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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 13.11.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 1174/06
Rechtsgebiete: TV ATZ


Vorschriften:

TV ATZ (Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst vom 5. Mai 1998 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 30. Juni 2000)
Dringende betriebliche Gründe im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ müssen vom Arbeitgeber tatsächlich nachvollziehbar vorgetragen werden. Die Befürchtung, es müsse mit einer Flut weiterer Altersteilzeitanträge gerechnet werden, genügt zur Ablehnung eines Altersteilzeitwunsches ebensowenig wie der Hinweis, dass voraussichtlich keine Neueinstellungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Hs. 2 Altersteilzeitgesetz erfolgen können.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 1174/06

Verkündet am: 13. November 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 30. Oktober 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Wahba und Burggraf für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten vom 2. November 2006 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Passau - Gerichtstag Eggenfelden - vom 13. Oktober 2006 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über den Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages.

Der im Juni 1946 geborene Kläger ist seit Oktober 1971 bei der Beklagten als Krankenpfleger beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis kommen die einschlägigen Tarifverträge für den öffentlichen Dienst zur Anwendung, insbesondere der Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst vom 5. Mai 1998 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 30. Juni 2000 (TV ATZ).

Mit Schreiben vom 27. April 2006 (Blatt 6 der Akte) hatte der Kläger Altersteilzeit im Blockmodell zum 1. Juli 2006 beantragt. Die Arbeitgeberin lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 9. Mai 2006 (Blatt 5 der Akte) jedoch ab unter Hinweis auf wirtschaftliche Erwägungen.

Der Kläger stützt sein Verlangen auf die tarifvertraglichen Vorschriften. Dringende betriebliche Gründe im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ bestehen bei der Beklagten seines Erachtens nicht. Ihre defizitäre Situation habe sich in den letzten Jahren entspannt. Auf der Betriebsversammlung am 17. Mai 2006 sei von der Geschäftsführerin der Beklagten ein Jahresüberschuss von € 744.000,-- bekannt gegeben worden. Erforderliche Rückstellungen könnten kein dringender betrieblicher Grund im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ sein.

Mit gewerkschaftlichem Schriftsatz vom 8. Juni 2006 hat der Kläger sein Begehren, die Beklagte zu verurteilen, mit ihm einen Altersteilzeit-Vertrag nach dem Blockmodell ab 1. Juli 2006 abzuschließen, gerichtlich geltend machen lassen und war damit vor dem angerufenen Arbeitsgericht Passau auch erfolgreich gewesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe seines Endurteils vom 13. Oktober 2006 wird Bezug genommen.

Mit der am 3. November 2006 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese ihren Prozessbevollmächtigten am 2. November 2006 zugestellte Entscheidung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung des Rechtsmittels ist am 22. Dezember 2006 eingegangen. Darin wird dem Erstgericht vorgehalten, die Voraussetzungen für eine Ablehnung des geltend gemachten Begehrens zu Unrecht als nicht erfüllt angesehen zu haben. Die Beklagte berufe sich gerade nicht allein auf wirtschaftliche Belastungen, die jedem Altersteilzeitarbeitsverhältnis immanent seien. Durch die Vereinbarung eines Altersteilzeitarbeitsverhältnisses mit dem Kläger würde sich für die Beklagte zumindest eine wirtschaftliche Belastung in Höhe der Aufstockungsbeträge von insgesamt € 42.000,-- ergeben. Da voraussichtlich keine Neueinstellungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 Altersteilzeitgesetz erfolgen können, dürfe auch die vom Gesetzgeber als Regelfall vorgesehene Erstattung anfallender Aufstockungsleistungen durch die Bundesagentur für Arbeit nicht angesetzt werden. Hinzu komme, dass die Beklagte bei Vereinbarung dieses Altersteilzeitarbeitsverhältnisses mit einer Flut weiterer Altersteilzeitanträge zu rechnen habe, was insgesamt dann ihre wirtschaftliche Existenz gefährden würde. Die Beklagte befinde sich bereits in einer äußerst angespannten wirtschaftlichen Situation. Damit lauten die Berufungsanträge:

Das Urteil des Arbeitsgerichts Passau vom 13. Oktober 2006, Az. 4e Ca 773/06 E, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger lässt beantragen:

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet er bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt er entgegen. Der Kläger erfülle die Voraussetzungen von § 2 Abs. 2 TV ATZ, den Ausführungen der Beklagten könne nicht entnommen werden, dass sie sich auf betriebliche Gründe im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ berufe. Eine wirtschaftliche Belastung der Beklagten durch das klägerische Verlangen in Höhe von € 42.000,-- wird bestritten. Sollte sie tatsächlich keine Neueinstellungen vornehmen wollen, könne sie sich darauf zumindest nicht berufen, denn sie habe das selbst herbeigeführt.

