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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 16.11.2006
Aktenzeichen: 3 Sa 783/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 256
ZPO § 321
ZPO § 321 Abs. 2
BGB § 130
BGB § 162 Abs. 1
Die Feststellung des Zugangszeitpunkts einer Abmahnung nach allgemeinen Grundsätzen genügt für die Beantwortung der Frage, ob der Arbeitnehmer das abgemahnte Verhalten fortgesetzt oder wiederholt und somit die Warnfunktion der Abmahnung missachtet hat, nicht. Vielmehr ist grundsätzlich - abgesehen z. B. vom Fall der Zugangsvereitelung - Kenntnis von den gerügten Pflichtverletzungen erforderlich (im Anschluss an BAG 09.08.1984 - 2 AZR 400/83).
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 Sa 783/06

Verkündet am: 16.11.2006

In dem Rechtsstreit

hat die Dritte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 09. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenfelder sowie die ehrenamtlichen Richter Schnoy und Kaltenbrunner für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 29.03.2006 - 31 Ca 18549/05 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über eine von der Beklagten gegenüber dem Kläger ausgesprochene außerordentliche und hilfsweise ordentliche Kündigung.

Der Kläger ist seit 01.09.1996 bei der Beklagten beschäftigt, seit 04.05.2000 als Arbeiter beim Abfallwirtschaftsbetrieb M.. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 24.11.2005 fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.03.2006 mit der Begründung, er sei nach einer personalärztlichen Sofortuntersuchung am 09.11.2005, bei der ihn der untersuchende Arzt angewiesen habe, unverzüglich seinen Dienst wieder aufzunehmen, weder an diesem Tag noch an beiden folgenden Tagen zum Dienst erschienen. Die Beklagte erteilte dem Kläger deswegen eine Abmahnung mit Schreiben vom 10.11.2005, die nach dem Vortrag der Beklagten am 10.11.2005 um 13.30 Uhr in den Briefkasten des Klägers durch Boten eingeworfen wurde, wogegen der Kläger vorträgt, er habe das Schreiben erst am 11.11.2005 gegen 15.30 Uhr, also nach Dienstschluss vorgefunden und zur Kenntnis genommen.

Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt, festzustellen, dass sowohl die fristlose Kündigung der Beklagten vom 24.11.2005 als auch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom gleichen Tage, zugegangen am 25.11.2005, unwirksam sind und dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zu den bisherigen Bedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist vom 25.11.2005 bzw. über den 31.03.2006 hinaus weiter unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht München hat mit Endurteil vom 29.03.2006 - 31 Ca 18549/05 -, auf das hinsichtlich des unstreitigen Sachverhalts sowie des streitigen Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug und der Einzelheiten der rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts verwiesen wird, festgestellt, dass sowohl die fristlose Kündigung der Beklagten vom 24.11.2005 als auch die ordentliche Kündigung vom gleichen Tage unwirksam sind und dass das Arbeitsverhältnis der Parteien zu den bisherigen Bedingungen über den Ablauf der Kündigungsfrist vom 25.11.2005 bzw. über den 31.03.2006 hinaus weiter unverändert fortbesteht.

Denn es fehle insoweit an einer rechtzeitigen Abmahnung. Der Kläger habe sich vorliegend an die Abmahnung der Beklagten vom 10.11.2005 gehalten, weil er am Montag, den 14.11.2005, mithin am nächsten Arbeitstag nach Kenntnis der Abmahnung, am Arbeitsplatz erschienen sei. Es komme nicht auf die Zustellung der Abmahnung, sondern auf die Kenntnis durch den Kläger an. Aus dem nämlichen Grunde scheitere die vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 30.05.2006 zugestellte Endurteil vom 29.03.2006 mit einem am 26.06.2006 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 28.07.2006 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie bringt vor, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr unzumutbar. Das Arbeitsgericht knüpfe hinsichtlich des von ihm aufgestellten Erfordernisses der Kenntnis der Abmahnung zu Unrecht an der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.08.1984 - 2 AZR 400/83 - an, dessen Sachverhalt mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar sei. Entscheidend sei, dass die Abmahnung am 10.11.2005 in die Verfügungsgewalt des Klägers gelangt sei und unter gewöhnlichen Umständen eine Kenntnisnahme berechtigterweise erwartet werden konnte. Das genannte Urteil des Bundesarbeitsgerichts sei im Übrigen überholt. Da der Kläger eine beharrliche Arbeitsverweigerung begangen habe und sämtliche formellen Voraussetzungen für beide Kündigungen vorlägen, sei die Klage sowohl hinsichtlich der außerordentlichen als auch in Bezug auf die ordentliche Kündigung in vollem Umfang abzuweisen.

Die Beklagte beantragt deshalb, das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 29.03.2006 in Ziffern 1 und 2 "aufzuheben", die Klage abzuweisen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger aufzuerlegen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen und weist insbesondere darauf hin, er habe den Arzt bei der Untersuchung am 09.11.2005 falsch verstanden, nämlich dahingehend, dass eine längere Krankschreibung nicht erfolgen werde.

