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Beginn der Entscheidung

Gericht: Landesarbeitsgericht München
Urteil verkündet am 18.09.2007
Aktenzeichen: 6 Sa 372/07
Rechtsgebiete: KSchG, BetrVG


Vorschriften:

KSchG § 15 Abs. 3
BetrVG § 16 Abs. 2
Wird ein Arbeitnehmer durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts als Mitglied des Wahlvorstandes für die erstmalige Durchführung einer Betriebsratswahl bestellt und eine Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, beginnt der Sonderkündigungsschutz aus § 15 Abs. 3 KSchG mit Verkündung und nicht erst mit Rechtskraft der Bestellungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts.
LANDESARBEITSGERICHT MÜNCHEN IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

6 Sa 372/07

Verkündet am: 18. September 2007

In dem Rechtsstreit

hat die Sechste Kammer des Landesarbeitsgerichts München auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Staudacher sowie die ehrenamtlichen Richter Herbst und Müller für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung des Beklagten vom 26. April 2007 gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Augsburg - Kammer Neu-Ulm - vom 9. März 2007 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Für den Beklagten wird die Revision zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier ordentlicher Arbeitgeberkündigungen.

Der im Januar 1978 geborene, verheiratete und drei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war zum 3. April 2000 als Schichtarbeiter mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttolohn von € 2.360,-- in die Dienste des Beklagten getreten, der einen Betrieb für Werkzeug- und Vorrichtungsbau betreibt.

In diesem Betrieb gibt es keinen Betriebsrat. Auf einer Betriebsversammlung am 9. November 2005, zu welcher die IG Metall Neu-Ulm eingeladen hatte, stellten sich der Kläger und fünf andere Arbeitnehmer als Wahlvorstandsmitglieder zur Verfügung. Da aber keiner dieser Kandidaten von der Mehrheit der anwesenden Arbeitnehmer gewählt worden ist, ließen IG Metall und die sechs kandidierenden Arbeitnehmer beim Arbeitsgericht Augsburg - Kammer Neu-Ulm - Einsetzung eines Wahlvorstands beantragen und sie hatten damit im Wesentlichen auch Erfolg. Unter anderem ist der Kläger als Mitglied des Wahlvorstands zur Durchführung einer Betriebsratswahl im Betrieb des Beklagten bestellt worden. Auf den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 3. Mai 2006 - 7 TaBV 9/06 wird Bezug genommen. Die beklagtenseits dagegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundesarbeitsgericht durch Beschluss vom 15. November 2006 - 7 ABN 29/06 zurückgewiesen.

Als der Beklagte dem Kläger nach zwei in ihrer Berechtigung umstrittenen Abmahnungen vom 19. Januar (Blatt 51/52 der Akte) und 21. Februar 2006 (Blatt 55/56 der Akte) mit Schreiben vom 28. Juli 2006 eine ordentliche Kündigung zum 31. August 2006, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin, aussprach, ließ der Kläger dagegen mit anwaltschaftlichem Schriftsatz vom 1. August 2006 Kündigungsschutzklage erheben mit dem Feststellungsantrag, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Juli 2006 nicht aufgelöst wird.

Mit Schreiben vom 21. August 2006 hat der Beklagte dieses Arbeitsverhältnis noch einmal kündigen lassen, nunmehr zum 30. September 2006. Diese Kündigung ist dem Kläger durch Einwurf in seinen Hausbriefkasten am 21. August 2006 um 18:31 Uhr zugegangen (vgl. dazu den Vermerk der Zustellung auf der Kopie des Kündigungsschreibens, Blatt 18 der Akte). Die Erweiterung der Kündigungsschutzklage vom 1. August 2006 auf diese Kündigung vom 21. August 2006 verbunden mit dem Antrag, die Klage nachträglich zuzulassen, datiert vom 26. Oktober 2006.

Das Erstgericht hat zunächst einmal nur über die Kündigung vom 28. Juli 2006 entschieden und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe seines Teilurteils vom 9. März 2007 wird Bezug genommen.

