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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 18.10.2005
Aktenzeichen: 6 Sa 30/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB §§ 305 ff.
Überraschende Klausel (Beendigung des Arbeitsverhältnisses) in einer vom Arbeitgeber formulierten arbeitsvertraglichen Ergänzung.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 30/05

Verkündet am: 18. Oktober 2005

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 11. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Fechtner und Böttcher für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten vom 10. Januar 2005 gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 26. Oktober 2004 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Für die Beklagte wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer vertraglich vereinbarten Befristung in Verbindung mit einem Weiterbeschäftigungsanspruch.

Die im April 1975 geborene Klägerin war auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages zum 20. März 1995 in die Dienste der Beklagten getreten, beschäftigt zuletzt als Software-Entwicklerin im Betrieb ...

Am 23. Oktober 2002 hatte die Beklagte mit ihrem Betriebsrat für diesen Standort einen Interessenausgleich zur "Kapazitätsanpassung ..." (Blatt 8 bis 12 der Akte) abgeschlossen. Darin war unter anderem das möglichst einvernehmliche Ausscheiden von insgesamt ... Mitarbeitern vorgesehen, insbesondere durch Aufhebungsverträge und freiwillige Übertritte in eine sog. betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (beE).. Eine weitere Betriebsvereinbarung vom 23. Oktober 2002 (Blatt 13 bis 21 der Akte) regelte die "Materiellen Rahmenbedingungen für die Kapazitätsanpassung. Unter Ziffer 5.1 ist darin zu lesen:

... wird die beE innerhalb der Fa. X errichten.

Die Arbeitnehmer treten durch einvernehmliche Vertragsänderung in die beE über. Das Arbeitsverhältnis bleibt als unbefristetes bestehen und endet durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers, Aufhebungsvertrag oder gegebenenfalls durch arbeitgeberseitige betriebsbedingte Kündigungen.

Der Arbeitnehmer hat das Recht, das Arbeitsverhältnis in der beE jederzeit zu einem Zeitpunkt seiner Wahl zu beenden.

Am 11. November 2002 hatte die Klägerin ein Schreiben der Beklagten (Blatt 33 der Akte) erhalten des Inhalts, dass ihr Arbeitsplatz entfallen werde und man ihr zum 1. Januar 2003 zu den in der Betriebsvereinbarung "Materielle Rahmenbedingungen für die Kapazitätsanpassung..." genannten Konditionen einen Übertritt in die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit oder alternativ dazu den Abschluss eines Aufhebungsvertrages anbiete. Falls sie sich bis zum 13. Dezember 2002 für keine dieser Möglichkeiten entscheiden könne, wurde ihr eine betriebsbedingte Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt in Aussicht gestellt.

Die Klägerin ließ diese Frist verstreichen und erhielt daraufhin von der Beklagten mit Schreiben vom 15. Januar 2003 zum 28. Februar 2003 eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung (Blatt 71 der Akte) ausgesprochen. Daraufhin ist es am 21./30. Januar 2003 zu einer mit "Ergänzung zum Arbeitsvertrag" überschriebenen Vereinbarung (Blatt 49 bis 52 der Akte) zwischen den Parteien gekommen dahin, dass die Klägerin auf Grundlage der bereits zitierten Betriebsvereinbarungen vom 23. Oktober 2002 mit Wirkung zum 1. Februar 2003 bis zum von der Beklagten garantierten 29. Februar 2004 in die betriebsorganisatorisch eigenständige Einheit (beE) eingetreten ist.

Ziffer 6.3 dieser Vereinbarung lautet:

Unabhängig vom Übertritt in die beE sind sich Fa. X. und der Mitarbeiter einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis wegen dringender betrieblicher Gründe im gegenseitigen Einvernehmen mit Ablauf des 29. Februar 2004 endet.

