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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 15.03.2007
Aktenzeichen: 4 Sa 54/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 240
ZPO § 249
Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht trotz § 68 ArbGG wegen trotz Unterbrechung des Verfahrens durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten ergangenen erstinstanzlichen Urteils.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 Sa 54/07

Verkündet am: 15. März 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Vierte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Burger sowie die ehrenamtlichen Richter Pompe und Stöckl für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 23. November 2006 - 11 Ca 11164/06 - aufgehoben.

II. Das Verfahren wird an das Arbeitsgericht München zurückverwiesen.

III. Zur Klarstellung wird festgestellt, dass das Endurteil vom 23. November 2006 wirkungslos und das Verfahren unterbrochen sind.

IV. Das Arbeitsgericht München hat nach Fortsetzung des Rechtsstreits auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden; Gerichtskosten, die durch den Erlass des Endurteils vom 23. November 2006 und durch das Berufungsverfahren entstanden sind, werden nicht erhoben.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Mit seiner Berufung strebt der Kläger die Aufhebung und primär die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht wegen Unterbrechung des Verfahrens aufgrund Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils an.

Mit seiner mit Klageschriftsatz vom 05.08.2006 zum Arbeitsgericht München erhobenen Leistungsklage machte der Kläger gegenüber der Beklagten als behaupteter Arbeitgeberin Ansprüche auf Zahlung von Arbeitsvergütung für den Zeitraum vom 20.04.2006 bis 31.07.2006 sowie auf Meldung dieser Lohnforderungen an die Gemeinnützige Urlaubskasse des bayerischen Baugewerbes, Erteilung einer Arbeitsbescheinigung zur Vorlage bei der Bundesagentur für Arbeit und einer Urlaubsbescheinigung u. a. geltend. Die Beklagte bestreitet ihre Passivlegitimation, da ein Herr G., mit dem der Kläger einen Arbeitsvertrag abgeschlossen haben wolle, von ihr hierzu nicht bevollmächtigt gewesen sei.

Die Beklagte hatte bereits mit Klageerwiderungsschriftsatz vom 22.08.2006 im erstinstanzlichen Verfahren darauf hinweisen lassen, dass sie - nachdem sie plötzlich mit einer Reihe von Lohnforderungen konfrontiert worden sei - deshalb Insolvenzantrag gestellt habe. Mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 16.11.2006 (Bl. 71/72 d. A.) wurden mit Wirkung vom selben Tag das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet und Frau Rechtsanwältin H., München, zur Insolvenzverwalterin bestellt. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 23.11.2006 wies das Arbeitsgericht München mit Endurteil vom selben Tag, das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 02.12.2006 in ausgefertigter Form zugestellt wurde, die als zulässig angesehene Klage in der Sache mit der Begründung ab, dass diese mangels Passivlegitimation der Beklagten unbegründet sei, da die Person G., die den Kläger eingestellt habe, unbekannten Aufenthaltsorts sei, und der Kläger auch nicht dartun habe können, dass die Beklagte diesen bevollmächtigt gehabt habe, den Kläger zu den behaupteten Konditionen einzustellen oder überhaupt Einstellungen vorzunehmen, und auch die Grundsätze der Duldungsvollmacht nicht ins Blickfeld geraten könnten.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers mit Schriftsatz vom 15.01.2007, am 17.01.2007 beim Landesarbeitsgericht München eingegangen, zu deren Begründung er vorgetragen hat, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten durch Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 16.11.2006 das erstinstanzliche Verfahren unterbrochen und deshalb die mündliche Verhandlung und die Verkündung des Urteils durch das Arbeitsgericht danach am 23.11.2006 unzulässig gewesen seien. Allerdings sei ein trotz Unterbrechung erlassenes Urteil nicht nichtig, sondern als damit verfahrenswidrig ergangen in jedem Fall aufzuheben und der Rechtsstreit in die erste Instanz zurückzuverweisen, was auch unter Berücksichtigung von § 68 ArbGG möglich sei. Nach § 249 Abs. 1 ZPO habe die Berufungsfrist nicht zu laufen begonnen, weshalb die Berufung nicht verfristet sei.

Der Kläger beantragt,

das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 23.11.2006 aufzuheben und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht zurückzuverweisen.

Wegen des Vortrags des Klägers im Zweiten Rechtszug im Übrigen wird auf die Schriftsätze vom 15.01.2007 und vom 26.01.2007 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 15.03.2007 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Auf die zulässige Berufung ist der Rechtsstreit an das Arbeitsgericht München zurückzuverweisen.

I.

Die Berufung des Klägers ist zulässig.

