen.

Dies gilt auch dann, wenn man die weitere Entwicklung des Gesundheitszustands des Klägers nach Ausspruch der Kündigung berücksichtigt. Denn diese Entwicklung hat die von der Beklagten im Zeitpunkt der Kündigung angenommene Negativprognose nur scheinbar - zunächst - bestätigt. Tatsächlich aber ist es nicht einmal ein halbes Jahr nach Ausspruch der Kündigung zur vollständigen Ausheilung der für die erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers im Jahr 2004 ursächlichen Erkrankung gekommen. Diese positive Entwicklung des Gesundheitszustandes des Klägers beruht auch nicht auf einem Kausalverlauf, mit dem im Kündigungszeitpunkt nicht zu rechnen gewesen wäre. Vielmehr war er aufgrund der kurz vor Ausspruch der Kündigung durchgeführten Computertomographie einkalkulierbar. Somit kann diese weit vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der letzten Tatsacheninstanz abgeschlossene Entwicklung zur Korrektur der mehr oder weniger unsicheren Prognose der Beklagten herangezogen werden (vgl. BAG vom 13.05.2004 - 2 AZR 36/04; BAG vom 05.07.1990 - 2 AZR 154/90).

Nach allem kann nicht angenommen werden, dass im Zeitpunkt der Kündigung mit ähnlich hohen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers wie in den beiden Jahren zuvor zu rechnen war. Die Kündigung kann nicht auf die Fehlzeiten des Klägers in den Jahren 2003 und 2004 gestützt werden.

2. Die Kündigung ist auch nicht im Hinblick darauf sozial gerechtfertigt, dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage wäre, die geschuldete Tätigkeit als Gerüstbauer auf Dauer auszuüben.

Auch insoweit hat das Sachverständigengutachten in überzeugender Weise erbracht, dass der Kläger der Tätigkeit eines Gerüstbauers auch in Zukunft konkurrenzfähig nachgehen kann.

3. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist es dem Kläger nicht verwehrt, sich auf die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung zu berufen. Ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers liegt nicht vor.

Soweit de Beklagte beanstandet, der Kläger habe, gehe man von seinem eigenen Vortrag aus, die Anzeige eines Arbeitsunfalls wissentlich unterlassen, er habe seiner Vorgesetzten wissentlich falsch die Information gegeben, sein Handgelenk sei vorgeschädigt und das Heben eines Limokastens sei nur der Auslöser seiner Erkrankung gewesen, mithin habe die Beklagte aufgrund der Falschinformationen des Klägers von einer massiv erhöhten Verletzungsanfälligkeit und einer fehlenden Eignung für eine Tätigkeit als Gerüstbauer ausgehen müssen, ergibt sich daraus nicht, dass die Geltendmachung der Sozialwidrigkeit der Kündigung rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 BGB wäre.

Denn zum einen hatte der Kläger ein Motiv für das Verheimlichen eines Arbeitsunfalls als Ursache der Handverletzung im Jahr 2003: die Vorhaltungen des Geschäftsführers wegen der vielen Arbeitsunfälle. Das Verschweigen eines Arbeitsunfalls ist unter diesen Umständen kein unredliches Verhalten des Klägers. Vielmehr hat sich die Beklagte diese Zwecklüge selbst zuzuschreiben. Wie die Beklagte dazu kommt, dem Kläger im Zusammenhang mit der Bemerkung über die Vorschädigung des Handgelenks eines wissentliche Fehlinformation vorzuwerfen, war für die Berufungskammer nicht nachvollziehbar. Denn im Kontext der mehrmonatigen langwierigen Behandlungen, die im Sachverständigengutachten wiederholt als "erstaunlich" bzw. als "nicht nachvollziehbar" bezeichnet werden und die deutlich von einer gewissen Ratlosigkeit der behandelnden Ärztin zeugen, ist es nicht verwunderlich, dass sich der Kläger der Beklagten gegenüber in der genannten Weise geäußert hat. Die Äußerung von der Vorschädigung dokumentiert nichts anderes als die Ratlosigkeit des Klägers angesichts der Ratlosigkeit der behandelnden Hausärztin. Dafür spricht auch die Verwendung des in der Begutachtungsmedizin häufigen Ausdrucks der "Vorschädigung". Die Beklagte wertet die laienhafte Vermutung - oder auch Weitergabe einer ärztlichen Vermutung - durch den Kläger als belastbare medizinische Aussage. Dies ist unzulässig.

Nach allem liegt eine bewusst falsche Information des Klägers mit der Zielrichtung, eine Kündigung des Arbeitgebers zu provozieren, erkennbar nicht vor, auch wenn man den Vortrag der Beklagten hinsichtlich der Mitteilungen des Klägers über seinen Krankheitsverlauf und über das "vorgeschädigte Handgelenk" als wahr unterstellt und die vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen objektiv zweifelhaft waren - was nach dem Inhalt des Sachverständigengutachtens zutrifft. Sonstige Umstände, die für eine Rechtsmissbräuchlichkeit der Berufung auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung sprächen, sind nicht ersichtlich.

4. Der Kläger hat Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits nach den vom Bundesarbeitsgericht hierzu entwickelten Grundsätzen. Auf die vom Arbeitsgericht in diesem Zusammenhang erwähnte Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts wird verwiesen.

5. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

6. Die Revision wird nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zu erheben, wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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