Hinsichtlich des sonstigen Vortrags der Parteien im zweiten Rechtszug wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 27.07.2006 und des Klägers vom 01.09.2006 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 09.11.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass weder die außerordentliche noch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 24.11.2005 wirksam sind, weil es insoweit an einem Fehlverhalten der abgemahnten Art nach Kenntnisnahme der Abmahnung fehle.

Das Arbeitsgericht hat zwar nicht über den ausdrücklich als solchen bezeichneten und begründeten allgemeinen Feststellungsantrag gemäß § 256 ZPO (vgl. S. 5 der Klageschrift vom 02.12.2005) entschieden, weil es fälschlich den "Zusatz im Klageantrag" nicht als selbstständige allgemeine Feststellungsklage angesehen hat. Der Kläger hat jedoch insoweit keinen Antrag auf Ergänzung des Urteils gemäß § 321 ZPO gestellt, so dass die Möglichkeit, insoweit eine nachträgliche Entscheidung zu beantragen, inzwischen nach § 321 Abs. 2 ZPO verfristet ist.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass sowohl die außerordentliche als auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 24.11.2005 unwirksam sind, weil sich der Kläger nach Kenntnis der Abmahnung nicht regelwidrig verhalten habe.

Mit Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass eine Abmahnung hier gerade nicht entbehrlich war. Denn bei einer von der Beklagten angenommenen Fehlzeit von gut zwei Tagen ist nicht davon auszugehen, der Arbeitgeber werde dies auf keinen Fall ohne Abmahnung dulden und auf jeden Fall zur Kündigung schreiten.

Wenn der Kläger erst am Freitag, den 11.11.2005 nach Dienstschluss von der Abmahnung Kenntnis genommen hat - was letzten Endes unstreitig geblieben ist -, hat er sich jedenfalls bis zur Kündigung nicht bewusst über die Abmahnung hinweggesetzt und die beanstandete Pflichtverletzung nicht fortgesetzt. Denn er ist unstreitig am ersten Arbeitstag nach Dienstschluss am Freitag, den 11.11.2005 zur Arbeit erschienen.

Auch wenn es im Allgemeinen für den Zugang einer schriftlichen Willenserklärung darauf ankommt, dass das Schreiben in verkehrsüblicher Art in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines empfangsberechtigten Dritten gelangt und für den Empfänger unter gewöhnlichen Umständen eine Kenntnisnahme zu erwarten ist (Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 130 Rn. 5 mit zahlreichen Rechtsprechungs-Nachweisen), genügt die Feststellung des Zugangszeitpunkts in einem Fall wie dem vorliegenden nicht für die Beantwortung der Frage, ob sich der Arbeitnehmer über die Hinweis- und insbesondere Warnfunktion der Abmahnung hinweggesetzt und das abgemahnte Verhalten fortgesetzt bzw. wiederholt hat. Das Bundesarbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen (Urteil vom 09.08.1984 - 2 AZR 400/83), dass für die Wirksamkeit einer Abmahnung grundsätzlich außer deren Zugang auch noch die Kenntnis des Empfängers von ihrem Inhalt erforderlich sei, weil es Sinn und Zweck der Abmahnung sei, dass diese dem Schuldner noch einmal die Folgen seines säumigen Verhaltens vor Augen führen solle und die Abmahnung ihre kündigungsrechtliche Hinweis- und Warnfunktion - grundsätzlich - nur erfüllen könne, wenn der Arbeitnehmer Kenntnis von den gerügten Leistungsmängeln genommen habe. Die mehr oder weniger von objektiven Merkmalen abhängige Möglichkeit der Kenntnis im Sinne des Zugangsbegriffs des § 130 BGB reiche nicht (BAG a. a. O., zu III. 3. a der Gründe).

Dies gilt auch hier. Das Berufungsgericht vermag der Beklagten nicht darin zu folgen, dass die genannte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts überholt sei.

Der Kläger kann sich auf die verspätete Kenntnisnahme der Abmahnung vom 10.11.2005 - anders als die Klägerin im vom BAG (a. a. O.) entschiedenen Fall - auch berufen. Denn er handelt insoweit nicht rechtsmissbräuchlich. Ein Anhaltspunkt für eine absichtliche Vereitelung der Kenntnisnahme der Abmahnung ist - im Gegensatz zu dem vom Bundesarbeitsgericht (a. a. O.) entschiedenen Fall - nicht ersichtlich. Der Kläger musste nicht damit rechnen, dass ihm alsbald nach Durchführung der personalärztlichen Untersuchung vom 09.11.2005 eine Abmahnung zugehen werde. Insbesondere ist ihm eine solche nicht angekündigt worden. Deshalb muss sich der Kläger auch nicht in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des § 162 Abs. 1 BGB so behandeln lassen, als ob ihm die Abmahnung vom 10.11.2005 am selben Tage zugegangen wäre.

Nach allem hat der Kläger das abgemahnte Verhalten nicht bewusst fortgesetzt. Die Kündigung wurde ausgesprochen, ohne dass er sich innerhalb angemessener Bewährungszeit erneut vertragswidrig verhalten hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht zu erheben, wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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