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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 13.08.2008
Aktenzeichen: 5 Sa 82/08
Rechtsgebiete: TV-Ärzte/VK


Vorschriften:

TV-Ärzte/VK § 16 Buchst. c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 Sa 82/08

Verkündet am: 13.08.2008

In dem Rechtsstreit

erlässt die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 30. Juli 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Wanhöfer und die ehrenamtlichen Richter Naser und Hofer im Namen des Volkes folgendes Urteil:

Tenor:

1. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 19.12.2007, Az. 4b Ca 5362/07 F, wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

2. Die Revision wird für den Kläger zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe III des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (im Folgenden: TV-Ärzte/VKA) hat.

Die Beklagte stellte den Kläger aufgrund Arbeitsvertrages vom 28.12.2005 ab 01.03.2006 "als Oberarzt" (§ 1 des Arbeitsvertrages, Bl. 16 d.A.) ein. § 2 des Arbeitsvertrages lautet:

"§ 2

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) und dem Besonderen Teil Krankenhäuser (BT-K) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung einschließlich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (§ 1 Abs. 2 TVÜ-VKA). Außerdem finden die im Bereich des Arbeitgebers jeweils geltenden sonstigen einschlägigen Tarifverträge Anwendung."

Der Kläger erhielt ab Beginn des Arbeitsverhältnisses ein Grundgehalt von € x.xxx brutto sowie eine Funktionszulage in Höhe von € xxx brutto.

Mit Schreiben vom 17.01.2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass anstelle des TVöD nunmehr der TV-Ärzte/VKA Anwendung finde und das Arbeitsverhältnis rückwirkend zum 01.08.2006 übergeleitet werde; er werde in die Entgeltgruppe II des TV-Ärzte/VKA eingruppiert und entsprechend vergütet. Dementsprechend erhielt der Kläger ein Gehalt in Höhe von € x.xxx brutto.

Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis sowohl der TV-Ärzte/VKA, wie auch der Tarifvertrag zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern in den TV-Ärzte/VKA und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-Ärzte/VKA), beide vom 17.08.2006, Anwendung finden.

Der TV-Ärzte/VKA sieht für die Eingruppierung folgende Regelungen vor:

"§ 15 Allgemeine Eingruppierungsregelungen

(1) Die Eingruppierung der Ärztinnen und Ärzte richtet sich nach den Tätigkeitsmerkmalen des § 16. Die Ärztin/Der Arzt erhält Entgelt nach der Entgeltgruppe, in der sie/er eingruppiert ist.

(2) Die Ärztin/Der Arzt ist in der Entgeltgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmalen die gesamte von ihr/ihm nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht.

Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Entgeltgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmals oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Entgeltgruppe erfüllen. Kann die Erfüllung einer Anforderung in der Regel erst bei der Betrachtung mehrerer Arbeitsvorgänge festgestellt werden, sind diese Arbeitsvorgänge für die Feststellung, ob diese Anforderung erfüllt ist, insoweit zusammen zu beurteilen. Ist in einem Tätigkeitsmerkmal als Anforderung eine Voraussetzung in der Person des Angestellten bestimmt, muss auch diese Anforderung erfüllt sein.

Protokollerklärung zu § 15 Abs. 2.:

1. Arbeitsvorgänge sind Arbeitsleistungen (einschließlich Zusammenhangsarbeiten), die, bezogen auf den Aufgabenkreis der Ärztin/des Arztes, zu einem bei natürlicher Betrachtung abgrenzbaren Arbeitsergebnis führen (z.B. Erstellung eines EKG). Jeder einzelne Arbeitsvorgang ist als solcher zu bewerten und darf dabei hinsichtlich der Anforderungen zeitlich nicht aufgespalten werden.

2. Eine Anforderung im Sinne des Satzes 2 ist auch das in einem Tätigkeitsmerkmal geforderte Herausheben der Tätigkeit aus einer niedrigeren Entgeltgruppe.

(3) Die Entgeltgruppe der Ärztin/des Arztes ist im Arbeitsvertrag anzugeben.

