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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 02.09.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 1153/07
Rechtsgebiete: BetrVG, BGB


Vorschriften:

BetrVG § 103
BGB § 611
BGB § 615
Der Kläger als Sachbearbeiter und stellvertretender Referatsleiter bei der Beklagten ist kein Tendenzträger. Bei seiner Kündigung ist der Betriebsrat zu beteiligen.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 1153/07

Verkündet am: 2. September 2008

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 02.09.2008 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Hagn und Steiner für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 20. November 2007 in den Ziffern 2., 3. und 4. abgeändert.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 122.433,45 brutto nebst 5 % Zinsen hieraus seit

8. Januar 2003 aus € 17.817,44,

23. Dezember 2003 aus weiteren € 25.289,87,

4. Januar 2005 aus weiteren € 21.450,96,

3. Januar 2006 aus weiteren € 25.040,40,

4. Januar 2007 aus weiteren € 32.834,78

zu bezahlen.

3. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Für den Beklagten wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Arbeitgeberkündigung in Verbindung mit Entgeltansprüchen aus Annahmeverzug.

Der im August 1953 geborene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist Dipl.-Soziologe und auf der Grundlage des Dienstvertrages vom 31. März 1981 (Blatt 7/8 der Akte) in Verbindung mit der Zusatzvereinbarung vom 26. Juni 1987 (Blatt 11 der Akte) zum 1. April 1981 in die Dienste des Beklagten getreten. Sein Arbeitsvertrag nimmt Bezug auf den Bundes-Angestelltentarifvertrag und die diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträge. Der Kläger erzielte zuletzt eine monatliche Vergütung gemäß der VergGr. III BAT in Höhe von DM ... brutto. Er war eingesetzt als Sachbearbeiter, stellvertretender Referent im Referat ... des I. ... für ... zuständig gewesen. Nach einer für seinen Arbeitsplatz erstellten "Tätigkeitsdarstellung und -bewertung" vom 18./24. Juli 1997 (Blatt 88 bis 91 der Akte) gehörten zu seinen Aufgaben die Projektbeantragung, die Projektdurchführung, die Besucherbetreuung, die Organisation von Bildungsveranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland und die Vertretung des Referenten.

Arbeitgeber ist eine parteinahe politische Stiftung, organisiert in der Form eines eingetragenen Vereins. Seine Organisation, die allgemeinen dienstrechtlichen Vorschriften und der Geschäftsgang ergeben sich aus seiner Geschäftsordnung. Darin heißt es u.a.

§ 4

Leiter der Abteilungen

1. Der Leiter einer Abteilung ist für die Angelegenheit seiner Abteilung verantwortlich, er lenkt und überwacht die Tätigkeit der zu seiner Abteilung gehörenden Referate, unterrichtet und unterstützt den Geschäftsführer.

2. Im Rahmen der laufenden Geschäfte der Abteilung ist er befugt, Verträge abzuschließen. Im Einvernehmen mit dem Geschäftsführer kann er Dienstanweisungen für seine Abteilung erlassen.

3. Soweit Entscheidungen des Geschäftsführers die Angelegenheit einer Abteilung berühren, ist der Leiter der Abteilung zu hören.

4. Der Leiter der Abteilung soll eine abgeschlossene wissenschaftliche Ausbildung oder aufgrund seiner Berufserfahrung eine gleichwertige Qualifikation nachweisen können.

§ 5 Referenten

1. Die Referenten sind dafür verantwortlich, daß die ihrem Referat zugewiesenen Aufgaben sachgerecht und rechtzeitig erfüllt werden.

In allen Angelegenheiten ihres Referats steht ihnen die erste Entscheidung zu.

2. Die Referenten haben die ihnen erteilten Anordnungen im Rahmen der Vorschriften auszuführen. Sie sollen ihre Vorgesetzten beraten und unterstützen und regelmäßig informieren.

3. Die Referenten sollen eine abgeschlossene wissenschaftliche Ausbildung oder aufgrund ihrer Berufserfahrung eine gleichwertige Qualifikation nachweisen können.

