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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 01.12.2005
Aktenzeichen: 3 Sa 759/05
Rechtsgebiete: ArbGG, ZPO, TzBfG


Vorschriften:

ArbGG § 62 Abs. 2
ArbGG § 64 Abs. 7
ZPO § 940
TzBfG § 8
1. Das Prinzip "One face to the Customer" ist bei einer Kassiererin in einer Bank nicht ausnahmslos geeignet, einen aus gesundheitlichen und familiären Gründen geltend gemachten Teilzeitwunsch aus entgegenstehenden betrieblichen Gründen abzulehnen (im Anschluss an BAG 30.09.2003, Az 9 AZR 665/02)

2. Die zweijährige Wartezeit gem. § 8 Abs 6 TzBfG wird nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetztes nur durch eine berechtigte Ablehnung eines Teilzeitwunschs ausgelöst.


LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 759/05

Verkündet am: 1. Dezember 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Dritte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder sowie die ehrenamtlichen Richter H. Stiglocher und J. Schuhbeck für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 23.06.2005 - 34 Ga 125/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten im Verfahren der einstweiligen Verfügung um ein Verlangen der Klägerin, sie befristet bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit lediglich 16 Stunden wöchentlich zu beschäftigen und diese Arbeitszeit auf zwei Tage - Montag und Dienstag, jeweils acht Stunden von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr, bei einer Pause von einer Stunde - zu verteilen.

Das Arbeitsgericht München hat mit Endurteil vom 23.06.2005, auf das hinsichtlich des Vorbringens der Parteien im 1. Rechtszug, der erstinstanzlich gestellten Anträge und der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, dem Klagebegehren stattgegeben mit der Begründung, der nach § 940 ZPO erforderliche Verfügungsgrund liege im Wesentlichen in der Gefährdung des Gesundheitszustandes der Verfügungsklägerin auf Grund der Vollzeitbeschäftigung, und auch der Verfügungsanspruch sei zu bejahen, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 8 Abs. 7 TzBfG vorlägen und betriebliche Gründe nicht entgegenstünden.

Die Verfügungsbeklagte hat gegen das ihr am 14.07.2005 zugestellte Endurteil vom 23.06.2005 am 18.07.2005 (Faxeingang) Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.

Sie hält die Würdigung des von der Klägerin im 1. Rechtszug vorgelegten ärztlichen Attests für fehlerhaft, weil dieses nicht aussagekräftig sei und nicht erkläre, weshalb ein psychovegetativer Erschöpfungszustand der Klägerin entstehe, wenn sie ganztags arbeite und die Ursache dieses Erschöpfungszustandes die Hyperaktivität ihres Kindes sein solle. Die behauptete Gesundheitsbeeinträchtigung der Verfügungsklägerin sein nicht nachgewiesen, die Ganztagsbetreuungsmöglichkeit des Kindes im Integrationskindergarten gewährleistet. Die Verfügungsklägerin erkläre nicht, warum durch die Ganztagsbetreuung in der Kindertagesstätte ihre Gesundheit gefährdet werde. Auch habe sie nicht alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um die Betreuung des Kindes sicherzustellen. Die Kindertagesstätte, deren Besuch dem Kind der Verfügungsklägerin möglich sei, liege in unmittelbarer Nähe ihres Wohnsitzes. Auch fehle es an der Eilbedürftigkeit und damit am Verfügungsgrund, weil die Verfügungsklägerin erst drei Monate nach Aufnahme der Vollzeittätigkeit - nach Ablauf der Elternzeit - den streitgegenständlichen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt habe.