1. Zwar war das Verfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten aufgrund ihres Eigenantrages mit Beschluss des Amtsgerichts München - Insolvenzgericht - vom 16.11.2006 (1506 IN 2556/06, Bl. 71/72 d. A.) unterbrochen (§ 240 Satz 1 ZPO) - und zwar insgesamt, da jedenfalls die gegen die Beklagte als formell beteiligter Partei geltend gemachten Vergütungsansprüche die Insolvenzmasse betreffen, was beides für die Unterbrechungswirkung maßgebend und ausreichend ist (vgl. BGH, U. v. 13.03.1997, NJW 1998, S. 156 f/157; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 240 Rzn. 7 und 8; MünchKommZ-PO-Feiber, Bd. 1, 2. Aufl. 2000, § 240 Rzn. 15 und 18; Stein/Jonas-Roth, ZPO, Bd. 3, 22. Aufl. 2005, § 240 Rzn. 7 und 11, jeweils m. w. N.) -, weshalb das Urteil in der mündlichen Verhandlung vom 23.11.2006 nicht ergehen hätte dürfen (siehe § 249 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO). Ein trotz der gesetzlich angeordneten Unterbrechung des Verfahrens ergangenes Urteil ist jedoch nach allgemeiner Auffassung nicht nichtig, sondern, auch während der Unterbrechung - und ohne Auswirkung auf deren Fortbestehen -, mit dem zulässigen Rechtsmittel anfechtbar (wiederum allgemeine Auffassung, vgl. nur BAG, B. v. 07.05.1963, AP Nr. 2 zu § 249 ZPO; BGH, VersäumnisU. v. 21.06.1995, NJW 1995, S. 2563; BGH, U. v. 16.01.1997, NJW 1997, S. 1445; Stein/Jonas-Roth, aaO, Rzn, 15 und 16; Zöller-Greger, aaO, § 240 Rz. 3 und § 249 Rz. 10, jeweils m. w. N.).

2. Die somit statthafte Berufung des Klägers (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit. b ArbGG) war auch fristgerecht, da die Unterbrechung des Verfahrens die ebenfalls gesetzlich bestimmte Wirkung hatte, dass der Lauf jeder Frist - somit auch der Rechtsmittelfrist - aufhörte (§ 249 Abs. 1 ZPO). Die Berufungseinlegungsfrist war ungeachtet dessen wohl auch nicht angelaufen, da aufgrund der Unterbrechung alle die Hauptsache betreffenden Prozesshandlungen unzulässig und wirkungslos sind (§ 249 Abs. 2 ZPO), wozu auch die Amtszustellung des Urteils vom 23.11.2006 an den Prozessbevollmächtigten des Klägers gehörte (§§ 270 Abs. 1, 317 Abs. 1 ZPO; vgl. BGH, B. v. 29.03.1990, NJW 1990, S. 1854 f/ 1855; MünchKommZPO-Feiber, aaO, § 249 Rz. 21).

II.

Der Rechtsstreit ist an das Arbeitsgericht München zurückzuverweisen (§ 538 Abs. 2 ZPO).

1. Wie bereits vorstehend bei der Frage der Zulässigkeit der Berufung ausgeführt, war der Rechtsstreit durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten/Insolvenzschuldnerin am 16.11.2006 mit Wirkung vom selben Tag zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer im erstinstanzlichen Verfahren am 23.11.2006 bereits eine Woche lang kraft Gesetz unterbrochen gewesen (§ 240 Satz 1 ZPO). Wie ebenfalls dargelegt genügt es für die gesetzlich angeordnete Rechtsfolge der Unterbrechung, dass das Insolvenzverfahren das Vermögen einer am Rechtsstreit formell beteiligten Partei betrifft (vgl. wiederum Zöller-Greger, aaO, § 240 Rz. 7) - weshalb die materiellrechtliche Frage der Passivlegitimation der Beklagten/Insolvenzschuldnerin qua ihrer Bevollmächtigung einer dritten Person, die vom Arbeitsgericht verneint wurde, hierbei irrelevant ist -, und ebenso für die Unterbrechung des gesamten Rechtsstreits, wenn nur die eingeklagten Vergütungsansprüche, nicht auch die geltend gemachten Handlungs- und Herausgabeansprüche insbesondere wegen der Arbeitspapiere, das Vermögen der Beklagten/Insolvenzschuldnerin betroffen haben sollten (siehe die im gerichtlichen Schreiben vom 23.01.2007 zitierte Rechtsprechung und Literatur, ebenso bereits auch oben).