§ 6

Weitere Mitarbeiter

1. Den Referenten können weitere Mitarbeiter zugeteilt werden.

2. Die weiteren Mitarbeiter unterstützen den Referenten bei der Wahrnehmung der Aufgaben des Referats.

Sie sind für die sachgerechte und rechtzeitige Erfüllung der ihnen zugewiesenen Aufgaben verantwortlich.

....

Beim Arbeitgeber besteht u.a. eine Dienstanweisung vom 2. März 2000, die ein Verbot der privaten E-mail-Nutzung beinhaltet (Blatt 341 der Akte). Vom Kläger waren auch nach Bekanntgabe dieser Dienstanweisung private E-Mails versandt und erhalten worden, unter anderem das E-Mail vom 4. April 2000. Davon hatte der Beklagte am 7. April 2000 Kenntnis erlangt. Sie war ihm von einem anderen Unternehmen, wo diese E-Mail unangenehm aufgefallen war, übermittelt worden (Blatt 92 der Akte). Der Arbeitgeber suspendierte den Kläger daraufhin sofort von seiner Arbeit und befragte ihn unter Übergabe eines Fragenkatalogs am 14. April 2000 zu dieser Angelegenheit.

Mit Schreiben vom 14. April 2000 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat seine Absicht mit, dem Kläger fristlos, hilfsweise mit Auslauffrist zum 31. Dezember 2000, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2000 zu kündigen. Mit einem fast gleichlautenden Schreiben vom selben Tag bat der Arbeitgeber den Betriebsrat um Zustimmung zu den beabsichtigten personellen Maßnahmen.

Der Betriebsrat lehnte mit Schreiben vom 18. April 2000 die Zustimmung zu dieser Kündigung jedoch ab. Mit einem am 19. April 2000 beim Arbeitsgericht München eingegangenen Schriftsatz hat der Arbeitgeber die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist zum 31. Dezember 2000, hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 31. Dezember 2000 beantragt. Auch nach Suspendierung des Klägers waren unter dessen dienstlicher E-Mail-Adresse zahlreiche weitere private E-Mails eingegangen. Der Arbeitgeber bat deshalb mit Schreiben vom 9. Mai 2000 den Betriebsrat erneut um Zustimmung zur Kündigung unter Berücksichtigung der neuen Vorwürfe. Mit Schreiben vom 12. Mai 2000 lehnte der Betriebsrat seine Zustimmung zur Kündigung des Klägers jedoch weiterhin ab.

Da der Arbeitgeber dem Kläger mit Schreiben vom 19. April 2000 (Blatt 13 der Akte) auch fristlos mit sofortiger Wirkung, hilfsweise außerordentlich unter Einhaltung einer sozialen Auslauffrist zum 31. Dezember 2000, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2000 gekündigt hatte, ließ dieser mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 10. Mai 2000 dagegen Kündigungsschutzklage erheben, die später um Zahlungsanträge erweitert worden ist.

Der Kläger war zum Zeitpunkt dieser Kündigung Mitglied des beim Beklagten gebildeten 7-köpfigen Betriebsrats gewesen.

Das vom Arbeitgeber eingeleitete Zustimmungsersetzungsverfahren war in erster und zweiter Instanz erfolglos geblieben. Nach Zurückverweisung durch das Bundesarbeitsgericht wurde es von den Beteiligten für erledigt erklärt, weil der Kläger mittlerweile nicht mehr Betriebsratsmitglied war. Den Kündigungsstreit hatte das angerufene Arbeitsgericht mit Beschluss vom 22. Juni 2001 (Blatt 214 bis 217 der Akte) bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschlussverfahrens ausgesetzt.

Der Kläger bestreitet das Vorliegen tragfähiger Kündigungsgründe. Das private Versenden von E-Mails könne zwar ein Verstoß gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen sein, es fehle aber eine vorherige einschlägige Abmahnung, um darauf erfolgreich eine Kündigung stützen zu können.

Tendenzträger zu sein, lässt der Kläger ebenfalls bestreiten. Er habe nie maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen des Arbeitgebers nehmen können. Die Mitgliedschaft in der Band rechnet er seiner privaten Lebensführung zu, die mit seinem Arbeitsverhältnis nichts zu tun habe.