Die Klägerin wertet diese Vereinbarung als nachträgliche Befristung ihres unbefristet bestehenden Arbeitsverhältnisses, die in Ermangelung eines sachlichen Grundes als unwirksam angesehen wird. Auch verstoße diese Regelung gegen die Betriebsvereinbarung vom 23. Oktober 2002 und enthalte darüber hinaus eine überraschende Klausel, die gemäß § 305 c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden sei.

Mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 13. Februar 2004 hat sie zum Arbeitsgericht München Klage erheben lassen mit den Anträgen:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristungsvereinbarung vom 21. Januar 2003 zum Ablauf des 29. Februar 2004 enden wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin über den 29. Februar 2004 hinaus zu unveränderten Bedingungen als Software-Entwicklerin weiter zu beschäftigen.

Diese Anträge hatten vor dem angerufenen Arbeitsgericht auch Erfolg. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Endurteils vom 26. Oktober 2004 wird Bezug genommen.

Mit der am 10. Januar 2005 beim Landesarbeitsgericht München eingegangenen Berufung gegen diese ihren Prozessbevollmächtigten am 8. Dezember 2004 zugestellte Entscheidung verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist innerhalb der verlängerten Begründungsfrist am 22. März 2005 eingegangen. Darin wird dem Erstgericht vorgehalten, die streitbefangene Vereinbarung zu Unrecht als nachträgliche Befristung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses gewertet zu haben. Die Beklagte lässt die Ansicht vertreten, damit einen Aufhebungsvertrag vereinbart zu haben und das wird im Folgenden dann auch näher begründet. Als wesentlich werden dabei die in der Vereinbarung enthaltenen Abwicklungsmodalitäten herausgestellt wie die Abfindungsregelung (Ziffer 7.), die Rückgabe von Firmenausweis und Firmeneigentum (Ziffer 6.6), der Zeugnisanspruch (Ziffer 6.5) sowie der Hinweis auf eventuelle Sperrfristen (Ziffer 6.4). Dies alles sei vom Erstgericht völlig unberücksichtigt gelassen worden und da auch ein Verstoß gegen die Betriebsvereinbarung vom 23. Oktober 2002 geleugnet wird, lauten die Berufungsanträge:

1. Das Endurteil des Arbeitsgerichts München vom 26. Oktober 2004, AZ. 17 Ca 2578/04, wird aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin lässt beantragen:

die Berufung zurückzuweisen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet sie bei, den Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt sie entgegen. Die streitgegenständliche Vereinbarung wird als vergleichbar mit dem vom BAG entschiedenen Sachverhalt (Urteil vom 12. Januar 2000 - 7 AZR 48/99) bezeichnet und auf die Entscheidungsgründe dieser Revisionsentscheidung zurückgegriffen.

Auch ein Verstoß der Befristungsvereinbarung gegen die Betriebsvereinbarung vom 23. Oktober 2002 wird weiterhin bejaht, da Ziffer 5.1 der "Materiellen Rahmenbedingungen ..." davon spreche, dass bei einem Eintritt in die beE das Arbeitsverhältnis als unbefristetes bestehen bleibt. Gerade das sei bei der Vertragsergänzung mit der Klägerin aber nicht der Fall gewesen. Soweit die Beklagte in solchen Einschränkungen der Beendigungsmöglichkeit durch eine Betriebsvereinbarung einen Verstoß gegen Art. 12 GG sieht, tritt die Klägerin dem entgegen.

Die Beklagte hält demgegenüber an ihrem Vorbringen fest und ist weiterhin die Ansicht, mit der Klägerin keine nachträgliche Befristung, sondern einen Aufhebungsvertrag vereinbart zu haben.