Nach Auffassung der Verfügungsbeklagten fehlt es auch an einem Verfügungsanspruch, weil die Verfügungsklägerin die Wartezeit von zwei Jahren gem. § 8 Abs. 6 TzBfG nach der erstmaligen Ablehnung ihres Teilzeitwunsches am 05.02.2004 nicht eingehalten habe. Im Übrigen wiederholt die Verfügungsbeklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen, wonach dem Teilzeitverlangen betriebliche Gründe im Sinne von § 8 Abs. 4 TzBfG entgegenstünden, weil die Verfügungsbeklagte das vom Bundesarbeitsgericht grundsätzlich anerkannte Prinzip "one face to the customer" verfolge und ihr die - bei einem Abgehen von diesem Prinzip erforderlichen - zeitgleichen Übergaben und Übernahmen nach den Vier-Augen-Prinzip nicht zumutbar seien, abgesehen von der Schwierigkeit, am Arbeitsmarkt geeignete Teilzeitkräfte zu finden.

Die Verfügungsbeklagte beantragt deshalb, unter Abänderung des Urteils vom 23.06.2005, Az. 34 Ga 125/05, die Klage abzuweisen.

Die Verfügungsklägerin beantragt, die Berufung kostenfällig zurückzuweisen.

Sie bringt vor, die Reduzierung der Arbeitszeit sei gemäß Attest vom 11.05.2005 bereits deshalb erforderlich, um die eigene Gesundheit der Klägerin zu erhalten. Sie meint, die medizinischen Schlussfolgerungen der Ärzte im Attest reichten zur Glaubhaftmachung aus und bringt des weiteren vor, es bestehe das große Risiko, dass bei einem Wechsel des Kindergartens das Kind wegen der damit verbundenen Irritationen des Gruppenwechsels und Bezugspersonenwechsels durch Personen außerhalb der Familie überhaupt nicht mehr betreut werden könne angesichts seines Hyperaktivitätssyndroms. Die Verfügungsklägerin meint, ihr Versuch, die Vollzeitarbeitspflicht zu erfüllen, könne ihr nicht vorgeworfen werden.

Die Verfügungsklägerin hält den Vortrag der Gegenseite zum Verfügungsanspruch für nicht stichhaltig und die behaupteten, dem Teilzeitwunsch entgegenstehenden betriebliche Gründe für nicht gegeben. Sie meint, das Arbeitsverhältnis habe sich nicht auf die Zweigstelle Dachau der Verfügungsbeklagten konkretisiert. Im Übrigen beschäftige diese auch Teilzeitkräfte. Sie habe in der Präambel ihres Organisationskonzepts das Prinzip der Vereinbarkeit von Familie und Beruf herausgestellt. Die Begründung der Verfügungsbeklagten für die Ablehnung des Teilzeitwunsches - die feste Zuordnung von Kunden zu Mitarbeitern - sei im Falle der Klägerin nicht nachvollziehbar, weil dieser zum einen keine festen Kunden zugeordnet seien und weil sie zum anderen als Kassiererin keine Beratungstätigkeit zu erfüllen habe. Zu den durch die Verwirklichung des Teilzeitverlangens entstehenden Kosten habe die Verfügungsbeklagte nicht ausreichend vorgetragen. Auch habe sie nicht dargelegt, dass sie sich bemüht habe, auf dem Arbeitsmarkt zur Kompensation der Arbeitszeitreduzierung der Klägerin Teilzeitkräfte zu finden.

Hinsichtlich des sonstigen Vorbringens der Parteien im 2. Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Sitzungsniederschrift vom 01.12.2005 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Sie war daher kostenfällig zurückzuweisen.

Das Berufungsgericht folgt dem Erstgericht im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung. Das Arbeitsgericht hat zu Recht - bei der im Verfahren der einstweiligen Verfügung gebotenen summarischen Prüfung - sowohl das Bestehen eines Verfügungsanspruchs als auch eines Verfügungsgrundes im Sinne von § 940 ZPO bejaht.