Die Zahlungsansprüche würden geschuldet, weil die Kündigungen unwirksam seien. Die Zuwendung in Höhe von 83 % aus dem Bruttomonatsverdienst errechnet sich nach Ansicht des Klägers aus dem gesamten Entgelt für den Monat. Die tarifliche Vergütung habe sich in der zurückliegenden Zeit auch geändert.

Der Arbeitgeber erachtet seine Kündigung als wirksam. Eine Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung des Klägers wird als nicht erforderlich angesehen. Der Beklagte sei als politische Stiftung ein Tendenzunternehmen und der Kläger ein Tendenzträger. Dies folge bereits aus dessen Tätigkeitsbeschreibung. Er vertrete den Arbeitgeber im Rahmen der Tendenzverwirklichung nach außen. Er habe einen nicht unerheblichen eigenen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum. Die Kündigung sei auch aus tendenzbedingten Gründen erfolgt. An das Verhalten von Arbeitnehmern eines Tendenzbetriebes müssten wegen der vom Arbeitgeber verfolgten Ziele innerhalb und auch außerhalb des Dienstes erhöhte Anforderungen gestellt werden. Die Stiftung verkörpere und kommuniziere eine bestimmte politische Grundeinstellung und repräsentiere ein ganz bestimmtes Welt- und Menschenbild. Der Kläger habe sich hingegen in einer gesellschaftspolitischen Art und Weise engagiert, die mit der Tendenz der politischen Stiftung nicht in Einklang gebracht werden könne. Er sei aktives Mitglied und überzeugter Anhänger der Punkszene. Er wirke u.a. in der Punkband ... mit. Deren Liedertexte offenbarten eine Einstellung, die einer christlichen Weltanschauung diametral entgegenstünden. Es werde Hass gepredigt, ein Verbrecher verehrt und mit einem Song eine terroristische Vereinigung verherrlicht.

Die erstinstanzlich gestellten Anträge waren weitgehend erfolgreich gewesen. Das angerufene Arbeitsgericht München hatte darüber durch Endurteil vom 20. November 2007 wie folgt entschieden:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 19. April 2000 nicht aufgelöst ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 112.175,93 (i.W. .....) brutto abzüglich € 83,27 (i.W. .....) netto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit

08. 01. 2003 aus € 17.817,44

23. 12. 2003 aus weiteren € 25.289,87

04. 01. 2005 aus weiteren € 21.450,96

3. 01. 2006 aus weiteren € 25.040,40

4. 01. 2007 aus weiteren € 22.577,27

zu bezahlen.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits zu 9 %, der Beklagte zu 91 %.

5. Der Streitwert wird auf € 133.426,20 festgesetzt.

Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Ersturteils wird Bezug genommen.

Mit der am 14. Dezember 2007 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen dieses seinen Prozessbevollmächtigten am 26. November 2007 zugestellte Urteil verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 25. Februar 2008 eingegangen. Darin wird die Ansicht des Erstgerichts, es fehle an einer vorhergehenden einschlägigen Abmahnung, die ausgesprochenen Kündigungen seien wegen Verstoßes gegen das ultima-ratio-Prinzip unwirksam, mit Nachdruck bekämpft. Das dem Kläger angelastete Verhalten wird noch einmal im Einzelnen dargestellt und festgestellt, dass seine dadurch zum Ausdruck kommende Einstellung mit dem Satzungszweck des Beklagten nicht vereinbar sei. Auf § 3 des zwischen den Parteien bestehenden Dienstvertrages wird hingewiesen und festgestellt, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt davon habe ausgehen können, der Beklagte werde so schwerwiegende Verstöße gegen seine Tendenz akzeptieren.

