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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 17.07.2008
Aktenzeichen: 6 Sa 1222/06
Rechtsgebiete: TV ATZ


Vorschriften:

TV ATZ (Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit im öffentlichen Dienst vom 5. Mai 1998 in der Fassung des Änderungstarifvertrages vom 30. Juni 2000)
Dringende betriebliche Gründe im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ müssen vom Arbeitgeber tatsächlich nachvollziehbar vorgetragen werden. Die Befürchtung, man könne für die Klägerin eine geeignete Nachfolgerin nicht finden, genügt zur Ablehnung eines Altersteilzeitwunsches ebensowenig wie Mehrkosten von € 5.416,80 für vier Jahre bei Erfüllung des Altersteilzeitwunsches.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 1222/06

Verkündet am: 17. Juli 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter von Dr. Fexer und Auhuber für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten vom 21. November 2006 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 11. Oktober 2006 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, der Klägerin Altersteilzeit zu gewähren.

Die im März 1945 geborene Klägerin ist seit 1990 als Verwaltungsangestellte im Krankenhaus A. mit einem monatlichen Bruttolohn von € 2.141,-- beschäftigt.

Mit Schreiben vom 15. August 2005 (Blatt 4 der Akte) hatte die Klägerin Altersteilzeitarbeit vom 1. März 2006 bis 28. Februar 2010 beantragt. Sie wollte die Teilzeitarbeit im Blockmodell leisten mit der Arbeitsphase vom 1. März 2006 bis 28. Februar 2008 und der Freistellungsphase vom 1. März 2008 bis 28. Februar 2010. Die Arbeitgeberin lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 14. November 2005 (Blatt 5 der Akte) ab unter Hinweis auf entgegenstehende dringende betriebliche Gründe. Die Kosten für diese Maßnahme seien aufgrund der defizitären Lage der Kreisklinik nicht aufzubringen.

Die Klägerin bestreitet das Vorliegen entgegenstehender dringender betrieblicher Gründe und weist auf Mitarbeiter hin, denen bis dahin Altersteilzeitarbeitsverträge genehmigt worden seien. Mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 16. Dezember 2005 hat sie ihr Begehren gerichtlich geltend machen lassen und sie war damit vor dem angerufenen Arbeitsgericht Rosenheim erfolgreich. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Endurteils vom 11. Oktober 2006 wird Bezug genommen.

Mit der am 21. November 2006 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese ihren Prozessbevollmächtigten am 27. Oktober 2006 zugestellte Entscheidung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 28. Januar 2007 eingegangen. Darin wird dem Erstgericht eine Verkennung von § 2 Abs. 3 des Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeitarbeit (TV ATZ) vorgehalten. Bei Auslegung des Begriffs "dringende dienstliche bzw. betriebliche Gründe" werde davon ausgegangen, dass keine derartigen Gründe vorliegen, wenn der ausscheidende Mitarbeiter nicht mehr zur Verfügung stehe, eine Ersatzkraft eingestellt werden müsse und damit die Kosten für den Arbeitgeber einzelfallbezogen anstiegen. Dem Gesetzgeber des Altersteilzeitgesetzes und den Tarifvertragsparteien des Altersteilzeittarifvertrages sei bewusst gewesen, dass die Vereinbarung von Altersteilzeit für den Arbeitgeber mit Kosten verbunden sei. Einzelfallbezogene Kostensteigerungen durch die Altersteilzeitvereinbarung könnten damit keinen dringenden betrieblichen oder dienstlichen Grund im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ darstellen.