Deshalb hätte am 23.11.2006 weder verhandelt noch ein Urteil verkündet werden dürfen, ohne dass es auf die Kenntnis des Gerichts vom Unterbrechungstatbestand ankommt (BGH, VersäumnisU. vom 21.06.1995, aaO).

2. a) Dies führt ohne weiteres zur Aufhebung des arbeitsgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht nach § 538 Abs. 2 ZPO (analog). Einen entsprechenden Antrag hat der Kläger gestellt (vgl. auch BGH, U. v. 21.06.1995, aaO; BGH, U. v. 29.01.1976, BGHZ 66, S. 59 f; BGH, U. v. 16.01.1997, aaO; OLG Oldenburg, U. v. 22.02.2006, MDR 2005, S. 836; OLG Koblenz, ZInsO 2005, S. 777; siehe auch MünchKommZPO-Feiber, aaO, § 249 Rz. 22; Zöller-Greger, aaO, § 249 Rz. 10).

b) Dem steht auch nicht § 68 ArbGG entgegen, der eine Zurückverweisung wegen eines Verfahrensmangels des Arbeitsgerichts (gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1. ZPO) für unzulässig erklärt.

Zum einen geht es hier nicht lediglich um einen Verfahrensmangel, sondern darum, dass wegen der gesetzlich angeordneten Unterbrechungswirkung gemäß § 240 ZPO eine Entscheidung in der Sache überhaupt nicht ergehen hätte dürfen. Ein solcher Mangel ist in der Berufungsinstanz nicht behebbar. Auch ist wegen Unterbrechung des Rechtsstreits durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Urteil vom 23.11.2006 wirkungslos, weil den Parteien gegenüber unwirksam (BGH, U. v. 29.01.1976 aaO), weshalb die Zurückverweisung in einem solchen Fall nur klarstellenden Charakter hat (SächsLAG, U. v. 21.08.2002, 2 Sa 936/00 - juris -; Vossen in GK-ArbGG, Bd. 3 (St. 3/2006), § 68 Rz. 10, m. w. N.). Nach ganz einhelliger Auffassung sind vom Verbot der Zurückverweisung des Rechtsstreits wegen eines Verfahrensmangels in § 68 ArbGG Verfahrensverstöße ausgenommen, die im Berufungsverfahren nicht reparabel sind (näher nur Vossen in GK-ArbGG, aaO, Rz. 12, m. w. N. zur instanzgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur).

Auch ist hierbei zu berücksichtigen, dass die ratio der gesetzlichen Regelung des § 68 ArbGG mit dem Ausschluss der Zurückverweisung wegen Verfahrensmängeln die Verfahrensbeschleunigung ist (BAG, Be. v. 24.02.1982 und v. 24.04.1996, AP Nrn. 1 und 2 zu § 68 ArbGG 1979; Vossen in GK-ArbGG, aaO, Rzn. 5 und 6, m. w. N.). Dies ist aber obsolet, wenn das Verfahren bereits erstinstanzlich kraft Gesetzes unterbrochen war und nur nach Beendigung des Insolvenzverfahrens oder nach den Vorschriften der InsO wieder aufgenommen werden kann - was derzeit offensichtlich weder der Kläger noch die Insolvenzverwalterin (diese informell im Schriftsatz vom 31.01.2007 zum hiesigen Verfahren) beabsichtigen.

Deshalb ist der Rechtsstreit unter Aufhebung des, als solchen wirkungslosen, Ersturteils an das Arbeitsgericht München zurückzuverweisen und ebenso lediglich klarstellend, deklaratorisch, die bereits gesetzlich angeordnete Unterbrechung des Verfahrens festzustellen.

III.

Das Arbeitsgericht wird nach Beendigung des Insolvenzverfahrens bzw. Aufnahme des Rechtsstreits nach den Regelungen der InsO auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden haben, wobei die Niederschlagung der Gerichtskosten, die durch den Erlass des Endurteils des Arbeitsgerichts vom 23.11.2006 ausgelöst wurden, und der Gerichtskosten des Berufungsverfahrens anzuordnen ist (§ 21 GKG; vgl. auch Zöller-Gummer/Heßler, aaO, § 538 Rz. 58).

IV.

Da dem Rechtsstreit über die Klärung der konkreten Rechtsbeziehungen der Parteien hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, bestand für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.

Gegen dieses Urteil ist deshalb die Revision nur gegeben, wenn sie das Bundesarbeitsgericht auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde, auf deren Möglichkeit und Voraussetzungen gemäß § 72 a ArbGG der Kläger hingewiesen wird, zulassen sollte.

Ende der Entscheidung

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