§ 16 Eingruppierung

Ärztinnen und Ärzte sind wie folgt eingruppiert:

a) Entgeltgruppe I:

Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit.

b) Entgeltgruppe II:

Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit

Protokollerklärung zu Buchst. b:

Fachärztin/Facharzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der aufgrund abgeschlossener Facharztweiterbildung in ihrem/seinem Fachgebiet tätig ist.

c) Entgeltgruppe III: Oberärztin/Oberarzt Protokollerklärung zu Buchst. c: Oberärztin/Oberarzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die medizinische Verantwortung für selbstständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.

d) Entgeltgruppe IV: ..."

Zu § 6 Abs. 2 TVÜ-Ärzte/VKA haben die Tarifvertragsparteien folgende Niederschriftserklärung verfasst:

"Die Tarifvertragsparteien gehen davon aus, dass Ärzte, die am 31. Juli 2006 die Bezeichnung Oberärztin/Oberarzt führen, ohne die Voraussetzung für eine Eingruppierung als Oberärztin/Oberarzt nach § 16 TV-Ärzte/VKA zu erfüllen, die Berechtigung zur Führung ihrer bisherigen Bezeichnung nicht verlieren. Eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe III ist hiermit nicht verbunden."

Der Kläger ist Facharzt für innere Medizin mit Schwerpunkt Kardiologie, ferner ausgebildeter Notfall- und Intensivmediziner.

Der Kläger wurde unter der Bezeichnung Oberarzt von der Beklagten in den Abteilungen Intensivstation, Schlaganfallstation und Lymphangiologie eingesetzt. Diese Stationen sind Teil der medizinischen Abteilung II bei der Beklagten, die vom Chefarzt Dr. M. geleitet wird.

Mit Schreiben vom 02.11.2007 übertrug die Beklagte dem Kläger mit Unterschrift ihres Geschäftsführers "die medizinische Verantwortung für den Funktionsbereich Intensivmedizin innerhalb der Abteilung Kardiologie" (Bl. 165 d.A.). Gleichzeitig gruppierte sie den Kläger in die Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA ein. Das klägerische Gehalt erhöhte sich hierdurch um € xxx brutto. Zum 31.03.2008 beendete der Kläger sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten.

Der Kläger hat erstinstanzlich geltend gemacht, er sei als Oberarzt in die Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA einzugruppieren. Ihm seien auch tatsächlich Aufgaben übertragen worden, die die medizinische Verantwortung für selbständige Teil- und Funktionsbereiche der Klinik beinhalteten. Der Chefarzt Dr. M. habe ihm Ende Mai 2007 die oberärztliche Aufsicht über die Intensivstation, die Schlaganfallstation und die Lymphangiologie übertragen. Der Beklagten sei dies auch bekannt gewesen und er sei dementsprechend in den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen der Oberärzte geführt worden. Im Übrigen dokumentiere die Arbeitszuweisung durch die Beklagte und den Chefarzt die Übertragung der medizinischen Verantwortung. Die Beklagte halte eine Struktur vor, die auf ein Delegieren der Aufgaben und Verantwortung aufbaue. Bereits die Größe des Krankenhauses mache dies erforderlich. Wenn im Rahmen der Struktur Aufgaben vom Chefarzt weiter delegiert würden, was im Übrigen der Geschäftsführung auch bekannt sei, könne sie sich nicht im Nachhinein auf fehlende Ausdrücklichkeit berufen. Die Beklagte verhalte sich widersprüchlich und es liege damit ein Verstoß gegen § 162 BGB vor, wenn einerseits Teilfunktionsbereiche gebildet würden, andererseits nunmehr eine ausdrückliche Übertragung der Verantwortung in Abrede gestellt werde. Eine bestimmte Form der Übertragung sei gerade nicht vorgeschrieben. Hätten die Tarifvertragsparteien eine Regelung gewollt, wie sie die Beklagte zu begründen versuche, so hätte schlicht Schriftform gefordert werden müssen (zum erstinstanzlichen Vorbringen des Klägers im Übrigen wird auf den Schriftsatz vom 16.04.2007, Bl. 1 ff. d.A, sowie vom 14.12.2007, Bl. 88 ff. d.A., jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen).