Eine solche Interpretation engt nach Ansicht der Beklagten den Anwendungsbereich der tarifvertraglichen Norm jedoch in unzulässiger Weise ein und verkenne auch den Kernbereich dieser Regelung. Diese Reduzierung auf nichtwirtschaftliche Gründe könne auch weder auf den Regelungswortlaut gestützt noch dem mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien entnommen werden. Dass der Arbeitgeber die Mehrbelastungen in jedem Fall, also auch unter besonders ungünstigen finanziellen Rahmenbedingungen, hinnehmen müsse, ergebe sich nicht aus den gesetzlichen oder tarifvertraglichen Rechtsgrundlagen für den Abschluss von Altersteilzeitverträgen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass mit der Ausnahmeregelung in § 2 Absatz 3 TV ATZ jedenfalls auch der Abschluss solcher Altersteilzeitverträge, die in einer existenzbedrohenden finanziellen Lage zur wirtschaftlichen Gefährdung des Arbeitgebers erheblich beitragen würden, verhindert werden sollte. Bei richtiger Auslegung dieser Vorschriften fielen darunter auch erhebliche finanzielle Mehrbelastungen, die sich längerfristig und mittelbar auswirkten. Dem Erstgericht wird angelastet, ohne im Einzelnen auf das Ausmaß der finanziellen Mehrbelastung näher einzugehen, zum Ergebnis gekommen zu sein, dass auch im vorliegenden Fall die zu erwartenden Kostensteigerungen aufgrund der Altersteilzeitvereinbarung keinen dringenden dienstlichen oder betrieblichen Grund im Sinne von § 2 Absatz 3 TV ATZ darstellen könnten. Dass im vorliegenden Fall das kumulierte fiskalische Interesse, die Kosten für das im Öffentlichen Dienst beschäftigte Personal niedrig zu halten, auch dann einen dringenden betrieblichen Grund im Sinne von § 2 Abs. 3 TV ATZ darstelle, wenn keine Haushaltsbesetzungssperren bestehen, sei vom Erstgericht übersehen worden. Die Beklagte als vom Landkreis A. getragenes Kommunalunternehmen sei von Gesetzes wegen zu einem wirtschaftlichen Umgang mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen verpflichtet. Nach den allgemeinen Haushaltsgrundsätzen in Art. 55 LKrO sei die Haushaltswirtschaft sparsam und wirtschaftlich zu planen und zu führen.

Die Beklagte habe vorgetragen, dass der Landkreis A. das Erreichen einer ausgeglichenen Bilanz bis zum Jahre 2008 zwingend vorgegeben habe und dass bei Abweichungen von dem bereits eingeschlagenen Weg der finanziellen Konsolidierung letztlich den vom Kommunalunternehmen betriebenen Kliniken Teil-Stilllegungen oder komplette Schließungen drohten. Das alles sei durch umfangreiches und aussagekräftiges Zahlenmaterial auch belegt worden. Die Berufungsanträge lauten damit:

Die Klage wird unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Rosenheim vom 11. Oktober 2006 - 3 Ca 2075/05 - abgewiesen.

Die Klägerin lässt beantragen:

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rosenheim zurückzuweisen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Ergänzend dazu werden die verschiedenen Einlassungen der Beklagten zum klägerischen Begehren angesprochen und festgehalten, dass die Beklagte nach der behaupteten grundsätzlichen Entscheidung des Vorstands, keine Altersteilzeitverträge mehr abzuschließen, in fünf Fällen anderen Arbeitnehmern Altersteilzeit gewährt habe.

Schließlich seien dann erstmals mit Schriftsatz vom 11. August 2006 die konkreten Mehrbelastungen im Hinblick auf eine Altersteilzeit der Klägerin berechnet worden. Dabei habe sich ergeben, dass unter Berücksichtigung von Erstattungen seitens der Bundesagentur für Arbeit für die Altersteilzeit der Klägerin gerade einmal in vier Jahren cirka € 5.416,80 an Mehrbelastung auftreten werde, ein Betrag, der weit unter den bisher in den Raum gestellten Zahlungen liege. Dabei sei noch zu berücksichtigen, dass für die Klägerin eine jüngere Ersatzkraft eingesetzt werde, die demgemäß auch weniger koste.