Der Kläger habe durch seinen privaten E-Mail-Verkehr gegen die Dienstanweisung vom 2. März 2000 verstoßen. Ihm werde angelastet, in nicht unerheblichem Umfang privaten E-Mail-Verkehr während der bezahlten Arbeitszeit auf den ausschließlich zu dienstlichen Zwecken zur Verfügung gestellten Arbeitsmitteln getätigt zu haben. Ausschlaggebend für den Beklagten sei der Inhalt dieser E-Mails und der Liedertexte gewesen, die auf eine tendenzwidrige Einstellung des Klägers schließen lassen. In gleicher Weise schwerwiegend für den Beklagten wirke sich aus, dass er durch den Gebrauch des Dienst-E-Mails in Verbindung gebracht worden sei mit dem Inhalt dieser E-Mails und dem Personenkreis, mit dem der Kläger korrespondiert habe. Nach außen sei klar erkennbar gewesen, dass es sich nicht um eine private E-mail-Adresse des Klägers, sondern um die Adresse der Stiftung handelte. Vom Kläger sei das billigend in Kauf genommen worden. Er habe damit den guten Ruf und das Ansehen des Beklagten leichtfertig aufs Spiel gesetzt.

Der Kläger sei als Arbeitnehmer eines Tendenzunternehmens in besonderem Maße verpflichtet gewesen, sowohl bei seiner Arbeitsleistung als auch im außerbetrieblichen Bereich nicht gegen die Tendenz des Unternehmens zu verstoßen. Von ihm könne vor allem während seiner Tätigkeit für den Beklagten eine gewisse Zurückhaltung bei solchen Aktivitäten verlangt werden, die der Tendenz des Arbeitgebers nachhaltig zuwiderlaufen und damit betriebliche Interessen des Arbeitgebers erheblich berühren. Bei schwerwiegenden Verstößen gegen die Tendenz des Arbeitgebers könne auch eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung ausgesprochen werden.

Die Berufungsanträge des Beklagten lauten damit:

Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 20. November 2007 - Geschäftszeichen 30 Ca 6435/00 - wird abgeändert:

die Klage wird insgesamt abgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2007 hat auch der Kläger gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 23. November 2007 zugestellte Ersturteil Berufung einlegen lassen. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 25. Februar 2008 eingegangen. Darin wird den Überlegungen des Erstgerichts zunächst einmal gefolgt. Soweit dabei allerdings die geltend gemachten Tariflohnerhöhungen unberücksichtigt geblieben sind, lässt der Kläger einwenden, diese seien vom Beklagten mit keinem Wort bestritten worden. Der Kläger habe mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2004 die Gehaltserhöhungen der Tarifangestellten beim Beklagten um 2 % zum 01. August 2000 und zum 01. September 2001 um nochmals 2,4 % vorgetragen. Weiter seien mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2005 tarifliche Gehaltserhöhungen zum 1. Januar 2003 um 2,4 % und mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2006 um 1 % zum 01. Januar 2004 und nochmals um 1 % zum 1. April 2004 vorgetragen worden. All dies habe der Kläger auch unter Beweis gestellt, ein Bestreiten des Beklagten dazu sei aber ausgeblieben. Der Kläger lässt beantragen:

1. Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.

2. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 20. November 2007 - 30 Ca 6435/00 -, zugestellt am 23. November 2007, wird in Ziff. 2., Ziff. 3. und Ziff. 4 abgeändert.

3. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 122.433,45 brutto nebst 5 % Zinsen hieraus seit Rechtshängigkeit über dem Basiszinssatz abzüglich € 83,27 netto zu bezahlen.

Der Beklagte lässt zur vom Kläger eingelegten Berufung beantragen:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 20. November 2007 - Geschäftszeichen 30 Ca 6435/00 - wird zurückgewiesen.

In der Begründung dazu lässt der Beklagte die Ansprüche nach Grund und Höhe bestreiten sowie die Einrede der Verjährung erheben. Auf diese Ansprüche komme das alte Verjährungsrecht zur Anwendung. Danach verjähren die Ansprüche nach § 196 Abs. 1 Ziff. 8 BGB a.F. in zwei Jahren. Da diese Ansprüche in den Jahren 2000 und 2001 fällig geworden sind, sind sie nach Ansicht des Beklagten zum Zeitpunkt der Klageerweiterung bereits verjährt gewesen.