Mit der am 26. April 2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Berufung gegen diese seinem Prozessbevollmächtigten am 29. März 2007 zugestellte Entscheidung verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Begründung dazu ist am 16. Mai 2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Darin wird dem Erstgericht vorgehalten, zu Unrecht auf den Kläger den Sonderkündigungsschutz von § 15 KSchG zur Anwendung gebracht zu haben. Der Einsetzungsbeschluss des Landesarbeitsgerichts München sei zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 28. Juli 2006 noch nicht rechtskräftig und der Kläger damit zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht zum Wahlvorstand bestellt gewesen. Das Bundesarbeitsgericht habe schon in der vom Erstgericht zitierten Entscheidung vom 29. September 1983 - 2 AZR 121/82 (AP Nr. 15 (3) zu § 15 KSchG) ausdrücklich klargestellt, dass einem Beschluss des Arbeitsgerichts vor Rechtskraft keine materiellrechtliche Wirkung zugebilligt werden könne. Aus diesem Grunde finde auch aus noch nicht rechtskräftigen Beschlüssen in Beschlussverfahren keine Zwangsvollstreckung statt. Dies rechtfertige sich damit, dass die vorläufige Vollstreckung von Entscheidungen in betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten meist nicht mehr vollständig beseitigt werden könne. Das gelte umso mehr für Gestaltungsentscheidungen.

Rechtsmittel und damit auch die Nichtzulassungsbeschwerde hätten schließlich auch umfassendst aufschiebende Wirkung (§ 87 Abs. 3 ArbGG).

Kann nach alledem der besondere Kündigungsschutz des § 15 KSchG zu Gunsten des Klägers nach Ansicht des Beklagten nicht eingreifen, wird als Kündigungsgrund weiterhin vorgetragen, der Kläger habe sich zusammen mit seinem Kollegen C. am 5. Juli 2006 bereit erklärt, am 8. Juli 2006, einem Samstag, überobligatorisch zu arbeiten, da bei einem Kunden Produktionsstillstand auf Grund Teilemangels gedroht habe. Dieses Gespräch sei auf Deutsch und Türkisch geführt worden und man habe dabei dem Kläger und seinem Arbeitskollegen C. auch die Uhrzeiten gesagt, zu welchen gearbeitet werden sollte, nämlich von 4:00 Uhr früh bis 14:00 Uhr. Vom Beklagten sei daraufhin diese Auftragserhöhung noch am gleichen Tag angenommen worden.

Am Freitag, den 7. Juli 2006, habe der Kläger zusammen mit seinem Arbeitskollegen C. diese Zusage widerrufen und angekündigt, am besagten Samstag nicht zu arbeiten. Begründet worden sei dies damit, am 5. Juli 2006 etwas falsch verstanden zu haben, insbesondere habe er gedacht, diese Schicht dauere nur vier Stunden.

Dieser Rückzieher habe den Beklagten in arge Bedrängnis gebracht. Nur durch eine glückliche Fügung habe man die Absage kurzfristig kompensieren und so erheblichen Schaden von der Firma abwenden können. Die Berufungsanträge lauten damit:

Das Teilurteil des Arbeitsgerichts Augsburg, Kammer Neu-Ulm, vom 9. März 2007 - Az. 2 Ca 821/06 N, zugestellt am 29. März 2007, wird aufgehoben; die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger lässt beantragen:

die Berufung gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 9. März 2007 zurückzuweisen.

Den Überlegungen des Erstgerichts in der angefochtenen Entscheidung pflichtet er bei, den rechtlichen wie tatsächlichen Ausführungen in der Berufungsbegründung tritt er entgegen. Insbesondere beruft sich der Kläger weiterhin auf den Sonderkündigungsschutz in § 15 KSchG und lässt dies auch eingehend begründen.

