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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 12.07.2006
Aktenzeichen: 5 Sa 298/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 613a
Fortgeltung der Rechtsnorm eines Tarifvertrages als Inhalt des Arbeitsverhältnisses nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, wenn die im Tarifvertrag geregelte Anspruchsvoraussetzung erst nach Betriebsübergang eintritt.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 Sa 298/06

Verkündet am: 12.07.2006

In dem Rechtsstreit

hat die Fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 12.07.2006 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Wolff sowie die ehrenamtlichen Richter Baumann und Hans für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 14.02.2006 - 21 Ca 2359/05 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf eine Einmalzahlung.

Die Klägerin war seit 01.09.1985 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem B., beschäftigt. Bis zum Betriebsübergang auf die Beklagte am 01.07.2004 fand Kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag zur Anwendung des BAT Anwendung. Die Beklagte ist nicht tarifgebunden.

Im Manteltarifvertrag für die Beschäftigten des B. vom 01.01.2002 war unter anderem geregelt:

"§ 1

I. Anwendung des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) (1) Der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) vom 23.02.1961 einschließlich der Anlagen 1 a und 1 findet in der zwischen der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) bzw. der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) vereinbarten jeweils gültigen Fassung auf die Arbeitnehmer des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), die in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung stehen, Anwendung, soweit in § 2 nichts anderes vereinbart ist."

Am 31.01.2003 schlossen die Tarifvertragsparteien des Bundesangestelltentarifvertrags (BAT) den Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT, der in § 3 Abs. 2 folgende Regelung enthielt:

"§ 3

(2) Die Angestellten, die im Monat November 2004 Anspruch auf Bezüge aus einem Arbeitsverhältnis haben, das im gesamten Monat November 2004 zu demselben Arbeitgeber besteht, erhalten im Monat November 2004 eine Einmalzahlung in Höhe von 50 €."

Diese Einmalzahlung macht die Klägerin vorliegend geltend.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB gelten die Rechte und Pflichten aus den Tarifverträgen zwischen dem neuen Betriebsinhaber und den Arbeitnehmern individualrechtlich weiter. Die tarifvertraglichen Rechte und Pflichten seien mit dem Inhalt auf das Arbeitsverhältnis transformiert worden, den sie zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs hatten. Der Anspruch auf die Einmalzahlung sei in dem am 01.07.2004 geltenden Tarifvertrag bereits begründet gewesen; lediglich die Fälligkeit sei hinausgeschoben gewesen, so dass die Klägerin diese Zahlung von der Beklagten fordern könne.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 50,00 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, nachdem sie selbst nicht tarifgebunden sei, könne die Klägerin ihre Ansprüche nicht auf einen Tarifvertrag stützen. Auch auf § 613a Abs. 1 S. 2 BGB könne sich die Klägerin nicht berufen, da in dieser Norm der Besitzstandsschutz statisch angelegt sei. Ein Anspruch auf Teilhabe an der dynamischen Fortentwicklung der Tarifregelung lasse sich daraus nicht ableiten. Vielmehr würden die tarifvertraglichen Rechte und Pflichten mit dem Inhalt, den sie zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs hatten, auf das Arbeitsverhältnis transformiert. Zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs am 01.07.2004 habe der Anspruch auf die Einmalzahlung noch nicht bestanden, so dass dieser Anspruch nicht zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und der Beklagten geworden sei.

Wegen des unstreitigen Sachverhalts im Übrigen und des streitigen Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Arbeitsgerichts München vom 14.02.2006, das der Beklagten am 21.02.2006 zugestellt wurde, Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Vergütungstarifvertrag Nr. 35 sei gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien geworden. Dabei sei dieser Vergütungstarifvertrag in dem Zustand in das Arbeitsverhältnis transformiert worden, den er am 01.07.2004 gehabt habe. Damit sei auch der Anspruch auf die Einmalzahlung in Höhe von € 50,00 brutto gemäß § 3 Abs. 2 des Vergütungstarifvertrages Inhalt des Arbeitsverhältnisses der Parteien geworden, da dieser Anspruch bereits am 31.01.2003 entstanden sei. Dass er erst im November 2004 fällig geworden sei, sei nicht maßgeblich.