Der Kläger hat beantragt:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger seit 01.08.2006 Vergütung nach der Entgeltgruppe III gemäß § 16c des TV-Ärzte/VKA zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat sich darauf berufen, dass die Eingruppierungsmerkmale gemäß der Protokollerklärung zu § 16 Buchst. c des TV-Ärzte/VKA beim Kläger nicht vorgelegen hätten.

Die medizinische Verantwortung liege beim Chefarzt Dr. M. Lediglich für die Schlaganfallstation habe man dem neurologischen Oberarzt Dr. H. die fachliche Leitung und medizinische Verantwortung ausdrücklich übertragen. Dementsprechend sei Dr. H. auch in die Entgeltgruppe III eingruppiert worden. Es werde bestritten, dass dem Kläger die medizinische Verantwortung für die Intensivstation, die Schlaganfallstation und die Lymphangiologie übertragen worden sei. Sie habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, die medizinische Gesamtverantwortung allein dem Chefarzt Dr. M. zu übertragen und für die Schlaganfallstation daneben auch dem Oberarzt Dr. H. (zum erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten im Übrigen wird auf den Schriftsatz vom 16.08.2007, Bl. 39 ff. d.A., nebst Anlagen Bezug genommen).

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 19.12.2007, das dem Kläger am 10.01.2008 zugestellt worden ist, die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass es jedenfalls an einer ausdrücklichen Übertragung der medizinischen Verantwortung durch die Beklagte im Sinne der Protokollerklärung zu § 16 Buchst. c fehle (zur Begründung des Arbeitsgerichts im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 19.12.2007, Bl. 105 ff. d.A., Bezug genommen).

Mit seiner am 28.01.2008 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung hält der Kläger an seiner Rechtsauffassung fest, dass die Beklagte ihn in die Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA hätte eingruppieren müssen. Sein Tätigkeitsbereich ergebe einen selbständigen Teil- bzw. Funktionsbereich. Ihm sei die medizinische Verantwortung übertragen worden; das zeige sich schon daran, dass sich die Tätigkeitszuweisung und das Verantwortungsprofil nach dem 01.11.2007 gegenüber zuvor in keinster Weise geändert habe. Ihm seien weder Aufgaben entzogen, noch neue Aufgaben zugewiesen worden. Bereits aus dem erstinstanzlichen Vortrag habe sich die vom Arbeitsgericht als relevant angesehene "Ausdrücklichkeit" ergeben. Er habe vorgetragen, dass ihm der Chefarzt Dr. M. die oberärztliche Aufsicht über die Intensivstation, die Schlaganfallstation und die Lymphangiologie übertragen habe und dies der Beklagten auch bekannt gewesen und er dementsprechend in den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen der Oberärzte geführt worden sei. Die tarifvertragliche Regelung lasse eine Wertung, wie vom Arbeitsgericht vorgenommen, nicht zu. Der Tarifvertrag sei nicht dahingehend auszulegen, dass ein förmlicher Bestellungsakt durchzuführen sei; es komme ausschließlich auf die Übertragung der entsprechenden Aufgaben an. Unabhängig von einer Übertragung der medizinischen Verantwortung habe die Beklagte und insbesondere der Geschäftsführer Dr. O. selbst um die Vorgehensweise in der Klinik gewusst. Dieser habe den täglichen Ablauf und den Betrieb so strukturiert, dass eine Weitergabe der medizinischen Verantwortung nicht nur möglich, sondern vor allem auch notwendig sei. Die Beklagte verhalte sich widersprüchlich, wenn sie vor diesem Hintergrund eine fehlende Ausdrücklichkeit geltend mache. Die Tarifvertragsparteien hätten beabsichtigt, die schleichende Bildung von selbständigen Teil- oder Funktionsbereichen und die schleichende Übertragung der medizinischen Verantwortung für einen derartigen Bereich zu verhindern. Diese Gefahr bestehe vorliegend aufgrund der Organisation und Kenntnis der Beklagten um die Aufgabenzuweisung nicht. Die Letztverantwortung sei ebenso wenig wie die Weisungsfreiheit des Oberarztes Voraussetzung nach dem Tarifvertrag. Schließlich sei es für eine "ausdrückliche Übertragung" ausreichend, wenn aus den Umständen, beispielsweise dem Organigramm oder den Dienstplänen hervorgehe, dass die Zuständigkeit für einen Teilbereich zugewiesen sei (zur Berufungsbegründung im Einzelnen wird auf die klägerischen Schriftsätze vom 07.04.2008, Bl. 153 ff. d.A., und 17.07.2008, Bl. 199 ff. d.A., jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen).

