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Gericht: Landesarbeitsgericht München
Beschluss verkündet am 24.09.2003
Aktenzeichen: 5 TaBV 48/03
Rechtsgebiete: BetrVG
Vorschriften:
BetrVG § 111 |
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES BESCHLUSS
Verkündet am: 24. September 2003
In dem Beschlussverfahren
hat die fünfte Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der Anhörung vom 24. September 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Bachmann sowie die ehrenamtlichen Richter Handel und Helmprecht beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 29.07.2003 - 20 BVGa 40/03 - wird zurückgewiesen.
Gründe:
Die Beschwerde ist unbegründet.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats, dem Arbeitgeber durch einstweilige Verfügung betriebsbedingte Kündigungen wegen der geplanten Betriebsteilstilllegung zu verbieten, zu Recht abgewiesen. Das Arbeitsgericht hat diese Entscheidung auch zu Recht damit begründet, dass es für das beantragte Verbot, "Arbeitsverträge von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG aus betriebsbedingten Gründen zu kündigen, solange nicht Verhandlungen über einen Interessenausgleich aus Anlass der Schließung des Betriebes beendet sind oder eine Einigungsstelle festgestellt hat, dass die Verhandlungen über einen Interessenausgleich aus Anlass der Schließung des Betriebes gescheitert sind", keine Anspruchsgrundlage gebe. Der vom Betriebsrat geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen ist mangels Anspruchsgrundlage unbegründet.
Allerdings ist seit jeher streitig, ob dem Betriebsrat ein Anspruch auf Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen zusteht, die zur Durchführung einer Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG ausgesprochen werden sollen (vgl. etwa die Nachweise bei HdBVR-Baur 3. Aufl. Rn. 341 a ff.). In diesem Streit haben auch die Prozessbevollmächtigten des vorliegenden Beschlussverfahrens Stellung bezogen (vgl. einerseits (Stevens-Bartol/Seebacher AiB 2003, 356 ff.; andererseits ErfK/Hanau/Kania 3. Aufl. § 111 BetrVG Rn. 24). Nach Auffassung der Beschwerdekammer gibt es jedenfalls für den vom Betriebsrat geltend gemachten Anspruch auf Unterlassung von Kündigungen keine Anspruchsgrundlage. Das BetrVG begründet keinen solchen Unterlassungsanspruch. Das BetrVG kann auch nicht im Sinne eines solchen Anspruchs ausgelegt oder gar fortgebildet werden.
Das Bundesarbeitsgericht hat zwar im Wege der Auslegung des § 87 BetrVG einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung gemäß § 87 BetrVG mitbestimmungswidriger Maßnahmen anerkannt (vgl. grdl. BAG 03.05.1994 AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 23; ferner 06.12.1994 AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 24; 23.07.1996 AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 68). Aus der Begründung dieses so genannten allgemeinen Unterlassungsanspruchs ergibt sich aber zugleich, dass der streitgegenständliche Anspruch auf Unterlassung betriebsbedingter Kündigungen nicht anerkannt werden kann. Das Bundesarbeitsgericht hat zur Begründung des Anspruchs auf Unterlassung gemäß § 87 BetrVG mitbestimmungswidriger Maßnahmen angeführt, dass Maßnahmen, die gemäß § 87 BetrVG der so genannten erzwingbaren Mitbestimmung unterliegen, "der Arbeitgeber nach dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers nur mit Zustimmung des Betriebsrats durchführen können" solle, dass ein hinreichender Schutz "des erzwingbaren Mitbestimmungsrechts bis zum ordnungsgemäßen Abschluss des Mitbestimmungsverfahrens" ohne die Anerkennung eines Anspruchs auf Unterlassung mitbestimmungswidriger Maßnahmen nicht gewährleistet sei und dass nichts dafür spreche, § 87 BetrVG als abschließende Regelung - ohne einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats - im Sinne einer vom Gesetzgeber gewollten Schutzlücke anzusehen (vgl. BAG 03.05.1994 und 23.07.1996 aaO).
Dementsprechend kommt ein Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung von Kündigungen schon deswegen nicht in Betracht, weil die Rechte des Betriebsrats in Bezug auf Kündigungen von Arbeitsverhältnissen abschließend in § 102 BetrVG geregelt sind und diese Regelung anders als § 87 BetrVG gerade kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in Bezug auf Kündigungen von Arbeitsverhältnissen enthält.
Dementsprechend hat der Betriebsrat auch keinen Anspruch auf Unterlassung von betriebsbedingten Kündigungen, die zur Durchführung einer Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG ausgesprochen werden sollen. Ein solcher Anspruch kann auch nicht auf den Anspruch des Betriebsrats auf Beratung bzw. Verhandlung eines Interessenausgleichs über die geplante Betriebsänderung gemäß §§ 111 f. BetrVG gestützt werden. Denn auch dieser Anspruch begründet ausweislich der §§ 112 ff. BetrVG gerade kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht in Bezug auf die geplante Betriebsänderung und schon gar nicht in Bezug auf betriebsbedingte Kündigungen zur Durchführung einer solchen Betriebsänderung. Ganz im Gegenteil schließt § 113 Abs. 3 BetrVG einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung solcher Kündigungen aus, weil sich aus dieser Vorschrift ergibt, dass betriebsbedingte Kündigungen, die der Arbeitgeber zur Durchführung einer Betriebsänderung ausspricht, "ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben", nicht allein aus diesem Grunde - wie die gemäß § 87 BetrVG mitbestimmungswidrigen die Arbeitnehmer belastenden Maßnahmen - unwirksam sind. Trotz des Fehlens eines solchen Unwirksamkeitsgrundes einen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung einer zur Durchführung einer Betriebsänderung beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung anzuerkennen, wäre ein so krasser Wertungswiderspruch, dass er dem Gesetzgeber nicht ernsthaft unterstellt werden kann. Dieser Wertungswiderspruch kann entgegen der Auffassung des Betriebsrats auch nicht mit dem Argument aufgelöst werden, dass § 113 Abs. 3 BetrVG einen individualrechtlichen Anspruch des Arbeitnehmers begründe, während es sich bei dem streitigen Unterlassungsanspruch um einen betriebsverfassungsrechtlichen Anspruch handele. Denn der Beratungs- bzw. Verhandlungsanspruch des Betriebsrats, auf den der streitige Unterlassungsanspruch gestützt werden soll, bezweckt nur die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen, deren Regelung bei Anerkennung des streitigen Unterlassungsanspruchs eben krass widersprüchlich wäre (vgl. Richardi/Annuß BetrVG 8. Aufl. § 111 Rn. 168).
Aus den selben Gründen kann auch der Hilfsantrag keinen Erfolg haben.
Den möglicherweise noch bestehenden Beratungs- bzw. Verhandlungsanspruch selbst hat der Betriebsrat auffälligerweise gar nicht durchzusetzen versucht.
Dieser Beschluss ist gemäß § 92 Abs. 1 Satz 3 ArbGG unanfechtbar.
Ende der Entscheidung
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