Die Berufungskammer hat nach Maßgabe ihres Beweisbeschlusses vom 11. Oktober 2005 Frau O. als Zeugin vernommen. Ihre unbeeidigt gebliebene Aussage ist in der Sitzungsniederschrift vom 11. Oktober 2005 (Blatt 181 bis 186 der Akte) festgehalten worden.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens wird ferner Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 22. März 2005 (Blatt 140 bis 145 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung vom 25. April 2005 (Blatt 148 bis 156 der Akte), auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 15. September 2005 (Blatt 170/171 der Akte), auf den Schriftsatz des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 28. September 2005 (Blatt 174/175 der Akte) sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 18. Oktober 2005 (Blatt 187/188 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis zum 29. Februar 2004 beendet zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Ziffer 6.3 der Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom 21./30. Januar 2003 kann dieses Verlangen nicht stützen. Sei es nun - wie vom Erstgericht vertreten - wegen Verstoßes dieser Abrede gegen die Betriebsvereinbarung vom 23. Oktober 2002 über die materiellen Rahmenbedingungen für die Kapazitätsanpassung ..." oder weil der erforderliche sachliche Grund für eine solche Befristung fehlt.

Das alles kann allerdings dahinstehen, weil diese Klausel bereits aus anderen Gründen nicht Vertragsbestandteil werden konnte (§ 305 c BGB). Sie ist eine überraschende Vertragsklausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB) und nicht Vertragsinhalt geworden.

Schon vor Inkrafttreten der §§ 305 ff. BGB nF konnten überraschende Klauseln in Formulararbeitsverträgen und in allgemeinen Arbeitsbedingungen nicht Vertragsbestandteil werden (BAG 29. November 1995 - 5 AZR 447/94 - BAGE 81, 317 mwN). Überraschend sind Vertragsklauseln dann, wenn sie so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, insbesondere auch das äußere Erscheinungsbild des Vertrags. Gerade daraus folgt im Streitfall die überraschende Vertragsklausel. Die Beklagte hatte ihre Vertragsergänzung in Sachen Übertritt in die beE auf vier Vertragsseiten ausformuliert. Ihr Ergänzungstext ohne die streitbefangene Regelung war ihren Mitarbeitern allgemein bekannt gemacht und vielfach auch bereits vereinbart worden. Im Ergänzungsvertrag für die Klägerin "versteckte" sich dagegen unter einer Ziffer 6.3 die Einigung der Parteien dahin, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis wegen dringender betrieblicher Gründe im gegenseitigen Einvernehmen mit Ablauf des 29. Februar 2004 endet. Die Überschrift zur Ziffer 6. lautet: "Garantierte Verweildauer in der beE/Kündigung", und das Regelungswerk insgesamt ist als "Ergänzung zum Arbeitsvertrag" abgefasst worden. Von einer einvernehmlichen Auflösung des Arbeitsvertrages ist in diesen Überschriften nichts zu lesen und Ziffer 6.3 war drucktechnisch auch nicht auffällig gestaltet worden. Die Klägerin hatte bei ihren Verhandlungen mit der Beklagten - folgt man den Bekundungen der Zeugin Frau O. keinen Hinweis auf diese Besonderheit erhalten und so ist von ihr trotz anwaltschaftlicher Beratung eine einvernehmliche Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses unterschrieben worden, obwohl dies ihren Interessen in keiner Weise entsprochen hat.

Die Klägerin und ihr anwaltschaftlicher Vertreter mussten nach den Umständen im Streitfall auch nicht damit rechnen, dass in ihrem Text dieser vorformulierten arbeitsvertraglichen Ergänzung eine das Arbeitsverhältnis nach 13 Monaten beendende Regelung eingebaut worden war. Eine solche nur die Klägerin belastende Klausel mit weitreichenden Folgen musste überraschen. Dies gilt umso mehr, als eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Zusammenhang mit dem Übertritt in eine Beschäftigungsgesellschaft bei der Beklagten ungewöhnlich und die Nebenabrede selbst (Ziffer 6.) unübersichtlich gestaltet ist.

Der vom Erstgericht gegebenen Begründung schließt sich die Berufungskammer hilfsweise an (§ 69 Abs. 2 ArbGG) und so bleibt die von der Beklagten eingelegte Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO erfolglos.

Für die Beklagte wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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