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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 28.06.2005
Aktenzeichen: 5 TaBV 46/05
Rechtsgebiete: BetrVG


Vorschriften:

BetrVG § 111
BetrVG § 113
Kein Anspruch des Betriebrates auf Unterlassung von Kündigungen bis zum Abschluss der Verhandlung über einen Interessenausgleich.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS

5 TaBV 46/05

Verkündet am: 28. Juni 2005

In dem Beschlussverfahren

hat die Fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der Anhörung vom 28. Juni 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Wolff sowie die ehrenamtlichen Richter Potthast und Krause für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Beschwerde des Betriebsrats wird zurückgewiesen.

II. Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin hin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg vom 24.06.2005 - 3 BVGa 5/05 - abgeändert.

Die Anträge des Betriebsrats werden abgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist begründet.

Der Betriebsrat hat keinen (Verfügungs-)Anspruch gegen die Arbeitgeberin auf Unterlassung der Kündigung konkret bezeichneter Arbeitnehmer bis zum Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich.

Die Kammer folgt insoweit der Rechtsprechung des Beschwerdegerichts (2 TaBV 19/03 vom 03.04.2003) sowie der Beschwerdekammer (5 TaBV 48/03 vom 24.09.2003).

1. Es ist seit jeher streitig, ob dem Betriebsrat ein Anspruch auf Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen zusteht, die zur Durchführung einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG ausgesprochen werden sollen (vgl. die Nachweise bei ErfK/Kania 5. Aufl. § 111 BetrVG Rn. 24). Ein solcher Anspruch besteht nach Auffassung der Beschwerdekammer nicht, da für den vom Betriebsrat geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung von Kündigungen eine Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich ist. Das Betriebsverfassungsgesetz begründet keinen solchen Unterlassungsanspruch. Das Betriebsverfassungsgesetz kann auch nicht im Sinne eines solchen Anspruchs ausgelegt werden.

2. Das Bundesarbeitsgericht hat zwar im Wege der Auslegung des § 87 BetrVG einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung gem. § 87 BetrVG mitbestimmungswidriger Maßnahmen anerkannt (vgl. BAG vom 03.05.1994 = AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972). Aus der Begründung dieses vorgenannten allgemeinen Unterlassungsanspruchs ergibt sich aber zugleich, dass der streitgegenständliche Anspruch auf Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen nicht anerkannt werden kann. Das Bundesarbeitsgericht hat zur Begründung des Anspruchs auf Unterlassung gem. § 87 BetrVG mitbestimmungswidriger Maßnahmen angeführt, dass Maßnahmen, die gemäß § 87 BetrVG der so genannten erzwingbaren Mitbestimmung unterliegen, "der Arbeitgeber nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nur mit Zustimmung des Betriebsrats durchführen können" solle, dass ein hinreichender Schutz "des erzwingbaren Mitbestimmungsrechts bis zum ordnungsgemäßen Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens" ohne die Anerkennung eines Anspruchs auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen nicht gewährleistet sei und dass nichts dafür spreche, § 87 BetrVG als abschließende Regelung - ohne einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrates - im Sinne einer vom Gesetzgeber gewollten Schutzlücke anzusehen sei (vgl. BAG a.a.O.).

Dementsprechend kommt ein Anspruch des Betriebsrates auf Unterlassung von Kündigungen schon deswegen nicht in Betracht, weil die Rechte des Betriebsrats in Bezug auf Kündigungen von Arbeitsverhältnissen abschließend in § 102 BetrVG geregelt sind und diese Regelungen anders als § 87 BetrVG gerade kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in Bezug auf Kündigungen von Arbeitsverhältnissen enthält.