Vorsorglich wird noch darauf hingewiesen, dass sich die Erhöhung nur auf das Tarifgehalt und nicht auch auf die Stellenzulage beziehe. Das gelte entsprechend für die weiteren Tariferhöhungen.

Der Kläger tritt dem schriftsätzlichen Vortrag des Beklagten entgegen. Er hält daran fest, kein Tendenzträger zu sein und lässt darauf hinweisen, dass er nach der zitierten Anweisung zur PC-Nutzung nur noch drei E-Mails versandt habe. Er schreibe im 10-Finger-System (180 Anschläge/Minute), sodass der Zeitaufwand für das Erstellen/Versenden dieser E-Mails minimalst gewesen sei.

Der Kläger sei auch zu keinem Zeitpunkt Sänger in der Punk-Gruppe ... gewesen, er habe den Text des Stückes "Freistaat Bayern" nicht geschrieben und mit Schreiben vom 16. Oktober 2001 seinen Austritt aus der Band schriftlich dokumentiert.

Auf Anregung der Berufungskammer in der Berufungsverhandlung am 16. Juni 2008 (Blatt 587 bis 589 der Akte) hat der Beklagte seinen Vortrag zur Tendenzträgerschaft des Klägers noch erweitert und vertieft.

Von der Berufungskammer sind auf der Grundlage ihres Beweisbeschlusses vom 2. September 2008 Herr Dr. G. und B. als Zeugen vernommen worden. Ihre unbeeidigt gebliebenen Aussagen sind in der Sitzungsniederschrift vom 2. September 2008 (Blatt 681 bis 693 der Akte) festgehalten worden.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens in diesem Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 25. Februar 2008 (Blatt 541 bis 554 der Akte), auf die Berufungsbegründung der klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 25. Februar 2008 (Blatt 556 bis 561 der Akte) mit Anlagen, auf die Berufungsbeantwortung der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 3. April 2008 (Blatt 569/570 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 5. Mai 2008 (Blatt 576 bis 581 der Akte) sowie auf den Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom 8. August 2008 (Blatt 595 bis 609 der Akte) mit Anlagen.

Entscheidungsgründe:

Berufung und Anschlussberufung sind statthaft (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässig (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520, 521, 522, 522 a ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG). In der Sache muss das vom Beklagten eingelegte Rechtsmittel jedoch erfolglos bleiben. Die mit Schreiben vom 19. April 2000 ausgesprochenen Kündigungen sind auch nach Ansicht der Berufungskammer rechtsunwirksam. Sie scheitern zwar nicht bereits an einer fehlenden Abmahnung. Eine solche wird von der Berufungskammer bei den streitgegenständlichen Kündigungsgründen als nicht erforderlich angesehen, hatte der Kläger durch sein Verhalten doch Ruf und Ansehen des Beklagten erheblich gefährdet. Nur seine Betriebsratsmitgliedschaft und die bei Ausspruch dieser Kündigungen fehlende Zustimmung des Betriebsrats (§ 103 BetrVG) erhalten dem Kläger seinen Arbeitsplatz beim Beklagten. Auf diese Zustimmung kann nicht verzichtet werden, der Kläger ist nach dem schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten (nebst Anlagen) und dem Ergebnis der Beweisaufnahme kein Tendenzträger gewesen.

Die Berufung des Klägers hat dagegen Erfolg. Der Beklagte schuldet ihm beim zugesprochenen Annahmeverzugslohn aus § 615 BGB auch die geltend gemachten Tariflohnerhöhungen.