Der Kläger beantragt:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 19.12.2007, Az. 4b Ca 5362/07 F, abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 12.940,00 brutto zuzüglich Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 1.040,00 brutto seit 01.09.2007, € 850,00 brutto seit 01.10.2007, € 850,00 brutto seit 01.11.2007, € 850,00 brutto seit 01.12.2007, € 850,00 brutto seit 01.01.2008, € 850,00 brutto seit 01.02.2008, € 850,00 brutto seit 01.03.2008, € 850,00 brutto seit 01.04.2008, € 850,00 brutto seit 01.05.2008, € 850,00 brutto seit 01.06.2008, € 850,00 brutto seit 01.07.2008, € 850,00 brutto seit 01.08.2008, € 850,00 brutto seit 01.09.2008, € 850,00 brutto seit 01.10.2008, sowie € 850,00 brutto seit 01.11.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und führt aus, mit der Übertragung der medizinischen Verantwortung für den Funktionsbereich "Intensivmedizin" mit Schreiben vom 02.11.2007 sei ein neuer Funktionsbereich innerhalb der medizinischen Abteilung II geschaffen worden. Zuvor habe die medizinische Abteilung II keinen Funktionsbereich "Intensivmedizin" gehabt. Der Kläger sei vor der Übertragung durch die Beklagte auf der interdisziplinären Intensivstation eingesetzt gewesen und habe dort kardiologische Patienten betreut. Ab dem Zeitpunkt der Übertragung sei der Kläger in vollem Umfang organisatorisch verantwortlich für den Funktionsbereich "Intensivmedizin" geworden. Vor der Übertragung am 02.11.2007 habe der Kläger nicht die medizinische Verantwortung für die Intensivstation, Schlaganfallstation und Lymphangiologie innegehabt, denn dem Chefarzt Dr. M. habe die Leitung des internistischen Teils der Intensivstation oblegen. Für die Schlaganfallstation sei dem Oberarzt Dr. H. die medizinische Verantwortung ausdrücklich übertragen gewesen. Insbesondere sei an den Kläger keine ausdrückliche Übertragung der medizinischen Verantwortung für einen selbständigen Teil- oder Funktionsbereich erfolgt. Der Chefarzt habe hierfür keine Befugnis gehabt. Überdies werde mit Nichtwissen bestritten, dass eine ausdrückliche Übertragung der medizinischen Verantwortung durch den Chefarzt erfolgt sei; von einer solchen Übertragung habe die Beklagte als Arbeitgeberin keine Kenntnis gehabt. Das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass es einer ausdrücklichen Übertragung der medizinischen Verantwortung durch den Arbeitgeber bedurft habe. Damit hätten die Tarifvertragsparteien deutlich gemacht, dass die Übertragung dieser Aufgabe der ausdrücklichen Anordnung des zuständigen Organs des jeweiligen Arbeitgebers bedürfe (zur Berufungserwiderung im Einzelnen wird auf den Beklagtenschriftsatz vom 08.05.2008, Bl. 182 ff. d.A., sowie vom 23.07.2008, Bl. 207 ff. d.A., jeweils nebst Anlagen, Bezug genommen).