Am 5. Juli 2006 zugesagt zu haben, am kommenden Samstag Mehrarbeit zu leisten, wird mit Nachdruck bestritten. Dieses Gespräch sei mit dem Vorgesetzten Herrn S. auf Deutsch geführt worden, Herr H. habe mit dem Kläger praktisch gar nicht gesprochen. Gesagt worden sei an diesem 5. Juli 2006 sinngemäß, wenn der Florian (Herr N.) nicht bis dahin komme, könnte er (der Kläger) vielleicht arbeiten. Am Freitag, dem 7. Juli 2007, sei Herr N. aber wieder zur Arbeit erschienen. Als dann am Freitag Herr H. zum Kläger gesagt habe, er solle morgen, Samstag, von 2:00 Uhr bis 12:00 Uhr an der Maschine STM 2000 arbeiten, habe ihm der Kläger gesagt, der Florian sei doch wieder da und er beherrsche diese Maschine auch. Dem Kläger sei die Maschine STM 2000 dagegen unbekannt.

Bei diesem Gespräch gesagt zu haben, am Mittwoch etwas falsch verstanden zu haben, lässt der Kläger bestreiten. Da Herr N. an diesem Samstag dann auch gearbeitet habe, bestreitet der Kläger schließlich das Eintreten eines Schadens oder Engpasses beim Beklagten. Auch habe Herr S. am Freitag nur mit einer Abmahnung gedroht. Eine solche sei gegenüber Herrn C. dann auch ausgesprochen worden, der Kläger habe aber eine Kündigung erhalten.

Die Berechtigung der ihm in der Vergangenheit ausgesprochenen Abmahnungen lässt der Kläger ebenfalls bestreiten.

Die Berufungskammer hat nach Maßgabe ihres Beweisbeschlusses vom 18. September 2007 die Herren S., H. und C. als Zeugen vernommen. Ihre jeweils unbeeidigt gebliebenen Aussagen sind in der Sitzungsniederschrift vom 18.9.2007 (Blatt 189 bis 198 der Akte) festgehalten worden.

Zur Ergänzung des Parteivorbringens in diesem Berufungsverfahren wird ferner Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 16. Mai 2007 (Blatt 126 bis 131 der Akte), auf die Berufungsbeantwortung vom 19. Juli 2007 (Blatt 136 bis 141 der Akte) mit Anlagen sowie auf den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 17. August 2007 (Blatt 169 bis 171 der Akte).

Entscheidungsgründe:

Die statthafte (§ 64 Abs. 2 ArbGG) und auch sonst zulässige Berufung (§ 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO, § 11 Abs. 2 ArbGG) mit dem Ziel, die Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vom 28. Juli 2006 abgewiesen zu bekommen, muss erfolglos bleiben. Der Kläger stand im Zeitpunkt der Kündigung vom 28. Juli 2006 bereits der besondere Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3 KSchG zur Seite, ihm konnte nur mehr außerordentlich aus wichtigem Grund gekündigt werden (§ 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG). Damit ist die ordentliche Kündigung vom 28. Juli 2006 schon wegen Verstoßes gegen § 15 Abs. 3 KSchG rechtsunwirksam. Zu diesem Ergebnis war bereits das Erstgericht gekommen. Der von ihm dazu gegebenen zutreffenden Begründung schließt sich die Berufungskammer zunächst einmal an (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Des weiteren wäre die Kündigung vom 28. Juli 2006 aber auch sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG, denn der als Kündigungsgrund vorgetragene Sachverhalt ist von den dazu angebotenen Zeugen des Beklagten nicht in einer Weise bestätigt worden, um darauf eine ordentliche Beendigungskündigung stützen zu können. Der bei diesen Gesprächen ebenfalls anwesende Arbeitskollege des Klägers hatte den Geschehensablauf teilweise abweichend in Erinnerung. Seine Bekundungen waren damit ebenfalls nicht geeignet, den Beklagtenvortrag zu bestätigen. Bei der gebotenen Interessenabwägung müsste schließlich bedacht werden, dass im Rahmen dieses Kündigungsschutzverfahrens nur über eine an sich doch zumutbare Fortdauer dieses Arbeitsverhältnisses über den 31. August 2006 hinaus bis Ablauf des 30. September 2006 zu entscheiden wäre. Dem Kläger war mit Schreiben vom 21. August 2006 eine weitere ordentliche Kündigung zum 30. September 2006 ausgesprochen worden. Zu seinen Gunsten sprechen die rund sechsjährige Betriebszugehörigkeit und seine Unterhaltspflichten gegenüber drei Kindern.