1. Die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds stellt immer - auch in einem Tendenzbetrieb - einen erheblichen Eingriff in die Zusammensetzung des Betriebsratsgremiums dar. Hiervor will § 103 BetrVG primär schützen, um die Kontinuität in der Amtsführung des von der Belegschaft gewählten Betriebsverfassungsorgans zu gewährleisten (BAG 17. Februar 1983 - 2 AZR 481/81 - BAGE 41, 391; 18. September 1997 - 2 AZR 15/97 - BAGE 86, 298). Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG finden in Tendenzunternehmen und Tendenzbetrieben nach Nr. 1 oder Nr. 2 die Vorschriften des BetrVG aber keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht. Die "Eigenartklausel" begrenzt das Beteiligungsrecht des Betriebsrats. Diese gesetzliche Einschränkung der Beteiligungsrechte erfolgt, weil Tendenzunternehmen und -betriebe nicht ausschließlich erwerbswirtschaftliche Ziele verfolgen. Sie genießen aufgrund besonderer Grundrechts- oder anderer Verfassungsgarantien - wie hier durch Art. 21 GG - regelmäßig einen zusätzlichen Freiheitsschutz, der das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats zurücktreten lässt. Die verfassungsrechtlich gewährleisteten Freiheiten des Unternehmensträgers eines Tendenzunternehmens oder -betriebes fordern letztlich, dass ihm das Letztentscheidungsrecht in tendenzbezogenen Fragen verbleibt. Mit § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG berücksichtigt der Gesetzgeber, dass die Zuerkennung von Tendenzschutz zur Zurückstellung von Belangen führt, deren Wahrnehmung dem Betriebsrat übertragen ist (vgl. zum Ganzen BVerfG 6. November 1979 - 1 BvR 81/76 - BVerfGE 52, 283; 29. April 2003 - 1 BvR 62/99 - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 75 = EzA BetrVG 2001 § 118 Nr. 2; zusammenfassend Richardi/Thüsing 8. Aufl. BetrVG § 118 Rn. 117). Die Beteiligungsrechte des Betriebsrats müssen aber nur soweit zurücktreten, als zu besorgen ist, dass die Freiheit, Tendenzentscheidungen unbeeinflusst zu treffen, eingeschränkt wird (BVerfG 29. April 2003, a.a.O.).

Würde man deshalb in Tendenzbetrieben gegenüber einem Tendenzträger, der auch Betriebsratsmitglied ist, die außerordentliche fristlose Kündigung generell von der Zustimmung des Betriebsrats (oder des Arbeitsgerichts) abhängig machen, könnte dies zu einem verfassungswidrigen Eingriff in das genannte Letztentscheidungsrecht des Tendenzunternehmers führen. Der Betriebsrat (bzw. das Arbeitsgericht) würde darüber mitentscheiden, ob der Tendenzunternehmer überhaupt eine Kündigung aussprechen kann bzw. die tendenzbezogene Kündigung könnte erst wirksam werden, wenn die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung vom Arbeitsgericht - in einem (aufwendigen) Verfahren - ersetzt worden wäre. Deshalb sind mit der Sicherung der Zielsetzung von Tendenzbetrieben grundsätzlich solche Mitbestimmungsrechte unvereinbar, die ein Recht zur Mitentscheidung geben (Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 118 Rn. 122).

Dementsprechend ist die durch § 118 Abs. 1 BetrVG erfolgte gesetzliche Konkretisierung der Grundrechts- und Verfassungsgewährleistungen im Anwendungsbereich des § 103 BetrVG zu berücksichtigen. Hiernach kann einem als Tendenzträger beschäftigten Betriebsratsmitglied auch ohne Zustimmung des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG aus tendenzbedingten Gründen gekündigt werden. Der Betriebsrat ist in diesem Fall nur nach § 102 BetrVG anzuhören (BAG 28. August 2003 -2 ABR 48/02 - AP Nr 49 zu § 103 BetrVG 1972). Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Meinung in der Literatur (Fitting/Kaiser/Heither/Engels/Schmidt BetrVG 21. Aufl. § 118 Rn. 40; GK-BetrVG/Fabricius/Weber 7. Aufl. § 118 Rn. 212; Richardi/ Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 103 Rn. 14 f. und § 118 Rn. 135; Löwisch/Kaiser BetrVG 5. Aufl. § 118 Rn. 36).