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass beim Kläger die tariflichen Voraussetzungen der Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA nicht vorgelegen haben. Bis einschließlich 31.10.2007 fehlt es jedenfalls an einer "ausdrücklichen" Übertragung der medizinischen Verantwortung für selbständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik oder Abteilung durch die Beklagte.

Dabei hatte das Arbeitsgericht über eine zulässige Eingruppierungsfeststellungsklage zu entscheiden; das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz (19.12.2007) noch.

Da der Kläger - mit Ablauf des 31.03.2008 - zwischenzeitlich aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist und damit angesichts der Bezifferbarkeit der ausschließlich in der Vergangenheit liegenden Nachzahlungsbeträge das Feststellungsinteresse entfällt, entscheidet das Landesarbeitsgericht über den im Wege zulässiger Klageänderung (§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 264 Nr. 2 ZPO) nunmehr gestellten Zahlungsantrag, ohne dass sich in der Beurteilung der dem Streit zugrunde liegenden Rechtsfragen etwas ändert.

1. Der Kläger beruft sich zur Begründung seiner Klage darauf, dass sich sein Vergütungsanspruch aus einer Eingruppierung in die Entgeltgruppe III des § 16 TV-Ärzte/ VKA ergibt. Ohne dass von den Parteien näher ausgeführt wird, ob das auf einer unmittelbaren Anwendbarkeit des Tarifvertrages, einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel, einer wie auch immer hergestellten Einigung oder anderen Gründen beruht, ist zwischen ihnen unstreitig, dass es für die Vergütung des Klägers auf die tariflichen Voraussetzungen des § 16 TV-Ärzte/VKA ankommt.

2. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des BAG den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können weitere Kriterien wie Tarifgeschichte, praktische Tarifübung und Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrags ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge berücksichtigt werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Lösung führt (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG vom 19.09.2007 - 4 AZR 670/06, NZA 2008, Seite 950 mit weiteren Nachweisen).

3. Für § 16 des TV-Ärzte/VKA ist zunächst einmal festzustellen, dass die in den Protokollerklärungen genannten Voraussetzungen Bestandteil des seinem Inhalt nach auszulegenden Tarifvertrages sind.

Protokollnotizen normsetzender Parteien haben unterschiedliche Bedeutung. Protokollnotizen von Tarifvertragsparteien können eigenständige tarifliche Regelungen darstellen, können aber auch lediglich den Charakter einer authentischen Interpretation des Tarifvertrags oder eines bloßen Hinweises auf Motive der Vertragsschließenden haben. Welcher rechtliche Status ihnen zu kommt, ist durch Auslegung zu ermitteln (BAG vom 02.10.2007 - 1 AZR 815/06, NZA - RR 2008, Seite 242).

Hier sind die Protokollnotizen zum einen unmittelbar in den Tariftext selbst aufgenommen (vgl. BAG vom 19.09.2007, a.a.O. unter III.b.aa am Ende). Zum anderen enthalten sie definitorische Voraussetzungen, die die tarifvertraglich verwendeten Begriffe wie "Fachärztin/Facharzt" (§ 16 Buchst. b TV-Ärzte/ VKA) und "Oberärztin/Oberarzt" (§ 16 Buchst. c TV-Ärzte/VKA) erst ausfüllen. Damit sind die Protokollerklärungen hier nicht nur Auslegungsregeln für Zweifelsfälle, also etwa dann, wenn eine ausdrückliche arbeitsvertragliche Festlegung der Oberarztfunktion oder ein Ernennungsschreiben fehlt, sondern eine eigenständige Definition, Konkretisierung und Festlegung der genannten Oberbegriffe im Tarifsinne. Dementsprechend gehen die Tarifvertragsparteien in der Niederschriftserklärung zu § 6 Abs. 2 des TVÜ-Ärzte/VKA davon aus, dass ein Arzt die Bezeichnung "Oberärztin/Oberarzt" führen kann, ohne die Voraussetzung für eine Eingruppierung als Oberärztin/Oberarzt nach § 16 TV-Ärzte/VKA zu erfüllen. Allein mit der Führung dieser Bezeichnung sei eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe III nicht verbunden.