Gegen dieses Endurteil, in dem die Berufung für die Beklagte zugelassen worden war, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 06.03.2006, der am 07.03.2006 beim Landesarbeitsgericht München eingegangen ist, Berufung eingelegt und zu deren Begründung mit Schriftsatz vom 13.04.2006, eingegangen am 18.04.2006, im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens ausgeführt, das Bundesarbeitsgericht habe in ganz herrschender Rechtsprechung festgestellt, der Bestandsschutz im Rahmen des § 613a BGB sei statisch angelegt. Auch in einem Fall, dass der Tarifvertrag vor dem Betriebsübergang abgeschlossen wurde, aber Regelungen vorsieht, die erst nach dem Betriebsübergang Ansprüche entstehen lassen, könne nichts anderes gelten. Auch in diesem Falle könnten spätere Änderungen des Tarifvertrages nicht mehr zur Anwendung kommen. Ratio der Regelung des § 613a Abs. 1 S. 2 BGB sei es, den Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis übergegangen sei, die Rechte und Pflichten des Tarifvertrages zum Zeitpunkt des Überganges des Betriebes zu erhalten. Da ein solches Recht der Klägerin zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs noch nicht bestanden habe, könne sie es auch nunmehr nicht gegenüber der Beklagten geltend machen.

Die Beklagte beantragt:

I. Das Urteil des Arbeitsgerichts München (21 Ca 2359/05) vom 14.02.2006, zugestellt am 21.02.2006, wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts, indem sie im Wesentlichen ihr erstinstanzielles Vorbringen vertiefend wiederholt.

Wegen des Sachvortrags der Parteien im zweiten Rechtszug im Übrigen wird Bezug genommen auf die Ausführungen der Beklagten in der Berufungsbegründung vom 13.04.2006 sowie auf die Ausführungen der Klägerin in der Berufungserwiderung vom 15.05.2006. Ergänzend wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2a ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 S. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.

Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von bloßen Wiederholungen zunächst Bezug genommen wird (§ 69 Abs. 2 ArbGG), festgestellt, dass die Klägerin Anspruch auf die Einmalzahlung hat. In Hinblick auf die Ausführungen in der Berufung gilt folgendes:

1. Die Klägerin hat gemäß §§ 611, 613a Abs. 1 S. 2 BGB i. V. m. §1 I (1) Manteltarifvertrag für die Beschäftigten des Roten Kreuzes und i. V. m. § 3 Abs. 2 Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT Anspruch auf die Einmalzahlung in Höhe von € 50,00 brutto.

a) Aufgrund beiderseitiger Tarifbindung bemaß sich das Arbeitsverhältnis der Klägerin nach dem Manteltarifvertrag zur Anwendung des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Arbeitgeber geltenden Fassung.

b) Nach § 613a Abs. 1 S. 2 BGB sind die tariflichen Ansprüche der Klägerin transformiert worden und zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden.

c) Allerdings begründet § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB, der die Fortgeltung der Rechtsnormen eines Tarifvertrages als Inhalt des Arbeitsverhältnisses regelt, einen statischen Bestandsschutz im Hinblick auf die zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs geltenden Rechte und Pflichten (vgl. BAG vom 20.06.2001 - 4 AZR 295/00).

Beim rechtsgeschäftlichen Übergang werden gem. § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB die durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags geregelten Rechte und Pflichten Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Betriebsinhaber und dem Arbeitnehmer. § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB stellt lediglich eine Auffangregelung dar. Die Tarifvertragsnormen, die die Arbeitsbedingungen des kongruent tarifgebundenen Arbeitnehmers mit dem vormaligen Betriebsinhaber bis zum Betriebsübergang regelten, können aber eine normative Geltung gem. § 4 Abs. 1 TVG nicht (mehr) beanspruchen, wenn der Betriebserwerber seinerseits nicht an den selben Tarifvertrag gebunden ist (vgl. BAG a.a.O.). Nur wenn dieser Fall vorliegt, greift § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ein. Hiernach werden die tarifvertraglichen normativen Regelungen zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses.