Die angesprochene Flut weiterer Altersteilzeitanträge wird als bloße Vermutung zurückgewiesen. Dafür gebe es keinerlei Anzeichen. Auch könne es immer nur auf die zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme von Altersteilzeit vorliegenden Umstände ankommen.

Die Beklagte tritt diesen Ausführungen entgegen.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens in diesem Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 21. Dezember 2006 (Blatt 110 bis 114 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung vom 29. Januar 2007 (Blatt 116 bis 118 der Akte), auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 25. April 2007 (Blatt 123 bis 125 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 30. Oktober (Blatt 126/127 der Akte) und vom 13. November 2007 (Blatt 128/129 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, das klägerische Begehren auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages nach dem Blockmodell abgewiesen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Der Kläger kann gestützt auf § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeit (TV ATZ) Gewährung von Altersteilzeit in der von ihm beantragten Form verlangen. Zu diesem Ergebnis war bereits das Erstgericht gelangt. Seiner sorgfältig abgefassten und zutreffenden Begründung schließt sich die Berufungskammer zunächst einmal an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Dem ist an sich auch nichts mehr hinzuzufügen, zumal die Berufungsbegründung das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten zusammengefasst wiederholt.

1. Die tarifvertragliche Anspruchsgrundlage ist vom Erstgericht keineswegs verkannt worden. Dringende betriebliche Gründe im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ stehen dem Verlangen des Klägers nicht entgegen. Die von der Beklagten zur Begründung ihrer ablehnenden Haltung in den Vordergrund gestellte Befürchtung, bei Vereinbarung des begehrten Altersteilzeitarbeitsverhältnisses sei mit einer Flut weiterer Altersteilzeitanträge zu rechnen, die insgesamt die Existenz der Beklagten gefährden würden, vermag als dringender betrieblicher Grund nicht zu genügen. Einmal gibt es dafür schon keine tatsächlichen Anzeichen, vor allem aber ist das Verlangen auf Abschluss eines Altersteilzeitvertrages stets auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme vorliegenden tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu beurteilen. Sollte nach Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung mit dem Kläger tatsächlich eine "Flut weiterer Altersteilzeitanträge" gestellt werden, könnte an eine wirtschaftliche Gefährdung der Beklagten durchaus gedacht werden. Dazu müssten die der Beklagten entstehenden Kosten dann aber auch nachvollziehbar dargestellt werden.

2. Der bloße Hinweis darauf, dass "voraussichtlich keine Neueinstellungen im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 2 Altersteilzeitgesetz erfolgen können", kann zumindest beim Kläger zur Ablehnung ebenfalls noch nicht genügen. Der Kläger ist bei der Beklagten als Krankenpfleger beschäftigt. Warum soll dieses Krankenhaus bei Ausscheiden eines Krankenpflegers dafür keinen Ersatz mehr benötigen? Krankenpfleger sind in einem Krankenhaus eigentlich unverzichtbar. Immerhin lässt die Beklagte ihren Einwand mit "voraussichtlich" einleiten. Damit im Zusammenhang stehen die Aufstockungsleistungen durch die Bundesagentur für Arbeit (vgl. § 1 Abs. 2 sowie § 4 Altersteilzeitgesetz). Diese können bei Bezifferung der finanziellen Belastung durch das klägerische Altersteilzeitverlangen nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn eine Neueinstellung aus offengelegten, nachvollziehbaren Gründen nicht erfolgen wird. Das lässt sich dem Beklagtenvortrag aber nicht entnehmen. Auf jeden Fall können auch die über eine Gesamtlaufzeit von 5 Jahren mit insgesamt € 42.000,-- bezifferten Aufstockungsbeträge (ohne Leistungen der Bundesagentur für Arbeit) die Ablehnung des klägerischen Verlangens nicht rechtfertigen.

3. Mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO verbleibt es damit bei der angefochtenen Entscheidung.

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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