Zu den Angriffen der Berufung in Bezug auf die Annahme eines Verfügungsgrundes ist auszuführen:

Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ergibt sich aus dem vorgelegten ärztlichen Attest vom 11.05.2005 hinreichend, dass bei Fortsetzung einer Vollzeitbeschäftigung auch eine psychovegetative Erschöpfung der Verfügungsklägerin droht. Dies geht eindeutig aus dem Wortlaut des Attests hervor, in dem "sowohl" von einer drohenden psychovegetativen Erschöpfung der Mutter "sowie" von einer weiteren ungünstigen gesundheitlichen Entwicklung bei ihrem Kind die Rede ist. Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten reichen diese ärztlichen Feststellungen im Rahmen der im Verfahren der einstweiligen Verfügung vorzunehmenden summarischen Beurteilung aus, um die drohende Gesundheitsgefährdung der Verfügungsklägerin zu belegen. Eine nähere medizinische Begründung ist jedenfalls in diesem Verfahren nicht erforderlich angesichts des dem attestierenden Arzt zustehenden ärztlichen Beurteilungsspielraums. Das Arbeitsgericht darf sich im Verfahren der einstweiligen Verfügung keine ihm nicht zukommende medizinische Beurteilungskompetenz anmaßen.

Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist es auch durchaus möglich, dass sich bei dem hyperaktiven Kind der Klägerin eine weitere negative gesundheitliche Entwicklung zeigt, wenn die Vollzeitbeschäftigung aufrecht erhalten bleibt, und zwar auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass eine Ganztagesbetreuung des Kindes in einer wohnsitznahen Kindertagesstätte möglich ist - wovon das Gericht ausgeht. Insoweit erscheint jedoch, entgegen der Darstellung der Verfügungsklägerin, nicht so bedeutsam, dass ein Wechsel der Gruppe oder der Bezugsperson ungünstige Einflüsse auf das Kind haben könne, als vielmehr, dass im Falle eines psychovegetativen Erschöpfungszustands der Mutter die - nicht nur gesundheitliche - Entwicklung des Kindes erheblich gefährdet ist, unbeschadet des Umstandes, dass das Kind in der Kindertagesstätte ganztags betreut würde.

Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist die Annahme eines Verfügungsgrundes nicht deshalb ausgeschlossen, weil sich die Verfügungsklägerin bereits seit Anfang Februar 2005 um eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit bemüht hat. Denn die Dringlichkeit des Teilzeitwunschs ist nicht dadurch widerlegt, dass sich die Arbeitnehmerin angesichts des entschiedenen Widerstands des Arbeitgebers bemüht, ihren arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zur Leistung von Vollzeitarbeit - auch unter Hintanstellung persönlicher Bedürfnisse - nachzukommen, um arbeitsrechtliche Konflikte zu vermeiden.

Mit Recht hat somit das Arbeitsgericht das Bestehen eines Verfügungsgrundes angenommen.

Zu den Angriffen der Berufung gegen das Ersturteil in Bezug auf dessen Annahme eines Verfügungsanspruchs ist auszuführen:

Das Teilzeitverlangen scheitert nicht bereits daran, dass die Verfügungsklägerin nach der mündlichen Erstablehnung ihres Teilzeitwunschs am 5.2.2004 die zweijährige Wartefrist nach § 8 Abs. 6 TzBfG nicht eingehalten hätte. Das Berufungsgericht pflichtet dem Erstgericht darin bei, dass nur eine berechtigte Ablehnung den Lauf dieser Wartefrist auslöst. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Eine solche berechtigte Ablehnung liegt jedoch hier, was sogleich ausgeführt wird, bei Anlegung eines summarischen Beurteilungsmaßstabs nicht vor.

Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten rechtfertigt es das Prinzip "one face to the customer" nicht, den Teilzeitwunsch der Verfügungsklägerin abzulehnen. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht, worauf die Verfügungsbeklagte zu Recht hinweist, dieses Prinzip in der Entscheidung vom 30.09.2003 - 9 AZR 665/02 - durchaus als denkbaren betrieblichen Grund im Sinne von § 8 Abs. 4 TzBfG angesehen. Der Teilzeitwunsch der Klägerin tangiert auch dieses Prinzip. Er führt jedoch nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Organisationskonzepts der Verfügungsbeklagten. Es ist nicht ersichtlich, dass der individuelle Arbeitszeitwunsch der Verfügungsklägerin diesem Organisationskonzept unter Berücksichtigung von zumutbaren Änderungen der betrieblichen Abläufe bzw. des Personaleinsatzes entgegensteht. Mit Recht weist die Verfügungsklägerin darauf hin, dass sich ihr Arbeitsverhältnis nicht auf die Zweigstellte D. konkretisiert habe. Berücksichtigt man, dass sie ausgebildete Bürokauffrau ist, wäre ein Einsatz in anderen Positionen als der einer Kassiererin möglich, ebenso ein Einsatz in anderen Zweigstellen oder in der Zentrale. Zu einer solchen anderen Einsatzmöglichkeit trägt die Verfügungsbeklagte nichts vor, insbesondere auch nicht, dass sie sich um eine solche bemüht oder mit der Verfügungsklägerin hierüber gesprochen hat. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Verfügungsklägerin eine solche anderweitige Einsatzmöglichkeit abgelehnt hätte.

Vor allem aber ergibt die gebotene Prüfung des Gewichts der dem Teilzeitwunsch der Klägerin entgegenstehenden betrieblichen Gründe (vgl. BAG a.a.O.) nicht, dass die durch die von der Verfügungsklägerin gewünschte Abweichung das Organisationskonzept "one face to the customer" wesentlich beeinträchtigt würde. Zwar ist der Verfügungsbeklagten durchaus zuzugeben, dass dieses Prinzip bei einem Bankunternehmen der vorliegenden Art, das insbesondere viele Filialen im ländlichen Bereich hat, ein Marketingkonzept darstellt, das bei der hier vorliegenden Kunden-Zielgruppe einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Andererseits gilt dies hauptsächlich für Beratungstätigkeit und nicht für eine Kassiertätigkeit, bei der die Beratung von Kunden nicht im Vordergrund steht. Abgesehen davon kann die Verfügungsbeklagte das genannte Prinzip ohnehin nicht in Reinkultur durchführen, z.B. im Falle berechtigter und unberechtigter Abwesenheit des "one face" im Falle von Urlaub, Krankheit, Schulungen oder sonstigen Absenzen. Es ist nicht plausibel, dass die weitere Aufweichung des Prinzips im Falle des familienbedingten Teilzeitwunschs das Marketingkonzept bzw. Geschäftsmodell und vor allem den Geschäftserfolg der Verfügungsbeklagten beeinträchtigen würde. Insoweit gewinnt auch die Präambel des "Organisationskonzepts zur Teilzeitbeschäftigung bei der V. eG" Bedeutung, wonach sich die Verfügungsbeklagte zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf bekennt. Soll dieser Grundsatz kein bloßes Lippenbekenntnis bleiben, muss er gerade für Fälle der vorliegenden Art, in denen die Sinnhaftigkeit des Prinzips "one face to the customer" nicht einleuchtet, mit Leben erfüllt werden.

Dass die Abweichung von dem genannten Grundsatz im Hinblick auf die zusätzlich erforderlichen Übergabe- bzw. Übernahmezeiten wegen des Vier-Augen-Prinzips zu einer unzumutbaren Kostenbelastung führen würde, ist nicht ersichtlich.

Ebenso ist nicht konkret dargelegt, dass die Verfügungsbeklagte tatsächlich Schwierigkeiten hat, auf dem Arbeitsmarkt eine zweite Teilzeitkraft zu finden. Vielmehr äußert die Verfügungsbeklagte insoweit nur die Vermutung, eine geeignete Ersatzkraft werde sich nicht finden lassen (erstinstanzlicher Schriftsatz vom 20.06.2005, Seite 5 unten).

Nach allem liegen hinreichende Gründe im Sinne von § 8 Abs. 4 TzBfG für eine Ablehnung des Teilzeitwunschs der Verfügungsklägerin nicht vor. Das Arbeitsgericht hat mit Recht das Bestehen eines Verfügungsanspruchs bejaht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben (§ 72 Abs. 4 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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