4. Das Arbeitsgericht hat zu Recht entschieden, dass es beim Kläger - jedenfalls vor dem 01.11.2007 - an einer "ausdrücklichen Übertragung" der medizinischen Verantwortung für selbständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung durch die Beklagte fehlt.

Nach dem in erster Linie maßgeblichen Wortsinn meint eine "ausdrückliche Übertragung" eine Übertragung, der mündlich oder schriftlich Ausdruck verliehen wird und die jedenfalls nicht lediglich faktisch oder schleichend erfolgen darf (LAG Düsseldorf vom 21.02.2008 - 15 Sa 1617/07; ArbG Regensburg vom 02.04.2008 - 5 Ca 2710/07; Wahlers, Die Eingruppierung der Oberärzte nach dem neuen TV-Ärzte und TV-Ärzte/VKA, PersV 2008, Seite 204, 206; Anton, Oberarzt - Titel und Eingruppierung, ZTR 2008, Seite 184, 188; - vgl. auch Duden, Das große Wörterbuch der Deutschen Sprache, "ausdrücklich": mit Nachdruck, unmissverständlich; vgl. auch BAG vom 25.02.1987 - 4 AZR 217/86, das in einem anderen tariflichen Zusammenhang zur tariflichen Voraussetzung einer "ausdrücklichen Anordnung" annimmt, dass es hinsichtlich der zu übertragenden Kompetenz einer eindeutigen Klarstellung bedürfe und dies nicht allein der tatsächlichen bzw. medizinischen Disposition des leitenden Arztes überlassen bleiben dürfe).

Durch die konstitutive Voraussetzung der "ausdrücklichen" Übertragung grenzt sich der Tarifwortlaut von der typischeren Gestaltung in Entgelttarifverträgen ab, in denen auf die tatsächliche Übertragung tariflich bewerteter Tätigkeiten abgestellt wird. Die arbeitgeberseitige Eingruppierung wäre in diesen Fällen der übliche feststellende Akt, bei dem lediglich danach gefragt wird, ob der Arbeitnehmer nach der von ihm auszuübenden Tätigkeit die Tätigkeitsmerkmale einer bestimmten Vergütungsgruppe erfüllt. Letzteres haben die Tarifvertragsparteien aber offensichtlich nicht gewollt (LAG Düsseldorf vom 21.02.2008 - 15 Sa 1617/07).

Das ergibt sich schon daraus, dass die auf Gewerkschaftsseite tarifschließende Partei des TV-Ärzte/VKA, der Marburger Bund, neben dem hier streitgegenständlichen Tarifvertrag - teilweise im engen zeitlichen Zusammenhang - weitere Tarifverträge ausgehandelt und abgeschlossen hat, die ebenfalls Klauseln über die Eingruppierung von Oberärzten enthalten. Der Wortlaut dieser Klauseln ist mit § 16 Buchst. c TV-Ärzte/VKA sowie der dazugehörigen Protokollerklärung weitgehend deckungsgleich, allerdings ist dort im Zusammenhang mit der Übertragung medizinischer Verantwortung nur davon die Rede, dass diese "vom Arbeitgeber übertragen" sein muss, wobei der Zusatz "ausdrücklich" gerade fehlt. Beispielhaft sei verwiesen auf den Tarifvertrag für die Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken vom 30.10.2006 (TV-Ärzte), der das Merkmal der Ausdrücklichkeit nicht enthält, im Übrigen aber inhaltlich nahezu identisch ist.

Im Übrigen verzichtet der TV-Ärzte/VKA im Zusammenhang mit der Übertragung bestimmter Tätigkeiten an anderer Stelle auf das Merkmal der "Ausdrücklichkeit", so bei der vorübergehenden Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit (§ 17 TV-Ärzte/VKA) und der Übertragung einer Führungsposition (§§ 32, 33 TV-Ärzte/VKA).