2. Der beklagte Arbeitgeber ist - rechtskräftig festgestellt - ein Tendenzunternehmen i.S.v. § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG (BAG 28. August 2003 - 2 ABR 48/02 - AP Nr 49 zu § 103 BetrVG 1972). Er betreibt in der Form eines Vereins ein Unternehmen, das unmittelbar und überwiegend politischen Bestimmungen dient. Die von den Parteien getragenen politischen Stiftungen sind nach ganz herrschender Auffassung wegen der von ihnen verfolgten allgemeinen politischen Zielsetzungen Tendenzunternehmen im Sinne der genannten Norm (Däubler/Kittner/Klebe/Wedde a.a.O. § 118 Rn. 21; GK-BetrVG/Fabricius/Weber 7. Aufl. § 118 Rn. 21; Löwisch/Kaiser BetrVG 5. Aufl. § 118 Rn. 4; Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 118 Rn. 49; MünchArbR/Matthes 2. Aufl. § 364 Rn. 7; siehe auch BAG 21. Juli 1998 - 1 ABR 2/98 - BAGE 89, 228).

3. Die Frage, ob der Kläger als Tendenzträger zu qualifizieren ist, war bislang noch nicht entscheidungserheblich gewesen. Eine gesetzliche Definition des Tendenzträgers fehlt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Tendenzträger in einem Tendenzunternehmen ein Arbeitnehmer, der tendenzbezogene Aufgaben wahrnimmt. Nicht zu den sog. Tendenzträgern zählen solche Arbeitnehmer eines Tendenzbetriebes, die keine tendenzbezogenen Aufgaben wahrzunehmen haben (Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 118 Rn. 123; siehe auch BAG 7. November 1975 - 1 ABR 78/74 - BAGE 27, 322, 328; 6. Dezember 1979 - 2 AZR 1055/77 - BAGE 32, 214, 218; 22. Mai 1979 - 1 ABR 100/77 - AP BetrVG 1972 § 118 Nr. 13 = EzA BetrVG § 118 Nr. 22; 3. November 1982 - 7 AZR 5/81 - BAGE 40, 296; BVerfG 6. November 1979 - 1 BvR 81/76 - BVerfGE 52, 283).

Welche Arbeitnehmer Tendenzträger sind, hängt weitgehend von den Verhältnissen des einzelnen Tendenzbetriebes ab. Der Tendenzträger muss in verantwortlicher Stellung tätig sein und unmittelbar einen maßgeblichen Einfluss auf die Tendenzverwirklichung haben. Daran fehlt es, wenn sein Gestaltungsspielraum stark eingeschränkt ist. Unschädlich ist allerdings, wenn der Tendenzträger im Einzelfall nach vorgegebenen allgemeinen Richtlinien und Weisungen arbeiten muss (BAG 28. Oktober 1986 - 1 ABR 16/85 - BAGE 53, 237; Hess/Schlochauer/Glaubitz BetrVG 5. Aufl. § 118 Rn. 30; ErfK/Hanau/Kania 4. Aufl. § 118 BetrVG Rn. 20). Nicht zu den Tendenzträgern zählen solche Mitarbeiter, die Tätigkeiten verrichten, die unabhängig von der Eigenart des Tendenzbetriebes in jedem Betrieb anfallen (z.B. Stenotypistinnen, Buchhalter, Bürogehilfen, Registrator, Lagerarbeiter; vgl. Fitting/Kaiser/Heither/ Engels/ Schmidt BetrVG 21. Aufl. § 118 Rn. 34). Allgemein anerkannt ist, dass die Funktionsinhaber (hauptamtliche Funktionäre) bei den Parteien und Koalitionen Tendenzträger sind (BAG 6. Dezember 1979 - 2 AZR 1055/77 - BAGE 32, 214; ErfK/ Hanau/Kania 4. Aufl. § 118 BetrVG Rn. 20; Richardi/Thüsing BetrVG 8. Aufl. § 118 Rn. 128).

4. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Berufungskammer zur Ansicht gekommen, dass der Kläger nicht Aufgaben in erheblichem Umfang tatsächlich wahrgenommen hat, die ihm einen unmittelbaren und maßgeblichen Einfluss auf die in der Satzung des Arbeitgebers niedergelegte Tendenzverwirklichung gaben. Die gelegentliche Abwesenheitsvertretung des Referenten kann daran nichts ändern.