Der Regelungsgehalt der Tarifvertragsnormen geht nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB statisch in das Arbeitsverhältnis über, nämlich in dem Tarifstand bzw. Normenstand, den er zur Zeit des Betriebsübergangs hat. Der Regelungsgehalt wird durch den Betriebsübergang weder in seinem sachlichen Inhalt noch in seinem durch den Tarifstand beschriebenen Geltungsumfang geändert (BAG a.a.O.). Verändert sich allerdings nach dem Betriebsübergang die Tarifnorm, deren Regelung in das Arbeitsverhältnis übergegangen ist, so nimmt die übergegangene Regelung hieran nicht mehr teil (BAG a.a.O.).

d) Wie das Bundesarbeitsgericht mehrfach erklärt hat, enthält § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB eine der Nachwirkung des § 4 Abs. 5 TVG vergleichbare Anordnung (so etwa BAG a.a.O.; BAG vom 21.02.2001 - 4 AZR 18/00). Die gesetzliche Zweckrichtung ist bei Betriebsübergängen einerseits und bei Verbandsaustritt andererseits identisch: Die zwingende Geltung von Tarifnormen entfällt. Waren die Arbeitsbedingungen allein durch solche Tarifnormen geregelt, bleibt - bis zur eventuellen Vereinbarung neuer Bedingungen - allein die Weiterwirkung dieser Tarifnormen, wenn auch in anderer Qualität, für die Regelung der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien (BAG vom 15.10.2003 - 4 AZR 573/02; LAG Nürnberg vom 14.02.2006 - 6 Sa 603/05). Der Arbeitgeber soll sich der Wirkung der Tarifvertragsnormen weder durch Verbandsaustritt noch durch Betriebsübernahme entziehen können, jedenfalls so lange nicht - bei § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB nach Ablauf eines Jahres - die Bedingungen vertraglich oder kollektiv anderweitig festgelegt worden sind. Die Änderungssperre des § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB ersetzt hierbei die zwingende Fortgeltung der Tarifverträge nach § 3 Abs. 3 TVG. Die Arbeitnehmer sollen hinsichtlich der Tarifnormen anlässlich des Betriebsübergangs nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden, als bei einem Verbandsaustritt des Arbeitgebers (vgl. Staudinger/Annuß 2005 § 613a RN. 266 m.w.N.). Die insbesondere von Hohenstatt (vgl. Willemsen/Hohenstatt/Schweibert/Seibt, Umstrukturierung und Übertragung von Unternehmen, 2.Aufl. 2003, E RN. 116) vertretene gegenteilige Ansicht überzeugt nicht. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass mit dem Grundsatz der "Aufrechterhaltung der zum Zeitpunkt des Übergangs geltenden Arbeitsbedingungen" nicht auch solche Normen gemeint sind, die bereits fest im Tarifvertrag vereinbart sind, die keinen Spielraum lassen, die für den Betriebserwerber in ihrer Reichweite erkennbar sind und auf die sich der Betriebserwerber also ähnlich wie auf individuell vereinbarte Regelungen einstellen kann. Aus diesem Grund sind Bedenken hinsichtlich der negativen Koalitionsfreiheit, die das Bundesarbeitsgericht für die vergleichbaren Regelungen der §§ 3 Abs. 3 und 4 Abs. 5 TVG ebenfalls nicht hat, nicht erkennbar. Es geht nicht um die Bindung an künftige Tarifentwicklungen, es geht um die Übernahme von Normen, die im Zeitpunkt des Übergangs bereits bestehen und deren Geltung allein am bisher fehlenden Zeitablauf scheitert. Um eine solche Norm handelt es sich auch vorliegend (vgl. LAG Nürnberg a.a.O.).

2. Nach alldem ist der der Höhe nach unstreitige Anspruch der Klägerin gegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten erweist sich als unbegründet.

III.

Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Ende der Entscheidung

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