1. Das Erstgericht hat die angefochtene ordentliche Kündigung vom 28. Juli 2006 zu Recht am Sonderkündigungsschutz des Klägers nach § 15 Abs. 3 KSchG scheitern lassen. Der Kläger war mit zwei weiteren Arbeitskollegen durch Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 3. Mai 2006 - 7 TaBV 9/06 als Wahlvorstand bestellt worden; Rechtsbeschwerde dagegen hatte das Landesarbeitsgericht für den Beklagten (damals Beteiligter zu 8) nicht zugelassen. In einem solchen Fall darf der Sonderkündigungsschutz nicht erst mit der Rechtskraft der gerichtlichen Bestellungsentscheidung eingreifen. § 15 Abs. 3 KSchG dient einem doppelten Schutzzweck (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Betriebsverfassungsgesetzes, Bundestagsdrucksache VI/1786, S. 60): Zum einen erscheinen die Mitglieder eines Wahlvorstands im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte mit dem Arbeitgeber vorübergehend ähnlich schutzbedürftig wie die Mitglieder des Betriebsrates. Zum anderen soll verhindert werden, dass der Arbeitgeber ihm nicht genehme Kandidaten durch eine Kündigung von der Wahrnehmung betriebsverfassungsrechtlicher Ämter ausschließt (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 15 KSchG 1969 Wahlbewerber [unter I 4 b aa der Gründe]). Dass es dabei nicht nur um theoretisierende Befürchtungen geht, zeigt der Streitfall. Der Beklagte hatte gegen die Bestellungsentscheidung des Landesarbeitsgerichts München vom 3. Mai 2006 eine erfolglos gebliebene Nichtzulassungsbeschwerde einlegen lassen und bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts darüber durch Beschluss vom 15. November 2006 - 7 ABN 29/06 zwei Mitgliedern des gerichtlich bestellten Wahlvorstands ordentliche Kündigungen ausgesprochen. Gerade das will § 15 KSchG verhindern. Das gelingt aber nur, wenn die gemäß § 16 Abs. 2 BetrVG durch das Landesarbeitsgericht ohne Zulassung der Rechtsbeschwerde bestellten Mitglieder des Wahlvorstands zur Durchführung einer Betriebsratswahl bereits ab Verkündung dieser Entscheidung unter den Geltungsbereich des § 15 Abs. 3 KSchG fallen.

2. Unabhängig davon ist festzuhalten, dass die Herren S. und H. den Ablauf ihres ersten Gesprächs mit dem Kläger und Herrn C. bei ihrer Vernehmung vor der Berufungskammer insoweit abweichend geschildert haben, als Herr H. davon gesprochen hat, dass Kläger und Herr C. zur zusätzlichen Samstagsschicht sofort "ja" gesagt hätten und froh gewesen seien, mehr Stunden machen zu können. Herr S. hatte diesen Gesprächsverlauf dagegen als durchaus schwierig in Erinnerung, es sei dabei immer wieder zur Diskussion gekommen, letztendlich hätten Kläger und Herr C. die Übernahme der Samstagsschicht aber zugesagt. Von Herrn C. ist dagegen die klägerische Einlassung bestätigt worden dahin, dass der Kläger schon beim ersten Gespräch samstags nicht arbeiten wollte. Wie es letztlich auch gewesen sein mag, auffällt, dass schließlich beide am Samstag nicht gearbeitet haben, Herr C. ist dafür anschließend abgemahnt worden, der Kläger hat eine ordentliche Beendigungskündigung ausgesprochen erhalten. Diese Sanktion gegenüber einem Arbeitnehmer mit rund sechsjähriger Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten erscheint trotz der dem Kläger bereits früher ausgesprochenen Abmahnungen zu hart. Immerhin haben beide Zeugen davon gesprochen, dass der Kläger in der streitigen Woche ohne zusätzliche Samstagsschicht bereits viel gearbeitet hatte. Spätestens bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung müsste diese Beendigungskündigung deshalb auch als sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 KSchG angesehen werden.

3. Mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO verbleibt es deshalb bei der angefochtenen Entscheidung.

Für den Beklagten wird die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).

Ende der Entscheidung

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