5. Mit der Frage, wie es zu beurteilen wäre, wenn der Chefarzt Dr. M. dem Kläger ausdrücklich die medizinische Verantwortung für einen selbständigen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik bzw. Abteilung übertragen hätte, muss sich die Kammer nicht weiter auseinander setzen. Vielfach wird hierzu die Auffassung vertreten, dass für eine derartige Übertragung eine Entscheidung des zuständigen Organs des jeweiligen öffentlichen Arbeitgebers, im Bereich eines rechtlich verselbständigten Klinikums in der Regel der Klinikumsgeschäftsführung als gesetzlichem Vertreter, die auch die Gesamtverantwortung für die Wirtschaftlichkeit des Klinikums trägt, notwendig ist (Wahlers, a.a.O., Seite 206; vgl. auch BAG vom 25.10.1995 - 4 AZR 479/94, NZA 1996, Seite 710).

Der Kläger hat nicht substantiiert vorgetragen, dass ihm vom Chefarzt Dr. M. dergestalt Verantwortung übertragen worden ist, dass von einer ausdrücklichen Übertragung im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs und der Auslegung des Tarifvertrages (vgl. oben) ausgegangen werden kann.

Der Kläger hat, obwohl das Arbeitsgericht in seiner Urteilsbegründung nahezu ausschließlich auf das Merkmal der "Ausdrücklichkeit" abgestellt hat, in seiner Berufungsbegründung den hierzu unsubstantiierten erstinstanzlichen Vortrag im Wortlaut wiederholt.

Nach dem Verständnis der Kammer vom Inhalt des Tarifvertrages kommt es nicht darauf an, dass der Kläger faktisch aufgrund seiner organisatorischen Einbindung medizinische Verantwortung getragen hat, sondern dass auch ein nach außen wahrnehmbarer Übertragungsakt, eben eine "ausdrückliche" Übertragung, stattgefunden hat. Hierzu hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung unter Bezugnahme auf seinen erstinstanzlichen Vortrag wörtlich ausgeführt: "Herr Dr. M. hat dem Kläger Ende Mai 2007 - (richtiger Weise: Ende Mai 2006) - die oberärztliche Aufsicht über die Intensivstation, die Schlaganfallstation und die Lymphangiologie übertragen. Der Beklagten war dies auch bekannt und der Kläger wurde dementsprechend in den jeweiligen Zuständigkeitsbereichen der Oberärzte geführt."

Dieser Vortrag greift allenfalls im Behauptungsstile die Übertragung "oberärztlicher Aufsicht" auf, enthält aber keinen Tatsachenvortrag, der es erlauben würde, die Frage einer ausdrücklichen Übertragung medizinischer Verantwortung im Tarifsinne näher zu prüfen und - soweit streitig - hierzu Beweis zu erheben. Unschädlich ist es deshalb, dass die Beklagte dies mit Nichtwissen bestreitet, was bei einem entsprechend konkreten Vortrag des Klägers nach § 138 Abs. 2 und 4 ZPO möglicherweise deshalb unzulässig wäre, weil sie sich die Kenntnis des Chefarztes Dr. M. zurechnen lassen müsste.

6. Schließlich sind auch die Voraussetzungen nach § 162 Abs. 1 BGB (analog) nicht gegeben. Die Beklagte hat nicht wider Treu und Glauben verhindert, dass das geforderte Tarifmerkmal eintritt.

Insbesondere kann die Beklagte den Krankenhausbetrieb so organisieren, wie sie es für angemessen und zweckdienlich hält und in diesem Zusammenhang auch den medizinischen Verantwortungsbereich im tariflichen Sinne abstecken (vgl. BAG vom 25.02.1987 - 4 AZR 217/86). Tarifrechtlich betrachtet hat die Beklagte von Handlungsoptionen Gebrauch gemacht, die ihr der Tarifvertrag eröffnet. Schon im Hinblick auf die Tarifautonomie ist äußerste Zurückhaltung geboten, als unbillig empfundene Ergebnisse mit Hinweis auf Treu und Glauben zu korrigieren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Revision wird für den Kläger zugelassen, § 72 Abs. 1 ArbGG.

Ende der Entscheidung

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