Gegen seine Tendenzträgereigenschaft spricht bereits, was schon in dem Vorverfahren angesprochen worden war, die Einstufung als "weiterer Mitarbeiter". Nach der Geschäftsordnung des Beklagten hatte er den Referenten bei der Wahrnehmung der Aufgaben des Referats (§ 6 Geschäftsordnung) zu unterstützen. Auf die Staatsverwaltung übertragen wäre der Kläger wohl als Hilfsreferent anzusehen. Dem Referenten steht eine "erste Entscheidung" (§ 5 Geschäftsordnung) zu. Was dies in der Praxis bedeutet, haben die Herren Dr. G. und B. bei ihrer Befragung anschaulich dargelegt. Herr Dr. G. war der zuständige Abteilungsleiter über dem Kläger gewesen, Herr B. sein Referent. Vom Grundsatz her werden nach Aussage von Herrn Dr. G. alle Entscheidungen von unten vorbereitet und laufen dann nach oben, d. h., unten werden die Entwürfe gefertigt und oben wird entschieden. Die Projekt- und Finanzkontrolle für zugewiesene Projekte habe immer beim Sachbearbeiter gelegen, Projektbeantragung, Fortführungs-, Änderungs- und Aufstockungsanträge konnte der Kläger allein bearbeiten und das Arbeitsergebnis auch abzeichnen. In den meisten Fällen hatte Herr Dr. G. als Abteilungsleiter nach seiner Aussage aber vorher bereits abgezeichnet. Über die Fortführung von Projekten ist vom Abteilungsleiter entschieden worden. Dass der Kläger vor Ort im Ausland kontrollieren musste, ob die Buchhaltung und die Projektstruktur stimmen, ist sicher eine verantwortungsvolle Aufgabe, ein unmittelbarer, maßgeblicher Einfluss auf die Tendenzverwirklichung des Arbeitgebers ist damit aber nicht verbunden. Diesen notwendigen Einfluss kann vielleicht die Tätigkeit des Referenten und sicher ein Abteilungsleiter haben, die auch Entscheidungen mit Auswirkung auf die Tendenzverwirklichung treffen können. Die Betreuung von Besuchern gehört nicht dazu.

Vom Referatsleiter Herrn B. ist die Tätigkeit des Klägers ähnlich geschildert worden. Was ins Referat hereingekommen ist, war auf seinen Tisch gekommen und er hatte es dann im Referat verteilt. Entscheidungen der Sachbearbeiter waren im Referat vorbesprochen worden, schon um die erforderliche Transparenz im Referat sicherzustellen. Bestellungen waren vom Referenten abzuzeichnen. Für die Prüfung vor Ort gab es eine Checkliste und sie musste der Sachbearbeiter dann abarbeiten.

Beide Zeugen haben ihre Bekundungen sachlich und nachvollziehbar vorgetragen. Ihrer Schilderung des Büroalltags folgt die Berufungskammer (§ 286 ZPO). Sie bestätigten inhaltlich die vorhandene Stellenbeschreibung für den Kläger. Aus ihr hat sich auch nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (28. August 2003 - 2 ABR 48/02 -a.a.O.) nicht mit hinreichender Deutlichkeit eine unmittelbare und verantwortliche, den Tendenzbetrieb des Beklagten prägende Tätigkeit des Klägers ergeben. Der Kläger als Sachbearbeiter musste schon aus Gründen der gebotenen Transparenz immer zumindest in Abstimmung mit dem Referenten handeln. Echte eigene Entscheidungsspielräume des Klägers können den Zeugenaussagen nicht entnommen werden.

5. Die Anschlussberufung hat Erfolg. Die Lohnerhöhungen sind durch Vorlage von Pressenotizen nachgewiesen, von der Beklagten auch nicht ausreichend bestritten worden. Damit war die angefochtene Entscheidung bei den Zahlungsansprüchen entsprechend abzuändern.

Die beklagtenseits erhobene Einrede der Verjährung ist bei der Beratung der Kammer versehentlich unberücksichtigt geblieben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 91 ZPO.

Für den Beklagten wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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