Somit hat der Betriebsrat auch keinen Anspruch auf Unterlassung von betriebsbedingten Kündigungen, die zur Durchführung einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG ausgesprochen werden sollen. Ein solcher Anspruch kann auch nicht auf den Anspruch des Betriebsrates auf Beratung bzw. Verhandlung eines Interessenausgleichs über die geplante Betriebsänderung gem. §§ 111 ff. BetrVG gestützt werden. Denn auch dieser Anspruch begründet ausweislich der §§ 112 ff. BetrVG gerade kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die geplante Betriebsänderung und schon gar nicht in Bezug auf betriebsbedingte Kündigungen zur Durchführung einer solchen Betriebsänderung. Ganz im Gegenteil schließt § 113 Abs. 3 BetrVG einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung solcher Kündigungen aus, weil sich aus dieser Vorschrift ergibt, dass betriebsbedingte Kündigungen, die der Arbeitgeber zur Durchführung eine Betriebsänderung ausspricht, "ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben", nicht allein aus diesem Grunde - wie die gem. § 87 BetrVG mitbestimmungswidrigen, die Arbeitnehmer belastenden Maßnahmen - unwirksam sind (LAG München 5 TaBV 48/03). Trotz des Fehlens eines solchen Unwirksamkeitsgrundes einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung einer zur Durchführung einer Betriebsänderung beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung anzuerkennen, wäre ein so gravierender Wertungswiderspruch, dass er dem Gesetzgeber nicht ernsthaft unterstellt werden kann. Dieser Wertungswiderspruch kann auch nicht mit dem Argument aufgelöst werden, dass § 113 Abs. 3 BetrVG einen individualrechtlichen Anspruch der Arbeitnehmer begründe, während es sich bei dem streitigen Unterlassungsanspruch um einen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch handele. Denn der Beratungs- bzw. Verhandlungsanspruch des Betriebsrats, auf den der streitige Unterlassungsanspruch gestützt werden soll, bezweckt nur die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen, deren Regelung bei Anerkennung des streitigen Unterlassungsanspruchs eben grob widersprüchlich wäre (vgl. LAG München a.a.O.; Richardi/Annus, BetrVG, 8. Aufl., § 111 Rn. 168).

3. Diese Auslegung ist auch mit der Richtlinie 98/59 EG vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen vereinbar.

Zwar hat der EuGH in der Entscheidung vom 27.01.2005 (C-188/03) unter den Nummern 40-45 entschieden, dass der Arbeitgeber Arbeitsverträge nicht kündigen darf, bevor er u.a. das Konsultationsverfahren im Sinne des Art. 2 der Richtlinie erfüllt hat. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass der Betriebsrat sich gegen einen Verstoß der Arbeitgeberin gegen die Konsultationsverpflichtung aus Art. 2 der Richtlinie zwangsläufig mit einem Unterlassungsausspruch wehren können muss. Nach Art. 6 der Richtlinie ist der nationale Gesetzgeber verpflichtet, dafür zu sorgen, dass den Arbeitnehmervertretern und/oder den Arbeitnehmern administrative und/oder gerichtliche Verfahren zur Durchsetzung der Verpflichtungen gemäß dieser Richtlinie zur Verfügung stehen. Das heißt jedoch nicht, dass sowohl dem Betriebsrat als auch den betroffenen Arbeitnehmern Möglichkeiten zur Durchsetzung der Verpflichtungen aus der Richtlinie eingeräumt werden müssen. Es reicht aus, wenn entweder den Betriebsräten oder den Arbeitnehmern solche Möglichkeiten eingeräumt werden.

Der deutsche nationale Gesetzgeber hat als Sanktion in § 113 Abs. 3 BetrVG den Anspruch auf Nachteilsausgleich für die einzelnen Arbeitnehmer geregelt. Wenn demnach der Betriebsrat keine (ausreichende) Gelegenheit hat, vor Ausspruch von Kündigungen im Wege der Konsultationen mit dem Arbeitgeber auf die Vermeidung oder wenigstens Begrenzung der Nachteile für die betroffenen Mitarbeiter hinzuwirken, so sollen diese Arbeitnehmer im Falle einer Kündigung selbst einen Anspruch auf Nachteilsausgleich haben. Auch wenn es sich hierbei um einen Individualanspruch der betroffenen Arbeitnehmer handelt, so ist dies doch die im Gesetz vorgesehene Sanktion für den Fall, dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung, mit dem Betriebsrat über einen Interessenausgleich zu verhandeln, nicht nachkommt.

Daneben ist als weitere Sanktion denkbar, im Lichte der Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005 die Wirksamkeit von Kündigungen in Zweifel zu ziehen, die vor Abschluss der Konsultationen, d.h. vor Abschluss der Verhandlungen über einen Interessenausgleich ausgesprochen werde (vgl. Wißmann, RdA 1998, 227). Zumindest dann wäre dem Erfordernis einer hinreichend wirksamen, verhältnismäßigen und ausreichenden Sanktion (EuGH 08.06.1994 - C-383/92) Genüge getan.

II.

Nachdem dem Betriebsrat ein Anspruch auf Unterlassung von Kündigungen nicht zusteht, ist seine Beschwerde unbegründet.

III.

Dieser Beschluss ist gem. § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG i.V.m. § 85 Abs. 2 ArbGG unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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