Selbst höhere Mehraufwendungen der beantragten Altersteilzeit können nach Ansicht der Klägerin eine Ablehnung ihres Begehrens nicht rechtfertigen, da anderenfalls ihr Anspruch auf Altersteilzeit lediglich auf dem Papier stehen würde. Die Tarifvertragsparteien seien gemeinsam davon ausgegangen, dass durch das Einräumen der Möglichkeit von Altersteilzeitarbeitsverhältnissen eine zusätzliche Kostenbelastung für die Arbeitgeber entstehen würde. Beide haben dies jedoch in Kauf genommen. Es gehe nicht an, dass sich die Beklagte von diesem Tarifvertrag einseitig durch genau diese Kostengesichtspunkte, die bei Abschluss des Tarifvertrages bereits erkennbar waren, nunmehr lösen können soll.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 26. Januar 2007 (Blatt 240 bis 244 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung vom 9. Februar 2007 (Blatt 247 bis 249 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 17.7.2007 (Blatt 256 bis 259 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, das klägerische Verlangen auf Bewilligung von Altersteilzeit abgewiesen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Die Klägerin kann gestützt auf § 2 Abs. 2 des Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeit (TV ATZ) Gewährung von Altersteilzeit in der von ihr beantragten Form verlangen. Zu diesem Ergebnis war bereits das Erstgericht gelangt. Seiner zutreffenden Begründung schließt sich die Berufungskammer zunächst einmal an (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die tarifvertragliche Anspruchsgrundlage ist darin keineswegs verkannt worden.

So hat das Erstgericht auch zu Recht die nach der behaupteten Entscheidung des Vorstands geschlossenen Altersteilzeitvereinbarungen mit Frau Dr. A. und Herrn B. angesprochen. Von Herrn C. ist der Berufungskammer nachvollziehbar erläutert worden, dass die Tätigkeit der Klägerin für das Krankenhaus notwendig ist. Damit stellt sich dann aber tatsächlich die Frage, warum bei der Klägerin nicht eine ähnliche Lösung möglich sein soll wie bei der Nachfolge von Frau Dr. A. Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 11. August 2006 auf den Seiten 10 und 11 die konkrete wirtschaftliche Belastung der Beklagten für die gewünschte Altersteilzeit der Klägerin errechnet und ist dabei auf einen Mehraufwand pro Monat von € 112,85 und von € 5.416,80 für die 48 Monate vom 1. März 2006 bis 28. Februar 2010 gekommen. Die schwierige finanzielle Lage der Krankenhäuser soll nun keineswegs vernachlässigt werden, der Klägerin steht jedoch ein tarifvertraglicher Anspruch auf Bewilligung von Altersteilzeit zur Seite und der aufgezeigte Mehraufwand bei Erfüllung ihres Altersteilzeitwunsches von € 5.416,80 für 4 Jahre kann auch bei einer angespannten Finanzlage der Krankenhäuser nicht als dem Anspruch entgegenstehender dringender betrieblicher Grund gewertet werden. Soweit beklagtenseits die Befürchtung geäußert worden ist, für die Klägerin eine geeignete Nachfolge nicht zu finden mit der Folge des Ausbleibens der Leistungen seitens der Bundesagentur für Arbeit, so kann das vernachlässigt werden. Diese Suche steht nicht unter Zeitdruck, Arbeitgeber und Stelle in der Buchhaltung eines Krankenhauses sollten attraktiv genug sein, um auf dem Arbeitsmarkt eine geeignete Nachfolge finden zu können und damit sind dann auch die Erstattungsleistungen sichergestellt.

Verbleibt es damit bei der angefochtenen Entscheidung, war die von der Beklagten dagegen eingelegte Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Für eine Zulassung der Revision besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung (§ 72 Abs. 2 ArbGG). Auf § 72 a ArbGG wird hingewiesen.

Ende der Entscheidung

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